Report

09. Nov. 2022

Eine digitale Grand Strategy für Deutschland

Digitale Technologien, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und nationale Sicherheit in Zeiten geopolitischen Wandels
DGAP-Digital-Grand-Strategy-Cover

Dieser Bericht gibt einen systematischen Überblick über den aktuellen Stand der deutschen Digitalpolitik und den derzeitigen politischen Ansatz der Bundesregierung. Das Papier unterbreitet 48 Empfehlungen, wie sich Deutschland noch stärker um den erfolgreichen Aufbau einer soliden, leistungsfähigen europäischen Digitalwirtschaft bemühen kann, die in eine offene, demokratische und regelbasierte digitale Ordnung eingebettet ist.

Dieser Onlinetext ist die Einleitung und Zusammenfassung der zehn Aktionspläne. Laden Sie sich den kompletten Bericht hier herunter. 

Inhalt

Executive Summary
Kapitel 1: Digitale Souveränität als Deutschlands Leitmotiv im globalen Kontext
Kapitel 2: Stärken und Schwächen von Deutschlands digitalem Innovationsökosystem
Kapitel 3: Bewahrung von Deutschlands technologischer Fähigkeiten und industrieller Stärke 
Kapitel 4: Gestaltung eines globalen Technologie-Regelwerks im Sinne Europas
Kapitel 5: Exportkontrollen, Investitionsüberwachung und Marktzugangsinstrumente optimieren
Kapitel 6: Internationale Allianzen, Partnerschaften und Normen im Technologiebereich stärken
Kapitel 7: Aufkommende und disruptive Technologien, die Bundeswehr und die Zeitenwende

Einleitung: A German Digital Grand Strategy
Sprint und Marathon
Digitale Souveränität als Deutschlands Leitmotiv im globalen Kontext
Handlungsempfehlungen

Kapitel des Reports Eine digitale Grand Strategy für Deutschland“ *

Deutschland erlebt eine beispiellose Phase des technologischen und geopolitischen Wettbewerbs. Inmitten des russischen Krieges gegen die Ukraine, steigender Energiepreise, von Inflation, Klimawandel und einem dringenden Bedarf an wirtschaftlichem Aufschwung und Haushaltskonsolidierung, stößt die rasante Entwicklung von Allzwecktechnologien auf einen zunehmend unerbittlichen Wettbewerb zwischen den USA und China.

Die Bundesregierung muss sich den Folgen dieser Entwicklung stellen. Um die wirtschaftlichen und technologischen Wettbewerbsvorteile des Landes zu sichern, muss sie Kapazitäten und politische Zielsetzungen im Bereich der digitalen Technologien auf nationaler und internationaler Ebene bündeln. Dafür muss Deutschland seine Doktrin der digitalen Souveränität in sechs Bausteinen verankern, die das Prinzip der „Wahlfreiheit“ berücksichtigen: die Unterstützung des nationalen Innovationsumfeldes; die Förderung des offenen Wettbewerbs von Ideen und Technologien; die Festlegung eindeutiger Regeln zwecks Schaffung einer demokratischen, menschenzentrierten Ordnung; die Wiederherstellung der informationellen Selbstbestimmung der Nutzerinnen und Nutzer in Europa und weltweit; die Reduzierung von CO2-Emissionen und Sicherung von technologischer Nachhaltigkeit sowie die Durchsetzung von angemessenen Sanktionen im Falle einer Verletzung dieser Grundsätze. Ein Ansatz des „dritten Weges“ im Bereich der Digitaltechnologien – eine Äquidistanz zu den USA und China – ist für Deutschland keine Option. Deutschland und die EU sollten mit anderen gleichgesinnten Staaten, insbesondere den USA, zusammenarbeiten, um ihr kollektives Gewicht in Bezug auf Marktgröße, Marktzugang und Innovationsbasis zu nutzen. Eine solche Zusammenarbeit könnte dazu beitragen, Regeln, Werte, Wechselseitigkeit und Zugangsmöglichkeiten miteinander zu verknüpfen, die in einer demokratischen Technologie-Governance als sich gegenseitig verstärkende Instrumente wirken. Gleichzeitig muss die Bundesregierung Maßnahmen zur Stabilisierung von Deutschlands innovationsorientierter industrieller Basis ergreifen, um sich selbst – und Europa – vor Verwundbarkeit durch einen immer härteren Wettbewerb zwischen den beiden weltweit führenden Technologiemächten zu schützen.

