Emmanuel Macron
Man verändert ein Land nicht in fünf Jahren
Staatspräsident Emmanuel Macron verteidigt die Bilanz seiner ersten Amtszeit. Er kann auf eine positive wirtschaftliche Entwicklung verweisen und inszeniert sich als Impulsgeber europäischer und internationaler Politik. Der Charme des Neuanfangs ist für den amtierenden Präsidenten aber verflogen. Von Jacob Ross.
- Einführung
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Bei seinem Wahlsieg 2017 profitierte Emmanuel Macron von seinem Image als Quereinsteiger und Alternative zu den traditionellen Parteienfamilien. Seine ambitionierten Reformpläne konnte er zwar nur teilweise umsetzen, jedoch lassen sich einige Erfolge vorweisen. Doch schon bevor die Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 andere Themen in den Hintergrund zu rücken begann, provozierte Macrons polarisierender Stil heftige Gegenreaktionen. Vor dem Hintergrund der französischen EU-Ratspräsidentschaft 2022 hofft er nun, seine Herausforderer, insbesondere die aus dem rechten Parteienspektrum, erneut mit seinem proeuropäischen Kurs zu schlagen.
- Ein Insider, der sich noch immer gern als Outsider gibt
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Macron stammt aus Amiens, der Hauptstadt des nordfranzösischen Départements Somme. Die Pariser Netzwerke, die andere Politiker in die Wiege gelegt bekamen, hat er sich über seinen Bildungsweg erschlossen: Der schulischen Ausbildung am bekannten Lycée Henri IV folgte ein Studium an der Universität Sciences Po und die Ausbildung an der Kaderschmiede für französische Beamte, der École nationale d’administration (ENA; seit dem 1. Januar 2022 Institut national du service public, INSP).
Die ENA schloss Macron 2004 in der Botte, also unter den besten 15, ab. So sicherte er sich einen Schlüsselposten als Finanzinspektor im Wirtschaftsministerium. Es folgten eine zeitweise Tätigkeit bei der Investmentbank Rothschild und ein politisches Engagement beim Parti socialiste. Nach dem Wahlsieg François Hollandes stieg Macron vom wirtschaftlichen Berater zum Wirtschaftsminister des sozialistischen Präsidenten auf. 2016 stellte er sich gegen seinen Förderer und gründete eine eigene Bewegung: En marche. Als Präsidentschaftskandidat und nach seinem Wahlsieg im Mai 2017 präsentierte Macron sich und seine Bewegung als Alternative zum traditionellen Zweikampf der französischen Parteienlandschaft.
- Wirtschaftswachstum für alle?
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Mitstreiter und Befürworter Macrons verweisen im aktuellen Wahlkampf gerne auf seine erfolgreiche Reformbilanz. Tatsächlich wurde schon zu Beginn von Macrons Präsidentschaft eine große Arbeitsmarktreform durchgesetzt, die unter anderem Lockerungen im Kündigungsschutz mit sich brachte und die für Arbeitnehmer/-innen vorgesehenen Entschädigungen begrenzte. In Kombination mit der Abschaffung einer Vermögenssteuer brachte sie Macron den Ruf als „Präsident der Reichen“ ein. Der Präsident verteidigte seine Politik mit dem Verweis auf den trickle-down-Effekt und unterstrich seine Überzeugung, die entlasteten Unternehmer schüfen Arbeitsplätze und sorgten für ein höheres Wirtschaftswachstum.
Macrons wachstumsfördernde Politik hat auf den ersten Blick schnelle Erfolge gezeitigt: Die französische Wirtschaft wuchs 2018 und 2019 schneller als die deutsche, Frankreich wurde als Investitionsstandort attraktiver und verzeichnete 2019 und 2020 mehr Investitionen aus dem Ausland als die oft beneidete Bundesrepublik. Den Vorwurf vieler Kritiker, Macrons Politik sei neoliberal und setze auf den Abbau des Sozialstaats, kontern Vertreter von La République en Marche! (LREM) mit dem Hinweis auf verschiedene Initiativen in der Sozialpolitik. Vor allem eine Bildungsreform, die die Mittel für Bildungsmaßnahmen in sozialen Brennpunkten stark erhöhte, wird immer wieder als Beispiel genannt. Trotz einiger erfolgreicher Reformprojekte ist Macron angesichts von Streikbewegungen und Protesten mehrmals von Plänen wieder abgerückt oder hat versucht, mit Soforthilfen gegengenzusteuern. Bestes Beispiel ist hier die geplante Erhöhung der Kraftstoffsteuer für den Klimaschutz, an der sich Ende 2018 die Gelbwesten-Bewegung entzündete, mit monatelangen, oft gewalttätigen Protesten. Die Erhöhung wurde schließlich zurückgenommen, zusätzlich beschloss die Regierung Steuererleichterungen für Rentner/-innen und die Anhebung des Mindestlohns um 100 Euro pro Monat.
- Europapolitik
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2022 setzt Macron auf die Wiederholung der erfolgreichen proeuropäischen Strategie von 2017. Bei der Europawahl 2019, bei der LREM für ein „schützendes Europa“ warb, musste er sich zwar dem Rassemblement National geschlagen geben. Macron weiß aber, dass eine Mehrheit der Franzosen die EU schätzt, und nutzt proeuropäische Positionen offensiv, um sich von seinen Herausforderern abzugrenzen. Die französische EU-Ratspräsidentschaft bietet ihm zudem eine ausgezeichnete Bühne, um der Wählerschaft einerseits den Mehrwehrt europäischer Zusammenarbeit unter Beweis zu stellen und sich andererseits als international angesehener Staatsmann zu inszenieren. Seine intensiven Bemühungen, die russische Invasion der Ukraine zu verhindern, sind zwar gescheitert. Allerdings erlaubt es der Krieg Macron, wie schon die Pandemie, sich weitgehend aus französischen Wahlkampfdebatten herauszuhalten und seinen Konkurrenten/-innen kaum innenpolitische Angriffsflächen zu bieten.
