Großbritannien: Streit um Europa

Mit seiner Grundsatzrede hat David Cameron die Diskussion um die Zukunft der EU angefacht. Stimmen aus der DGAP

Der Haushaltsstreit der Staats- und Regierungschefs der EU ist zunächst beigelegt. Erst im zweiten Anlauf konnte man sich auf ein neues EU-Budget einigen. Für Großbritannien geht es dabei nicht nur um unpopuläre Milliardenzahlungen an Brüssel, sondern um das große Ganze: Viele EU-Kritiker fordern den Austritt ihres Landes aus der Gemeinschaft, die britische Regierung dagegen hält an einer Mitgliedschaft fest – vorausgesetzt, die EU sei zu grundlegenden Umbaumaßnahmen bereit.

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EU-Kritik hat in Großbritannien Tradition, in den Jahren der Finanzkrise ist sie aber lauter geworden. Sie durchzieht das gesamte Parteienspektrum. Bei den Konservativen haben die EU-Skeptiker die Oberhand, ebenso in den Medien.

Dabei nimmt die Debatte bisweilen surreale Züge an. „Fakten und Fiktion sind längst bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen“, sagte Quentin Peel, Deutschlandkorrespondent der Financial Times beim „Early Bird Breakfast“ in der DGAP. Die britische Regierung steht unter erheblichem innenpolitischem Druck, gegenüber Brüssel hart aufzutreten.

Verträge auf dem Prüfstand

Premier David Cameron hat die EU-Kritik seiner Landsleute im Januar in einer Grundsatzrede aufgegriffen. Darin fordert er die Rückbesinnung auf den Binnenmarkt als zentrale Idee der Union. Nur so bleibe Europa wettbewerbsfähig und könne mit den neuen wirtschaftlichen Kraftzentren in der Welt Schritt halten. „Der Gemeinsame Markt ist der Hauptgrund für unsere EU-Mitgliedschaft.“ Stattdessen habe sich die Gemeinschaft infolge der Finanzkrise weit von ihren Ursprüngen entfernt. Im Lauf der Jahrzehnte habe man ein „ein Integrationslevel erreicht, bei dem sich die Briten nicht mehr wohlfühlen.“

Nun gelte es, dem Subsidiaritätsprinzip wieder stärker Rechnung zu tragen, statt einfach möglichst viele Bereiche zu harmonisieren. Gegebenenfalls müssten die Mitgliedstaaten Kompetenzen aus Brüssel zurückerhalten. Man werde in den kommenden Monaten evaluieren, welche Maßnahmen sinnvoll sind. Auf dieser Basis will Cameron dann einen neuen EU-Vertrag aushandeln, notfalls für sein Land allein. Die EU sei infolge der Finanzkrise ohnehin im Umbau – warum also nicht alle nötigen Reformen jetzt anpacken?! Cameron ahnt, dass ein Konsens der 27 darüber schwer zu erzielen sein wird. Aber: „Wir können einen neuen Vertrag schaffen.“

Referendum über die Mitgliedschaft

Über die Mitgliedschaft Großbritanniens in einer reformierten EU sollen die Bürger 2017 entscheiden dürfen. Zu einem Referendum hatte vor allem der rechte Flügel der konservativen Partei gedrängt. Cameron selbst betonte wiederholt, die britische Regierung befürworte ein Verbleiben Großbritanniens in der EU – vorausgesetzt, Brüssel sei zu Umbaumaßnahmen bereit.

Viele britische EU-Kritiker fordern den Austritt ihres Landes aus der Gemeinschaft. „Dazu könnte es durchaus kommen“, ist Quentin Peel überzeugt. „Immer mehr Briten halten das für wünschenswert.“ Auch Cameron mahnte in seiner Rede: Wenn man die von ihm skizzierten Probleme nicht angehe, würden die Briten für einen Austritt votieren. Die Frustration über die EU sei sehr hoch. Peel gab allerdings zu bedenken, dass in der aktuellen Diskussion ausgeblendet werde, welche Folgen eine Trennung haben könnte.

