Memo

08. Sep 2021

Pragmatische Russlandpolitik

Deutschland sollte seine Verhandlungsposition stärken
Wladimir Putin
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Russlands wachsender globaler Bedeutung stehen seine Förderung autoritärer Stabilität, zunehmende Repressionen nach innen und die Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten gegenüber. Gleichzeitig haben sich Russland und Deutschland in den letzten zehn Jahren entfremdet und werden in der nächsten Legislaturperiode die Grenzen von Kooperation spüren. Die russische Führung ist aktuell kein verantwortungsvoller Partner in internationalen Krisen, sondern nutzt diese, um eigene Verhandlungspositionen zu verbessern. Deutschland braucht deshalb eine pragmatische Russlandpolitik.

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Eine pragmatische Russlandpolitik sollte diplomatische Beziehungen pflegen und Kooperation bei Themen von gemeinsamem Interesse wie Klimawandel und Stabilisierung in Afghanistan suchen. Zur Stärkung der eigenen Verhandlungsfähigkeit gegenüber Moskau sollte Deutschland in Resilienz und Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der EU und NATO investieren, sich stärker in der Konfliktlösung weltweit engagieren sowie den gesellschaftlichen Austausch mit Russland fördern.

Russland ist als Atommacht und ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates in den letzten Jahren zu einem entscheidenden Akteur bei Konflikten in der EU-Nachbarschaft und darüber hinaus geworden. Das betrifft seine militärische Rolle in Syrien und Libyen, in den Verhandlungen um das Atomabkommen mit dem Iran sowie die Entwicklungen in der Ukraine, Belarus und im Südkaukasus nach dem Krieg um Berg-Karabach 2020. Auch mit Blick auf die Stabilisierung Afghanistans und möglicher Migration nach Europa wird Russland in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen. Deutschland wiederum ist innerhalb der EU der Schlüsselstaat im Hinblick auf die Beziehungen zu Russland. Es ist der bedeutendste EU-Handelspartner für Russland und bedeutendste Abnehmer von Rohstoffen wie Öl und Gas. Berlin hat seit dem Ende des Kalten Krieges über Konzepte wie die Modernisierungspartnerschaft maßgeblich die EU-Beziehungen zu Moskau geprägt.


Interview (EN)

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Rahmenbedingungen

Autoritäre Herausforderung

Doch beide Staaten haben sich vor allem seit der Rückkehr Wladimir Putins ins Präsidentenamt 2012 und der Annexion der Krim 2014 entfremdet. Erstens sind Deutschland und Russland Teil eines Systemkonfliktes, indem die russische Führung autoritäre Regime, die Schwächung von Demokratie weltweit sowie eine multipolare Weltordnung mit der Dominanz weniger Großmächte und militärischer Lösungen von Konflikten fördert – Moskau kooperiert hier zunehmend in Abstimmung mit China. Deutschland dagegen steht für eine offene Gesellschaft, die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und unterstützt multilaterale Lösungen für globale Konflikte. Dieses Spannungsfeld wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Zweitens ist der Konflikt mit dem Westen, und das schließt neben den USA und der Nato auch die EU ein, für die russische Führung zu einer zentralen Legitimationsressource nach innen geworden. Deutschland als Führungsmacht in der EU ist in diesem Kontext kein Partner mehr, sondern ein Gegner, den es zu schwächen gilt.

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Das hat auch Auswirkungen auf den zivilgesellschaftlichen Austausch und Dialogprojekte mit Deutschland. Seit 2012 hat sich Russland zu einem vollständig autoritären Staat entwickelt, mit systematischen Repressionen gegen die politische Opposition und unabhängige Medien nach innen sowie der Begrenzung von Austausch mit externen Akteurinnen und Akteuren, insbesondere der Zivilgesellschaft. Mit Gesetzen, die aus dem Ausland finanzierte Organisationen als ausländische Agenten labelt, wird die externe Finanzierung von NGOs und Medien ausgetrocknet. Die Arbeit deutscher Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen in Russland könnte in den kommenden Jahren zusätzlich erschwert und weitere Organisationen gezwungen werden, das Land zu verlassen.

Entgegen der wachsenden globalen Bedeutung Russlands hat der Kreml bei Konflikten im postsowjetischen Raum sowie weltweit oft kein Interesse an einer Lösung. Er nutzt diese vielmehr, um seine Verhandlungsposition in anderen Bereichen zu verbessern und ist somit kein verantwortungsvoller Partner. Das russische Engagement in Syrien diente etwa unter anderem dazu, die eigene Position gegenüber den USA und der EU bei Themen wie Sanktionen zu verbessern. Die postsowjetischen Konfliktzonen im Südkaukasus, Moldawien und der Ukraine sind Instrumente der Einflussnahme auf die betroffenen Staaten. Die Annexion der Krim und der Krieg im Donbas sind Beispiele dafür, wie die russische Führung eine Integration postsowjetischer Staaten in EU und NATO verhindern möchte. Moskau hat kein Interesse an einer Lösung dieses Konfliktes, solange seine Forderung nach einer Föderalisierung der Ukraine und damit Absicherung des russischen Einflusses, nicht umgesetzt ist.

