Policy Brief

16. Febr. 2024

Russlands Krieg gegen die Ukraine

Wie der Westen Russland die Eskalationsdominanz nehmen kann
Olaf Scholz trifft Wolodymyr Selensky Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) triftt am 16.02.2024
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Die russische Führung hat keinen Masterplan für den Krieg gegen die Ukraine, sondern reagiert in erster Linie auf Entwicklungen auf dem Schlachtfeld sowie auf westliches Handeln und Nichthandeln. Um den Machthabern in Moskau die Eskalationsdominanz zu nehmen, sollte der Westen langfristig in die Unterstützung der Ukraine sowie die eigene Sicherheit investieren. Putins Regime muss deutlich gemacht werden, dass es den Krieg nicht gewinnen kann. Fest steht auch: Nachhaltigen Frieden durch Verhandlungen kann die Ukraine nur mit Sicherheits­garantien erreichen.

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Kernpunkte

Auch wenn Russland derzeit die Oberhand im Krieg gegen die Ukraine hat: Einen echten Rüstungswettbewerb mit dem Westen kann es aufgrund seiner begrenzten Ressourcen nicht gewinnen. Umso wichtiger ist es für das Regime, Ängste vor einem Sieg der Ukraine zu schüren. 

Russland steht vor dem Dilemma, nach innen die Illusion von ­Normalität aufrechtzuerhalten und nach außen zu verdeutlichen, dass es für einen langen Krieg bereit ist. So wächst der Druck, ­irgendwann in Verhandlungen zu gehen.

Da dieser Krieg nicht auf dem Schlachtfeld gewonnen wird, muss die Ukraine aus einer Position der Stärke in zukünftige ­Verhandlungen gehen. Dazu sind Sicherheitsgarantien des Westens eine zentrale Voraussetzung. 

Die Absicherung im Rahmen eines Abkommens sollte auch durch die Einbindung des Globalen Südens sowie von Akteuren wie China und Indien erfolgen. 

 

Zu Beginn des dritten Jahres des russischen Angriffskrieges hat das Regime in Moskau seine Strategie für den Krieg angepasst und scheint die Oberhand zu gewinnen. Die ukrainische Gegenoffensive brachte 2023 keine relevanten Gebietsgewinne und die westliche Unterstützung für die Ukraine bröckelt zunehmend im Jahr der Europa- und US-Präsidentschaftswahlen. Entgegen geschickt in westlichen Leitmedien lancierten Signalen von Verhandlungsbereitschaft setzt die Regierung in Moskau tatsächlich auf die Schwächung des Widerstands in der Ukraine, mit massiven Luftangriffen auf zivile Infrastruktur in den kältesten Monaten des Jahres und einer Zersetzung des westlichen Unterstützungswillens.[1] Das aus russischer Sicht vorherrschende Gefühl, die Zeit spiele für Russland, wird durch die versteckte oder offene Unterstützung des Globalen Südens für das Land, im Zeichen einer Verschiebung der Machtgleichgewichte zu Ungunsten des Westens, noch verstärkt. 

Russlands Strategie verstehen

Trotz vorherrschendem Optimismus ist sich ­Russland darüber im Klaren, dass es weder technologisch noch hinsichtlich der finanziellen Ressourcen und Produktionskapazitäten den Krieg gegen die Ukraine gewinnen kann, sollte der Westen tatsächlich in einen ernsthaften Rüstungswettbewerb eintreten. Deshalb ist es für die russische Führung umso ­wichtiger, Ängste in den EU-Mitgliedstaaten und den USA über Risiken, die mit einem Sieg der Ukraine verbunden sein können, zu schüren und die Bereitschaft zu demonstrieren, einen langen Krieg führen zu können. Weiterhin geht man im Kreml davon aus, dass die US-Präsidentschaftswahl die Einigkeit im Westen bei der Unterstützung der Ukraine weiter erschüttern wird und eine Wiederwahl Donald Trumps auch den Zusammenhalt in der NATO schwächen könnte. Davor würde es somit keinen Sinn machen, in ­Verhandlungen einzutreten.

Gerade weil Russlands Erfolg und Ressourcen begrenzt sind, schürt die nationale Propaganda gezielt Narrative russischer Stärke, ukrainischer Schwäche und einer Spaltung des Westens. 

