EU ohne Großbritannien?

Deutsch-britische Diskussion in der DGAP über Wahrscheinlichkeit und Folgen eines Austritts

Datum
06 Dezember 2012
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Berlin, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Wird Großbritannien als erstes EU-Mitglied die Union bald verlassen? So wie sich die Gemeinschaft entwickelt, hatten sich das die Briten nicht vorgestellt, als sie vor vier Jahrzehnten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitraten. Die Euro-Länder wollen nun noch enger zusammenrücken und eine Fiskalunion eingehen, um die Schuldenkrise zu überwinden und die Gemeinschaftswährung zu stabilisieren. Doch je lauter in Kontinentaleuropa der Ruf nach „mehr Europa“ wird, desto mehr scheinen sich die Briten das Gegenteil zu wünschen.

Für die Briten ist die EU eine Kosten-Nutzen-Frage

Großbritannien möchte sich möglichst nicht an den Kosten der Euro-Rettung beteiligen, so wenig politische Verpflichtungen mit Brüssel eingehen wie möglich und als „Nettozahler“ seine Beiträge zum EU-Haushalt reduzieren. Für die Briten ist die Zugehörigkeit zur EU vor allem eine Kosten-Nutzen-Erwägung. Man ist der Gemeinschaft 1973 aus wirtschaftlichen Gründen beigetreten und will auch weiter von den Vorteilen des großen gemeinsamen Marktes profitieren. Seitdem hat diese Gemeinschaft aus britischer Sicht allerdings viel zu viele Integrationsschritte gemacht, erklärte Quentin Peel und brachte die tiefe Europaskepsis seiner Landsleute gegenüber der EU mit den Worten auf den Punkt: „Die Briten wollten schon immer Teil eines Europa sein, das es jedoch in der Form, in der sie es sich wünschten, nie gab.“

Britische Europa-Debatte: Fakten und Fiktion verschmelzen

Die EU wurde daher in Großbritannien immer mehr zum Gegenstand der Kritik. Im gesamten Parteienspektrum gehöre es zum guten Ton, sich von Brüssel zu distanzieren, sagte Peel. Er unterstrich, welche die Bedeutung dabei der europafeindlichen britischen Presse zukommt. Diese zeichne die EU meist in den dunkelsten Farben. Fakten und Fiktion seien längst bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen. Die britische Regierung steht dadurch unter erheblichem innenpolitischem Druck, in Brüssel hart aufzutreten und hat europapolitisch kaum Handlungsspielraum.

Aktuelle Diskussion blendet Folgen eines Austritts aus

Könnten die Briten womöglich bald über die Zugehörigkeit ihres Landes zur EU abstimmen? Die Mehrheit der Bürger wünscht sich ein erneutes Referendum, da sich die Gemeinschaft seit der ersten Abstimmung in den siebziger Jahren stark verändert hat. Auch der rechte Flügel der konservativen Partei drängt dazu. „Ein Austritt ist vermeidbar, aber es könnte durchaus dazu kommen“, zeigte sich Quentin Peel überzeugt. "Immer mehr Briten halten das für wünschenswert." Die britische Politik ist sich weitgehend einig, dass das Verhältnis des Landes zur EU auf eine neue Basis gestellt werden muss und die Bedingungen der Mitgliedschaft neu auszuhandeln sind. Zurzeit prüft London alle Verträge mit der EU darauf, welche Kompetenzen auf die nationale Ebene zurückgeholt werden können.

Und welchen Kurs verfolgt Premierminister David Cameron? David Charter, Autor des Buches „Au Revoir, Europe – What if Britain Left the EU?“, sagte: "London wartet gespannt darauf, dass Cameron zum Thema Referendum Stellung bezieht - wann, wie und worüber abgestimmt werden soll." Die Rede sei nun mehrfach verschoben worden, er erwarte sie Anfang Januar. In der aktuellen Diskussion werde indes völlig ausgeblendet, welche Folgen ein Austritt haben könnte, sagte Quentin Peel.

London nicht ausgrenzen

Almut Möller wies darauf hin, dass die Lage deutlich komplizierter sei als oft dargestellt und sich nicht mit dem Schema „alle gegen einen“ beschreiben lasse: Großbritannien gehe zwar besonders auf Distanz zur Eurozone, aber auch Länder wie Polen und Schweden fühlten sich momentan an den Rand gedrängt. Während die Eurozone unter dem Druck der Krise voranschreiten muss, fürchten sie politisch abgehängt zu werden. Großbritannien an Bord zu halten sei zwar zur Zeit besonders schwer, aber nicht unmöglich.

Man müsse jetzt stärker die britischen Sensibilitäten bezüglich eines „mehr Europa“ beachten und London jenseits des Euro Anknüpfungspunkte geben, so Möller.  Handlungsfelder wie die Sicherheits- und Verteidigungspolitik seien ohne Großbtitannien nicht denkbar. Dabei dürfe man sich aber nicht nur im Rahmen bestehender Formate und Verträge bewegen. „Es gibt unterschiedliche Spielarten, als Europäer zusammenzuarbeiten, hier könnten den Briten Angebote gemacht werden.“ Wie bei der Eurozone könne es in allen Bereichen zunächst Länder geben, die vorangehen, und solche, die draußen stehen. Es sei allerdings in Deutschlands Interesse, dass die Zwischenräume nicht zu groß werden.

Podium

David Charter, Berlin-Korrespondent, The Times
Almut Möller, Programmleiterin, Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen der DGAP
Quentin Peel, Deutschlandkorrespondent und Associate Editor, Financial Times
Eberhard Sandschneider, Moderation, Otto Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der DGAP