Memo

15. Jan. 2025

Waffenstillstand in der Ukraine: Wer Frieden will, muss Voraussetzungen dafür schaffen

Scholz und Zelensky in Kiev 2024
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Die neue Bundesregierung sollte eine echte sicherheitspolitische Zeitenwende vollziehen und in die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand in der Ukraine investieren. Dazu zählt sowohl die Stärkung der eigenen Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit als auch der Verhandlungsposition der Ukraine – durch die Planung langfristiger militärischer sowie finanzieller Ausstattung und die Beteiligung an Sicherheitsgarantien. Die neue Bundesregierung sollte zudem dafür einstehen, dass ein Waffenstillstand nur mit der Rückkehr zu einer regelbasierten Ordnung und Einhaltung internationalen Rechts einhergehen kann. Deutschland wird nicht zuletzt mit Blick auf eine zweite Amtszeit Donald Trumps mehr Verantwortung für die Unterstützung der Ukraine übernehmen müssen. 

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Ausgangslage: Mentale und strategische Zeitenwende vorantreiben

Die Ausrufung der deutschen Zeitenwende nach Russlands Invasion in der Ukraine jährt sich zur vorgezogenen Bundestagswahl im Februar zum dritten Mal. Auch wenn seitdem eine Abkehr von der Verteidigungspolitik vergangener Jahrzehnte zu verzeichnen ist: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist die größte sicherheitspolitische Herausforderung für Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – und dieser müssen die Bundesregierung und ihre Verbündeten mit deutlich größeren Anstrengungen begegnen. Mit der erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten wird sich die Politik des wichtigsten Unterstützers der Ukraine wesentlich verändern. Europa und Deutschland werden mehr Verantwortung für die Ukraine übernehmen müssen – mit Blick auf Finanzierung, Waffenlieferungen und Wiederaufbau. Ebenso müssen Deutschland und andere europäische Staaten mehr für die eigene Verteidigung und die Abschreckungsfähigkeit der NATO tun. Dabei sollte klar sein, dass jede Unterstützung für die Ukraine zugleich eine Investition in die deutsche und europäische Sicherheit ist. 

Die neue Bundesregierung muss die mentale und strategische Zeitenwende in der deutschen Politik und Gesellschaft systematisch vorantreiben. Es braucht ein grundlegendes Umdenken mit Blick auf die Gefährlichkeit Russlands für die europäische Sicherheit und dessen Versuche, die Demokratie in Deutschland und anderen europäischen Staaten zu schwächen. Ein stabiler Frieden mit Russland ist unter Putin auf absehbare Zeit nicht möglich. Darauf muss die Politik die Bevölkerung hierzulande vorbereiten. Allen anderen Behauptungen aus dem politischen Spektrum muss durch klare Kommunikation und entschiedenes Handeln entgegengetreten werden. Dazu gehört auch eine sicherheits(politische) Reaktion auf systematische russische Desinformation, wie Behauptungen, dass ein Krieg gegen Russland nicht gewonnen werden könne, oder das Schüren von Ängsten durch nukleare Drohungen. 

