Unabhängig von Donald Trumps Drohungen und Verärgerung über zahlungsunwillige NATO-Europäer und vermeintlich undankbare Ukrainer: Es ist unwahrscheinlich, dass der US-Präsident den amerikanischen Nuklearschirm schließt. Dies würde den USA selbst Schaden zufügen und die amerikanische Rüstungsindustrie schwächen. |
Um dennoch für den Fall eines Schwindens des amerikanischen Nuklearschutzes gewappnet zu sein, sollte die nukleare Kooperation zwischen den beiden europäischen Nuklearmächten Frankreich und Großbritannien intensiviert werden. |
Darüber hinaus sollte der Austausch zwischen den nuklearen und nicht-nuklearen Europäern verstärkt werden – ein positives Beispiel hierfür liefert seit Jahrzehnten die Nukleare Planungsgruppe der NATO. Diese kann als Modell dienen. |
Bereits vor der US-Präsidentschaftswahl 2024 gab es in Deutschland eine öffentliche Debatte über die Verlässlichkeit des amerikanischen Nuklearschirms, die eine Reihe von Merkwürdigkeiten hervorbrachte. Da wurde von einem europäischen „roten Knopf“ fabuliert, der durch die Hauptstädte der EU gereicht werden sollte, oder von 1.000 Atomsprengköpfen, die Deutschland von den USA kaufen könne, um dadurch Nuklearmacht zu werden.
Nun, nach nur wenigen Wochen im Amt, in denen sich Donald Trump demonstrativ auf die Seite Russlands zu schlagen scheint und damit die Grundlagen der transatlantischen Sicherheitsbeziehungen aufkündigt, stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit des amerikanischen Nuklearschutzes für die europäischen Verbündeten erneut und in verschärfter Weise. Was geschieht, wenn die USA ihr langjähriges nukleares Sicherheitsversprechen im Rahmen der NATO widerrufen und das System der „erweiterten Abschreckung“ beenden? Wie kann Europa eine nukleare Abschreckung gegenüber einem aggressiven und revanchistischen Russland aufrechterhalten und welche Schritte müssen unternommen werden?
1. Wird der Nuklearschirm geschlossen?
Zunächst stellt sich die Frage, wie wahrscheinlich es überhaupt ist, dass Washington das bestehende nukleare Sicherheitsversprechen für die nicht-nuklearen Verbündeten zurückzieht. In seiner ersten Amtszeit hatte Präsident Trump sich als starker Befürworter der nuklearen Abschreckung gegeben, und der unter seine Ägide verabschiedete „Nuclear Posture Review“ bekannte sich klar zu den amerikanischen nuklearen Bündnisversprechen. Auch herrscht in den USA nach wie vor ein breiter überparteilicher Konsens zur Notwendigkeit nuklearer Waffen und zur erweiterten nuklearen Abschreckung – ohne die Fähigkeit, Russland und China abzuschrecken, verlören die USA ihren Supermachtstatus. Im Oktober 2023 präsentierte die überparteiliche „Congressional Commission on the Strategic Posture of the United States“ ihren Abschlussbericht, in dem sich Republikaner und Demokraten einstimmig zur nuklearen Abschreckung bekennen und neue nukleare Fähigkeiten für eine glaubwürdige Abschreckung in Europa und im Indo-Pazifik fordern.
Zwar mögen solche Festlegungen angesichts der Sprunghaftigkeit des gegenwärtigen Präsidenten und seiner neuen pro-russischen Ausrichtung keine Bedeutung mehr haben. Dennoch gibt es einige Faktoren, die vermutlich nicht dem Präsidenten, wohl aber dem amerikanischen Sicherheitsestablishment bewusst sind und die für den Erhalt der „Extended Deterrence“ sprechen:
- Der amerikanische Nuklearschirm für die Verbündeten war auch stets ein Instrument der nuklearen Nichtverbreitung. Das Nuklearversprechen der USA hat verhindert, dass weitere europäische oder asiatische Staaten nach eigenen Kernwaffen strebten. Würde die Glaubwürdigkeit dieses Schirms in Europa zerstört, hätte dies auch Auswirkungen auf die Verbündeten in Asien. Länder wie Südkorea, Japan oder Australien könnten eigene Kernwaffen entwickeln, um ihre Abschreckungsfähigkeit gegenüber China oder Nordkorea zu sichern. Eine solche Proliferation von neuen Nuklearmächten hat Washington stets zu verhindern versucht. Zudem dürfte die Trump-Administration auf die Verbündeten im asiatisch-pazifischen Raum besonderen Wert legen, wenn man China als den Hauptgegner betrachtet.