Deutschlands Erfolg bei der Gestaltung einer digitalen Grand Strategy wird davon abhängen, ob es dem Land gelingt, eine „vernetzte Mentalität“ zu schaffen, die zu einem Konsens innerhalb der ­Bundesregierung, zwischen politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern von Bund, Ländern und Kommunen sowie zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor führt. Die Digitalstrategie von August 2022 ist zwar ein geeigneter erster Schritt hin zu konkreten, messbaren Zielen im Bereich der digitalen Modernisierung. Allerdings konzentriert sich die Bundesregierung dabei zu sehr auf innenpolitische Belange und schafft keine Grundlage, um auf kurzfristige Trends zu reagieren („der Sprint“) und gleichzeitig eine strategische Weitsicht zu entwickeln, das heißt für mittelfristige Trends und deren nationale und internationale Auswirkungen zu planen („der Marathon“). Der bisherige Schritt-für-Schritt-Ansatz in der deutschen Digitalpolitik hat vier strategische Lücken zur Folge: in den Bereichen Daten, Anpassung, Investitionen und Kommerzialisierung sowie Cybersicherheit. Der deutsche Ansatz ist außerdem nach wie vor zu sehr auf die „vier Bs“ bedacht: Bund-Land (Föderalismus in Deutschland), Bürokratie (IT-Konsolidierung und Digitalisierung in der Verwaltung), Breitband (Breitband- und sonstige Konnektivitätsinfrastruktur) und Bildung (digitale Bildung). Maßnahmen in all diesen Bereichen sind zwar notwendig, aber unzureichend.

Der vorliegende Bericht bietet einen systematischen Überblick über den Status quo im Bereich der Digitalpolitik und den aktuellen politischen Ansatz der Bundesregierung. Er enthält Empfehlungen, wie sich Deutschland noch stärker um den erfolgreichen Aufbau einer soliden und leistungsfähigen europäischen Digitalwirtschaft bemühen kann, die in eine offene, demokratische und regelbasierte digitale Ordnung eingebettet ist. Der Bericht unterbreitet 48 Empfehlungen in sieben aufeinander aufbauenden Politikfeldern, die ein schlüssiges Ganzes, eine Art „Technologiepolitik-Stack“ darstellen. Die Empfehlungen bilden die Grundlage für einen integrierten Ansatz im Bereich der internationalen Digitalpolitik, der sich auf die sieben Ebenen dieses „Technologiepolitik-Stack“ stützt. Die Empfehlungen in den folgenden Kapiteln beinhalten:

 

Executive Summary

Kapitel 1: Digitale Souveränität als Deutschlands Leitmotiv im globalen Kontext

Eine klar definierte „regelbasierte“ Doktrin der digitalen Souveränität unterstützen, die im Prinzip der Wahlfreiheit, offenen Märkten und Menschenrechte verankert ist. Bei der Umsetzung strategischer Technologieprojekte und Vorschriften zu Cloud-Computing, Halbleitern, 5/6G-Mobilfunknetzen muss sich die deutsche Regierung von der zunehmend kontraproduktiven Mehrdeutigkeit digitaler Souveränität lösen.

Geopolitisches Denken bei Mitarbeitenden des Ministeriums und der Referate für Digitalpolitik (insbesondere im erweiterten BMDV) verankern. Das Ministerium sollte ressortübergreifende Tagungen einführen, um geopolitische Auswirkungen zu bewerten und die geostrategischen Implikationen von digitaler und technologischer Regulierung sowie Politik zu bestimmen. Hierfür müssen auch die Rollen des Auswärtigen Amts (AA) und des Bundeministeriums der Verteidigung (BMVg) in der Technologiepolitik gestärkt werden.

Einen umfassenden Aktionsplan im Bereich Technologie und Außenpolitik vorlegen, der einen Zusammenhang zwischen der Digitalstrategie und der geplanten Nationalen Sicherheitsstrategie herstellt. Im Anschluss an die Digitalstrategie sollten das BMDV, das AA und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einen Aktionsplan entwerfen, der innenpolitische und europäische Fragen der Industriepolitik und der Regulierung des Technologiesektors mit außenpolitischen Fragen verknüpft, die in Bezug auf Techno-Autoritarismus, die Festlegung internationaler Standards, Internet Governance und Technologieallianzen relevant sind.

Das Amt eines Sonderbeauftragen für Technologie mit drei Stellvertreterinnen bzw. Stellvertretern einführen, die die deutsche Digital-Außenpolitik koordinieren können. Das AA sollte das Amt eines Sonderbeauftragten im Rang eines Staatssekretärs einführen, der insbesondere die Umsetzung des Aktionsplans überschaut. Dem Sonderbeauftragten sollten Stellvertreterinnen bzw. Stellvertreter für Cybersicherheit, Digitalwirtschaft und digitale Rechte zur Seite stehen, um die technologiepolitischen Ziele Deutschlands auf internationaler Ebene erfolgreich und kohärent zu vermitteln.

