Memo

14. Jan. 2025

Für ein militärisch starkes Deutschland

Die Bundeswehr von morgen braucht von allem mehr
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Um eine radikale Neuordnung der bundespolitischen Prioritäten wird die künftige deutsche Regierungskoalition nicht herumkommen. Ob wir es mögen oder nicht: Verteidigung ist zum existenziellen Top-Thema unserer Zeit geworden. Das Scheitern der Appeasement-Politik gegenüber Moskau und die verteidigungspolitischen Zögerlichkeiten der letzten Jahre verstärken jetzt den Handlungsdruck. Die Ukraine steht gegenwärtig im Feuer, und wir helfen. Aber auch wir Deutschen selbst und unsere Bündnispartner sind hybriden Bedrohungen ausgesetzt. Deshalb muss die Bundeswehr nun schnell aufwachsen, voll ausgestattet und verteidigungsbereit werden. Dazu braucht sie: 250.000 Soldaten, die Wehrpflicht und mehr als 2,5 Prozent des BIP.

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Ziel: Freiheitliche Selbstbehauptung durch glaubwürdige Abschreckung

Deutschland rettet allein nicht die Welt. Aber gemeinsam mit seinen Verbündeten und Partnern muss und kann es heute Frieden und Freiheit selbstbewusst verteidigen. Um die Bedrohung durch das revisionistische Russland Putins einzudämmen und auch andere wachsende Gefahren abzuwehren, ist militärische Stärke das Gebot der Stunde. Das heißt: Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. Glaubwürdige Abschreckung bildet heute die Voraussetzung für erfolgversprechende Diplomatie.

Nach den Versäumnissen der letzten zehn Jahre erfordert das nun eine Art nachholende „Wiederbewaffnung“ und umfassende Wehrhaftmachung 

Als größtes Land Europas, zweitgrößte NATO-Nation und drittgrößte Volkswirtschaft der Welt muss Deutschland zur Bündnisverteidigung einen militärischen Beitrag leisten, der seinen ökonomischen Möglichkeiten und seiner politischen Bedeutung entspricht. Das erwarten nicht nur Donald Trump und die USA von uns. Deutschland kommt auch zusätzliche Führungsverantwortung zu. Wir sollten sie aktiv wahrnehmen, gerade wenn es in der geopolitischen Arena turbulenter wird.

Nach den Versäumnissen der letzten zehn Jahre erfordert das nun eine Art nachholende „Wiederbewaffnung“ und umfassende Wehrhaftmachung – um, wie vom Bundeskanzler in seiner „Zeitenwende“-Rede 2022 eigentlich angekündigt, mit einer „nationalen Kraftanstrengung“ die stärksten konventionellen Streitkräfte des Kontinents aufzustellen.

Ausgangslage: Too little, too late – von allem

Die „Friedensdividende“-Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges sind Geschichte. Massen an funktionsfähigem Wehrmaterial wurden verkauft, verschenkt, verschrottet. Von 495.000 Bundeswehrsoldaten (so das Soll im Westen; im Osten waren es 160.000 NVA-Soldaten) schrumpfte das gesamtdeutsche Militär auf real heute noch 180.000 aktive Soldatinnen und Soldaten, inzwischen 20.000 unter der aktuellen Sollstärke.

Die Zahl der Bundeswehr-Kampfpanzer sank von 4.600 auf jetzt 330. Es ist kaum noch Artillerie da, es gibt keine Heeresflugabwehr mehr, gerade noch sechs U-Boote und weniger als ein Dutzend verfügbare FlaRak-Staffeln sind übrig, dafür keine Kampfdrohnen, keine Drohnenabwehr. Extrem ist der Mangel an Munition und bei Ersatzteilen, die – Stichwort: Leben von der Substanz – weiträumig eingespart wurden. Spätestens mit den notwendigen Materialabgaben an die Ukraine scheint nun auch die Aushilfe des „dynamischen Verfügbarkeitsmanagements“ abschließend überfordert.

Unbeantwortet ist bis heute die Frage geblieben, für wie viele Tage der konventionellen militärischen Verteidigung die neue Bundeswehr kriegstüchtig sein muss: 30? 300? Oder drei Jahre? Die Antwort entscheidet auch darüber, wie hoch im Ernstfall gegebenenfalls die Schwelle zum alliierten Nuklearwaffeneinsatz liegen würde.

Nächste Schritte: Schneller Aufwuchs, mehr Heer, 100 Milliarden Haushalt

Aus dem „Sondervermögen“ und in der Hoffnung auf wachsende Haushaltsmittel in den kommenden Jahren wurden inzwischen große Modernisierungsprojekte gestartet und erste Nachbestellungen in Auftrag gegeben. Zwar blieb der reguläre Verteidigungsetat in der Amtszeit von Verteidigungsminister Pistorius quasi eingefroren (bei etwas über 50 Milliarden Euro, sprich 1,3 Prozent des BIP), aber das Beschaffungsmanagement ist mit vereinfachten Regeln immerhin erheblich agiler geworden. Künftig sollte – am besten direkt aus dem normalen 500-Milliarden-Haushalt des Bundes – die Finanzierung der Bundeswehr zunächst in Richtung 100 Milliarden Euro im Jahr gehen. Das entspräche 2,5 Prozent des BIP.

