Streitgespräch zwischen Eberhard Sandschneider und Jörg Lau in der DGAP
Unrealistische Wertebezüge
Wie sehr steht sich die deutsche Außenpolitik mit einer Überbetonung von Werten im Weg? Und wie sehr schadet eine vor allem aus moralisierender Rhetorik bestehende Debatte dem außenpolitischen Handeln? Eberhard Sandschneider mahnte, dass Deutschland nicht effizient auf globale Probleme reagieren könne und Wettbewerbsnachteile erleide, wenn es unrealistische Wertebezüge pflege und allzu große moralische Bedenken hege.
„Die bisherige Bilanz übermäßig wertebezogener Außenpolitik fällt verheerend aus“, sagte Sandschneider. Von den ambitionierten Zielen sei keines erreicht worden: Demokratisierungsversuche von außen scheiterten fast immer und Sanktionen verfehlten meistens ihr Ziel, siehe Iran und Nordkorea.
Häufig erwiesen die Verfechter werteorientierter Außenpolitik dieser zudem einen Bärendienst, wenn sie ihr Anliegen medienwirksam inszenierten. Aus solchen spektakulären Auftritten verstünden clevere und wortgewandte Diktatoren oftmals Kapital zu schlagen und sich in ein vorteilhafteres Licht zu setzen. Sandschneider plädierte deshalb dafür, den eigenen Normen auf dem Weg leiser Diplomatie zum Durchbruch zu verhelfen.
„Die wahren Vertreter einer glaubhaften Wertepolitik sind nicht diejenigen, die sie wie ein Panier vor sich hertragen, sondern diejenigen, die in der Lage sind, außenpolitische Entscheidungen in offener Abwägung von Werten und Interessen zu begründen.“
Zerbröckelnde Wertegemeinschaft
„Die Zeiten sind vorbei, in denen die Weltpolitik den Moral- und Wertvorstellungen des Westens folgte,“ sagte Eberhard Sandschneider. Machtpolitische Verschiebungen setzten werteorientierter Außenpolitik Grenzen. So könnten es sich afrikanische Länder angesichts des europäischen wie chinesischen Buhlens um den Kontinent heute leisten, die Wirtschaftsbeziehungen auszubauen und gleichzeitig Forderungen nach guter Regierungsführung zurückzuweisen. Wertebasierte Politik werde zudem dadurch erschwert, dass der Konsens des Westens darüber zunehmend zerbröckele.
Westliche Werte auf dem Rückzug? Das blieb nicht ohne Widerspruch. Jörg Lau betonte, es gehe nicht darum, ob der Westen „seine“ Werte im Rest der Welt durchsetze. Universale Grundwerte, wie sie von Beginn an für die Vereinten Nationen Gültigkeit besäßen oder in den KSZE-Prozess Eingang gefunden hätten, würden immer schon auch außerhalb des Westens unterstützt. „Die globalisierte Welt schafft sich längst gemeinsame Regeln,“ so Lau. „Diese Werte wollen auch afrikanische Dissidenten mit uns teilen.“ Die Konfliktlinie verlaufe heute nicht mehr zwischen Westen und Nicht-Westen, sondern vielmehr zwischen freiheitlichen und autoritären Systemen.
Werte als außenpolitisches Interesse
In seiner Replik auf Sandschneiders Referat warnte Lau eindringlich davor, Werte allzu leichtfertig reiner Interessenpolitik zu opfern. So habe sich der Deal, um der guten Wirtschaftbeziehungen Willen autoritäre Regimen zu unterstützen und bei Menschenrechtsverletzungen wegzuschauen, in Nordafrika als falsch erwiesen. Eine so wenig nachhaltige Stabilität schade auch den eigenen Interessen.
„Manchmal muss es auch einfach laut und deutlich zugehen,“ forderte Jörg Lau. Wenn Nichtregierungsorganisationen wie etwa deutsche Stiftungen in Ägypten oder Russland in ihrer Arbeit behindert würden, sei Protest angebracht. So habe der Bundestag die Defizite der Rechtsstaatlichkeit in Russland deutlich kritisiert. Das habe weder zu diplomatischen Verwerfungen geführt noch den wirtschaftlichen Beziehungen geschadet.
Künstlicher Gegensatz
Eberhard Sandschneider wies darauf hin, wie sehr die öffentliche Debatte in Deutschland von Extrempositionen gekennzeichnet sei. Bisweilen gleiche die Auseinandersetzung dabei einer Scheindebatte, der Gegensatz zwischen Werten und Interessen wirke konstruiert und weltfremd. „Werte und Interessen dürfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden,“ gab Sandschneider zu bedenken. Im Gegenteil: Glaubwürdige Außenpolitik gründe sich auf der umsichtigen Abwägung von Werten und Interessen. Am Ende gelte es, im konkreten Fall Prioritäten zu setzen – und auch Widersprüche und Doppelstandards auszuhalten.
Die DGAP wird die Veranstaltungsreihe zum Thema fortsetzen.
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