Den digitalen Föderalismus flexibler gestalten. Die Bundesregierung muss die Interoperabilität, die Komplementarität von Innovationen und die Bewertung der Sicherheit von Technologien zwischen Bund und Ländern stärken, um skalierbare Technologien auf europäischer und letztlich globaler Ebene aufzubauen. Entsprechende Bemühungen auf nationaler Ebene sind somit zugleich auch außenpolitisch relevant. Deutschland könnte beispielsweise einen „App Store“ für digitale Instrumente in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und Polizeiarbeit einrichten. Die Bundesregierung könnte auch die Auflagen bei ihren Finanzierungsanreizen für die Technologiebeschaffung durch Cyber- und Anbieterrichtlinien verstärken, die mit nationalen, EU- und NATO-Sicherheitsinteressen in Einklang stehen.

Einen ressortübergreifenden Bundestagsausschuss „Technologie- und Außenpolitik“ einrichten. Ein solcher Ausschuss würde die Kohärenz der Ansätze in Politikfeldern wie Föderalismus und demokratische Technologieallianzen gewährleisten.

Die gesamte Einleitung A German Digital Grand Strategy finden Sie hier

 

Kapitel 2: Stärken und Schwächen von Deutschlands digitalem Innovationsökosystem

Anreize für die Koordination zwischen innovations­fördernden Einrichtungen schaffen. Die deutschen Innovationsagenturen sollten einen nationalen strategischen Technologierat und einen offiziellen behördenübergreifenden Koordinationsprozess schaffen, um strategische Zielsetzungen zu vergleichen, potenzielle Kooperationen zu testen, Hindernisse zu ermitteln und die Erforschung von Technologien mit doppeltem Verwendungszweck und deren Anwendung zu prüfen.

Die Wechselwirkung zwischen Deutschlands sicherheitspolitischer Zeitenwende und Innovation in Dual-Use-Technologien betonen. Das im Rahmen der „Zeitenwende“ angekündigte 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen muss die Modernisierung des Verteidigungssektors mit grundlegenden Forschungs- und Entwicklungskapazitäten für Innovationen in Dual-Use-Technologien verbinden, ­einschließlich Verteidigungssoftware. Als Teil des Mentalitätswandels müssen Länder und Universitäten mit der Bundesregierung und dem Privatsektor an einer vernünftigen Nutzung der sogenannten ­Zivilklausel arbeiten.

Anreize für verlässliche Kapitalinvestitionen mit Schwerpunkt auf industriellen Plattformen, IoT (Internet der Dinge) sowie Deep Technology und umweltfreundlichen digitalen Technologien schaffen. Deutschland sollte eine Bündelung des Zukunftsfonds mit institutionellen Investitionen in einem deutschen Staatsfonds in Erwägung ziehen, wobei ein Teil der Mittel speziell strategisch wichtigen Risikokapitalvorhaben vorbehalten sein sollte.

Sandboxes, sprich geschützte Forschungsräume in öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen und Agenturen schaffen, die freier von Vorschriften, Bürokratie und öffentlichen Beschaffungsanforderungen sind. Forschungseinrichtungen und Innovationsagenturen würden von entsprechend angepassten Finanzierungsanforderungen des öffentlichen Sektors für die Auftragsvergabe und Ausschreibungen sowie für die Evaluierung und langfristige Planung profitieren, die mit der raschen globalen Innovation Schritt halten können.

Das Engagement des Privatsektors in „Expeditionsinvestitionen“ und Übernahmen von Technologieführern und Start-ups außerhalb Europas fördern. Deutschlands führende, von der Regierung unterstützte Unternehmen müssen das Instrumentarium im Bereich der ausländischen Direktinvestitionen nutzen, um Zugang zu bahnbrechenden Innovationen, unterschiedlichen Organisations- und Managementphilosophien sowie wichtigen geistigen Eigentumsrechten zu erhalten.

Den Zugang zu Spitzenforschung und -entwicklung unter geostrategischen Gesichtspunkten betrachten. Die Bundesregierung sollte mögliche defensive Instrumente prüfen, mit denen sich die unerwünschte Weitergabe von geistigem Eigentum verhindern lässt, insbesondere im Bereich der Deep Technology. Diese Instrumente sollten allerdings weiterhin den zentralen Status Deutschlands als offener globaler Forschungsraum sicherstellen.

