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28. Juni 2012

Weichenstellung auf dem EU-Gipfel?

DGAP-Expertin Almut Möller: „Die Konturen der künftigen Wirtschafts- und Währungsunion zeichnen sich ab“

An einem Ausbau der Wirtschafts- und Währungsunion führt kein Weg vorbei. Darüber sind sich die Regierungen der Euro-Länder inzwischen einig. Über die Form und die konkreten Schritte aber wird heftig gestritten: Bankenunion, Fiskalunion, politische Union? Die neue WWU kann nicht über Nacht entstehen, aber auf dem EU-Gipfel werden die Weichen gestellt, meint Almut Möller.

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Den Ausbau der von Beginn an unvollständigen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) sehen viele als Ausweg aus der Staatsschuldenkrise. Wird die Krise einen neuen Integrationsschub auslösen und die EU am Ende gestärkt aus ihr hervorgehen?

Es führt kein Weg daran vorbei, die mit dem Vertrag von Maastricht gegründete WWU zu vollenden und eine stabile Währungsunion zu schaffen. Diese Einsicht teilen inzwischen die Regierungen der Eurozone und auch die meisten anderen EU-Länder. Das ist eine erstaunliche Entwicklung, wenn wir uns die Lage vor zwei Jahren vergegenwärtigen: 2010 war der Vertrag von Lissabon nach einer jahrelangen Hängepartie gerade in Kraft getreten und niemand wollte sich auf absehbare Zeit an weitere Integrationsschritte heranwagen. Konsolidierung und „back to business“, das war noch vor kurzem die Stimmung.

Heute stehen wir vor Reformen, die in ihren Konsequenzen wahrscheinlich weit über den Vertrag von Lissabon hinausgehen werden: Fiskal-, Banken- und politische Union sind die Schlagwörter, unter denen die Weiterentwicklung der Währungsunion diskutiert wird. Dazu liegt der Vorschlag der „Vierergruppe“ auf dem Tisch, also der Präsidenten des Europäischen Rates, der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und der Eurogruppe. Die Frage ist jetzt erstens, wie die Währungsunion gestärkt werden kann und zweitens, ob das in den Mitgliedstaaten politisch durchsetzbar ist.

Wie die Währungsunion weiterentwickelt werden kann, dazu sehen wir momentan eine ganze Reihe von Vorschlägen, die zum Teil sehr kontrovers diskutiert werden, etwa den Schuldentilgungsfonds oder die Finanztransaktionssteuer. Das ist verständlich, weil die Länder der Eurozone allesamt feststellen, dass sie in der Integration deutlich weiter gehen müssen als bisher. Kein Staat gibt bei ein paar Gipfeln gerne mal eben weitreichende Kompetenzen ab, auch wenn er angesichts des hohen Tempos an den internationalen Finanzmärkte dazu gedrängt wird.

Uns stehen Entwicklungen bevor, die an die Substanz der Staaten Europas gehen. Wie viel Integration können sie als Staaten zulassen, ohne sich selbst preiszugeben? In Deutschland erleben wir beispielsweise gerade die Debatte zum Artikel 146 des Grundgesetzes. Einen solchen Prozess kann man nicht über Nacht und auch nicht ohne demokratische Beteiligung organisieren. Ich bin allerdings skeptisch, dass sich die Menschen in Deutschland und anderen EU-Ländern so einfach mitnehmen lassen. Da ist seit Maastricht sehr viel an Aufklärung versäumt worden. Nun reiben sich viele Menschen, aber auch so manche Politiker die Augen, wie eng Deutschland bereits mit seinen Partnern in der EU verwoben ist.

Viele reden jetzt von mehr Europa. Was könnte das konkret heißen? Braucht Brüssel neue Kompetenzen?

Ich halte die Forderung nach „mehr Europa“ nicht für hilfreich. Was soll das heißen? Solange das nicht geklärt ist, löst diese Perspektive bei den Menschen Unbehagen aus. Ich würde vielmehr neutral von einer Vollendung der in Maastricht beschlossenen Wirtschafts- Und Währungsunion sprechen. Wie dies erreicht werden soll, wird die politische Auseinandersetzung in den nächsten Monaten und Jahren zeigen.

Die verstärkte Zusammenarbeit als eine Form differenzierter Integration, in der die Willigen und Fähigen vorangehen, ist ein möglicher Weg. Ihr Vorteil besteht darin, dass sie im Vertrag von Lissabon verankert ist, der einen zu erfüllenden Kriterienkatalog enthält. Neue Verträge außerhalb der bestehenden – wie etwa den sogenannten Fiskalpakt – halte ich für problematisch, da sie die rechtlichen Grundlagen der EU unübersichtlicher machen und vielleicht sogar untergraben.

