DGAP-Experten analysieren den Wahlausgang, die Lage des Landes und die Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen
Die mit Abstand spannendste Frage in den kommenden Wochen wird sein, ob sich Demokraten und Republikaner auf einen finanzpolitischen Kompromiss einigen können. Wenn nicht, drohen Ende des Jahres Steuerermäßigungen auszulaufen und ab Januar 2013 massive Ausgabenkürzungen – ein doppelter Kaufkraftentzug mit dramatischen Auswirkungen auf die Konjunktur. Zudem muss voraussichtlich schon im Februar 2013 die Gesamtschuldenobergrenze erneut angehoben werden – weitere heftige Auseinandersetzungen zwischen Präsident und Kongress sind vorprogrammiert.
Politikblockade
Bereits bei den Haushaltsverhandlungen 2011 habe sich gezeigt, so Josef Braml, „dass nicht die wirtschaftlichen Probleme das Land an den Abgrund gebracht haben, sondern die Unfähigkeit der Politik, einen Kompromiss zu finden.“ Die Auswirkungen eines politischen Scheiterns an dem sogenannten „fiscal cliff“ wären allerdings so dramatisch, dass diese düsteren Aussichten nun wahrscheinlich ausreichten, um die Akteure zu einem Kompromiss zu zwingen, sagte Claudia Schmucker.
Viele Vorhaben des Präsidenten drohen auch in der kommenden Legislaturperiode am Einspruch der republikanischen Kongressmehrheit zu scheitern. Aber eine Eigenheit des politischen Systems der USA eröffnet dann doch Spielräume, gab Braml zu bedenken: Es gibt keine Fraktionsdisziplin. Und so werden wohl die Republikaner dem Präsidenten folgen, wenn dieser neue handelspolitische Initiativen ergreift; auf deren Stimmen ist Obama auch angewiesen, weil er nicht mit der Unterstützung seiner gewerkschaftsnahen Parteifreunde rechnen kann.
Handelspolitische Spielräume
Die USA streben eine Reihe bi- und multilateraler Verträge an, jedoch nicht mehr den Abschluss der Welthandelsrunde. So will die US-Regierung im nächsten Jahr „eines der umfassendsten Freihandelsabkommen, die Transpazifische Partnerschaft mit einer Reihe weiterer amerikanischer und asiatischer Länder, unter Dach und Fach bringen“, sagte Claudia Schmucker. Dagegen sei ein transatlantisches Abkommen noch nicht soweit gediehen und werde von Obama wohl erst aufgegriffen, wenn die Fachleute der „EU US High Level Group on Growth and Jobs“ ein solches Abkommen empfehlen.
Strategische Neuausrichtung
Die Einschätzungen der DGAP-Experten und die anschließende Diskussion machten deutlich, wie sehr die angespannte innenpolitische und wirtschaftliche Lage die Agenda in Washington derzeit dominiert. Außenpolitisch führt dies dazu, dass die USA ihr weltweites Engagement deutlich reduzieren und die Verbündeten stärker belasten müssen. Zwar werden die Amerikaner im Nahen Osten weiter präsent sein, liegen dort doch wesentliche sicherheits- und energiepolitische Interessen; auch wird man Israel weiter beistehen. „Um Kosten zu senken, geht Washington aber beispielsweise bei der militärischen Ausrüstung ganz neue Wege und bringt immer mehr Drohnen zum Einsatz statt schwerem traditionellem Gerät,“ so Josef Braml.
Der strategische Schwerpunkt der US-Außenpolitik liegt künftig in Asien. Dort suchen sich die Amerikaner neue Partner und versuchen den Aufstieg Chinas einzudämmen. Der Aufschwung der Volksrepublik sei dabei vor allem ein Problem für die USA, die Peking in die Rolle des Rivalen drängten, so Eberhard Sandschneider. „Die zentrale außenpolitische Aufgabe der neuen Regierung Obama besteht darin, ein vernünftiges Verhältnis zu China zu finden. Das hat die jetzige Regierung nicht geschafft.“
Forderungen an Europa
Eine wesentliche – währungspolitische – Auseinandersetzung spiele sich allerdings künftig zwischen Europa und Amerika, genauer: zwischen Euro und Dollar, ab, sagte Josef Braml. Es gehe bei diesem Ringen der Weltwährungen letztlich um die Frage, wer seine Schulden besser finanzieren kann.
Abgesehen von der „Eurokrise“ spielte Europa im amerikanischen Wahlkampf kaum eine Rolle. Claudia Schmucker machte deutlich, welch hohes Interesse Washington an der Lösung der Schulden- und Wirtschaftskrise in Europa, einem der wichtigsten Auslandsmärkte der USA, hat. Dazu drängen die Amerikaner die Europäer zum massiven Ankauf von Staatsanleihen und einer Vergemeinschaftung der Schulden.
In zwei Bereichen werden also Europäer und Deutsche in den kommenden Jahren aus Washington besonders starken diplomatischen Druck bekommen: In der Währungspolitik, die für die USA zum Schlüssel der Wirtschaftspolitik geworden ist und in der Sicherheitspolitik, in der die Amerikaner ihre Verbündeten dazu drängen, mehr Verantwortung zu übernehmen und größere finanzielle und militärische Lasten zu tragen.