Insgesamt ist die europapolitische Bilanz Emmanuel Macrons aus französischer Sicht positiv. Neben dem Anfang 2019 unterzeichneten Aachener Vertrag ist sein wichtigster Erfolg zweifellos der Interner Link: Wiederaufbaufonds , den die EU 2020 aufgelegt hat. Mit dem Fonds gelang es dem Staatspräsidenten im Kontext der Pandemie, die deutsche Regierung von ihrer über Jahrzehnte aufrechterhaltenen Position abzubringen und sie zu einer gemeinsamen europäischen Schuldenaufnahme zu bewegen. Den Kurswechsel Berlins sieht Macron als späte Bestätigung seiner Vision eines europäischen Neuanfangs, den er in einer zweiten Amtszeit weiter mitgestalten möchte.
Marine Le Pen
Ich will den Franzosen ihr Land zurückgeben
Zwei Mal ist Marine Le Pen als Kandidatin der extremen Rechten in das Rennen um das französische Präsidentenamt gegangen. Zwei Mal ist sie gescheitert, zuletzt in der Stichwahl gegen Emmanuel Macron. Fünf Jahre später muss es die langjährige Parteichefin des Rassemblement National (ehemals Front National) gleich mit mehreren aussichtsreichen Gegnern aufnehmen. Von Hatim Shehata.
- Einführung
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Marine Le Pen hat es im Jahr 2017 in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl geschafft und gilt seit Jahren als gesetzte Kandidatin der extremen Rechten für den Einzug in den Élysée-Palast. Schließlich ist sie aus der politischen Landschaft Frankreichs kaum mehr wegzudenken: Als Abgeordnete war sie von 2004 bis 2017 Mitglied der Fraktion Europäische Allianz für die Freiheit (EAF) im Europäischen Parlament und machte mit teils radikalen und antieuropäischen Positionen von sich reden. Seit 2017 ist Le Pen Mitglied der Assemblée nationale, des französischen Parlaments, und hier Teil des Auswärtigen Ausschusses. Dort wirbt sie regelmäßig für die Abschottung Frankreichs und Europas: Illegale Migrantinnen und Migranten, die auf EU-Territorium gelangen, sollen abgeschoben werden. Um sich vollkommen auf den Präsidentschaftswahlkampf konzentrieren zu können, gab Le Pen zuletzt ihren Posten als Parteivorsitzende zugunsten ihres engen Vertrauten Jordan Bardella ab.
- Drängen in die politische Mitte
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Ihre politische Karriere begann Marine Le Pen einst im Schatten ihres Vaters Jean-Marie Le Pen, der als Mitbegründer des Front National schon früh das Denken seiner Tochter prägte. Auch war er es, der ihr den Vorsitz des Front National im Jahr 2011 vermachte, in der Hoffnung, auch weiterhin den Kurs der Partei aus dem Hintergrund bestimmen zu können. Mit zunehmendem Einfluss in der Partei stolperte Marine Le Pen jedoch immer häufiger über die rechtsextremen, menschenfeindlichen und holocaustleugnenden Aussagen ihres Vaters, bis sie sich im Jahr 2015 von ihm lossagte und erfolgreich ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn anstrengte. In Frankreich wurde der politische Vatermord als Schritt der Selbstermächtigung rezipiert, denn er zeugte davon, dass Marine Le Pen sich nunmehr bestens mit den politischen Fallstricken des Landes auskannte und mit Populismus und nationalistischen Überzeugungen in die Mitte der Gesellschaft drängte. Dazu formulierte sie eine Strategie der „Entdiabolisierung“ des Front National, mit demInterner Link: Ziel einer politischen Neuausrichtung. Ein erster konsequenter Schritt war dabei die Umbenennung der Partei in Rassemblement National. Seitdem sind Le Pen und ihre Anhänger darum bemüht, das parteipolitische Narrativ schrittweise bürgerlich zu zeichnen.
- Zuwanderungskritik als Leitthema
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Marine Le Pen gibt sich als Politikerin, die die französische Elite ablehnt und außerhalb etablierter politischer Kreise agiert. Sie will als Stimme der Abgehängten verstanden werden. Frankreichs Mächtige hätten den Bezug zur Lebensrealität der französischen Bevölkerung verloren, so ihr öffentlichkeitswirksamer Vorwurf. Tatsächlich ähneln ihre sozialpolitischen Wahlversprechen immer wieder eher linken Forderungen, so beispielsweise höhere Sozialleistungen für ärmere Bevölkerungsschichten. Dabei verfolgt sie den Grundsatz einer priorité nationale, wonach Franzosen in prekären Situationen einen bevorzugten und Migranten/-innen nur eingeschränkten Zugang zu solchen Leistungen erhalten sollen. Auch will Le Pen in sozial schwachen Bezirken, sogenannten Banlieues, mit erhöhter Polizeipräsenz und harter Hand gegen Kriminalität vorgehen. Hier offenbart sich ein weiteres zentrales Wahlkampfthema Le Pens: die Migrationspolitik. Diese verknüpft Le Pen seit jeher mit Fragen der französischen Identität sowie der inneren Sicherheit. Sie sieht die französischen Werte durch Zuwanderung – vor allem solche aus sogenannten muslimischen Ländern – bedroht. Den Islam bezeichnet sie unter Verweis auf die islamistisch motivierten Terroranschläge der jüngsten Vergangenheit als „importierte Gefahr“. Vor diesem Hintergrund fordert sie eine strikte Umsetzung der Interner Link: Laizität. Dazu zählt unter anderem das an muslimische Frauen gerichtete Verbot des Tragens religiöser Symbole wie Hijab oder Burka im öffentlichen Raum. Die Idee einer multikulturellen Gesellschaft lehnt Le Pen ab. Als zentrales Wahlkampfversprechen will sie zudem ein Einwanderungsreferendum abhalten, um auf dessen Basis einen neuen Gesetzesentwurf zur Eindämmung der Migration vorzulegen.