Den digitalen Binnenmarkt zu einer ­geopolitischen Priorität machen. Die Bundesregierung sollte eine führende Rolle bei der Verwirklichung des digitalen Binnenmarkts spielen, einschließlich der Bemühungen, den freien Datenfluss und sektorspezifische Datenräume in der EU zu fördern. Dies sollte auch eine vereinfachte Registrierung von Start-ups und den Aufbau eines einheitlichen Kapitalmarkts beinhalten, der grenzüberschreitende Investitionen fördert.

Die Förderung von Fachkräften in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) als kritische Infrastruktur betrachten. Forschungsinstitute müssen für die Ausstattung, Ressourcen, Forschungsinfrastruktur sowie für wettbewerbsfähige Gehälter und die nötige Flexibilität bei der Einstellung sorgen, die ihre US-amerikanische, britische und chinesische Konkurrenz bereits anbietet.

Das gesamte Kapitel Digitale Innovation im geopolitischen Kontext finden Sie hier

 

Kapitel 3: Bewahrung von Deutschlands technologischer Fähigkeiten und industrieller Stärke

Nationale Stärken und Schwächen im Bereich ­kritischer Technologien behördenübergreifend erfassen. Die Bundesregierung sollte in Anlehnung an die Bemühungen ihrer Partner eine behördenübergreifende Initiative starten, um drei industriepolitische Ziele auszuarbeiten: technologische Führung, Ebenbürtigkeit mit der Konkurrenz und Risikoreduzierung bei Abhängigkeiten.

Die Kohärenz der strategischen Industriepolitik zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern selbst verbessern. Die Bundesregierung sollte sich darauf konzentrieren, dass die Industriepolitik der Länder mit den nationalen Technologiezielen im Einklang steht. Hochrangige Beamtinnen und -beamte, Forschungskonsortien und die Industrie könnten ein entsprechendes Dashboard nutzen, um Synergien zwischen Initiativen in einzelnen Forschungsbereichen und branchenübergreifend zu ermitteln und zu nutzen.

Transnationale Industriekonsortien ausbauen – in Europa und mit gleichgesinnten Partnern. Die Bundesregierung sollte grenzüberschreitende Konsortien für Innovationen fördern, indem sie sich für ein verschlanktes Verfahren zur Notifizierung bei IPCEIs (Important Projects of Common European Interest) sowie für Andock-Programme für ausländische Lieferanten aus gleichgesinnten Staaten einsetzt, um positive Spillover-Effekte zu verstärken.

Den Schwerpunkt auf nationale – und europäische – Wettbewerbsvorteile sowie strategische Interdependenzen innerhalb einer größeren Gemeinschaft gleichgesinnter Partner legen. Die Bundesregierung sollte ihre Industriepolitik so gestalten, dass sie eine größere Gemeinschaft gleichgesinnter Partner unterstützt, in deren Mittelpunkt die EU steht, die aber ebenfalls wichtige Partner wie die USA, Japan und Südkorea einschließt. Diese Gemeinschaft sollte drei Ziele verfolgen: IT-Sicherheit, die Widerstandsfähigkeit von Lieferketten und industrielle Wettbewerbsfähigkeit.

Das öffentliche Beschaffungswesen darauf ausrichten, Schwachstellen in der IT-Sicherheit und in Lieferketten zu verringern. Die Bundesregierung ist der größte Abnehmer von IT-Systemen in Deutschland und kann ihre Kaufkraft nutzen, um strategische Verwundbarkeiten zu reduzieren, insbesondere in den sicherheitskritischen Bereichen ihres Technologie-Stacks.

Das gesamte Kapitel Technologie- und Industriepolitik im neuen Systemwettbewerb finden Sie hier

 

Kapitel 4: Gestaltung eines globalen Technologie-Regelwerks im Sinne Europas

Politische Abwägungen im Zusammenhang mit digital­politischen Entscheidungen ­adressieren. Bei den schwierigsten Aspekten der Digital-­Regulierung stehen wichtige deutsche Prioritäten wie Datenschutz und Sicherheit oft im Widerspruch ­zueinander. Politische Entscheidungsträgerinnen und -träger müssen diese Ziele klar gegeneinander abwägen und in die Regulierung einfließen lassen.

Musterklauseln und -module erarbeiten, die in Regularien von Partnerländern integriert werden können. Es könnte ein Verzeichnis von Open-Source-Regeln geschaffen werden, das den Prozess für außereuropäische Partner beschleunigt, wenn es darum geht, Angemessenheit mit der EU in Bezug auf den Fluss personenbezogener und industrieller Daten, die IoT-Sicherheit und die Moderation von Inhalten zu erreichen und die oben erwähnten Herausforderungen mit der DSGVO zu bewältigen.