- Die nukleare Abschreckung der NATO, also die im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ in Europa stationierten amerikanischen Atombomben für europäischen Trägersysteme, wird gerade jetzt verstärkt. Die in Deutschland, Belgien, Italien und den Niederlanden gelagerten B-61-Atombomben werden durch eine neue, modernisierte Version (B61-12) ersetzt. Außerdem haben alle diese Länder das amerikanische F-35 Kampfflugzeug als Trägersystem beschafft. 2026 soll Deutschland den ersten der 35 bestellten F-35 Jagdbomber ausgeliefert bekommen. Darüber hinaus werden die US-Waffenlager in Europa – wie etwa die deutsche Nuklearbasis in Büchel – derzeit modernisiert, um die neuen Waffentypen aufnehmen zu können.
- In Großbritannien, das seit 2008 nicht mehr über amerikanische Atombomben im eigenen Land verfügte, treffen die USA derzeit Vorbereitungen, um die B61-12 stationieren zu können. Im ehemaligen Nuklearstützpunkt Lakenheath werden die noch vorhandenen US-Lagerstätten entsprechend modernisiert und zur Aufnahme der Bomben befähigt. Ob amerikanische Kernwaffen dort dauerhaft stationiert werden oder ob Lakenheath lediglich als Ausweichquartier zusätzlich zu den kontinentaleuropäischen Lagerstätten fungieren soll, ist derzeit nicht öffentlich bekannt. In jedem Fall bedeutet die Errichtung einer weiteren Kernwaffenbasis in Nordeuropa eine Stärkung der nuklearen Glaubwürdigkeit der NATO.
Unabhängig von Donald Trumps Verärgerung über zahlungsunwillige NATO-Europäer und vermeintlich undankbare Ukrainer scheint die amerikanische Abschreckung im Rahmen der NATO derzeit stabil. Davon abzuweichen würden den USA selbst Schaden zufügen und die amerikanische Rüstungsindustrie (F-35) schwächen.
2. Hoffnung ist keine Strategie – den Worst-Case denken
Ungeachtet der oben genannten Faktoren und Wahrscheinlichkeiten ist nicht auszuschließen, dass Donald Trump allen Eigeninteressen zum Trotz das amerikanische Engagement im Rahmen der NATO und damit auch den Nuklearschutz für Europa aufkündigt. Wie könnte Europa in einer solchen Extremsituation agieren?
Zwei Optionen, die gelegentlich in Deutschland aufgebracht wurden, dürften mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Deutschland wird – entgegen dem Vorschlag vereinzelter Akademiker und rechtsextremer Politiker – keine eigenen Kernwaffen entwickeln. Die Bundesrepublik hat sich sowohl im Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) als auch im Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Deutschen Einheit verpflichtet, nicht nach eigenen Atomwaffen zu streben. Es gibt keine demokratische politische Kraft in Deutschland, die an dieser Selbstbindung ernsthaft rüttelt. Auch würde der Aufbau einer Kernwaffenfähigkeit einschließlich der Trägersysteme gewaltige Summen verschlingen, die in keinem Verhältnis zu einem möglichen Nutzen stünden – von den politischen Signalen, die ein deutscher Griff nach der Bombe senden würde, ganz zu schweigen.
Ebenfalls unrealistisch ist die immer wieder eingebrachte Idee einer europäischen Nuklearfähigkeit im Rahmen der Europäischen Union. Die EU verfügt nicht über eine gemeinsame Regierung, deren Regierungschefin oder -chef über den Einsatz der Kernwaffen bestimmen könnte. Sich bei einer vitalen Bedrohung erst in stundenlangen Brüsseler Nachtsitzungen auf eine nukleare Reaktion – womöglich noch als Mehrheitsentscheidung - verständigen zu müssen, ist illusorisch und hätte keinerlei Abschreckungseffekt.
Im gleichen Atemzug wurde oft der Gedanke formuliert, dass Frankreich, nachdem Großbritannien durch den EU-Austritt nicht mehr zur Verfügung steht, als nukleare Garantiemacht für die EU eintreten könne. Dem stand bislang aber stets entgegen, dass die Regierung in Paris die Idee der „Erweiterten Abschreckung“, also dass ein Nuklearstaat atomare Sicherheitsgarantien für einen nicht-nuklearen Verbündeten übernehmen könne, seit jeher ablehnte. Für Frankreich waren Kernwaffen immer nationale Waffen, die nur das eigene Territorium schützen können. Deshalb hatte Frankreich sein eigenes Nuklearpotential entwickelt, statt sich auf den Schirm der USA zu verlassen.