- Widersprüchliches Verhältnis zur EU
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Le Pens politische Agenda ist nationalistisch ausgerichtet. Frankreich soll vor der EU, die Le Pen in ihrer aktuellen Form als repressiv und totalitär bezeichnet, geschützt werden. Dennoch will Le Pen entgegen ihrer in der Vergangenheit formulierten Forderung nach einem „Frexit“ nicht aus der EU austreten. Stattdessen will sie das System nun von innen verändern: Die Interessen Frankreichs sollen denjenigen der EU übergeordnet werden. Gleiches gilt für die Gesetze des französischen Nationalstaats. Dass ihr politischer Gegner, der amtierende Präsident Emmanuel Macron, mit dem Thema Europa im Jahr 2017 französische Wählerinnen und Wähler mobilisieren konnte, ist Le Pen nicht entgangen. Ihr abgewandelter und gemäßigterer Kurs gegenüber der EU zeigt, dass sie Lehren aus ihrer Niederlage gezogen hat. Le Pens Programmatik sieht vor, dass Frankreich seine Partnerschaften künftig neu ausrichten soll. Mit der engen Partnerschaft zwischen Berlin und Paris will Le Pen im Falle eines Wahlsieges brechen. Zuletzt erklärte sie, die deutsch-französische Beziehung bedeute im Ergebnis, „desillusioniert, verraten und im Stich gelassen zu werden“.
Marine Le Pen galt lange Zeit als Bewunderin Wladimir Putins und seiner nationalistischen Agenda. Noch 2017 ließ sie sich für den Wahlkampf auf einer Moskaureise mit dem russischen Präsidenten fotografieren und erklärte, sie teile seine Sicht auf die Ukraine. Auch in der Wahlkampfbroschüre 2022 waren Bilder der beiden Politiker abgebildet. Zudem bezog der Rassemblement National Wahlkampfkredite aus Russland – französische Banken wollten Le Pens Kandidatur nicht unterstützen. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine distanzierte sich Le Pen nunmehr von ihrem einstigen Idol.
Valérie Pécresse
Ich bin zu zwei Dritteln Merkel und zu einem Drittel Thatcher
Überraschend hat Valérie Pécresse im Dezember 2021 die Vorwahlen der Républicains gewonnen. Nun gilt sie als Präsident Macrons aussichtsreichste Herausforderin. Bis zu den Wahlen im April steht ihr ein Balanceakt bevor: Um als erste Frau in den Élysée-Palast einzuziehen, muss Pécresse konservative Wähler/-innen aus zwei Lagern zurückgewinnen: von Macrons Partei auf der einen und von den rechtsextremen Kandidaten Marine Le Pen und Éric Zemmour auf der anderen Seite. Von Jacob Ross.
- Einführung
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Als Präsidentin der Region Île-de-France ist Pécresse der französischen Öffentlichkeit gut bekannt. In den vergangenen Jahren hat sie sich einen Ruf als rigorose Haushälterin erarbeitet. Auf dieser Grundlage greift sie nun Präsident Macron an und verurteilt die rapide Zunahme der Staatsverschuldung in den vergangenen Jahren. Über die Einbindung ihrer Konkurrenten/-innen aus dem Vorwahlkampf hat Pécresse ein Team von „Botschaftern“ für ihr Regierungsprogramm aufgestellt und mit geschickten Kompromissen innerparteiliche Streitigkeiten befriedet. Besonders wichtig ist dabei ihr größter Konkurrent, Éric Ciotti. Auf den als Hardliner bekannten Ciotti gründet Pécresse die zweite Säule ihrer Wahlkampfstrategie, bei der sie wie alle Kandidaten/-innen des rechten französischen Parteienspektrums auf das Thema innere Sicherheit setzt.
- Beste Startbedingungen für eine steile Karriere
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Valérie Pécresse wuchs in Neuilly-sur-Seine auf, einem Vorort von Paris und der Kommune mit dem höchsten Durchschnittseinkommen Frankreichs. Dem Abitur mit 16 Jahren folgten ein Studium an der Elite-Wirtschaftshochschule L’École des hautes études commerciales de Paris(HEC) und die anschließende Ausbildung an der École nationale d’administration (ENA; seit dem 1. Januar 2022 Institut national du service public, INSP). Als Zweitplatzierte ihres ENA-Jahrgangs hatte Pécresse für ihre erste Position in der französischen Verwaltung die freie Wahl und entschied sich für ein hohes Amt im Staatsrat. 1998 wurde die bekennende Katholikin Pécresse vom damaligen Staatspräsidenten Jacques Chirac als Beraterin für Zukunftstechnologien engagiert. Seitdem galt Chirac als ihr Mentor, der ihren schnellen Aufstieg in der Politik förderte. Von 2002 bis 2007 und von 2012 bis 2016 war Pécresse für zwei Legislaturperioden Abgeordnete der Nationalversammlung (Union pour un mouvement populaire, UMP; ab 2015 Les Républicains). Zwischen ihren Parlamentsmandaten wurde sie darüber hinaus zunächst als Ministerin für Hochschulwesen und Forschung in die Regierung François Fillons berufen und war bis zum Regierungswechsel 2012 auch Haushaltsministerin.
- Hoffnung der rechtsbürgerlichen Républicains
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2015 wurde Pécresse zur Präsidentin der Region Île-de-France gewählt. Mit 12,3 Millionen Einwohnern/-innen und einem Budget von fast 5 Milliarden Euro für das Haushaltsjahr 2022 ist die Île-de-France die bevölkerungsreichste Region Frankreichs und verfügt über die größten finanziellen Mittel. Im Juni 2021 verteidigte Pécresse ihr Mandat erfolgreich in den Regionalwahlen. Pécresse entschied im Dezember 2021 zur Überraschung vieler Beobachter die Vorwahlen für sich, nachdem ihr stärkster Konkurrent, der Präsident der Region Hauts-de-France, Xavier Bertrand, bereits in der ersten Wahlrunde ausgeschieden war. In der zweiten Runde setzte Pécresse sich dann mit 61 Prozent gegen Éric Ciotti, der 39 Prozent der Stimmen erzielte, durch. Dass sie 2017 in Flügelkämpfe innerhalb der Républicains verstrickt und nach der Europawahlniederlage 2019 sogar aus der Partei ausgetreten war, schadete ihr offensichtlich nicht. Mit der Ankündigung ihrer Präsidentschaftskandidatur im Juli 2021 trat sie der Partei wieder bei.
