Policy Brief

03. Juli 2024

Militärische Mobilität

Wie Deutschlands seine Verkehrsinfrastruktur für die Zukunft rüstet
German Leopard 2 tank being transported by train
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Deutschland ist das Drehkreuz der NATO, um militärische Güter an die Ostflanke der Allianz zu verlegen. Doch die marode Transportinfrastruktur des Landes, seine Bürokratie, Kapazitätsengpässe und anfällige Kommunikationssysteme beeinträchtigen die Mobilität des Militärs massiv. Dies erschwert es Deutschland, seinen Verpflichtungen im Rahmen des neuen NATO New Force Model nachzukommen, auch angesichts der wachsenden Bedrohung durch Russland und der bevorstehenden Entsendung einer ­Brigade nach Litauen.

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Die Bundesregierung sollte ein Sondervermögen von 30 Milliarden Euro zur gezielten Erneuerung von militärischen Korridoren einrichten. Parallel dazu sollten regelmäßige Bestandsaufnahmen der gesamten Verkehrsinfrastruktur erstellt werden.
Um Bürokratie abzubauen, sollte Deutschland die Verfahren für Transporte von Militärgütern zwischen den Bundesländern abschaffen. Auf EU-Ebene sollten die grenzüberschreitenden Genehmigungen und ­Zölle harmonisiert werden.
Für die kritische Kommunikationsinfrastruktur im Transportwesen ­sollten keine Komponenten aus China verwendet werden dürfen. ­Zumindest sollte das geplante KRITIS-Gesetz zum Schutz kritischer ­Infrastruktur die Zertifizierung kritischer Komponenten vorschreiben.

Deutschland als Drehkreuz

Deutschland nimmt geografisch eine zentrale Position in Europa ein. Dass es an neun Länder angrenzt – von denen sieben der NATO angehören –, macht es zum Drehkreuz für den Transport von Personen, Gütern und Informationen. Deutschlands ausgedehntes Verkehrsnetz umfasst 13.000 Kilometer Autobahn, darunter zahlreiche Ost-West-Verbindungen, die für die Durchquerung Europas unerlässlich sind. Ebenso gehört das deutsche Bahnsystem mit 38.400 Schienenkilometern zu den umfangreichsten der Welt. Wasserstraßen wie der Rhein und die Donau sind für den Transport schwerer Güter ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Sie verbinden Industrieregionen mit Häfen in den Niederlanden und Belgien sowie mit Ost- und Südeuropa (siehe Abbildung auf Seite 3).

Deutschlands logistische Schlüsselrolle prägt nicht nur die europäische Wirtschaft, sondern ist auch die Verteidigungs- und Abschreckungsmaßnahmen, die Deutschland und seine Verbündeten vor feindseligen Akteuren schützen soll. Denn die Verkehrsinfrastruktur bestimmt in erheblichem Maße, wie schnell Deutschland und seine Verbündeten in Krisenzeiten reagieren können.

Eine neue Bedrohungslandschaft

Die jüngste und bisher größte Übung der NATO seit Ende des Kalten Kriegs, Steadfast Defender, war eine Reaktion auf die neue Bedrohung der NATO-Ostflanke. Seit Russlands Großangriff auf die Ukraine hat das Bündnis erhebliche Veränderungen vorgenommen. Unter anderem ersetzte die NATO ihre sogenannte „Response Force“ (NRF) durch das „New Force Model“ (NFM). Die gestiegenen Anforderungen bedeuten für Deutschland, dass es ab 2025 in der Lage sein muss, innerhalb der ersten 30 Tage eines Bündnisfalls 30.000 Soldatinnen und Soldaten sowie 85 Schiffe und Kampfflugzeuge zu entsenden. Zudem sicherte Deutschland zu, ab 2025 dauerhaft eine Brigade von 4.000 deutschen Soldatinnen und Soldaten in Litauen zu stationieren. Dieses Vorhaben, ein Vorzeigeprojekt der ausgerufenen Zeitenwende, erhöht den Druck auf die Leistungsfähigkeit der Transportkapazitäten erheblich.