Auch wenn das Vorgehen in Moskau der imperialen Zielsetzung entspricht, die Ukraine zu zerstören und die Neujustierung der internationalen Ordnung ohne westliche Dominanz umzusetzen: Die taktischen Schritte des Kremls folgen keinem vorgefertigten Masterplan, sondern sind vielmehr opportunistische Reaktion auf das Handeln beziehungsweise Nichthandeln des Westens. Bisher musste Putins Regime immer wieder seine Kriegsziele anpassen, da es den Kampfeswillen der Ukraine sowie die westliche Reaktion auf den Krieg unterschätzt hat. Dabei haben die Signale, die die deutsche Bundesregierung, die EU-Mitgliedstaaten und die USA aussenden, klare Auswirkungen auf die Kalkulationen im Kreml. 

Gerade weil Russlands Erfolg und Ressourcen begrenzt sind, schürt die nationale Propaganda gezielt Narrative russischer Stärke, ukrainischer Schwäche und einer Spaltung des Westens. 

Je unentschlossener die westliche Seite über eine weitere Unterstützung der Ukraine diskutiert, desto mehr werden genau diese Unsicherheiten durch Desinformation und massive Attacken auf die ­Ukraine verstärkt. Wladimir Putins ausführliches Interview mit dem US-Fernsehmoderator Tucker Carlson sollte auch im Kontext dieser Desinformations- und Zersetzungsstrategie gesehen werden.[2] Dabei wird immer deutlicher, dass die russische Führung zunehmend in einen Konflikt gerät zwischen dem innenpolitischen Narrativ, der Krieg werde die russische Bevölkerung kaum betreffen, und der nach außen verbreiteten Behauptung, Russland sei in der Lage, grenzenlos Ressourcen in einem langen Krieg einzusetzen. Deshalb sollte das Interesse des Kremls zunehmen, den Krieg zumindest mittelfristig zu beenden.

Zwar hat die russische Führung die Wirtschaft stabilisiert, Möglichkeiten zur Umgehung von Sanktionen geschaffen und die Waffenproduktion massiv hochgefahren. Putin stimmt die russische Gesellschaft und das Militär auf einen langen Krieg ein. Die ­russische Wirtschaft wird zunehmend auf Kriegswirtschaft umgestellt, die Konsolidierung des Regimes und seiner Eliten erfolgt immer stärker durch den Krieg, und viele Russen profitieren von den enormen staatlichen Ausgaben für diesen Krieg. Dennoch steht diese Politik auf tönernen Füßen: Je länger die Sanktionen andauern und der Krieg fortgesetzt wird, umso höher sind die volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten und umso mehr Menschen werden in den Krieg hineingezogen. Der jüngste Protest der Soldatenfrauen[3] und die enorme Unterstützung für den (scheinbar) unabhängigen Kandidaten ­Nadeschdin sind eine Warnung, wenngleich sie kurzfristig nichts an der Haltung oder der Kalkulation des Kremls ­ändern werden. 

Dabei ist es für das Regime wichtig, den Eindruck zu erwecken, dass das Leben in Russland trotz des Krieges normal weitergehe und nur ein begrenzter Teil der Bevölkerung direkt davon betroffen sei. Diese Botschaft schränkt jedoch auch die Möglichkeiten der Machthaber im Kreml ein, breit Soldaten zu mobilisieren, und verhindert bisher, das Land vollständig auf Kriegswirtschaft umzustellen. Je länger der Krieg dauert, umso schwieriger wird es sein, diese Illusion aufrechtzuerhalten. Verstärkte Anzeichen der Wirkung der Sanktionen wie der Ausfall der Stromversorgung in einigen russischen Regionen und die teilweise Abschaltung von 4G-Internet zeigen die Grenzen ­dieser Politik.[4]