- Den Kärcher wieder hervorholen
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Während Pécresse als Regionalpräsidentin bewiesen hat, dass sie Milliarden-Budgets verwalten kann, bot diese Position ihr bisher kaum Möglichkeiten, sich auf dem Feld der inneren Sicherheit zu profilieren. Das hindert die Kandidatin nicht daran, im Wahlkampf immer wieder medienwirksam zu diesem Thema Stellung zu nehmen: Pécresse will „gesetzlose Zonen säubern“ und „in Frankreichs Straßen für Ordnung sorgen“. Unkontrollierte Einwanderung will sie stoppen und den Islamismus entschieden bekämpfen. Im Januar sorgte die Kandidatin für Schlagzeilen, als sie ankündigte, „den Kärcher wieder aus dem Keller zu holen“, den die Präsidenten Hollande und Macron dort vergessen hätten. Mit der Kärcher-Metapher zitiert Pécresse den ehemaligen Staatspräsidenten und Mentor Nikolas Sarkozy. Sarkozy, damals Innenminister, hatte 2005 angekündigt, angesichts von Kriminalität und Unruhen die Vorstädte „mit dem Kärcher zu säubern“. Dass Pécresse mit dem Kärcher provoziert, liegt auch daran, dass es ihr schwerfällt, eigene thematische Akzente zu setzen. Noch immer dominiert die Covid-19-Pandemie die mediale Berichterstattung und die Regierung profitiert von der Aufmerksamkeit, die ihr das Krisenmanagement einbringt.
- Europapolitik
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In europapolitischer Hinsicht unterscheidet sich Valérie Pécresses Programm erstaunlich wenig von der Politik Macrons: Nur innerhalb der EU sei es möglich, international konkurrenzfähige Industrien zu erhalten oder die amerikanischen Internetgiganten zu regulieren. Eine Reform des Schengen-Raums sei dringend nötig, ebenso wie eine gemeinsame EU-Migrationspolitik. Allerdings wirft Pécresse Macron vor, die zeitliche Überschneidung der Ratspräsidentschaft mit dem Präsidentschaftswahlkampf in Kauf genommen und durch die Abhängigkeit von europäischen Mitteln für den wirtschaftlichen Wiederaufschwung nach der Covid-19-Pandemie Frankreichs Position geschwächt zu haben. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik wäre auch auf europäischer Ebene zweifellos dasjenige Politikfeld, in dem sich die französische Position unter einer Präsidentin Pécresse am stärksten verändern würde.
Der Krieg in der Ukraine rückt den Präsidentschaftswahlkampf seit Ende Februar in den Hintergrund. „Wir haben keinen Wahlkampf und wir haben keinen Gegner“, stellte Pécresse eine Woche nach dem Beginn der russischen Invasion des Nachbarlandes ernüchtert fest. Die LR-Kandidatin bemüht sich zwar, ihre Kompetenz auch in geopolitischen Fragen unter Beweis zu stellen, etwa in einem Expertenrat mit ehemaligen konservativen Ministern und Fachpolitikern. Angesichts der russischen Bedrohung fällt es ihr wie allen Kandidaten/-innen aber sichtlich schwer, sich vom amtierenden Präsidenten abzusetzen, der geschickt zwischen seinen Rollen als Wahlkämpfer, Staatspräsident und Armeechef wechselt.
Éric Zemmour
Frankreich ist in Lebensgefahr
Selbst ein Kind algerischer Einwanderer, ist Éric Zemmour in Frankreich als Polemiker bekannt, der mit seinen Thesen zur Zuwanderung und der vermeintlichen Islamisierung Frankreichs regelmäßig für Aufregung sorgt. Auf seinem Weg vom Journalisten zum Präsidentschaftskandidaten wurde Zemmour in seiner Rhetorik zusehends aggressiver. Aufgrund seiner zeitweisen Omnipräsenz in den Medien und seiner wohlkalkulierten Provokationen wird er regelmäßig mit Donald Trump verglichen. Von Jacob Ross.
- Einführung
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Zemmour hat, ähnlich wie Präsident Macron, die offizielle Bestätigung seiner Kandidatur lange hinausgezögert und unterlag deshalb nicht den gesetzlich geregelten zeitlichen Beschränkungen für TV-Auftritte von Präsidentschaftskandidaten. Unabhängig davon, wie die Wahl letztlich ausgehen wird, hat er dazu beigetragen, dass sich der Wahlkampf vornehmlich um die Themen Einwanderung, Rolle des Islam und Identitätspolitik dreht. Als Zemmour schließlich ankündigte, an der Spitze der Bewegung Rückeroberung(Reconquête) für die Präsidentschaftswahl anzutreten, hatte sich sein jüngstes Buch, Frankreich hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen (La France n’a pas dit son dernier mot), mehr als 250.000-mal verkauft.
Éric Zemmour ist in Montreuil geboren, einer Vorstadt im Osten von Paris. Er wuchs in einer jüdischen Familie auf, die 1952 aus Algerien geflohen war, damals französisches Staatsgebiet. Zemmour besuchte eine private jüdische Schule, bevor er ein Studium an der Elite-Hochschule Sciences Po abschloss. Die für viele französische Spitzenpolitiker/-innen und -beamte/-innen typische Folgeausbildung an der École nationale d’administration (ENA; seit dem 1. Januar: Institut national du service public, INSP) blieb ihm aber verwehrt – zwei Mal scheiterte Zemmour an der Aufnahmeprüfung.
- Vom Journalisten zum Polemiker
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Zemmour begann seinen Aufstieg in der französischen Medienlandschaft als Printjournalist bei der Zeitschrift Le Quotidien de Paris. 1996 wechselte er zur konservativen Tageszeitung Le Figaro, wo er in den folgenden Jahren als Kolumnist bekannt wurde. Es folgte der Wechsel zum Fernsehen, mit Stationen bei verschiedenen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern. Zemmour war in Talkshows vor allem deshalb ein gern gesehener Gast, weil er zuverlässig für hohe Einschaltquoten sorgte. Im Oktober 2019 bekam er schließlich seine eigene, auf ihn zugeschnittene Sendung, Face à l’info, bei dem Sender CNews, der von seinem Gründer, dem französischen Milliardär und Medienmogul Vincent Bolloré, angeblich nach dem Vorbild des amerikanischen Senders Fox News aufgebaut wurde.