Ziel: Voraussetzungen für Verhandlungen schaffen

Ankündigungen, den Krieg in der Ukraine durch eine Verhandlungslösung in wenigen Wochen oder Monaten zu beenden, sind völlig unrealistisch. Eine neue Bundesregierung kann aber dazu beitragen, Voraussetzungen für Verhandlungen zu schaffen, bei denen die Ukraine in eine bessere Verhandlungsposition gebracht und Russland dazu gezwungen wird, Kompromisse einzugehen. Dabei sollten die militärische Ausstattung der Ukraine, Sicherheitsgarantien und Sanktionen gegen Russland eine wichtige Rolle spielen. Sollten die USA aus der Unterstützung der Ukraine aussteigen oder diese massiv reduzieren, muss Deutschland als größtes und wirtschaftlich stärkstes europäisches Land eine zentrale Rolle spielen, um dies zumindest teilweise zu kompensieren. Dabei geht es um langfristige finanzielle Zusagen sowie eine belastbare Planung für Waffenlieferungen an die Ukraine, die die Kosten für russische Angriffe massiv erhöhen. Für die neue Bundesregierung wird es wesentlich sein, auch unter einer Trump-Administration Teil eines Verhandlungsformates für einen Waffenstillstand zu sein und darauf hinzuwirken, dass bestimmte Grundprinzipien eingehalten werden. Grundlage für Verhandlungen und Abkommen sollte aus deutscher Perspektive die Wiederherstellung der regelbasierten Ordnung und internationales Recht sein. Eine dauerhafte Aufgabe von Territorien sollte nicht akzeptiert werden. Zeitweise territoriale Zugeständnisse können nur Teil eines Verhandlungspakets sein, was der Ukraine tatsächlich Sicherheit garantiert. Darüber hinaus darf die Ukraine nicht gegen ihren Willen in Kompromisse gezwungen werden und muss immer Teil der Verhandlungsformate sein. Hier sollte Deutschland seine schlechten Erfahrungen mit den beiden Minsker Abkommen von 2014/2015 einbringen, wo unter anderem unklar war, wer welche Rolle hat und wie bei Verstößen gegen das Abkommen sanktioniert wird.

Nächste Schritte: Frieden als langfristige Aufgabe

Da es auf absehbare Zeit keinen Konsens für einen NATO-Beitritt der Ukraine gibt, braucht es bilaterale Sicherheitsgarantien, bei denen neben den USA und Großbritannien auch Deutschland eine Rolle spielen sollte. Trotzdem sollten parallel dazu die Voraussetzungen für einen NATO-Beitritt der Ukraine geschaffen werden, da nur dieser langfristig Sicherheit für das Land selbst, aber auch Europa garantiert. In einem ersten Schritt müsste identifiziert werden, wie ein funktionsfähiges Verhandlungsformat aussehen könnte. Ebenso gilt es zu klären, ob und welche Staaten außerhalb Europas, etwa die Türkei, Indien oder China, an diesem Prozess teilnehmen sollten. Auch Sanktionen im Falle einer Verletzung des Abkommens sowie die multilaterale Absicherung der Kontaktlinie durch europäische Streitkräfte müssen geklärt werden. Als wichtigstes nichtmilitärisches Instrument sollten, solange der Krieg andauert, Sanktionen aufrechterhalten und noch offene „Löcher“ geschlossen werden. Es muss darüber hinaus konkret definiert werden, wie Sanktionen bei Verhandlungen über ein Waffenstillstandsabkommen wirksam eingesetzt werden können. 

Eine gewisse Zeit werden der Wiederaufbau der Ukraine und der Krieg nebeneinander existieren. Deutschland sollte seine wichtige Unterstützung – etwa in den Bereichen Energieinfrastruktur, Dezentralisierung und Zivilgesellschaft – auf eine langfristige und sichere Finanzierungsbasis stellen. Ebenso ist es nötig, den EU-Integrationsprozess so zu gestalten, dass die Ukraine als Staat, Gesellschaft und in ihrer wirtschaftlichen Resilienz gestärkt wird. Deutschland und die EU sollten sich darauf einstellen, dass die Situation in der Ukraine mindestens in der nächsten Dekade die größte Sicherheitsherausforderung Europas sein wird und somit die Wiederherstellung von Frieden und territorialer Integrität in der Ukraine entsprechend als langfristige Aufgaben betrachten. Dafür müssen – auch vor dem Hintergrund eigener –Sicherheitsinteressen die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Bibliografische Angaben

Meister, Stefan. “Waffenstillstand in der Ukraine: Wer Frieden will, muss Voraussetzungen dafür schaffen .” DGAP Memo 2 (2025). German Council on Foreign Relations. January 2025.

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