In welchem Maße die Vollendung der WWU bedeutet, mehr Kompetenzen an die EU-Institutionen zu übertragen, halte ich momentan für schwer absehbar. Der Reflex der Mitgliedstaaten geht derzeit klar in die andere Richtung. Und einige Fragen lassen sich sicher auch im Geiste des Subsidiaritätsprinzips regeln, wenn die Übertragung von Kompetenzen – die ja in Parlamenten oder durch Referenden ratifiziert werden müsste – politisch nicht durchsetzbar ist.

Bereits heute verfügen wir über eine Reihe von „weicheren“ Formen der Zusammenarbeit, wie die offene Koordinierung, eine Vereinbarung von Zielen, die große Flexibilität bei der Umsetzung gewährt, und die man als institutionalisierten Erfahrungsaustausch bezeichnen könnte. Da ist jetzt Kreativität gefragt. Noch vor wenigen Jahren zum Beispiel hat niemand daran geglaubt, dass „peer pressure“ ein wirksames Instrument sein kann. Heute sieht das ganz anders aus.

Inwieweit hilft gerade jetzt das Konzept der „unterschiedlichen Geschwindigkeiten“, um die Einheit der Union zu wahren?

Die Einheit der Union wird zunächst einmal durch unterschiedliche Geschwindigkeiten nicht gewahrt, sondern gefährdet. Schon heute sind die Fliehkräfte sehr stark. Wenn jetzt auch noch die Eurozone gezwungenermaßen vorangeht, dann werden die Gräben, die mit dem Euro oder Schengen ohnehin schon bestehen, noch tiefer.

Das ist ein Risiko, das man in der jetzigen Situation aber eingehen muss. Wenn sich die Eurozone in den nächsten Jahren stabilisiert und durch die Krise kommt, dann gewinnt sie auch wieder an Attraktivität für die Peripherie. Mittel- bis langfristig können unterschiedliche Geschwindigkeiten also durchaus zu Einheit beitragen. Aber so weit sind wir noch nicht.

Viele Menschen lehnen mehr Kompetenzen für die EU ab. Wie kann man den Bürgern die Angst vor einem besser ausgestatteten Europa nehmen?

Indem man ehrlich mit ihnen ist, und sich endlich von alter Europa-Rhetorik wie „mehr Europa“ verabschiedet, die eine Preisgabe nationaler Souveränität impliziert, aber nicht klar benennt. Das wollen die Menschen nicht. Sie wollen stattdessen klare Antworten auf ihre Fragen – und schon gar nicht möchten sie hören, dass die derzeitige Europapolitik „alternativlos“ ist. Politik ist nie alternativlos.

Umgekehrt muss es eher darum gehen, den Europapolitikern und EU-Beamten die Angst vor dem Bürger zu nehmen. Eines hat die Krise gezeigt: Überall in der EU wird so kontrovers und intensiv wie noch nie zuvor über die Währungspolitik diskutiert. Das muss der Euro, das muss die EU aushalten können.

Von besonderer Brisanz erscheint die kommende EU-Ratspräsidentschaft Zyperns. Die Banken des Landes sind eng mit dem krisengeschüttelten Griechenland verbunden. Nikosia hat nun Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirms beantragt. Ist Zypern überhaupt fähig, sechs Monate die EU zu führen?

Die Bedeutung der Ratspräsidentschaften hat abgenommen, seit ein ständiger Präsident an der Spitze des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs steht. Man stelle sich vor, das kleine Zypern müsste auf den kommenden Gipfeln den Vorsitz übernehmen, wo es doch bereits selbst in den Sog der Krise geraten ist. Das Krisenmanagement der EU sähe noch unglaubwürdiger aus.

Es ist fast so etwas wie eine glückliche Fügung, dass Ende 2009 mit dem Vertrag von Lissabon der ständige Präsident eingeführt wurde. Herman Van Rompuy wird weiterhin unterschätzt. In den Ministerräten wiederum ist die Rotation zwischen den Vorsitzen im Wesentlichen noch erhalten. Da wird Zypern die Führung übernehmen, allerdings mit Unterstützung anderer EU-Länder und der EU-Institutionen. Anders ist es für ein so kleines Mitglied gar nicht machbar.

Viel problematischer ist aber die politische Seite: Der alte Streit um die Teilung der Insel könnte erneut aufbrechen, wenn Zypern und die Türkei in den nächsten Wochen und Monaten nicht besonnen handeln. Dies würde das Ansehen der EU nicht nur innerhalb Europas, sondern weltweit weiter beschädigen. Die EU hat im Zuge der Krise ohnehin stark an Vertrauen in ihr Modell regionaler Integration verloren.

Zum Weiterlesen

Deutsche Europapolitik

Frankreich und Deutschland

Kerneuropa

Schuldenkrise der USA

Weltwirtschaft

Dokumente

Bibliografische Angaben

Möller, Almut. “Weichenstellung auf dem EU-Gipfel?.” June 2012.

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