Herausforderungen

Balance zwischen Konflikt und Kooperation

Die Kampagne gegen Deutschland im Rahmen des Giftgasanschlags auf Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, der Mord am Georgier Selimchan Changoschwili im Berliner Tiergarten, die Hackerattacke auf den Deutschen Bundestag sowie Desinformationskampagnen zur Schwächung der Glaubwürdigkeit von Medien und politischen Institutionen zeigen, dass die russische Führung zunehmend auch in Deutschland ihre Interessen ohne Rücksicht verfolgt. Deutschlands kooperativer Ansatz gegenüber der russischen Führung ist dabei an Grenzen gestoßen, das Konzept eines Wandels durch Annäherung gescheitert. Auch die deutsche Unterstützung für den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 hat die russische Führung nicht kompromissbereiter bei Themen wie dem Donbass gemacht. Im Gegenteil, der Kreml nutzt die Pipeline, um die EU und die transatlantischen Beziehungen zu spalten. Dabei ist ein Paradigmenwechsel zu beobachten: Der Kreml sieht Deutschland als Führungsmacht in Europa zunehmend als Teil des Problems und nicht mehr der Lösung. Deshalb zielt russische Politik inzwischen auf eine innere Schwächung Deutschlands, um so auch den Zusammenhalt in der EU zu schwächen und die eigene Verhandlungs­position zu stärken.

Empfehlungen

Deutschland muss seine Verhandlungsposition stärken

Deutschland braucht eine Russlandpolitik, die nicht auf Konzepten der Vergangenheit basiert, sondern auf der realistischen Einschätzung des Systems Putin. Die Behauptung, dass durch mehr Kooperation auch eine kompromissbereitere Politik aus Moskau zu erwarten sei, ist falsch. Sie sollte durch Grenzen im Umgang mit Russland ersetzt werden, ohne dabei in eine ideologische Kritik abzugleiten. Das ist die Voraussetzung, um eine konsistentere Russlandpolitik zu betreiben, die der russischen Führung weniger Einfluss auf die deutsche Innenpolitik gibt und für Deutschland den Instrumentenkasten mit Blick auf Sanktionen, militärische Unterstützung von Partnerstaaten und Verhandlungen mit Russland in regionalen Konflikten stärkt. Um auf den Kreml einzuwirken, muss dessen Kosten-Nutzen-Kalkulation beeinflusst werden.

Deutschland sollte sich in den kommenden Jahren auf ein aggressiveres Russland einstellen, das militärische und hybride Mittel zur Durchsetzung von Interessen einsetzen wird. Die Schwächung Deutschlands wird ein Mittel zur Schwächung der EU sein. Deshalb sollten Projekte zur ökonomischen und energiepolitischen Interdependenz mit Russland auf den Prüfstand gestellt werden. Es bedarf Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit im Rahmen von NATO und EU, in die digitale Sicherheit und gesellschaftliche Resilienz sowie ein deutlicheres Vorgehen gegen Feinde der Demokratie in Deutschland und der EU.

 

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Da Russland eine wichtige Rolle in Konflikten weltweit spielt und nur dann kooperiert, wenn es in seinem eigenen Interesse liegt, braucht es pragmatische diplomatische Beziehungen sowie einer Verbesserung der eigenen Verhandlungsposition durch mehr Engagement in Konflikten in der Nachbarschaft und weltweit. Nur wenn Deutschland bei der Konfliktlösung ein Akteur ist, der auch bereit ist, Friedenstruppen zu entsenden und, wenn nötig, militärisch einzugreifen, wird es in Moskau als Verhandlungspartner ernst genommen. Dies sollte im Rahmen von Bündnissen (NATO und EU) sowie multilateralen Formaten (OSZE) erfolgen.

Der gesellschaftliche Austausch und Wandel in Russland muss eine Priorität deutscher Außenpolitik werden. Trotz erschwerter Rahmenbedingungen sollten Projekte mit der wachsenden russischen Diaspora ausgebaut, Dialogprojekte in Bereichen Kultur-, Jugendaustausch und Städtepartnerschaften gefördert und Visaerleichterung für die russische Gesellschaft eingeführt werden. Auch bei Themen wie Katastrophenschutz, Klimawandel und dessen Folgen sowie der grünen Transformationen besteht ein gemeinsames Interesse und die Möglichkeit, den Austausch über Projekte zu fördern.

 

Bibliografische Angaben

Meister, Stefan. “Pragmatische Russlandpolitik.” German Council on Foreign Relations. September 2021.

DGAP Memo Nr. 4, September 2021, 4 Seiten



In dieser Memo-Reihe bietet die DGAP fundierte Analysen zu Bereichen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, die die nächste Legislaturperiode prägen werden.

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