Steadfast Defender führte Deutschland vor Augen, dass das Erreichen der im Rahmen des NFM geleisteten Versprechen noch in weiter Ferne liegt. Dies gilt erst recht mehr für die Unterstützung der bald in Litauen stationierten Bundeswehr-Soldatinnen und -Soldaten im Falle einer akuten Bedrohung. 

Bereits 2017 verabschiedeten die EU und die NATO eine gemeinsame Erklärung über Maßnahmen zur Verbesserung der militärischen Mobilität. Es folgte ein Aktionsplan für ein „militärisches Schengen“ (um einen freien Verkehr von Militärgütern und -personal zu ermöglichen) und Vorschläge zur Vereinfachung und Standardisierung militärischer Transportverfahren im Rahmen der PESCO-Initiative (Permanent Structured Co-operation). PESCO ist der EU-Rechtsrahmen für die Planung und Investitionen in gemeinsame Verteidigungsfähigkeiten.

Die Ergebnisse dieser Beschlüsse sind bisher ernüchternd. Für die Finanzierung von 95 Projekten schlug die EU-Kommission ein Budget von 6,5 Milliarden Euro vor, welches nach Verhandlung mit den EU-Mitgliedstaaten 2017 auf 1,69 Milliarden Euro gekürzt wurde. Angesichts der höheren Dringlichkeit durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erklärte die EU im Januar 2024, dass die ursprüngliche Summe von 1,69 Euro Milliarden ausgegeben worden sei und weitere 807 Millionen Euro für 38 zusätzliche Projekte bereitgestellt würden. Angesichts des erheblichen Investitionsbedarfs für die Transportinfrastruktur und der schieren Anzahl an Hemmnissen werden die zusätzlichen Mittel jedoch nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein.

Die Kosten der (Im)Mobilität

Während des Kalten Krieges waren sowohl die militärische als auch die zivile Verkehrsinfrastruktur Deutschlands in einem weitaus besseren Zustand als heute. Mit der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags, der Grundlage für die Wiedervereinigung und der Wiederherstellung der deutschen Souveränität, änderte sich das. Durch den Vertrag verpflichtete sich Deutschland „die Sicherheit […] insbesondere durch wirksame Rüstungskontrolle, Abrüstung und Vertrauensbildung“ zu stärken.

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In der Praxis bedeutete das die Ausmusterung militärischer Ausrüstung und den Abbau von Sirenen und gelben Panzerschildern an Autobahnen, was zum Verlust wichtiger Informationen über den Zustand und die Tragfähigkeit von Straßen und Brücken führte. Zudem wurden neue Autobahnen und Tunnel nicht mehr mit Blick für militärische Bedürfnisse gebaut. Ähnlich drastische Veränderungen trafen das deutsche Schienensystem, da der Börsenfitness des Unternehmens Vorrang gegenüber Sicherheitsbelangen und den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger gegeben wurde. Insgesamt führten die Privatisierungsbemühungen der Deutschen Bahn (DB) Anfang der 2000er Jahre zur Schließung wenig profitabler Routen und damit zur Stilllegung von 5.400 Streckenkilometer, was 16 Prozent des gesamten Netzwerks entsprach.

Aktuell sind Straßen, Schienen und Brücken in einem desolaten Zustand und nicht mehr in der Lage, Schwertransporte schnell zu leisten. Im Jahr 2022 schätzte der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) den Investitionsstau in Deutschland für die dringendsten Infrastrukturprojekte auf 165 Milliarden Euro. Das entspricht der doppelten Summe, die noch 2009 notwendig gewesen wäre. Nach Angaben von Wirtschaftsexperten werden in den nächsten zehn Jahren Investitionen in Höhe von 457 Milliarden Euro – dem Gesamtvolumen eines Bundeshaushalts – benötigt.

Auch wenn massive Investitionen erforderlich sind, wird Geld allein nicht ausreichen. Die Probleme der deutschen Verkehrsinfrastruktur werden durch bürokratische Hürden und das Fehlen EU-weiter Standards verschärft, wie sich am Beispiel der größeren Spurweite der Eisenbahnschienen in den drei baltischen Staaten zeigt. Zudem machen immer häufigere Angriffe auf die Verkehrsinfrastruktur deutlich, wie anfällig diese für Sabotage ist. 