Aktuelle Meinungsumfragen zeigen aber auch einen gegenläufigen Trend: Demnach steigt die Zahl der EU-Befürworter vor allem bei den Jüngeren. Und die Position der konservativ-liberalen Koalitionsregierung in London sei nach wie vor, dass Großbritannien EU-Mitglied bleiben müsse, betonte der liberal-demokratische Oberhausabgeordnete und Europa-Experte Lord Wallace of Saltaire bei einer gemeinsamen Veranstaltung der DGAP und der britischen Botschaft. Allerdings teile nicht jeder Tory-Abgeordnete diesen Standpunkt.

Strikte Auslegung des Subsidiaritätsprinzips

Wallace bemühte sich, die Sorge um einen Austritt Großbritanniens zu zerstreuen. In Berlin stellte er die „Balance of Competences Review“ vor, eine Initiative der britischen Regierung zur Überprüfung der Zuständigkeiten der EU. Ziel sei es, einen konstruktiven Beitrag zur europäischen Debatte über eine Modernisierung der EU zu leisten.

Bis 2014 wolle man klären, wo genau die Zuständigkeiten der EU liegen, wie Brüssel seine Kompetenzen ausübt und welche Folgen das für Großbritannien und sein nationales Interesse hat. Nicht als Alles-oder-nichts-Frage sei die Überprüfung gedacht, sondern als realistische Bestandsaufnahme der EU-Mitgliedschaft. So könne vieles auf nationaler Ebene effizienter angepackt werden, entsprechend dem Prinzip der Subsidiarität – eine Überlegung, die so alt ist wie die EU, und eine Forderung, die nicht nur von London erhoben wird.

Nicht nur eine britische Frage

Almut Möller, Leiterin des Alfred von Oppenheim-Zentrums für europäische Zukunftsfragen der DGAP, wies beim Early Bird Breakfast darauf hin, dass die derzeitige Auseinandersetzung unter den Mitgliedstaaten deutlich komplizierter sei als oft dargestellt. Das Schema „alle gegen einen“ greife zu kurz: Großbritannien gehe zwar besonders auf Distanz zur Eurozone, aber auch Länder wie Polen und Schweden fühlten sich momentan an den Rand gedrängt. Während die Eurozone unter dem Druck der Krise in der Finanz- und Wirtschaftspolitik voranschreiten muss, fürchten Nicht-Euro-Länder politisch abgehängt zu werden. Großbritannien an Bord zu halten sei zwar schwierig, aber nicht unmöglich.

Man müsse mehr Rücksicht auf die britischen Sensibilitäten nehmen und London jenseits des Euro Anknüpfungspunkte bieten, so Möller. Handlungsfelder wie die Sicherheits- und Verteidigungspolitik seien ohne Großbritannien nicht denkbar. Dabei dürfe man sich aber nicht nur im Rahmen bestehender Formate und Verträge bewegen. „Es gibt unterschiedliche Spielarten, als Europäer zusammenzuarbeiten, hier könnten den Briten Angebote gemacht werden.“ Wie bei der Eurozone könne es auch in anderen Bereichen zunächst Länder geben, die vorangehen. Damit bestehe allerdings die Gefahr neuer EU-interner Trennlinien. Es sei in Deutschlands Interesse, dass die Abstände zu den anderen Mitgliedern nicht zu groß werden.

Wie viel Ungleichzeitigkeit die Union verträgt, dem geht Almut Möller in einem Beitrag in der Zeitschrift Internationale Politik nach. Angesichts der Krise hat die Gemeinschaft jedoch keine andere Wahl, als sich neu zu erfinden, schreibt die EU-Expertin in einem DGAPstandpunkt und einem weiteren Beitrag für die Internationale Politik.

Die Kommunikation verbessern

Der Umbau der Europäischen Union stellt dabei erhöhte Anforderungen an die zwischenstaatliche Kommunikation. Dass Diskussionen unter den Mitgliedern heute kontroverser als früher ausgetragen werden, ist angesichts der Größe der Aufgaben verständlich und „im Grunde ein gutes Zeichen“, betont Möller: „Denn die neue Union wird in einer neuen Debattenkultur, in Wahlen und Abstimmungen entstehen – oder sie wird scheitern.“ Nicht nur Briten und Deutsche müssen dazu Unterschiede in der Sache und in der Diskussionskultur überbrücken.

