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30. Sep 2013

Russland und die Causa Syrien

In dem diplomatischen Ringen um das Bürgerkriegsland hat sich Moskau international wieder ins Spiel gebracht

Russland und die USA haben sich auf eine Syrien-Resolution geeinigt. Darin wird Damaskus aufgefordert, seine Chemiewaffen abzugeben. Eine Gewaltandrohung enthält der nun verabschiedete Text nicht. Damit ist es dem Kreml gelungen, seine Rolle im Nahen Osten zu unterstreichen, den UNO-Sicherheitsrat zu stärken, und auf Augenhöhe mit den USA zu verhandeln. Ewald Böhlke über Russlands völkerrechtliche Position, die Pläne des Landes in Syrien und die Profilierung Moskaus als Ordnungsmacht.

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Welche Rolle spielen für Russland im aktuellen Konflikt die Erfahrungen mit dem Libyen-Einsatz?

Das damalige gemeinsame Krisenmanagement mit dem Westen hat Russland in keiner guten Erinnerung. Man gab im UN-Sicherheitsrat seine Zustimmung zu der Libyen-Resolution, um in dem Land humanitäre Korridore einrichten zu können. Die NATO aber schoss weit über dieses Ziel hinaus und führte einen Regimewechsel herbei. Aus russischer Perspektive hat der Westen die Resolution dazu missbraucht, seine Sonderinteressen durchzusetzen. Mehr noch, er entstellte damit die Bedeutung des Veto-Prinzips, das der Kompromissfindung im Sicherheitsrat dienen soll, und entwertete so das Völkerrecht.

Durch die Libyen-Erfahrung ist im Umgang mit Syrien eine paradoxe Situation entstanden. Russland und China drohten zunächst mit ihrem Veto, um einen Militäreinsatz in Syrien zu verhindern. Damit haben sie ihr Beharren auf dem Souveränitätsprinzip unterstrichen und betont, dass allein der UN-Sicherheitsrat über den Einsatz militärischer Mittel zu entscheiden habe. In Amerika, Frankreich und Großbritannien hielt man dagegen, dass die Struktur des Sicherheitsrates humanitäre Interventionen verhindere. Daher hat man zunächst das eigene demokratische Rechtssystem dem der UNO als Legitimationsgrundlage vorgezogen – und auf diese Weise das Völkerrecht geschwächt.

Es kommt hinzu, dass die Staats- und Regierungschefs zwar nun ihre Parlamente befragen, am Ende aber wohl doch eine einsame Entscheidung treffen. Experten der internationalen Politik prangern das schon länger als moralischen Verfall an, gehe es doch am Ende allein um die Frage: Wie fühlt sich unser Präsident heute? Die altbekannte „Kreml-Astrologie“ bekäme durch eine „Astrologie über das Weiße Haus“ eine Partnerdisziplin.

Mit der russischen Initiative zur Beseitigung der syrischen Chemiewaffen und der einstimmig verabschiedeten Syrien-Resolution ist es nun gelungen, die Gegensätze zunächst zu überbrücken und der Diplomatie eine neue Chance zu geben. Das grundlegende Problem, wie die Weltgemeinschaft mit innerstaatlichen Konflikten umgehen soll, bleibt allerdings bestehen, solange eine Reform der Vereinten Nationen weiter auf sich warten lässt.

Syriens Präsident Assad scheint seinen neuen Verpflichtungen nachzukommen. Haben die Russen einen Plan, wie es in dem Land weitergehen könnte?

Die Genfer Vereinbarung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland vom 14. September über Abbau und Zerstörung der syrischen Chemiewaffen enthält viele operative Schritte, um zu einer vollständigen Abrüstung zu kommen. Präsident Assad muss die vereinbarte Vorgehensweise akzeptieren, da er ansonsten als politischer Gesprächspartner völlig ausfällt. Die fristgerechte Offenlegung von Dokumenten über Chemiewaffenfabriken und -depots war ein erster Schritt.

