Memo

20. Sep 2021

Ziviles Krisenmanagement der EU stärken

Deutschland sollte sich für mehr Handlungsfähigkeit einsetzen
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Ziviles Krisenmanagement ist ein wichtiger Bestandteil der Außenpolitik für nachhaltigen Frieden und Konfliktprävention. Dabei ist ein multilateraler Ansatz wesentlich für deutsches Engagement. Der politische Wille und die strategische Einbettung der zivilen EU-Missionen lassen jedoch zu wünschen übrig. Wozu und wann Missionen eingerichtet werden, bleibt oft unklar und erscheint halbherzig. Zudem fehlt es der EU und ihren Mitgliedstaaten diesbezüglich an passendem Personal. Diese Umstände tragen dazu bei, dass die EU kaum ziviles Krisenmanagement betreibt und hinter den eigenen wie internationalen Erwartungen zurückbleibt. Deutschland, in seiner Rolle als ziviler Schrittmacher, sollte sich für koordinierte Personalbereitstellung zu gemeinsam vereinbarten Missionszielen einsetzen. So stärkt die EU ihre Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit für künftige Krisen und im Idealfall davor.

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Das Sicherheitsumfeld der Europä­ischen Union ist geprägt von fragiler Staatlichkeit, köchelnden Krisenherden und einer sich zunehmend fragmentierenden Weltordnung. Die jüngsten Ereignisse in Afghanistan zeigen am schrecklichen Beispiel die großen Herausforderungen und die hohe Fallhöhe internationalen Engagements, das daraus Lehren ziehen muss. Um die Sicherheitsinteressen der EU zu schützen, aber auch im Dienst der EU-Normen wie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, wird ein Einsatz für Frieden und Stabilität in der Nachbarschaft jedoch weiterhin eine Rolle spielen. Die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) bietet mit ihren zivilen Missionen ein politisches Instrument, um in Partnerschaft mit den betreffenden Staaten die Stabilität und Sicherheit zu erhöhen. Gerade  für Deutschland sind dabei zivile Methoden von zentraler Bedeutung: und bilden das Herzstück des vernetzten Ansatzes.

Rahmenbedingungen

Fehlende Strategie, mangelndes Personal

Trotz der sich zunehmend verschärfenden Sicherheitslage, haben sich die Personalzahlen in den zumeist schon klein angesetzten Missionen seit 2010 halbiert. Dies liegt vor allem an der mangelnden strategischen Ausrichtung. Die zivile GSVP benötigt eine feste Vorstellung, wofür zivile Methoden eingesetzt werden sollen – um sich im Krisenfall ad hoc auf eine Mission zu einigen und später, auch mit Blick auf ein Missions­­ende, ihre Wirkung zu bemessen. Ohne diese Klarheit fehlt es auch an politischem Willen, nötiges Personal bereitzuhalten. Personalmangel wiederum erschwert das Einrichten von Missionen. Dieser Teufelskreis kann durchbrochen werden. Dafür braucht es eine klare Strategie, aus der sich benötigte Fähigkeiten und Personalbereitstellung ableiten lassen und den nötigen politischen Willen, sie zu implementieren.

 

Herausforderungen

Deutschland in und mit der EU

Im zivilen Krisenmanagement nimmt Deutschland eine Vorreiterrolle ein. Mit der Gründung des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (zif) im Jahr 2003 hat es sich früh längerfristig zu zivilen Methoden bekannt. So setzt das zif Maßstäbe dafür, wie ziviles Personal für den Einsatz in Krisengebieten geschult und bereitgehalten werden kann. Auch im zivilen Krisenmanagement ist jedoch ein multilateraler Ansatz wesentlich für die deutsche Außenpolitik. Daher ist für die Übersetzung in gemeinsame Missionen die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern von zentraler Bedeutung. Den Mitgliedstaaten kommt in der GSVP eine entscheidende Rolle zu: Im Rat der Außenministerinnen und Außenminister (FAC) mandatieren sie die Missionen und stellen zudem das nötige Personal zur Verfügung. Ohne dass alle Mitgliedstaaten sich einigen, wird keine Soldatin und kein ziviler Experte in ein Krisengebiet entsendet. Mit der Gründung des European Centre of Excellence (CoE) for European Crisis Management im September 2020 möchte Deutschland dazu beitragen, die zivile Kompetenz der Mitgliedstaaten zu bündeln und auszubauen. Doch die Investition in Verbesserungen auf der operativen Ebene allein können keine Wirkung entfalten. Wichtiger Bestandteil ist die strategische Führung durch die Mitgliedstaaten, also eine Einigung darüber, wofür ziviles Krisenmanagement das richtige Mittel ist, wie sich sein Erfolg bemisst und wie autonom das von anderen Akteuren geschehen sollte (z.B. VN, NATO) – dazu wird momentan im EU-Prozess zum Strategischen Kompass diskutiert.