Auch an Verzögerungen bei der Lieferung von Militärausrüstung in die Ukraine zeigt sich die Problematik. Panzer aus Spanien, Frankreich oder den Niederlanden in die Ukraine zu transportieren bedeutet, über 65 Tonnen schwere Fahrzeuge durch Deutschland zu befördern. Und wie jedes andere Logistikunternehmen ist auch das Militär mit der Vielzahl von Vorschriften in Deutschlands föderalem System konfrontiert: Es muss Genehmigungen für Schwertransporte beantragen, eine stabile Route durch ein Autobahnnetz mit maroden Brücken und Tunneln finden, Zeitfenster auf dem überfüllten Schienennetz sichern und stundenlange Grenzkontrollen erdulden. Im Fall der Ukraine kostet dies nicht nur Zeit und Geld, sondern gefährdet auch das Leben von Soldatinnen und Soldaten sowie Zivilisten an der Front.

Vier Herausforderungen

Die vier größten Herausforderungen für die militärische Mobilität in Deutschland – und Europa – sind: 1) der Zustand der Verkehrsinfrastruktur, 2) bürokratische Hürden, 3) Kapazitätsengpässe und 4) Schwachstellen in den Kommunikationssystemen. 

Fragile Infrastruktur

Die Transportinfrastruktur besteht aus drei Hauptkomponenten: Schienen, Straßen und Wasserwegen. Das deutsche Schienensystem ist die wichtigste Komponente der Militärlogistik, wenn es darum geht, größere Truppenteile und schweres Gerät der Bundeswehr und ihrer Verbündeten zu verlegen. Aufgrund der großen Materialmasse kann die Anforderung an das Schienensystem auch nicht durch Straßen-, Wasser- oder Luftverbindungen kompensiert werden. 

Dass die Deutsche Bahn (DB) fundamentale Probleme hat, ist nicht neu; Kritik an ihr gibt es seit Jahren. Kürzlich bewertete DB Netz, eine Tochtergesellschaft der DB, den Zustand von 33.000 Schienenkilometern einschließlich Tunneln, Brücken und anderen Schlüsselkomponenten. 23 Prozent der Schienen seien in einem „äußerst schlechten Zustand“, ebenso wie 48 Prozent aller Signalsteuerzentralen, 42 Prozent der Bahnübergänge, über 25 Prozent aller Weichen sowie 22 Prozent aller Oberleitungen. Für die Kunden der Bahn sind die Auswirkungen tagtäglich spürbar. Allein im Jahr 2022 war jeder dritte Zug verspätet.

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Österreich oder der Schweiz, die seit Jahren dasselbe Bewertungssystem verwenden, schneidet Deutschland wesentlich schlechter ab. Diese Länder haben jedoch auch deutlich mehr als Deutschland in ihre Schienen investiert. Vergleicht man die Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur, belegte Deutschland im Jahr 2022 mit einer Investition von 114 Euro pro Kopf lediglich Platz 12 von 15. Das ist weitaus weniger als die 319 Euro der Pro-Kopf-Investition Österreichs und nur knapp ein Viertel der 450 Euro pro Kopf, welche die Schweiz investiert.

Insgesamt werden Investitionen von 88 Milliarden Euro – eine Summe, die fast der Größe des Bundeswehr-Sondervermögens entspricht – benötigt, um die Kosten für die dringendsten Modernisierungsmaßnahmen bis 2027 zu decken. 43 Milliarden Euro hat die Bundesregierung bereits in ihrer Finanzplanung berücksichtigt, sodass zusätzliche Mittel von 45 Milliarden Euro erforderlich sind. Bisher hat die Bundesregierung jedoch nur zugesagt, bis 2030 weitere 27 Milliarden Euro bereitzustellen. Diese sollen speziell für die Wiederherstellung von 40 Hochleistungskorridoren bis 2030 verwendet werden. 