Assad muss aber nun für den Abtransport und die Zerstörung der Chemiewaffen sein Territorium internationalen Beobachtern und Sicherheitskräften öffnen. Dies wird wahrscheinlich im Rahmen einer UN-Mission geschehen; Russland hat schon seine Bereitschaft erklärt, daran teilzunehmen. Wenn es gelingt, den russisch-amerikanischen Abrüstungsplan umzusetzen, wäre das bereits ein großer Fortschritt, da so Massenvernichtungswaffen aus dem syrischen Konfliktgeschehen genommen werden. Der Bürgerkrieg ist damit aber noch nicht beendet.

Welche Auswirkungen hat der Konflikt auf das regionale Umfeld?

Vor kurzem brachte der iranische Präsident Hassan Rohani sein Land ins Spiel und bot an, zwischen den syrischen Konfliktpartien zu vermitteln. Mit diesem Vorschlag unterstreicht Iran seine Ambitionen als Regionalmacht. Bislang ist Teheran in der innersyrischen Auseinandersetzung zwar Partei – iranische Spezialeinheiten und Verbände der von Iran unterstützten Hisbollah-Miliz kämpfen auf Seiten des Assad-Regimes bzw. der schiitischen Minderheit. Nun will man aber offenbar nicht mehr einseitig als Schutzmacht der Schiiten auftreten.

Durch diese neue Rolle Teherans im syrischen Bürgerkrieg kommt Bewegung in den religiösen Großkonflikt zwischen Sunniten und Schiiten; in Syrien gleichen sich die Machtverhältnisse zwischen beiden religiösen Gruppen an. Neben Russland und den westlichen Ländern werden also Iran – und auch Saudi-Arabien, die Vormacht der Sunniten – mit an den Genfer Verhandlungstisch müssen, um eine Lösung des Syrien-Konflikts zu erreichen. Bislang undenkbare Allianzen deuten sich an. Aus Sorge, ihre bisherigen Unterstützer zu verlieren, hat denn auch die syrische Opposition erstmals ihre Bereitschaft erklärt, in Genf an einer Friedenslösung mitzuwirken.

Wenn es um die Gestaltungsmächte im Nahen Osten geht, denkt man nicht sofort an Russland. Was bedeutet Syrien für Moskau in einem größeren strategischen Kontext?

Die ehemalige Sowjetunion verfügte über erheblichen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten. Im Rahmen des Systemgegensatzes betrieb man dort eine sehr aktive Außenpolitik, inklusive intensiver wirtschaftlicher und militärischer Zusammenarbeit. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR war Russland dann stark mit inneren Problemen beschäftigt. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Auch das nationale Selbstbewusstsein ist wieder gewachsen, man zelebriert es zunächst vor allem innenpolitisch. Noch Anfang dieses Jahres sah es so aus, als habe Russland keine Strategie für den Umgang mit der Region des Nahen und Mittleren Ostens. Der Bürgerkrieg in Syrien und die diplomatische Auseinandersetzung um diesen Konflikt bot Russland dann Gelegenheit, sich auf der internationalen Bühne zu profilieren und sich neue Machtoptionen zu erarbeiten. Diese Chance hat man genutzt.

Die russische Außenpolitik ist sich bewusst, dass sie in Syrien mehrere Konfliktfelder im Blick behalten muss, die dort zusammenlaufen: die Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten, inklusive ihrer regionalen Ausprägungen, aber auch die innerstaatlichen Konflikte von Libyen bis Pakistan. Diese regional verstreuten Konfliktherde verschränken sich immer mehr; besonders deutlich wird dies an den hoch mobilen Söldnergruppen, die zwischen den Ländern hin- und herwandern.

Der gesamte Schauplatz, von Nordafrika über den Nahen Osten und den Kaukasus bis Zentralasien, ist für Russland auch deshalb von hohem Interesse, weil es selbst über einen großen muslimischen Bevölkerungsanteil von rund 30 Millionen Menschen verfügt. Der Kaukasus und die Region Tatarstan sind sogar überwiegend muslimisch. Innenpolitische Spannungen sind an der Tagesordnung, viele fordern eine Abspaltung von Russland, es gibt Bestrebungen ein Kalifat zu errichten.