 

Empfehlungen 

Strategische Ziele und kluge Planung

Deutschland sollte sich auf EU-Ebene kontinuierlich für ein starkes ziviles Krisenmanagement einsetzen: Anstelle von wenigen Dutzend Expertinnen und Experten zur Beobachtung und Beratung könnten größer angelegte Missionen etwa kulturelles Erbe schützen, Deradikalisierungsarbeit leisten, bei der Bekämpfung von Desinformation unterstützen, die Wechselwirkungen von Konflikt- und Klimaaspekten miteinbeziehen und vertrauensbildende Maßnahmen auf lokaler Ebene durchführen – stets nach Bedürfnissen des Konflikts und der Zivilbevölkerung. Solch ein Engagement würde auch dazu beitragen, den Erwartungen internationaler Partner in der Sicherheitspolitik besser zu entsprechen.

Um im Krisenfall reaktionsfähig zu sein, sollte der FAC auf ein Repertoire an vorbereiteten Entscheidungen zurückgreifen können. Nur wenn die Mitgliedstaaten wissen, wie viel Personal mit welchen Qualifikationen potenziell benötigt wird, können sie dieses bereithalten. Beispielsweise sollte bei der nationalen Planung berücksichtig werden, wie viel Polizei für den Auslandseinsatz zusätzlich einkalkuliert werden muss und wie das klug in Karrierewege integriert werden kann. Eine öffentliche Debatte, zum Beispiel zur Entsendung von Polizei in GSVP-Missionen – denen manche eine Tendenz zum „Border Management“ attestieren oder eine personelle und strategische Konkurrenz zur Aufstockung von FRONTEX, – könnte auch den oft eingefahrenen deutschen Diskurs von Zwei-Prozent-Debatten auf wichtige Grundsatzfragen einer umfassenden Sicherheits­politik lenken.

Wenn Deutschland glaubwürdig ziviles Krisenmanagement betreiben möchte, braucht es in der EU klare Ziele für GSVP-Missionen sowie mehr und breiter qualifiziertes Personal der Mitgliedstaaten. Daher sollte sich die nächste Bundesregierung für eine konkrete Strategie, passende Ressourcen und handlungsfähige Strukturen einsetzen:

Strategische Ziele steigern: Die zivile Komponente der GSVP

Ziviles Krisenmanagement, das einen relevanten Unterschied leisten möchte, muss umfassender und in größerem Rahmen aufgestellt werden. Dafür sollten die Mitgliedstaaten klare Ziele definieren, die Anleitung für nationale und europäische Planungs- und Entscheidungsprozesse geben.

Fähigkeiten planen und aufbauen: Ausreichend Fachpersonal für Einsätze

Die Bundesregierung sollte sich für einen koordinierten Planungsvorgang der Mitgliedstaaten einsetzen, der Personalbedarf identifiziert, um diesen nach fairen Quoten und einem realistischen Zeitplan bereitstellt. Außerdem sollte im öffentlichen Dienst mit Auslandseinsätzen geplant werden, zum Beispiel in der ohnehin bereits von Personalmangel betroffenen Justiz.

Handlungsfähigkeit stärken: Institutionelle Entscheidungsfindung

Im entsprechenden Krisenfall sollte sich der FAC verlässlich auf Missions­größe und Mandat verständigen können, da die strategischen Ziele eine gemeinsame Handlung vorbereitet haben. Zusätzlich könnte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass der FAC nach Artikel 44 eine Gruppe von Staaten mit der Durchführung beauftragen oder mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann.

Bibliografische Angaben

Schimmel, Florence. “Ziviles Krisenmanagement der EU stärken .” German Council on Foreign Relations. September 2021.

DGAP Memo Nr. 10, September 2021, 4 Seiten



In dieser Memo-Reihe bietet die DGAP fundierte Analysen zu Bereichen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, die die nächste Legislaturperiode prägen werden

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