Unklarheit über westliche Ziele beseitigen

Der scheinbaren Stärke Russlands steht eine relative Schwäche des Westens gegenüber. Läuft der Krieg so weiter wie bisher, spielt die Zeit verstärkt gegen die Ukraine, aber auch gegen die westlichen Verbündeten. Zwar hat es die Ukraine geschafft, 50 Prozent des von Russland nach Februar 2022 okkupierten Territoriums zu befreien und den Manövrierraum Russlands im Schwarzen Meer einzuschränken. Eine weitere Rückeroberung ukrainischen Territoriums stößt aber auf strukturelle Grenzen, die eng mit politischen Entscheidungen in westlichen Hauptstädten verbunden sind. Einerseits ist der Westen bisher nicht bereit, der Ukraine die Waffen zu liefern, die sie benötigt, um weiteres von Russland besetztes Gebiet im Osten und Süden zurückzuerobern. Andererseits hat es insbesondere Europa versäumt, die Produktion von Munition und Waffen so hochzufahren, dass sie die Ukraine in die Lage versetzen kann, sich ausreichend zu verteidigen oder gar in diesem Jahr eine erneute Offensive zur Rückeroberung von Territorien zu beginnen. 

Ein grundsätzliches Dilemma in der westlichen Unterstützung der Ukraine ist, dass die Regierung in Kiew und vor allem zentrale westliche Akteure in Washington und Berlin unterschiedliche Kriegs­ziele definiert haben. Während Präsident Selenskyj das Maximalziel einer Rückeroberung aller Gebiete in den Grenzen von 1991 anstrebt[5], geht es wichtigen westlichen Bündnispartnern bisher immer „nur“ darum, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert. 

Ein grundsätzliches Dilemma in der westlichen Unterstützung der Ukraine ist, dass die Regierung in Kiew und vor allem zentrale westliche Akteure in Washington und Berlin unterschiedliche Kriegs­ziele definiert haben.

Dieser Ansatz impliziert die Erwartung, irgendwann mit Putins Regime über einen Waffenstillstand zu verhandeln, was die Ukraine in eine ähnliche Situation wie zur Zeit der Minsker Verhandlungen nach 2014 bringen könnte, die in zwei Minsker Abkommen mündete, die jedoch die Ukraine vor allem verletzlich gemacht haben. So würde das Land erneut Kompromissen zustimmen, die keine dauerhafte Befriedung garantieren. Ein „Minsk III“[6] kann keine Option für die Ukraine sein, solange es keine westlichen Sicherheitsgarantien gibt. Zwar wollen die USA das Regime in Russland schwächen, es aber nicht unbedingt in eine Niederlage zwingen. Vor allem in Deutschland und den USA gibt es Befürchtungen, dass bei einer Rückeroberung der Krim oder bei Angriffen auf russisches Territorium eine nukleare Eskalation möglich wäre. Verantwortliche Politik hat zweifellos die Aufgabe, solche Risiken ernst zu nehmen. Sie darf sich dennoch nicht durch überzogene Angst lähmen lassen, denn darauf spekuliert Putin. Eine nukleare Eskalation erscheint eher unwahrscheinlich. Dass diese trotz westlicher Waffenlieferungen und trotz wiederholter russischer Drohungen bisher ausgeblieben ist, zeigt, dass die nukleare Abschreckung der NATO funktioniert. Ein Einsatz von Massenvernichtungs- oder Nuklearwaffen würde auch von Ländern wie China und Indien sanktioniert werden. Beides sind wichtige Abnehmer von russischen Rohstoffen und enge Wirtschaftspartner und Technologielieferanten für das Land. 

Vier Elemente einer westlichen Strategie

Wichtig ist es, der russischen Führung eine auf Dauer angelegte Strategie entgegenzusetzen, die sowohl der Führung in Moskau als auch der ukrainischen Bevölkerung deutlich macht, dass aufgrund glaubhafter westlicher Unterstützung der Ukraine Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann. Diese Strategie sollte entlang folgender vier Elemente ausgerichtet sein: 

Erstens sollte die westliche Abschreckung im Rahmen der NATO ausgebaut werden, das heißt vor allem, dass die europäischen NATO-Staaten massiv und nachhaltig in die Ausstattung und Handlungsfähigkeit ihrer Armeen investieren müssten. Dies ist auch für die eigene Sicherheit wichtig, da mit oder ohne einen Sieg von Donald Trump die Europäer zukünftig wesentlich mehr für ihre Sicherheit tun müssen. 