Um die bereits zugesagten und die gerade verhandelten zusätzlichen Bündnisforderungen an Deutschland erfüllen zu können, reicht die personelle Stärke der Bundeswehr von heute in keiner Weise aus

Zu Zeiten von Brandt, Schmidt und Kohl wandte die damalige Bundesrepublik im Kalten Krieg 3,5 bis 4 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auf. Wächst mittelfristig der Personalumfang der Bundeswehr bedrohungsgerecht auf, könnten auch zukünftig 3,5 Prozent notwendig werden. Dabei muss das Plus für das Militär bei kluger Prioritätensetzung nicht zulasten von Sozialstaat und Infrastruktur gehen.

Um die bereits zugesagten und die gerade verhandelten zusätzlichen Bündnisforderungen an Deutschland erfüllen zu können (der nächste NATO-Gipfel findet im Juni in Den Haag statt), reicht die personelle Stärke der Bundeswehr von heute in keiner Weise aus. Etwa 250.000 aktive Soldatinnen und Soldaten sind erforderlich, insbesondere für die Vermehrung der Landstreitkräfte. Zu den 7,5 heutigen Heeresbrigaden sollten so schnell wie möglich 5 bis 7 weitere aufgestellt werden, inklusive Unterstützungskräfte, von Logistik bis ABC-Abwehr, voll ausgerüstet und bewaffnet. Die erste davon ist die neue Litauen-Brigade.

Ohne ein Wiederaufleben einer angepassten Form der Wehrpflicht wird dieser notwendige Aufwuchs allerdings nicht gelingen. Auch die bisher sträflich vernachlässigte Reserve sollte von der neuen Wehrpflicht stark profitieren. Denn ohne Reservisten keine Durchhaltefähigkeit. Materiell wie personell kann „Masse“ ein ausschlaggebender Faktor werden.

Die entschiedene Ausrichtung auf die kollektive Verteidigung Europas erforderte längst eine Umgliederung (oder „Reform“) der Bundeswehr, weg von der Afghanistan/Mali-„Toolbox“, hin zum Strukturprinzip weitgehend autarker „organischer Großverbände“, die ohne Truppenstellerkonferenz sofort verlegefähig und kampfbereit sind. Nur präsente Stärke schreckt ab. Innovationsdebatten über das Warum und Wie eines „Nationalen Sicherheitsrats“ würden dagegen die militärische Abschreckungskraft Deutschlands kaum verbessern. Politische Führung lässt sich gremienpolitisch schwer substituieren. Ein Innovations-Schwerpunkt wird allerdings unerlässlich sein in den Bereichen Drohnen, KI und Weltraum.

Bereits getroffen sind von der Regierung Scholz vier strategische Entscheidungen zum Schutz Deutschlands und seiner Verbündeten, die sich allerdings erst in der bevorstehenden Legislaturperiode auswirken werden: erstens der Kauf des israelisch-amerikanischen Raketenabwehrsystems „Arrow-3“ gegen Kreml-Drohungen mit einzelnen nuklearen Schlägen (eingeschränkt einsatzbereit ab Ende 2025), zweitens die Beschaffung von amerikanischen F-35-Jagdbombern für die Teilhabe an der nuklearen Gegendrohung (Auslieferung ab 2026), drittens die Stationierung von konventionellen US-Mittelstreckenraketen und Cruise Missiles zur Ausbalancierung entsprechender – in der Ukraine bereits eingesetzter – russischer Systeme (2026) und viertens der Einstieg in seegestützte, global projektionsfähige ballistische Raketenabwehr mit amerikanischer „Aegis“-Technologie auf der neuen 127er Fregattenklasse (30er Jahre).

Diese von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet gebliebenen Dringlichkeits-Maßnahmen zur strategischen Verteidigung eigneten sich aus nachvollziehbaren Gründen vielleicht nicht für die politische Alltagskommunikation einer fragilen Regierungskoalition. Aber sie deuten den Ernst der Lage an.

Memo-Reihe zur Bundestagswahl 

Die Memo-Reihe „Deutschland Global: Die Wahl für klare außenpolitische Ziele“ (#btw2025) beleuchtet die zentralen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen vor der Bundestagswahl 2025. Sie liefert fundierte Analysen und konkrete Empfehlungen, um politische Prioritäten zu setzen und Deutschlands Rolle in einer zunehmend fragmentierten Welt zu stärken. Ziel ist es, der nächsten Bundesregierung praxisnahe Impulse für eine strategische, souveräne und partnerschaftliche Außenpolitik zu geben, die Handlungsfähigkeit sichert, Verantwortung übernimmt und globale Kooperationen ausbaut: www.dgap.org/dossier/btw2025

Bibliografische Angaben

Bartels, Hans-Peter. “Für ein militärisch starkes Deutschland.” DGAP Memo 1 (2025). German Council on Foreign Relations. January 2025. https://doi.org/10.60823/DGAP-25-41635-de.

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