Dreh- und Angelpunkt des russischen Interesses ist aber der Iran, im Süden gelegen, Anrainer mehrerer Konfliktherde und Nachbarland Afghanistans. In ihm sieht man einen wesentlichen Macht- und Stabilitätsfaktor in der Region, vor allem nach dem Abzug der westlichen Truppen vom Hindukusch. Russland ist sehr daran gelegen, Afghanistan nach dem Auslaufen des ISAF-Einsatzes weiter zu stabilisieren, gemeinsam mit den USA und dem Iran. Wie in Syrien haben die drei Länder hier also gemeinsame Interessen. Wie sehr Moskau auf eine solche Zusammenarbeit setzt, zeigt sich daran, dass man parallel milliardenschwere Offerten Saudi-Arabiens über Rohstoffkooperationen und Waffenlieferungen ausgeschlagen hat.

Was kann die deutsche Außenpolitik aus dem Umgang mit der Syrien-Krise lernen?

Fünf Punkte, die sich auch auf den Umgang mit anderen regionalen Konflikten übertragen lassen:

Wir müssen unsere Erfahrungen im Einsatz außenpolitischer soft und hard power stärker bündeln. Dazu gilt es, den sicherheitspolitischen Diskurs für neue Ideen zu öffnen und die Kooperation zwischen Ministerien, NGOs und Think-Tanks zu intensivieren. Mehr als bisher sollten sich all diese Akteure über mögliche Konfliktlagen verständigen, und strategische Empfehlungen geben.

Besonders die Kapazitäten, über die wir in der Länder-, aber auch in der Regionen übergreifenden, strategischen Analyse verfügen, müssten besser mit der operativen Politik vernetzt werden.

In den unübersichtlichen Umbrüchen des Nahen und Mittleren Ostens wird sowohl die stille Diplomatie als auch die öffentliche Debatte gebraucht. Nur über eine breite außenpolitische Diskussion lassen sich beispielsweise die richtigen Begriffe finden. Marketing-Losungen wie „Arabischer Frühling“ oder die Etikettierung der osteuropäischen Umbrüche als Blumenrevolutionen versperren den Blick auf reale Dynamiken und Gefährdungen.

Nationalstaatliche und EU-Außenpolitik müssten sich noch stärker befruchten als bisher. Wie sehr dies hilft, die Handlungsoptionen zu erweitern, hat der Umgang mit den Kriegen auf dem Balkan gezeigt. Die Kooperation zwischen NATO, EU und einzelnen Mitgliedsländern war Voraussetzung dafür, dass die Region heute als relativ friedlich bezeichnet werden kann.

Und schließlich können wir an den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten lernen, die in Deutschland selbst in Expertenzirkeln noch weit verbreitete Denkkultur zu überwinden, in der traditionellen Blocklogik auf die Welt zu schauen. Es ergibt unter den veränderten weltpolitischen Bedingungen längst keinen Sinn mehr, Konflikte nach dem „Ost versus West-Schema“ zu beurteilen, das oft einem simplen „Entweder-Oder“ gleicht. Stattdessen sollten wir uns viel stärker einem Denken in realistischen Möglichkeitsformen, einem „Sowohl als auch“ öffnen.

Dr. Ewald Böhlke ist Direktor des Berthold-Beitz-Zentrums für Russland, Ukraine, Belarus und Zentralasien der DGAP.

Die DGAP trägt mit wissenschaftlichen Untersuchungen und Veröffentlichungen zur Bewertung und Diskussion internationaler Entwicklungen bei. Die in den Veröffentlichungen geäußerten Meinungen sind die der Autoren.

Bibliografische Angaben

Böhlke, Ewald. “Russland und die Causa Syrien.” September 2013.

Fünf Fragen, 28. September 2013

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