Zweitens gilt es, die Ukraine langfristig mit Waffen und Munition zu unterstützen sowie bilaterale Sicherheitskooperationen auszubauen, solange Sicherheitsgarantien der NATO ausgeschlossen werden. Hierbei geht es um eine kurz-, mittel- und langfristige Planung der Unterstützung der Ukraine, die mit Kosten verbunden sein wird, aber zentral für das europäische Sicherheitsinteresse ist. Die westliche Unterstützung der Ukraine wird gegenüber Russland nur durch eine NATO- und EU-­Integration des Landes glaubhaft. Dabei sollte klar sein, dass der Kreml keinerlei Veto hinsichtlich einer solchen ­Integration haben darf.

Eine Alternative zu einem mittelfristigen NATO-Beitritt der Ukraine kann es nicht geben.

Es ist zudem wenig sinnvoll, öffentlich gebetsmühlenhaft zu wiederholen, die Ukraine könne der NATO erst nach Beendigung des Krieges beitreten. Eine solch offenkundig präsentierte Verknüpfung der Mitgliedschaft mit dem Ende des Krieges erhöht nur die russischen Anreize zu dessen Fortsetzung. Eine Alternative zu einem mittelfristigen NATO-Beitritt der Ukraine kann es nicht geben, wie auch der frühere US-Außenminister Henry Kissinger wenige Monate vor seinem Tod feststellte.[7] Neutralität hat Russland mit seinem Angriffskrieg als Option ausgeschlossen. Diese würde zu keiner Befriedung, sondern zur Fortsetzung von Unsicherheit und weiteren russischen Interventionen führen. Eine Ukraine, die in der Allianz verankert ist, ist auch für den Westen kalkulierbarer als eine, die sich in einer Grauzone bewegt. 

Im nächsten Schritt sollte es darum gehen, eine Road Map für einen Beitritt der Ukraine zur NATO zu entwickeln, die mit bilateralen Sicherheitsgarantien beginnt und in eine Strategie bis zum Beitritt mündet. Russland sollte, wie im Falle Finnlands und Schwedens, darauf keinen Einfluss haben. Auch der Vorschlag, die Lieferung von Waffen an bestimmte Handlungen Russlands zu binden (etwa Taurus-Lieferungen bei massiven Angriffen auf zivile Infrastruktur), ist nicht zielführend[8]: Moskau würde diese Konditionalität testen und könnte dabei auch die westliche Solidarität weiter aushöhlen.

Drittens braucht es eine bessere Kommunikationsstrategie gegenüber der eigenen Bevölkerung in Europa und den USA, aber auch gegenüber der ­russischen Gesellschaft und Elite. Konsequenzen eines Zusammenbruchs der Ukraine (wie Flüchtlingsströme, Sicherheitsrisiken) müssen der europäischen Öffentlichkeit ebenso klar vor Augen geführt werden wie die langfristige Bedrohung von NATO-Gebiet durch Russland. Hier geht es auch darum, wichtige finanzielle und strategische Entscheidungen mit Blick auf ein verändertes Sicherheitsumfeld zu treffen und nachvollziehbar zu kommunizieren. Dabei ist die aktuelle Panikmache über einen möglichen Angriff Russlands auf die NATO nicht zielführend, da diese in Deutschland eher kontraproduktiv wirkt.[9] Sie spielt auch der russischen Desinformation über die Gefährlichkeit Russlands in die Hände und könnte den Wunsch stärken, falsche Kompromisse zu machen. Nötig ist eine sachliche und faktenbasierte Analyse der militärischen und ökonomischen Ressourcen Russlands. Westliche Beobachter tendieren dazu, Russland entweder zu über- oder zu unterschätzen. Klar ist: Dieser Krieg schwächt Russland technologisch und militärisch dauerhaft; ein Interesse in Moskau, NATO-Territorium auf absehbare Zeit anzugreifen, besteht nicht. Hier funktioniert die Abschreckung, zumal die NATO-Norderweiterung die Allianz weiter gestärkt hat. Dennoch: Die Aussicht auf einen möglichen US-Rückzug aus Europa sollte dazu führen, dass Europa jetzt beginnt, mehr Verantwortung in der NATO zu übernehmen sowie eigene Fähigkeiten zur Abschreckung aufzubauen. Ansonsten könnte die Regierung in Moskau die Handlungsfähigkeit europäischer NATO-Staaten testen. Das ist das eigentliche Risiko. 