Im starken Kontrast dazu hat Deutschlands Straßennetz lange eine klare Investitionspriorität gegenüber der Schiene erfahren. Zwischen 1994 und 2018 wurden in Deutschland 1.700 Schienenkilometer gebaut oder erneuert – ein winziger Bruchteil der im gleichen Zeitraum sanierten 247.000 Kilometern des Straßennetzes. Obwohl sich in den letzten Jahren die Prioritäten geändert haben und in die Schieneninfrastruktur etwas mehr investiert wird als in das Straßennetz, wird es Jahre dauern, die Unterfinanzierung auszugleichen. Allerdings ist der Zustand des Straßennetzes laut dem neuesten Verkehrsinvestitionsbericht des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) auch nur geringfügig besser. Außerdem befinden sich 4.500 der 40.000 Brücken in Deutschland in unzureichendem oder mangelhaften Zustand und sind nicht für Schwertransporte geeignet. Das zwingt die Transporteure zu Umwegen von Hunderten von Kilometern, die zu erheblichen Verzögerungen und höheren Kosten führen.

Auch die Infrastruktur der Wasserstraßen leidet unter Investitionsmangel. Schleusen und Wehre sind erforderlich, um Höhenunterschiede zwischen den Gewässern zu überbrücken. Im Durchschnitt sind diese Systeme jedoch 65 Jahre alt. Eine der wichtigsten Schleusen im Nord-Ostsee-Kanal stammt sogar noch aus Deutschlands Kaiserzeit. Störungen führen daher immer häufiger zur Sperrung ganzer Wasserstraßen. Das BMDV schätzt den Investitionsbedarf bis 2030 auf 6,5 Milliarden Euro (das schließt Kosten für die Verbreiterung und Vertiefung von Wasserstraßen ein).

Bürokratische Hürden

Im Gegensatz zu der Bewegungsfreiheit, die EU-Bürgerinnen und -Bürger und Güter im Schengen-Raum genießen, wird die Mobilität von militärischem Personal und Ausrüstung in Europa durch eine Vielzahl bürokratischer Hürden beeinträchtigt. Das gilt sowohl für Transporte innerhalb als auch zwischen EU-Staaten. Die bereits vorhandenen Anforderungen werden durch einen Mangel an Standardisierung verschärft, da jedes europäische Land seine eigenen Genehmigungsvorschriften erlässt. 

Deutschland sorgt sogar für zusätzliche Hemmnisse, indem es Genehmigungen für das Überqueren von Ländergrenzen (z.B. von Thüringen nach Bayern) vorschreibt. Zudem dürfen Militärtransporte oft nur nachts erfolgen, um den regulären Verkehrsablauf nicht zu stören. Lärmschutzzonen können zu weiteren Verzögerungen und Umwege führen. Dementsprechend gilt es als „schnell“, wenn schweres Militärgerät innerhalb von 30 Tagen vom Norden in den Süden Deutschlands transportiert werden kann. Zwar würden diese Genehmigungsverfahren im Falle eines Verteidigungsfalls gemäß Artikel 115a GG ausgesetzt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit würde dies jedoch zu spät sein, um Verteidigungs- und Abschreckungsmaßnahmen erfolgreich umzusetzen. 

Urmas Paet, Vizevorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament, sagte, derzeit würde es „Wochen oder zumindest mehr als eine Woche“ brauchen, um Ausrüstung in die baltischen Staaten zu verlegen. Dennoch gibt es auch positive Entwicklungen, wie das kürzlich unterzeichnete Abkommen zwischen Deutschland, Polen und den Niederlanden zur Schaffung eines „Musterkorridors“ zeigt. Dieser soll durch den Abbau von bürokratischen Hürden und gezielte Investitionen einen schnelleren Transport von Militärgütern und -personal ermöglichen. Dieses Abkommen sollte als Vorbild für die Errichtung weiterer Korridore dienen. Ben Hodges, Generalleutnant der US-Armee in Europa (a.D.) und Experte für militärische Mobilität, bezeichnete die Entwicklung als „guten Start“. Von dem dringend benötigten „militärischen Schengen“ sei man aber noch weit entfernt. 