Damit Kommunikation nicht zum Problem wird, brauche gerade Deutschland – das bei der Bewältigung der Schuldenkrise die Hauptrolle spielt – eine bessere Public Diplomacy in der EU. Viele Partner hätten jedoch ihr Problem mit der Europapolitik der Bundesregierung. Berlin schwingt die Regel-Peitsche und hat wenig übrig für die Nöte der Krisen-Länder, so die Wahrnehmung. Die Bundesregierung müsse diese Entwicklung ernst nehmen, denn sie drohe ihren Gestaltungsspielraum einzuengen.

Deutschland aus der Perspektive seiner EU-Partner

Almut Möller und Roderick Parkes konstatierten gar eine neue deutsche Frage, bei der sich der Antagonismus zwischen dem größten Mitgliedsland und seinen Nachbarn hochzuschaukeln drohe. In einem von Möller und Parkes herausgegebenen Sammelband diskutieren Analysten anderer EU-Länder die Berliner Europapolitik. Die anderen Regierungen pflegen demnach einen nationalen Narzissmus, mit dem sie sich von Deutschland abgrenzen wollen. „Deutschlands Erfolg verstört seine Partner,“ sagen die Europa-Experten Möller und Parkes und warnen vor einer Zementierung der Unterschiede. Es sei jetzt vor allem an Deutschland, die Kommunikation und Kooperation in der EU zu verbessern, damit die Gemeinschaft arbeitsfähig bleibt.

Wie die deutsche Europapolitik bei den EU-Partnern ankommt, dazu hat das Alfred von Oppenheim-Zentrum die drei Beiträge des Sammelbandes zu Griechenland, Italien und Polen auch als DGAP-Analysen vorgelegt. Demnach hat sich das Deutschland-Bild der Griechen durch die Finanzkrise stark eingetrübt. Berlin gelte als hauptverantwortlich für das Schuldendrama, habe zu spät gehandelt, stemme sich gegen Wachstumsimpulse und bediene sich einer aggressiven Rhetorik, um bei heimischen Wählern zu punkten. Deutschland solle mehr Zeichen der Anerkennung nach Athen senden.

Die italienische Regierung unter Mario Monti wiederum habe sich bemüht, das durch die Schuldenkrise lädierte Verhältnis zu Deutschland zu verbessern. Insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit ließe sich ausbauen, so der Autor des Beitrags. Ein negatives Deutschlandbild der Italiener erschwere allerdings die Annäherung, längst überwunden geglaubte Feindbilder und Stereotype erlebten eine Renaissance. Die polnische Führung schließlich fordere zur Überwindung der Schuldenkrise von der Bundesregierung eine noch aktivere Rolle und wolle dabei als Mitgestalter einbezogen werden.

Außenpolitik als gemeinsames Handlungsfeld

In den letzten Jahren hat das finanzpolitische Krisenmanagement in der EU andere Politikfelder völlig überlagert. Mehr Gemeinsamkeit in der EU-Außenpolitik wäre nun ein wichtiges Signal der Handlungsfähigkeit, mahnen Almut Möller und Julian Rappold in einer DGAPanalyse. Vor zwei Jahren wurde dazu der Europäische Auswärtige Dienst gegründet. Es liege nun bei den Mitgliedstaaten, sich viel stärker als bisher an dessen Aufbau zu beteiligen. Gerade Deutschland sei als Vorbild gefordert.

Dass der Dienst noch längst nicht funktioniert wie geplant, darauf weist DGAP-Experte Cornelius Adebahr hin. Jetzt müsse es darum gehen, die Arbeitsteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten zu verbessern, fordert Adebahr in einem Beitrag zum „Call for Evidence: European External Action Service“ des britischen Oberhauses und illustriert Defizite und Möglichkeiten der EU-Außenpolitik am Beispiel der Delegationen und Sonderbeauftragten in Drittländern.

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