Viertens  wird eine Demonstration westlicher Einig­keit und Entschlossenheit gerade auch mit Blick auf die Staaten des Globalen Südens wichtig sein. Russland, das Anfang 2024 den Vorsitz der BRICS-Staaten übernommen hat, sieht sich – auch aus Selbstüberschätzung – in der Führungsrolle einer „globalen Mehrheit“, die eine nicht-westliche Weltordnung errichten will. Mehr denn je ist es Aufgabe des Westens, die Länder des Globalen Südens davon zu überzeugen, dass ein Sieg Russlands nicht in ihrem Interesse sein kann. Dabei gilt es vor allem die Doppelbödigkeit russischer Propaganda aufzuzeigen, die einerseits eine gerechtere Weltordnung fordert, aber andererseits Nachbarstaaten in ihrer Souveränität bedroht. Eine erfolgreiche Strategie gegenüber dem Globalen Süden wird aber nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, China stärker einzubinden. Auch vor diesem Hintergrund muss der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine noch stärker auf die US-amerikanisch-chinesische Agenda. 

Verhandlungslösung mit Bedingungen anstreben

Eine Strategie oben skizzierter glaubhafter und robuster westlicher Unterstützung der Ukraine würde die Verhandlungsposition der Ukraine signifikant stärken. Erst dann könnten die Regierungen in Moskau sowie in Kiew ein ernsthaftes Interesse an Gesprächen über einen Waffenstillstand entwickeln. Im Falle der Ukraine erfolgt dies vor dem Hintergrund, dass eine Rückeroberung aller ukrainischer Territorien in den Grenzen von 1991 aktuell unrealistisch erscheint. Im Falle von Russland, weil es Gefahr liefe, dass sich die Kosten seiner Aggression weiter erhöhen und das Risiko von Geländeverlusten steigen würde. Dabei wäre ein Waffenstillstand (unter bestimmten Bedingungen) das Gegenteil einer von manchen westlichen Strategen befürchteten Teilkapitulation der Ukraine. Voraussetzung wäre, dass diesem neben robusten Sicherheitsgarantien auch verstetigte massive militärische, aber auch wirtschaftliche Hilfe für die Ukraine auf dem Weg zu einer EU-Mitgliedschaft vorausgehen würden. Die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg zwei Prozent ihres Bruttosozialprodukts für das European Recovery Program bereitgestellt. Zudem müsste das Abkommen durch internationale Gremien (z.B. P-5 plus Ukraine, Deutschland, Türkei) kontrolliert werden. Ebenso würde der ukrainische Anspruch auf von Russland okkupierte Gebiete, ähnlich wie im Falle des NATO-Beitritts Westdeutschlands 1955 bezüglich der DDR, nicht aufgegeben werden. 

Nachhaltiger Frieden ist nur möglich, wenn der ­Westen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt, die auch mit dazu geführt haben, dass Russland die Ukraine 2022 großflächig angegriffen hat. 

Ein Waffenstillstand wäre nur dann nachhaltig, wenn er in die Perspektive einer umfassenderen Verhandlungslösung im größeren Rahmen unter Einschluss von zentralen Akteuren (z.B. P-5, Deutschland, Türkei, Indien) eingebettet würde. Thematisch wären dabei auch der Wiederaufbau der Ukraine, die Verfolgung von Kriegsverbrechen, regionale Abrüstungs- und Sicherheitsregime, russisch-amerikanische Vereinbarungen zur strategischen Stabilität sowie die Aufhebung von Sanktionen zu besprechen. Gegenwärtig sind wir von einem solchen Szenario weit entfernt, da Russland, wenn überhaupt, nur zu maximalen Bedingungen an einem Waffenstillstand interessiert ist. 