Wenn also Alternativen für das Worst-Case-Szenario, sprich das Ende des US-Nuklearschutzes, diskutiert werden, kann das weder auf nationaler Ebene noch innerhalb der Europäischen Union geschehen. Eine –wenn auch begrenzte – nukleare Abschreckung ohne die USA kann nur im Rahmen des europäischen Pfeilers der NATO gedacht werden. Denn in diesem ist Großbritannien als zweite europäische Atommacht ebenso einbezogen wie militärisch und geopolitisch bedeutsame Staaten wie Norwegen.
3. Die Kernwaffen Frankreichs und Großbritanniens
Die beiden europäischen nuklearen Mitglieder der NATO, Großbritannien und Frankreich, haben von Anbeginn zur Gesamtabschreckung der NATO beigetragen. Seit der Erklärung von Ottawa im Jahr 1974 hat die NATO stets betont, dass sich deren Abschreckungseffekt aus der Tatsache ergibt, dass sie einen potenziellen Angreifer mit zwei weiteren unabhängigen nuklearen Entscheidungszentren konfrontieren, deren mögliche Reaktionen er in sein Risikokalkül einbeziehen muss.
Großbritannien verfügt über etwa 225 Kernsprengköpfe, von denen maximal 120 einsatzfähig sein sollen. Sie basieren auf einem US-Sprengkopfdesign und werden von amerikanischen Trident-Raketen getragen, die wiederum von britischen U-Booten gestartet würden. Eines der vier britischen Atom-U-Boote befindet stets auf See und garantiert dadurch eine permanente Abschreckungsfähigkeit (CASD – Continuous At Sea Deterrent). London hat seine Nuklearmacht von Anfang an in den Rahmen der NATO gestellt und damit implizit ein Nuklearversprechen gegenüber den übrigen Bündnismitgliedern gegeben. Allerdings hat Großbritannien trotz seiner engen Anbindung an den Nuklearkomplex der USA eine eigene Zielplanung entwickelt und behält sich vor, seine Atomwaffen auch unabhängig einsetzen zu können, falls „supreme national interests“ berührt sind.
Frankreich verfügt über etwa 290 atomare Sprengköpfe, die sowohl von Flugzeugen als auch von U-Booten eingesetzt werden können. Die Regierung in Paris hat, wie zuvor erwähnt, stets Wert auf die völlige Unabhängigkeit der eigenen Abschreckungsmacht gelegt. Frankreich hat zwar amerikanische Hilfe bei der Raketentechnik akzeptiert, die nuklearen Komponenten aber selbst entwickelt. Damit befindet sich das französische Nuklearpotential strikt außerhalb der NATO-Strukturen; Frankreich nimmt somit auch nicht an Sitzungen der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) teil, in der sich nukleare und nicht-nukleare NATO-Staaten austauschen.
Seit den 1990er Jahren hatte Frankreich mehrmals an Deutschland Angebote zum Nukleardialog unterbreitet. So sprach Präsident Jacques Chirac 1995 von der „konzertierten Abschreckung“, die man zusammen mit Deutschland im Rahmen der Europäischen Union formen wolle. Alle deutschen Regierungsoberhäupter seit Helmut Kohl sind solchen Angeboten mit Skepsis begegnet, aus Angst, einen anti-amerikanischen Einschlag zu nehmen und missverständlichen Signale an Washington zu senden. Gleichzeitig hat sich Frankreich nie zu einem mit dem nuklearen Sicherheitsversprechen der USA vergleichbaren Angebot durchgerungen, weil man die „erweiterte Abschreckung“ für grundsätzlich unglaubwürdig hielt.
Nun deutet sich allerdings eine Zeitenwende in der französischen Nukleardoktrin an, bedingt durch die aktuelle US-Politik. Hatte Präsident Emmanuel Macron 2020 den europäischen Partnern noch eher vage einen nuklearstrategischen Dialog angeboten, um die „strategische Kultur“ in Europa zu fördern, ging er Anfang März 2025 über alle bisherigen französischen Angebote hinaus. In seiner Rede an die Nation erklärte er, eine strategische Debatte über den Schutz der Verbündeten auf dem europäischen Kontinent durch die französische nukleare Abschreckung zu eröffnen. Zwar ist auch diese Erklärung noch weit von einem nuklearen „Commitment“ entfernt, sie bricht aber mit einem Kernelement der französischen Nukleardoktrin, die stets mit dem Motto „le nucléaire ne se partage pas“ – das Nukleare teilt man nicht – zusammengefasst wurde. Hier könnten sich somit neue Möglichkeiten für eine europäische nukleare Abschreckung eröffnen.