Die Zusammenarbeit entpuppte sich für Bolloré und Zemmour als Win-win-Situation. CNews verdreifachte in kürzester Zeit seine Zuschauerzahlen und ließ mit durchschnittlich 800.000 Zuschauer/-innen vor den Bildschirmen größere Konkurrenten wie BFM-TV oder LCI hinter sich. Statt aufwändige und teure Beiträge zu produzieren, setzten Zemmour und sein Sender auf ein vergleichsweise günstiges Erfolgsrezept, das in den sozialen Medien seit Jahren wirtschaftlich äußerst gewinnträchtig ist: Themen, die starke emotionale Reaktionen provozieren, werden möglichst kontrovers besetzt und diskutiert. Wie kontrovers Zemmours Thesen sind, davon zeugen die 16 Gerichtsverfahren, die bislang gegen ihn eröffnet wurden. Verurteilt wurde der Präsidentschaftskandidat bisher aber nur in drei Fällen, zuletzt im Januar 2022 wegen Volksverhetzung. Im jüngsten Fall hatte Zemmour jugendliche Migranten/-innen pauschal als „Diebe, Mörder und Vergewaltiger“ verunglimpft.
- Unterstützer und Nutznießer Zemmours
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Trotz seiner immer radikaleren Thesen hat Zemmour den Anschluss an das bürgerliche Milieu nie verloren. Obwohl er einen „Vernichtungskrieg gegen den weißen, heterosexuellen Mann“ am Werk sieht und 2015 vorschlug, im Kampf gegen den Terrorismus statt Rakka (Syrien) den Brüsseler Stadtteil Molenbeek zu bombardieren, wollten ihm Mitglieder der Républicains (LR) nur zwei Jahre später die Kandidatur für ihre Partei antragen. 2019 wurde er bei einem Parteitag vom damaligen LR-Vorsitzenden Laurent Wauquiez mit den Worten begrüßt: „Du bist hier unter deinesgleichen“. Es ist unklar, ob Zemmours Kandidatur Macron am Ende schaden oder nützen wird. Zemmour spaltet das rechtsextreme Lager und macht Marine Le Pen (Rassemblement National, RN), 2017 in der zweiten Runde Macrons Gegnerin, wichtige Stimmen abspenstig. Die Schwächung Le Pens könnte allerdings dafür sorgen, dass die Kandidatin der Républicains, Valérie Pécresse, es in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl schafft. Dort angekommen, hätte sie gute Chancen auf den Sieg, sollten sowohl Le Pen als auch Zemmour zu ihrer Wahl aufrufen.
- Europapolitik
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Im Falle einer Wahl Zemmours kämen stürmische Zeiten sowohl auf die deutsch-französischen Beziehungen als auch auf die europäische Zusammenarbeit zu. Obwohl auch Zemmour keinen Austritt aus der EU fordert, kritisiert er die sogenannten Brüsseler Eliten scharf und unterstellt der Union ein Demokratiedefizit. Europa, so Zemmour, sei keine Nation; im Gegenteil bildeten erst die Nationen das gemeinsame Europa. Die Visionen einer vertieften Union, die Präsident Macron mit der aktuellen deutschen Bundesregierung teilt, tut Zemmour als Europa „ohne Körper, ohne Kopf und ohne Seele“ ab.
Die Angriffe auf die EU holen Zemmour nun im Kontext des Kriegs in der Ukraine genauso ein wie seine Ankündigung, Frankreich nach 1966 ein zweites Mal aus der Kommandostruktur der NATO führen zu wollen. Auch seine Bewunderung für den russischen Staatschef Wladimir Putin erweist sich kurz vor der Wahl als große Hypothek. Dessen Überfall auf die Ukraine verurteilt er zwar, beharrt aber weiter darauf, dass die Hauptverantwortung für die Eskalation bei der NATO liege und Frankreich einen unabhängigen, „dritten Weg“ finden müsse.
Jean-Luc Mélenchon
Wir müssen die präsidentielle Monarchie abschaffen
Jean-Luc Mélenchon tritt bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2022 als Kandidat der politischen Linken an. Durch populistisch-radikale Reden, große Gesten und markige Bühnenauftritte zog er bisweilen große Aufmerksamkeit auf sich. Mélenchon gilt als vehementer Gegner des amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron und inszenierte sich in den vergangenen fünf Jahren als Oppositionsführer im französischen Parlament. Von Hatim Shehata.
- Einführung
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Jean-Luc Mélenchon wurde 1951 im marokkanischen Tanger geboren und emigrierte mit elf Jahren nach Frankreich. Dort studierte er Philosophie, arbeitete als Lehrer sowie Journalist und widmete sein politisches Engagement den einflussreichen französischen Gewerkschaften, bevor er schließlich in den 1970er Jahren dem Parti socialiste, dem französischen Äquivalent zur deutschen SPD, beitrat. Dort stieg er auf und war unter Premierminister Lionel Jospin von 2000 bis 2002 Minister der Berufsausbildung. 2008 folgte der Bruch mit der eigenen Partei. Sie sei zu sehr in die politische Mitte gerückt und handele nicht mehr im Interesse der Arbeiterklasse, rechtfertigte Mélenchon seinen damaligen Parteiaustritt. Von 2009 bis 2017 war Mélenchon Mitglied der Fraktion Die Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament. Nach den französischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2017 wurde er Abgeordneter und Mitglied der nun eigenständigen Fraktion von La France insoumise(Unbeugsames Frankreich) in der Nationalversammlung.
- Der Unbeugsame
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Schon 2012 wollte Jean-Luc Mélenchon in den Élysée-Palast einziehen. Damals trat er für das linke Bündnis Front de gauche (Linksfront) an, erhielt rund vier Millionen Stimmen (11 Prozent) im ersten Wahlgang und landete auf dem vierten Platz hinter dem Sieger François Hollande. Im Jahr 2017 versuchte er es erneut. Diesmal gelang es ihm als Gründer und Anführer der neuen Bewegung La France insoumise, rund sieben Millionen Wählerinnen und Wähler (19,6 Prozent) im ersten Wahlgang hinter sich zu vereinen. Zwar erweiterte er seinen Stimmenanteil deutlich, landete jedoch erneut auf dem vierten Platz und musste sich seinem Mitbewerber, dem späteren Präsidenten Emmanuel Macron, geschlagen geben. Gleichwohl verbuchte die radikale Linke das damalige Ergebnis als großen Erfolg für sich. Heute zählt La France insoumise über 600.000 Mitglieder. Vor allem jüngeren Wählerinnen und Wählern erscheint Mélenchons Programmatik durchaus attraktiv. Seine erneute Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2022 knüpfte Mélenchon an eine Bedingung: Mindestens 150.000 Menschen sollten ihr positives Votum vorab über eine Online-Plattform abgeben. Der Erfolg blieb nicht aus: Die Zielmarke wurde innerhalb von vier Tagen erreicht. Mélenchon gab sich schon immer bürgernah und ist ein nachdrücklicher Befürworter von Bürgerreferenden. Er will nicht das Narrativ des überhöhten Präsidenten bedienen. Stattdessen fordert er die Abkehr vom stark präsidial geprägten politischen System Frankreichs und die Gründung einer Sechsten Republik.