Kapazitätsengpässe

Die dritte große Hürde für militärische Mobilität ist die begrenzte Transportkapazität. Wie bereits erwähnt, spielt das Schienensystem beim Transport schwerer Militärausrüstung eine entscheidende Rolle. Dies gilt insbesondere für Kampfpanzer, Schützenpanzer, Haubitzen und andere Waffensysteme. Ihr Transport erfordert eine Vielzahl an Elementen: ein Zeitfenster für die Nutzung der Gleise, Lokomotiven, Anhänger, Lade- und Transportausrüstung sowie operatives Personal. Flachwagen, die für den Transport von Panzern benötigt werden, sind besonders wichtig, jedoch nur in geringer Stückzahl vorhanden. Seit Ende des Kalten Krieges wurden Hunderte von Flachwagen ausgemustert, so dass ihre Zahl in Deutschland von über 1.000 im Jahr 1990 auf mehrere Hundert gesunken ist. Aufgrund der geringen Kapazitäten ist es nahezu unmöglich, schnell eine große Zahl von Panzern von und durch Deutschland in Richtung NATO-Ostflanke zu entsenden. Selbst im Krisenfall würde die Allianz Wochen benötigen, um ausreichend Kapazitäten aufzubauen.

Im Jahr 2023 unterzeichnete die Bundeswehr einen Vertrag über 68 Millionen Euro mit DB Cargo, um im Rahmen der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) und auf der Basis der alten Response Force (NRF) der NATO Militärausrüstung zum Einsatzort transportieren zu können. DB Cargo verpflichtete sich in dem Vertrag, auf Abruf bis zu 343 Flachwagen sowie zwei tägliche Zeitfenster auf dem Schienennetz für Militärtransporte zu reservieren. Da der weite Großteil an Ausrüstung und Zeitfenstern für kommerzielle Transporte reserviert sind, ist die kurzfristige Bereitstellung zusätzlicher Transportkapazitäten äußerst schwierig. Trotz der gestiegenen Mobilisierungsanforderungen des neue New Force Models (NFM) der NATO plant die Bundeswehr für 2024, den Vertrag mit DB Cargo auf 50 Millionen Euro zu reduzieren. Das entspricht einer Kürzung von EUR 18 Millionen gegenüber dem Vorjahr.

Schwachstellen in Kommunikationssystemen 

Die Verbesserung der militärischen Mobilität muss mit dem Schutz der Verkehrsinfrastruktur und den damit verbundenen Kommunikationssystemen vor Sabotage einhergehen. Ein Angriff auf das interne Kommunikationssystem der DB im Jahr 2022 hätte dabei als Weckruf für die Anfälligkeit gegenüber mutwilliger Beschädigung dienen sollen. Im Oktober 2022 wurden zwei Kabel für das Funksystem der DB [Global System for Mobile Communications – Rail (GSM-R)] an zwei verschiedenen Orten (nahe Berlin und im Ruhrgebiet) durchtrennt, wodurch sowohl das Haupt- als auch das Backup-System lahmgelegt wurden. Da das GSM-R-System genutzt wird, um Informationen zwischen Zugführern, Leitstellen und Kontrollzentren über Hindernisse auf den Gleisen auszutauschen oder auf Gefahren an Bahnübergängen hinzuweisen, musste der Zugverkehr in ganz Norddeutschland über mehrere Stunden eingestellt werden. Trotz dieses kritischen Vorfalls und der Gefahr weiterer Sabotage dauerte es über neun Monate, bis die DB die betroffenen Stellen ordnungsgemäß sicherte. Im August 2023 meldete auch Polen Angriffe auf sein Zugfunkkommunikationssystem, die zu einer Reihe von Notbremsungen führten.

Nicht nur, dass die DB versäumte, wirksame Maßnahmen gegen die Bedrohung durch Anschläge zu ergreifen – sie sorgte sogar noch für weitere Schwachstellen. Im Dezember 2022 vergab sie den Auftrag zum Ausbau ihrer digitalen Infrastruktur an eine Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom, welche Komponenten des chinesischen Staatsunternehmens Huawei verbaut. Diese Komponenten könnten als Hintertür für gezielte Abhöraktionen oder für Sabotage dienen. Huawei-Komponenten werden bereits seit 2015 verbaut. 