Ohne die USA würde NATO-Europa über ein nukleares Abschreckungspotential von etwa 500 Sprengköpfen verfügen. Dies hätte allein deshalb eine gewisse Glaubwürdigkeit, da Frankreich und Großbritannien geografisch näher an der russischen Bedrohung liegen als die USA.
Würden aber diese eher kleinen Arsenale wirklich ausreichen, um die weltweit zweitgrößte Nuklearmacht Russland abzuschrecken? Dies lässt sich nicht beantworten, da die Frage des „How much is enough?“ nicht im Voraus zu beantworten ist. Allerdings ist nukleare Abschreckung bei allen technisch-mathematischen Kalkulationen über Anzahl, Größe oder Ausrichtung der Kernwaffen vor allem ein politisches Konzept, das auf die Kosten-Nutzen-Kalkulation des Angreifers zielt. Könnte sich Moskau bei einem möglichen Angriff auf Polen oder die Baltischen Staaten sicher sein, dass London und Paris nicht nuklear reagieren würden? Verkalkuliert man sich, wäre der Schaden für Russland so gewaltig, dass jeder erhoffte „Nutzen“ des Angriffs weit übertroffen würde. Das war stets die Begründung Frankreichs für den Erhalt seines vergleichbar kleinen Kernwaffenarsenals während des Ost-West-Konflikts: Man könne – so hieß es in Paris – den Bären zwar nicht erlegen, ihm aber sehr wohl eine Tatze abreißen. Das Wissen um diese Gefahr würde Moskau von unbedachten Aggressionen abhalten.
Heißt das, dass der amerikanische Nuklearschutz leicht ausgeglichen werden könnte? Natürlich nicht, aber ohne ihn würde die Abschreckung in Europa gegenüber Russland jedenfalls nicht völlig verschwinden. Er kann in seiner Glaubwürdigkeit erheblich verstärkt werden, indem gegenüber Russland europäische Ge- und Entschlossenheit demonstriert wird. Dies gilt sowohl für die beiden europäischen Nuklearstaaten als auch für ihre nicht-nuklearen NATO-Partner.
4. Europäische Nuklearkooperation
Trotz ihrer gravierenden nuklearstrategischen Unterschiede haben sich Frankreich und Großbritannien bereits seit den frühen 1990er Jahren im Rahmen der „Joint Nuclear Commission“ ausgetauscht. In der sogenannten Chequers Declaration erklärten beide Länder 1995 die enge Übereinstimmung ihrer vitalen Interessen und im November 2010 wurde die britisch-französische Kooperation in den „Lancaster House“-Verträgen ausformuliert. In diesen Abkommen ging es vor allem um technische Kooperation und gemeinsame Forschung, da keiner der beiden Partner willens war, sich in die geheimen Bereiche der Nukleardok-trin oder Zielplanung blicken zu lassen.
Nach einem vielversprechenden Beginn der Kooperation hatten die Wirren um den britischen EU-Austritt und später die französische Verärgerung über das amerikanisch-britisch-australische AUKUS-Abkommen die nukleare Zusammenarbeit beider Länder erschwert. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind die Kontakte wieder deutlich intensiviert worden.
Mittlerweile haben beide Länder den nuklearen Austausch auch auf andere europäischen NATO-Mitglieder ausgeweitet. Frankreich hat seine bislang rein französische Nuklearübung „Operation Poker“ vorsichtig für europäische Verbündete geöffnet, und im April 2023 lud Paris die NATO-Botschafter erstmalig auf die französische Atomwaffenbasis „Ile Longue“ ein. Im Oktober 2024 unterzeichneten Deutschland und Großbritannien ein verteidigungspolitisches Kooperationsabkommen, in dem explizit Gespräche über nukleare Fragen vereinbart wurden.
Die jüngsten Entwicklungen in den USA haben der Frage des engen sicherheitspolitischen Zusammenwirkens der NATO-Europäer auch im Nuklearbereich eine neue Dringlichkeit verliehen. Anders als in Donald Trumps erster Amtszeit, als einzelne NATO-Staaten durch demonstratives Wohlverhalten bilaterale Sicherheitsvereinbarungen mit den USA zu schmieden versuchten, ist dies nach der grotesken Schuldumkehr des Präsidenten, der die Ukraine als Aggressor brandmarkte, gerade für die Osteuropäer nicht mehr möglich. Entsprechend geschlossen tritt man derzeit in der EU und in der NATO auf.