- Linksradikale Sozial- und Wirtschaftspolitik
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Mélenchon gilt als Kritiker Emmanuel Macrons, dessen Europa-, Sozial- und Wirtschaftspolitik er entschieden ablehnt. Er betrachtet Macron als einen Präsidenten der Reichen, in der „Macronie“ sieht er ein wirtschaftsliberales Programm, das die soziale Schere in Frankeich weiter auseinandergehen lässt. Folglich ist es wenig verwunderlich, dass Mélenchon die Gelbwesten-Proteste im Jahr 2019, die sich an hohen Spritpreisen entzündeten und später gegen Macrons geplante Wirtschaftsreformen richteten, nicht nur unterstützte, sondern zusätzlich mit teils radikalen Aussagen anheizte. In diesem Zusammenhang sprach er von einer Revolution und bezeichnete die teils ausufernde Gewalt, für die letztlich Macrons Regierung die Verantwortung trage, als legitimes Mittel des Protests. Sein sozialpolitisches Programm von 2017 will Mélenchon weitestgehend beibehalten. Er fordert eine Erhöhung des Mindestlohns (SMIC), die Einführung einer 32-Stunden-Woche sowie die Rente ab 60 Jahren.
- Ein Gegner der EU
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Ebenfalls ein Feindbild Mélenchons ist die EU in ihrer derzeitigen Form. „L’Europe on la change, ou on la quitte“ , erklärte er 2016 und forderte damals nicht weniger als die Änderung der EU-Verträge oder aber den Austritt Frankreichs aus der EU – einen „Frexit“. Nach der berühmten Sorbonne-Rede Macrons zur Souveränität Europas stellte Mélenchon gar einen Antrag auf die Entfernung der Europaflagge aus der französischen Nationalversammlung – ohne Erfolg. Im neuen Wahlprogramm seiner Bewegung, welches das Motto „L’Avenir en commun“ („Die gemeinsame Zukunft“) trägt, wird eine Frexit-Forderung nicht mehr erwähnt. Stattdessen spricht Mélenchon nun von einem punktuellen Ungehorsam gegenüber Brüssel. Er wolle sich im Falle seiner Wahl die Opt-out-Klausel der EU zunutze machen, die besagt, dass einzelne Mitgliedsstaaten sich an der Zusammenarbeit in bestimmten Politikbereichen nicht zwangsläufig beteiligen müssen.
Die bestehenden deutsch-französischen Beziehungen sieht Mélenchon zudem kritisch. Deutschlands Sparpolitik macht er für die Rezession in Europa verantwortlich. Im Jahr 2015 veröffentlichte der inzwischen 70-Jährige ein Buch unter dem polemischen Titel Bismarcks Hering – das deutsche Gift, in dem er ein vermeintliches Diktat Deutschlands in Europa anprangert.
- Außen- und Sicherheitspolitik
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Im Falle seiner Präsidentschaft will Mélenchon trotz des Krieges in der Ukraine weiterhin aus der NATO austreten und sich um eine Neuausrichtung der französisch-russischen Beziehungen bemühen. Er setze diesbezüglich auf Deeskalation und wolle auch im UN-Sicherheitsrat den Austausch mit Russland fördern. Vor dem Hintergrund der russischen Invasion in der Ukraine äußerte sich Mélenchon zuletzt jedoch pazifistisch, wobei er sich gleichzeitig gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen die Sanktionierung Russlands aussprach. Die Verantwortung für den Krieg, so Mélenchon, liege aber bei Russland.
Yannick Jadot
Ich will der Präsident des Klimas sein
Yannick Jadot will französischer Klimapräsident werden. Der Grüne gilt als Pragmatiker und zeigt sich bei der Verknüpfung von Ökologie und Ökonomie kompromissbereit. Manchen Mitgliedern seiner Partei ist Jadots Kurs nicht radikal genug. Doch sein Pragmatismus könnte den französischen Grünen einen dauerhaften Platz in der Landespolitik sichern. Von Hatim Shehata.
- Einführung
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Yannick Jadot blickt auf eine lange Karriere als Umwelt- und Klimaaktivist zurück. Als Leiter verschiedener Kampagnen von Greenpeace France im Zeitraum von 2002 bis 2008 hat sich der 54-Jährige einen Namen in den bislang eher überschaubaren grünen Kreisen Frankreichs gemacht. Doch auch darüber hinaus sorgten seine Aktionen für Aufmerksamkeit. So wurden Jadot und andere Aktivisten einst rechtskräftig für den Einbruch in die französische Militärbasis Île Longue in der Bretagne verurteilt. Ziel der Protestaktion war es, auf die von den dort gelagerten Nuklearwaffen ausgehenden Gefahren hinzuweisen.
- Ein Aktivist macht Politik
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Im Jahr 2009 gelang Jadot als Mitglied der Partei Europe Écologie – Les Verts (EELV) der Sprung ins Europaparlament. Seitdem ist er als Abgeordneter im Ausschuss für Umweltfragen tätig. Bei den Präsidentschaftswahlen 2017 wurde Jadot erstmalig als Kandidat der Grünen aufgestellt, gab seine eigenen Ambitionen jedoch nur wenig später zugunsten des Kandidaten des Parti socialiste, Benoît Hamon, auf. Bei den Kommunalwahlen 2020 galt der grüne Spitzenpolitiker als treibende Kraft für den historischen Wahlsieg der Grünen. Erstmalig war es der Partei, die bis heute keinen einzigen Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung stellt, gelungen, die Rathäuser verschiedener Großstädte wie etwa Bordeaux, Lyon und Straßburg zu erobern. Aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung wird Yannick Jadot heute als versierter Politiker wahrgenommen, dem es auf sympathische Art und Weise gelingt, Unterstützer, vor allem aber die Medien für sich zu gewinnen.