Der Austausch der Huawei-Komponenten, wie er von allen Parteien der Ampelkoalition gefordert wird, könnte das staatseigene Unternehmen bis zu 400 Millionen Euro kosten. Sollte die DB den Austausch kurzfristig durchführen müssen, könnten andere Baumaßnahmen der Bahn um fünf bis sechs Jahre verzögert werden, warnte das Unternehmen.

Empfehlungen

Um eine glaubwürdige Verteidigung und Abschreckung gegenüber feindlichen Akteuren zu gewährleisten, müssen Deutschland und seine Verbündeten in der Lage sein, im Krisenfall schnellstmöglich zu reagieren. Das erfordert eine gemeinsame Herangehensweise auf mehreren Ebenen (d.h. zwischen inländischen Akteuren sowie zwischen Verbündeten auf EU- und NATO-Ebene). Deutschland als wichtiges Transitland im Herzen Europas hat eine besondere Verantwortung, militärische Mobilität zu ermöglichen und zu verbessern. Die folgenden Empfehlungen betreffen alle vier beschriebenen Herausforderungen. 

Sanierung der Transportinfrastruktur

  • Deutschland und andere EU-Länder sollten alle zwei Jahre eine Bestandsaufnahme, zur Bewertung der Verkehrsinfrastruktur (Straßen, Brücken, Tunnel, Schienen und Wasserwege) in Auftrag geben. Diese sollte mit der NATO geteilt werden, um eine umfassende Datenbank für militärische Transporte zu ermöglichen. Die Bestandsaufnahme sollte auch militärische Lastklassifikationen für Brücken, Straßen und Tunnel enthalten. In Deutschland sollte sie vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) durchgeführt werden.
  • Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland benötigt erheblich mehr Investitionen, als bisher in den Haushaltsverpflichtungen vorgesehen sind. Kurzfristig sollte die Bundesregierung ein von der Schuldenbremse abgekoppeltes Sondervermögen mit einem Volumen von mindestens 30 Milliarden Euro einrichten, um die dringendsten Aufrüstungen ausgewählter Militärkorridore zu finanzieren.
  • Mittelfristig sollten Infrastrukturinvestitionen über Investitionsfördergesellschaften (IFGs) gesteuert werden, wie es der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) fordert. IFGs erhalten Gelder aus dem Haushalt und verteilen sie ausschließlich für Infrastrukturinvestitionen an die einzelnen Bundesländer. Dieses System gewährleistet langfristige Planungssicherheit für Kommunen und Dienstleister.
  • Die geplante Erneuerung von 40 Hochleistungskorridoren der DB zwischen 2024 und 2030 sollte neu priorisiert werden. Routen, die als Militärkorridore genutzt werden können, sollten Vorrang bekommen (z. B. die Erneuerung der Strecken zwischen Bremen und Osnabrück sowie zwischen Osnabrück und Münster, die derzeit für 2030 geplant sind).
  • Die NATO sollte erwägen, Ausgaben für Projekte, die ausdrücklich auf die Verbesserung der militärischen Mobilität abzielen, auf das Zwei-Prozent-Ziel für die Verteidigungsausgaben anzurechnen. Dies würde den Mitgliedern zusätzliche Investitionsanreize bieten, da auch die Öffentlichkeit von neuer Infrastruktur profitieren würde.

