Syrien und das Krisenmanagement des Westens

Erfindet sich der Westen gerade neu oder ist „westlich“ eine überholte politische Kategorie? Debatte in der DGAP

Datum
18 September 2013
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Deutschland
Einladungstyp
Nur für Mitglieder

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Für transatlantische Sicherheitsexperten ist es ernüchternd, wie weit die Länder des Westens von einem gemeinsamen Krisenmanagement in Syrien entfernt sind. Amerikaner und Europäer verfolgen unterschiedliche politische Ansätze, man streitet, auch innenpolitisch, über den Sinn eines Militärschlags gegen das Assad-Regime, man vernachlässigt bei der Fokussierung auf die Chemiewaffen-Frage andere Aspekte des Konflikts, und ringt bislang vergeblich um eine Resolution im UN-Sicherheitsrat. Kurzum: Handlungsfähigkeit sieht anders aus. Henning Riecke, Leiter des Programms USA/Transatlantische Beziehungen der DGAP, sieht für das Zögern der USA drei Gründe: die Erfahrungen mit dem Afghanistan-Einsatz, die enorme Staatsverschuldung und die strategische Hinwendung der Supermacht nach Asien.

Wie hilflos der Westen – nicht nur in der Syrien-Frage – auftritt, treibt viele der Diskussionsteilnehmer des Abends um. Dabei stehen für die westlichen Länder vitale Interessen auf dem Spiel: Es geht um nichts geringeres als darum, eine humanitäre Katastrophe zu stoppen, der Flüchtlingsströme Herr zu werden und Massenvernichtungswaffen unter Kontrolle zu bringen. „Die Syrien-Krise hält uns den Spiegel vor“, brachte Eberhard Sandschneider die Bedeutung des aktuellen Konflikts für die internationale Politik auf den Punkt. Sie unterstreiche einmal mehr die Unfähigkeit der westlichen Länder zu gemeinsamem Handeln – und damit auch die Irrelevanz des Westens als viel beschworener Wertegemeinschaft.

Aber vielleicht sei gerade das ein Markenzeichen des Westens: nicht sofort die eine, schnelle Lösung zu forcieren, sondern im Zweifel innezuhalten, die Lage zu reflektieren, und auch Selbstkritik zu üben, gab Riecke zu bedenken. Der Westen sei mehr als ein Militärbündnis mit einer voranstürmenden Führungsmacht, und auch die NATO habe nicht allein die Aufgabe, Einsätze durchzuführen, sondern diene ihren Mitgliedern auch als Forum des politischen Austauschs unter Gleichgesinnten.

Der Westen muss seine nicht-militärischen Mittel stärken …

Josef Janning, Mercator Fellow am Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen der DGAP, verwies darauf, was das internationale Krisenmanagement in Syrien von früheren Fällen unterscheidet. So erlegen sich die sicherheitspolitisch führenden Länder des Westens wie die USA oder Großbritannien jetzt offenbar eine größere Zurückhaltung beim Einsatz ihrer militärischen Macht auf. Zum einen schenkt man der öffentlichen Meinung zu globalen Fragen mehr Aufmerksamkeit, zum anderen gewährt man den Parlamenten mehr Mitsprache bei außenpolitischen Entscheidungen. Die Zeit müsse zeigen, ob es sich dabei um eine Entwicklung von Dauer handelt.

Wenn aber die Kultur militärischer Zurückhaltung, ähnlich wie sie für Nachkriegsdeutschland charakteristisch ist, zu einem allgemeinen Merkmal des Westens werde, dann sei es für diesen „neuen Westen“ überlebenswichtig, daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen – denn mehr Sicherheit bringe diese Entwicklung nicht. „Der neue Westen muss nach alternativen Instrumenten suchen“, sagte Janning, und das heiße vor allem seine nicht-militärischen Mittel stärken: viel mehr als bisher auf die Früherkennung von Konflikten setzen, mehr humanitäre Hilfe leisten und die UN-Reform vorantreiben. Janning unterstrich, welch enormer Anstrengungen dies bedürfe, zeigte sich aber optimistisch, dass dem Westen ein derartiger Ausbau seiner Fähigkeiten gelingen könnte.

… und vom hohen Werte-Ross absteigen

Für Sandschneider dagegen führt die Syrien-Krise die Schwäche des Westens und des Konzepts einer westlichen Wertegemeinschaft drastisch vor Augen: „Den Werte-Westen gibt es nicht.“ Zu weit auseinander liegen in dieser ehemaligen Zweckgemeinschaft des Kalten Krieges mittlerweile die politischen Positionen und eben auch die normativen Standpunkte. Seit den globalen Machtverschiebungen der vergangenen zwei Jahrzehnte sei der Westen auf dem Rückzug.

Und für das außenpolitische Handeln im konkreten Fall tauge eine einseitig auf hiesigen Wertvorstellungen basierende Herangehensweise ohnehin nicht, internationales Krisenmanagement dürfe die Probleme nicht zu sehr aus westlicher Perspektive angehen, wie dies leider allzu häufig geschehe. Fertige sicherheitspolitische Pakete zu verordnen, die zu stark unsere Sichtweise beinhalten, sei die falsche Medizin – dabei werde immer etwas anderes herauskommen als intendiert, so Sandschneider.

Dass statt der Proklamation westlicher Werte und Strukturen eine stärkere Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten nötig sei, darin war sich die Runde einig. Dazu müsse man sich allerdings mehr als bisher auf die lokalen Besonderheiten einlassen und Landeskenntnisse erwerben, mahnte Sandschneider. „Wir müssen uns stärker vor Ort umsehen und das Gespräch mit den Eliten und den Oppositionellen suchen.“ – Der Westen bleibe dabei intakt, auch ohne einen Werte-Export, ergänzte Janning.

Die Diskussion in der DGAP machte deutlich, wie sehr die Syrien-Krise die westlichen Staaten zu einer außenpolitischen Standortbestimmung zwingt, ja Grundfragen ihres Selbstverständnisses berührt. Klarheit bringe da, sich auf seine grundlegenden Interessen zu besinnen, sagte Riecke, und dazu gehöre für den Westen seit jeher, gewaltsame Konflikte einzudämmen. Dieses Bemühen um Stabilität müsse sich in erster Linie auf unser regionales Umfeld beziehen, gab Janning zu bedenken, eine Nachbarschaft, die wir gemäß unserer Ideale, aber auch mit einem Schuss Realpolitik mitgestalten sollten.

Eberhard Sandschneider lud bei dieser Gelegenheit bereits zur Veranstaltungsreihe über Werte und Interessen in der deutschen Außenpolitik ein, die die DGAP im Herbst fortsetzen wird. Sobald der nächste Termin feststeht, weisen wir hier auf unserer Website dgap.org darauf hin.

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