- Ein Realo unter den Grünen
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Yannick Jadot will eine Umweltpolitik, die wirtschaftliche Interessen berücksichtigt. Er forderte, Unternehmen, die auf fossile Energien setzen, künftig von öffentlichen Fördermitteln auszuschließen. Frankreichs Industrie will er gezielt nachhaltig umbauen und setzt dabei auf grüne Technologien. Dieser gemäßigte Kurs könnte neue Wähler/-innen gewinnen, die sich zwar für den Umweltschutz interessieren, aber die bislang eher radikalen wirtschaftspolitischen Positionen der französischen Grünen, die bis hin zur Abkehr vom Kapitalismus reichen, ablehnen.
Innerparteilich brachten ihm seine Positionen den Ruf eines Realpolitikers ein, der sich im Zweifel nicht genug für die sozial-ökologische Transformation Frankreichs einsetzen würde. Im Streit um die Zukunft der französischen Atomkraftwerke befürwortet Jadot einen „verantwortungsvollen“ Ausstieg innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre und positioniert sich somit klar gegen die Pläne der Frankreich-2030-Strategie des amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron. Dieser kündigte zuletzt an, Investitionen in Milliardenhöhe im nuklearen Energiesektor tätigen zu wollen, um diesen weiterhin zu erhalten.
- Vorwahl der politischen Linken
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Es war ein Richtungsstreit der französischen Grünen, der Yannick Jadot die Kandidatur um das Präsidentenamt Frankreichs bescherte. In einer parteiinternen Abstimmung setzte er sich gegen seine Kontrahentin, die radikale Öko-Feministin Sandrine Rousseau, durch – allerdings mit einem äußerst knappen Ergebnis. Nur 51 Prozent der Stimmen entfielen auf Jadot – ein knappes Votum, das seine Stellung innerhalb der Partei, aber auch seine Chancen schwächen dürfte.
Yannick Jadot tritt im Präsidentschaftswahlkampf als Kandidat einer zersplitterten politischen Linken an. Neben ihm wollen Anne Hidalgo vom Parti socialiste und der linksradikale Jean-Luc Mélenchon von der Bewegung La France insoumise in den Élysée-Palast einziehen. Auf sich allein gestellt, werden jedem der Kandidaten eher schlechte Chancen auf einen Wahlsieg eingeräumt. Eine Lösung könnte die jüngst von Hidalgo vorgeschlagene Vorwahl der französischen Linken für eine gemeinsame Kandidatur darstellen. Ein solches Prozedere lehnt Jadot bislang jedoch ab. Ähnlich wie seinem Kontrahenten Mélenchon wird Jadot diesbezüglich Ignoranz und Sturheit nachgesagt.
- Europa und Ökologie
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In der Europapolitik sieht Jadot eines der größten Gestaltungsfelder für eine ökologische Politik. Die französische Ratspräsidentschaft 2022 begreift er als Chance, über das bisher formulierte Ziel einer 65-prozentigen Reduzierung der Treibhausgase bis 2030 hinauszugehen oder die europäischen Klimaziele auf EU-Importe zu übertragen. Zudem forderte er zuletzt, Frankreich müsse im Rahmen seiner Ratspräsidentschaft ein Verbot des Pflanzenschutzmittels Glyphosat auf den Weg bringen.
Die Beziehungen zu den anderen EU-Mitgliedsstaaten will der erklärte Europäer künftig stärken. So misst Jadot gerade den deutsch-französischen Beziehungen große Bedeutung bei. Die Zusammenarbeit beider Staaten solle noch enger werden. Dies wird anhand von Jadots Vorschlag, einen deutsch-französischen Bürgerkonvent zu gründen, deutlich. Auch will er im Falle seiner Präsidentschaft gegen Mitgliedsstaaten vorgehen, die die gemeinsamen europäischen Werte ignorieren und den Rechtsstaat untergraben.
- Außen- und Sicherheitspolitik
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Jadots Verhältnis zur NATO ist ambivalent. Sie gleiche in ihrer heutigen Form einer "leeren Hülle". Unlängst forderte er deshalb den Aufbau europäischer Kapazitäten in der Außen- und Sicherheitspolitik. Vor diesem Hintergrund machte sich Jadot Macrons Narrativ einer „europäischen Souveränität“ zu eigen. Europa müsse geeint sein, um für seine Werte und Interessen in Zeiten aufstrebender Mächte einzustehen.
Der grüne Präsidentschaftskandidat Jadot wertete die russische Invasion in der Ukraine im Februar 2022 klar als Völkerrechtsbruch und verurteilte sie in der Öffentlichkeit. So bezeichnete er den russischen Präsidenten Putin unter anderem als Kriegsverbrecher. Die ukrainische Bevölkerung hingegen verteidige Europa und die Demokratie. Vor diesem Hintergrund befürwortete Jadot die Waffenlieferungen an die Ukraine zur Selbstverteidigung. Zugleich warf er insbesondere seinem linken Mitbewerber um das französische Präsidentenamt, Jean-Luc Mélenchon, vor, angesichts der russischen Invasion politisch zu „kapitulieren“.
Anne Hidalgo
Frankreich reparieren und für die Gerechtigkeit kämpfen
Für den Parti socialiste, die französischen Sozialdemokraten, tritt die amtierende Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo als Präsidentschaftskandidatin an. Dazu bewogen habe sie die Coronakrise, der Klimawandel und die französische Sozialpolitik. Nach einem schwierigen Start, infolge eines schwachen parteiinternen Votums für ihre Kandidatur, kämpft Hidalgo nun mit schlechten Umfragewerten. Von Hatim Shehata.
- Einführung
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Anne Hidalgo hat große Pläne. Seit 2014 ist sie Bürgermeisterin der französischen Hauptstadt und die erste Frau überhaupt in diesem symbolträchtigen Amt. Erst im Juni 2020 wurde sie wiedergewählt. Dabei entspricht ihr Werdegang keineswegs dem der französischen Polit-Elite: Die 63-jährige Hidalgo stammt aus einer spanischen Arbeiterfamilie, ihr Vater war Elektriker, ihre Mutter Schneiderin. Die Eltern flüchteten vor dem Franco-Regime, als Hidalgo noch ein Kleinkind war. Die Familie ließ sich in Lyon nieder, dem Ort, an dem Hidalgo später die Schule und ein Studium der Sozialwissenschaften absolvierte.