Nachhaltiger Frieden ist nur möglich, wenn der ­Westen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt, die auch mit dazu geführt haben, dass Russland die Ukraine 2022 großflächig angegriffen hat. Dazu gehört unter anderem die Fehleinschätzung der entscheidenden Faktoren für den Einsatz militärischer Gewalt durch Russland: die exzessive Autokratisierung mit dem Ziel des Machterhalts, insbesondere aber die von Putin und seinem Umfeld wahrgenommene Schwäche des Westens. Putin versteht nur die Sprache von Macht und (militärischer) Stärke. Es ist realitätsfern zu glauben, dass russische Eliten aus sich selbst heraus Interesse an Frieden entwickeln würden.[10] Hier muss eine neue Strategie gegenüber Russland ansetzen, die glaubhaft die russische Aggression eindämmt und an Moskau das Signal sendet, dass der Westen entschlossen handelt. Russland erscheint aktuell stärker, als es tatsächlich ist. Dies hat mit der Uneinigkeit, Führungslosigkeit und Selbstblockaden europäischer Staaten und der USA zu tun. Eine Ermächtigung des Gegners durch Selbstschwächung kann nur durch langfristige strategische Entscheidungen und klare Führung beendet werden. 

 

Der Verfasser dankt Manfred Huterer (Gastwissenschaftler bei der SWP) ausdrücklich für seine wertvollen Hinweise.

 

FUSSNOTEN


[1]        Anton Troianovski (u.a.), Putin quiet signals he is open to a ceasefire in Ukraine, in New York Times, 21.12.2023, 
https://www.nytimes.com/2023/12/23/world/europe/putin-russia-ukraine-war-cease-fire.html (abgerufen am 15.02.2024)

[2]       President of Russia (2024), Interview with Tucker Carlson, 9.02.2024.,  http://kremlin.ru/events/president/news/73411 (abgerufen am 16.02.2024).

[3]       Radio Liberty (2024), Родственницы мобилизованных провели пикеты у АП и Минобороны, 06.01.2024,
 https://www.svoboda.org/a/rodstvennitsy-mobilizovannyh-proveli-pikety-u-ap-i-minoborony/32763819.html (abgerufen am 16.02.2024)

[4]       The Moscow Times (2022), Russia’s 5G expansion thwarted by sanctions, domestic constrains, 14.07.2022, 
https://www.themoscowtimes.com/2022/07/14/russias-5g-expansion-thwarted-by-sanctions-domestic-constraints-a78301
(abgerufen am 16.02.2024).

[5]       Offical Website of Ukraine (2023), What is Zelenskyy’s 10 point peace plan?, 11.08.2023, 
https://war.ukraine.ua/faq/zelenskyys-10-point-peace-plan/ (abgerufen am 16.02.2024).

[6]       ZDFheute (2024), Heusgen setzt auf Verhandlungslösung, 8.02.2024, 
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/heusgen-verhandlungsloesung-ukraine-krieg-russland-100.html (abgerufen am 16.02.2024)

[7]       The Economist (2023), Kissinger: For the safety of Europe, get Ukraine into NATO, 17.05.2023, 
https://www.economist.com/kissinger-highlights (abgerufen am 16.02.2024).

[8]       Spiegel (2023), Ex-Diploimat Ischinger bring Taurus-30.12.2023, Ultimatum gegen Russland ins Spiel,  
https://www.spiegel.de/politik/ukrainekrieg-wolfgang-ischinger-fordert-vom-westen-haertere-haltung-gegen-russland-a-86040ceb-a399-41fc-bc05-46c343c124eb (abgerufen am 16.02.2024). 

[9]       Nico Lange, Carlo Massala (2023), Was wenn Russland gewinnt?, 1919.11.2023, 
https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-11/krieg-ukraine-russland-wladimir-putin-sieg-europa (abgerufen am 16.02.2024). 

[10]     Alice Schwarzer, Sarah Wagenknecht (2023), Manifest für Frieden, 10.02.2023, 
https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden (abgerufen am 16.02.2024). 

Bibliografische Angaben

Meister, Stefan. “Russlands Krieg gegen die Ukraine.” DGAP Policy Brief 3 (2024). German Council on Foreign Relations. February 2024. https://doi.org/10.60823/DGAP-24-40293-de.

DGAP-Policy Brief Nr.3, 16. Februar 2024, 6 S.

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