Bürokratische Hürden abbauen

  • Auf nationaler Ebene sollte Deutschland die Genehmigungsanforderungen für den Transport militärischer Güter zwischen Bundesländern abschaffen. Dies würde die Reaktionszeit erheblich verkürzen und sicherstellen, dass Material und Truppen der Bundeswehr – sowie das von Verbündeten – im Inland schnell verlegt werden können.
  • Auf EU-Ebene sollten alle Mitgliedstaaten ihre Genehmigungsverfahren für grenzüberschreitende militärische Transporte in Europa harmonisieren. Länder, die Mitglied der NATO, aber nicht der EU sind, sollten diesem Beispiel folgen. Angesichts der Bedrohungslage an der Ostflanke der NATO sind insbesondere zentral- und osteuropäische Länder wie die baltischen Staaten, Polen und Tschechien in der Verantwortung, entsprechende Änderungen vorzunehmen.
  • Alle EU- und NATO-Mitgliedstaaten sollten vereinfachte und standardisierte Zollverfahren einführen. Doppelungen von Genehmigungen sollte abgeschafft werden. Ein Beispiel hierfür ist NATO-Antrag 302 auf Zollbefreiungen, welcher bisher in Kombination mit EU-Antrag 302 auf Zollbefreiungen verwendet werden muss. Hier sollte entweder eine gegenseitige Anerkennung der Dokumente oder ein harmonisierter Antrag angestrebt werden.
  • Die Reaktionszeit der EU zur Erteilung von Genehmigungen für militärische und grenzüberschreitende Transporte sollte maximal 72 Stunden betragen, was der operativen Planungszeit der NATO entspricht. Derzeit beträgt der Zeitrahmen für Genehmigungen bis zu fünf Arbeitstage, was angesichts der Dringlichkeit solcher Transporte viel zu lang ist.

Kapazitätsengpässe beseitigen

  • Langfristig kann das Kapazitätsproblem nur durch mehr Investitionen in die marode Verkehrsinfrastruktur gelöst werden. Es gibt jedoch auch Maßnahmen, die Engpässe entschärfen können, wie die folgenden Beispiele zeigen:
  • Die Bundesregierung sollte in Absprache mit der DB genügend Reserve-Lokomotiven und -Anhänger reservieren, um Transportkapazitäten rasch erhöhen zu können. Am dringlichsten ist das Erreichen einer Reservekapazität von 1.000 Flachwagen, die für militärische Transporte kurzfristig zur Verfügung gestellt werden können.
  • Militärtransporte auf Schienen und Straßen sollten unabhängig von Nachtfahrverboten oder Lärmschutzzonen durchgeführt werden dürfen. Dies würde zusätzliche Kapazitäten freisetzen – auch für Hilfslieferungen in die Ukraine.

Resiliente Kommunikationssysteme schaffen 

  • German legislators should reinforce provisions on securing critical infrastructure facilities contained in a draft law currently under debate, the KRITIS-Dachgesetz, which is the national implementation of the EU’s Critical Entities Resilience (CER) Directive. For instance, operators of non-public commercial radio networks – such as DB – could be required to certify critical components and report their installation to the Federal Ministry of the Interior. 
  • Der deutsche Gesetzgeber sollte die Bestimmungen zur Sicherung kritischer Infrastruktureinrichtungen im derzeit diskutierten Entwurf des KRITIS-Dachgesetzes verschärfen. Dieses Gesetz dient der nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie zur Critical Entities Resilience (CER). Beispielsweise sollten Betreiber nicht-öffentlicher kommerzieller Funknetze – wie die Deutsche Bahn – verpflichtet werden, kritische Komponenten zu zertifizieren und deren Installation dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) zu melden.
  • 5G-Komponenten der chinesischen Anbieter Huawei und ZTE sollten aus der deutschen und europäischen Kommunikationsinfrastruktur verbannt werden. Das Verbot sollte nicht nur das Kernnetz – wie derzeit vorgeschlagen –, sondern auch Komponenten für Zugangs- und Transportnetze wie Funkmasten betreffen. Neben der Reduzierung des Spionagerisikos würde ein solches Verbot auch die Marktmacht von Huawei in Deutschland beschränken (Huawei ist derzeit für 59 Prozent des 5G-Netzes verantwortlich). Mindestens sollte das Teilverbot, das derzeit für 2026 geplant ist, auf 2025 vorgezogen werden.

 

Der Autor dankt Generalleutnant Ben Hodges (a.D.) und Dr. Benjamin Tallis für Ihre Expertise.

Bibliografische Angaben

Hartmann, Jannik. “Militärische Mobilität.” DGAP Policy Brief 12 (2024). German Council on Foreign Relations. July 2024. https://doi.org/10.60823/DGAP-24-40850-en.
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