Von 1997 bis 2002 war sie als arbeits- und sozialpolitische Beraterin für verschiedene vom Parti socialiste geführte Ministerien und als Gleichstellungsbeauftragte sowie stellvertretende Bürgermeisterin von Paris tätig. Während dieser Zeit zog es Hidalgo nie ins grelle Rampenlicht der Öffentlichkeit. Stattdessen stieg die erklärte Feministin und Mutter von drei Kindern im Hintergrund der Partei auf, bis sie schließlich das Pariser Rathaus mit ihren umwelt- und sozialpolitischen Positionen eroberte.
- Eine neue sozial-ökologische Politik
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Der sozial-ökologische Wandel war und ist bis heute eines der zentralen Wahlkampfthemen Hidalgos, ebenso wie Fragen der Umverteilung und der sozialen Gerechtigkeit. Als Bürgermeisterin von Paris setzte sie sich für eine autofreie Stadt ein, ließ Radwege massiv ausbauen, Parkplätze zu Straßencafés umfunktionieren und führte vielerorts ein Tempolimit ein. Auch die horrenden Mieten in Paris ließ sie deckeln und ging im Zuge dessen juristisch gegen illegale Vermietungen auf umsatzstarken Internetplattformen vor, um den angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten. Zudem sollen Haushalte mit einer hohen CO2-Bilanz laut Hidalgo künftig eine Klimasteuer zahlen.
Ihre grüne Programmatik, die keineswegs der klassischen Ausrichtung des Parti socialisteentspricht, will Anne Hidalgo über die Pariser Stadtgrenzen hinaus auf Frankreich ausweiten. Dass der Sprung vom Pariser Hôtel de Ville in den Élysée-Palast gelingen kann, bewies auch einst der konservative Jacques Chirac. Allerdings war Chirac im Gegensatz zu Hidalgo stark in der Provinz verankert. Darum verwundert es nicht, dass Anne Hidalgo ihre Kandidatur entgegen allen Erwartungen nicht in Paris, sondern in der französischen Hafenstadt Rouen bekanntgab.
Hidalgo erklärte, sie wolle der Arbeit der oftmals „Unsichtbaren“ durch eine angepasste Lohnpolitik künftig mehr Wertschätzung entgegenbringen. Kassierer/-innen, Krankenpfleger/-innen oder Lehrer/-innen sollen, gerade in den Zeiten der globalen Coronapandemie, mehr Geld für ihre systemrelevanten Tätigkeiten erhalten. Mit Verweis auf den amtierenden Staatspräsidenten Emmanuel Macron erklärte Hidalgo, sie wolle den Leuten nicht mit Herablassung, sondern mit Respekt begegnen, im Team regieren und das Land dezentralisieren.
- Eine zersplitterte Linke
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Trotz aller Bemühungen nimmt der Wahlkampf um Anne Hidalgo nur langsam an Fahrt auf. Ihre Umfragewerte sind deutlich schlechter als die ihrer Mitbewerberinnen und Mitbewerber und bewegen sich konstant zwischen drei und sieben Prozentpunkten. Dass aber die schwachen Umfragewerte weniger an der Person Hidalgos liegen als vielmehr am generellen Kurs ihrer Partei, zeichnet sich seit geraumer Zeit ab. Seit der Präsidentschaft von François Hollande befindet sich der Parti socialiste im gesamten Land in der Krise.
Frankreichs politische Linke ist deutlich zersplittert. Neben Anne Hidalgo bewerben sich Jean-Luc Mélenchon von der Bewegung Unbeugsames Frankreich (La France insoumise), Yannick Jadot von den französischen Grünen (EELV) und die ehemalige Justizministerin und Ikone der Linken, Christiane Taubira, um das Präsidentenamt. Allen Kandidaten/-innen werden nur geringe Chancen bei den Wahlen eingeräumt. Anne Hidalgo weiß um den desolaten Zustand ihrer Partei und um ihre schlechten Aussichten bezüglich der Präsidentschaftswahl. Vor diesem Hintergrund forderte sie zuletzt, die politische Linke Frankreichs müsse den Schulterschluss wagen und sich in einer Vorwahl auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten bzw. eine -kandidatin einigen. Nur so könne eine linke Neuausrichtung Frankreichs in greifbare Nähe rücken. Im Zweifel werde Hidalgo ihre eigene Kandidatur zugunsten ihrer aussichtsreicheren Mitbewerber/-innen zurückstellen. Diese lehnen Hidalgos Vorschlag jedoch bisher ab.
- Europapolitik
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Hidalgos Pläne für Europa klingen vielversprechend und decken sich mit ihren innenpolitischen Ambitionen. Im Dezember 2021 kündigte sie an, sich grundlegend für Reformen auf EU-Ebene einzusetzen. Dazu zählt beispielsweise die Schaffung eines Gesetzesinitiativrechtes des Europäischen Parlaments – bislang obliegt es der EU-Kommission, Gesetzesvorhaben einzubringen. Dies dürfte die Rolle des Parlaments stärken und dem Wählerwillen in der Ausgestaltung Europas mehr Ausdruck verleihen. Auch will Hidalgo sozialpolitische Maßnahmen in den Fokus der europäischen Politik rücken sowie die Bekämpfung des Klimawandels zur Richtschnur europäischen Handelns erklären. Was die deutsch-französischen Beziehungen angeht, so äußerte sich Hidalgo in der Vergangenheit positiv hinsichtlich einer weiteren Vertiefung der Freundschaft beider Länder. Was Olaf Scholz (SPD) als Bundeskanzler anbelangt, so existieren deutliche Überschneidungen und Gemeinsamkeiten mit der Politik Hidalgos und des Parti socialiste.
Schon zu Beginn der russischen Aggression verurteilte Anne Hidalgo das dortige Geschehen und rief zu europäischer Geschlossenheit angesichts des offensichtlichen Völkerrechtsbruchs in der Ukraine auf. Hidalgo nahm unter anderem an einer Friedensdemonstration für die Ukraine in Paris teil. Zugleich verurteilte sie die Reaktion der Präsidentschaftskandidaten/-innen der extremen Linken sowie der extremen Rechten in Frankreich. Diese würden sich durch ihre Zurückhaltung angesichts der Situation zu „Komplizen von aggressiven Nationalisten und Imperialisten“ machen.