5. Für eine europäische Nukleare Planungsgruppe
Um für den Fall eines Schwindens des amerikanischen Nuklearschutzes gewappnet zu sein, sollte zunächst die nukleare Kooperation zwischen den beiden europäischen Nuklearmächten intensiviert werden. Weder wird Paris von seiner nuklearen Unabhängigkeit abrücken wollen, noch wird London seine nuklearen Sonderbeziehungen zu den USA beenden. Im Rahmen dieser Grenzen könnten Frankreich und Großbritannien aber weit enger zusammenrücken und einen Austausch über solch sensible Fragen wie die nuklearen Einsatzgrundsätze beginnen. Ein solch vertrauensvoller Austausch würde ein Bild der Einigkeit vermitteln und die Abschreckung insgesamt stärken.
Darüber hinaus sollte der Austausch zwischen den nuklearen und nicht-nuklearen Europäern verstärkt werden – ein positives Beispiel hierfür liefert seit Jahrzehnten die Nukleare Planungsgruppe der NATO. Zu Beginn des Nuklearzeitalters behandelten die USA Nuklearfragen sehr restriktiv und ließen ihre NATO-Verbündeten weitgehend im Unklaren. Je mehr amerikanische Kernwaffen in Europa stationiert wurden, desto drängender wurde der Wunsch der Europäer nach Information und Mitsprache – nicht, um über Kernwaffeneinsätze mit entscheiden zu können, sondern um die Einsatzszenarien zu erfahren, wäre man von den Folgen doch am stärksten betroffen gewesen. Zu diesem Zweck des Informationsaustauschs wurde 1966 die Nukleare Planungsgruppe gegründet, in der die USA mit ihren NATO-Verbündeten (außer Frankreich) über Nuklearfragen debattierten. Dabei ging es auch um solch wichtige Fragen wie die nukleare Zielplanung oder darum, ob und wie die Verbündeten vor einem Kernwaffeneinsatz konsultiert werden sollten.
In den Folgejahren wurden die Nicht-Nuklearstaaten sogar aktiv in mögliche nukleare Einsätze einbezogen. Unter dem Kürzel SNOWCAT (Support for Nuclear Operations With Conventional Air Tactics – kürzlich umbenannt in CSNO, Conventional Support for Nuclear Operations) würden Nicht-Nuklearstaaten konventionelle Unterstützung wie etwa Luftbetankung, Aufklärung oder Unterdrückung der gegnerischen Luftabwehr liefern. Entsprechende Szenarien wurden und werden in regelmäßigen Nuklearübungen wie etwa „Steadfast Noon“ durchgespielt.
Diese Erfahrungen in der NPG könnten sich die NATO-Europäer zu eigen machen, falls die USA aus dem nuklearen Abschreckungsverbund der NATO ausscheiden sollten. Frankreich und Großbritannien würden, je nach eigener Bewertung, nuklearrelevante Informationen mit den Verbündeten teilen, die an einem solchen Verfahren teilnehmen möchten. Ziel ist, wie auch in der NPG, nicht die Mitentscheidung, sondern der Informationsaustausch und eventuell gemeinsame Positionen zu Grundfragen der Abschreckung, die wiederum ein Bild der Geschlossenheit vermitteln würden.
In einem weiteren Schritt könnte das CSNO-Modell übertragen werden. Frankreich und Großbritannien würden konventionelle Unterstützung von ihren Verbündeten bei möglichen Kernwaffeneinsätzen erhalten und dies in regelmäßigen Übungen – auch als Abschreckungssignal an Russland – demonstrieren.
In einem weiteren Schritt könnte Frankreich mit seinen nuklearfähigen Rafale-Trägerflugzeugen regelmäßig Stützpunkte der Verbündeten anfliegen. Dies wäre zwar nicht mit der amerikanischen Stationierung von Kernwaffen auf europäischem Boden vergleichbar, würde aber ebenfalls ein politisches Signal an Moskau senden. Ob Frankreich sich jemals entschließen könnte, eigene Kernwaffen außerhalb des französischen Territoriums zu stationieren, ist derzeit nicht absehbar.
All diese Überlegungen gelten nur für den unwahrscheinlichen Fall, das sich die USA tatsächlich aus der NATO und ihrem nuklearen Abschreckungsverbund zurückziehen. Solange dies nicht geschieht, bleibt die NATO der Kern der nuklearen Abschreckung in Europa. Gleichzeitig wird klar, dass NATO-Europa selbst in dieser Extremsituation nicht ohne eine Abschreckungsfähigkeit zurückbliebe. Um auch für einen solchen Fall gewappnet zu sein, sollten jedoch entsprechende Konsultationen zwischen Frankreich, Großbritannien und den nicht-nuklearen Verbündeten so rasch wie möglich aufgenommen werden.