Geopolitische Folgenabschätzungen für ­Entwürfe deutscher und europäischer Digital-­Regulierung durchführen. Maßnahmen Deutschlands und der EU können unbeabsichtigt digitalem ­Autoritarismus Vorschub leisten oder unerwünschte globale Trends wie Datenlokalisierung, Zensur, Schwächung von Cybersicherheit oder Internetfragmentierung begünstigen. Eine aufmerksame Bewertung der Auswirkungen der deutschen und der EU-Technologie­politik außerhalb Europas könnte ­solchem Missbrauch entgegenwirken.

Dem zunehmenden Staatszentrismus bei der europäischen technischen Standardsetzung entgegentreten. Die technische Standardsetzung darf nicht allein dem Privatsektor überlassen werden. Dennoch sollte Deutschland ein akutes Interesse daran haben, ein Gleichgewicht zwischen nationalen und europäischen Interessen und der Führungsrolle des Privatsektors zu bewahren.

Die Kapazitäten des privaten Sektors in der technischen Standardsetzung stärken. Die Bundes­regierung sollte steuerliche Anreize und einen Mechanismus für staatliche Förderung deutscher Unternehmen, Start-ups und Verbände schaffen, damit sie in Normungsgremien mitwirken, Vorsitze übernehmen, neue einschlägige Normen entwickeln und mit gleichgesinnten Staaten zusammenarbeiten können.

Die europäische Cloud-Zertifizierung und die GaiaX-Architektur in die globalen Cloud-Governance-Bemühungen einbetten. Da Industriedaten zu einer neuen Front in der globalen Technologieregulierung werden könnten, sollte die Bundesregierung nach Wegen suchen, das Datenraummodell Gaia-X zu internationalisieren und außereuropäische Partner, insbesondere die Vereinigten Staaten, einzubeziehen. Darüber hinaus könnte Deutschland den Aufbau von Kapazitäten in den Global Gateway-Partnerländern zur Nutzung europäischer Cloud Computing-Architekturen unterstützen, um die Interoperabilität zu erhöhen und die Menschenrechte zu wahren.

Digital-Regulierung und technische Standard­setzung in die Zeitenwende und die ­Nationale Sicher­heitsstrategie integrieren. Die Bundes­regierung muss sich intensiver mit den Auswirkungen der Regulierung digitaler Technologien auf die nationale Sicherheit und die Verteidigungsindustrie befassen. Sie muss sicherstellen, dass Deutschland in der Lage ist, Technologien mit doppeltem Verwendungszweck in vergleichbarer Weise zu übernehmen und einzusetzen wie andere Länder, etwa Frankreich, Kanada, Japan und das Vereinigte Königreich.

Das Engagement der deutschen außen- und sicherheitspolitischen Gemeinschaft bei der Gestaltung und Durchsetzung von Regulierungsvereinbarungen erhöhen. Die deutschen Nachrichtendienste, die Außenpolitik, die Strafverfolgungs- und die Verteidigungsbehörden haben alle Anteil an der Durchsetzung der nationalen Technologievorschriften. Es ist an der Zeit, dass diese Behörden auch im Rahmen des post-Privacy Shield Data Privacy Frame­work mehr Gewicht kommen.

Multistakeholder-Ansatz unter Einbeziehung von Zivilgesellschaft, Unternehmen und anderen nichtstaatlichen Akteuren ermöglichen. Deutschland und Europa haben begonnen, neue Modelle für die Regulierung von Technologien und deren Durchsetzung zu entwickeln. Diese flexiblen Strukturen sollten weiterentwickelt werden, da sie eine ständige und kompromissfähige Aufsicht ermöglichen.

Evaluierungen und Auslaufklauseln in der digitalen Regulierung ausweiten, um Flexibilität zu fördern. Evaluierungen und Auslaufklauseln würden die Regulierungsbehörden dazu zwingen, die Wirksamkeit und Relevanz von Vorschriften zu prüfen. Solche Klauseln würden auch die Kohärenz mit der Regulierung in anderen Demokratien fördern.

Das gesamte Kapitel Deutschlands Rolle in Europas digitaler Ordnungsmacht finden Sie hier

 

Kapitel 5: Exportkontrollen, Investitionsüberwachung und Marktzugangsinstrumente optimieren

Gemeinsam mit Verbündeten einen multi­lateralen Ausschuss für Technologiekontrolle im 21. Jahrhundert schaffen. Dieses neue Organ, das aus dem EU-USA-Handels- und Technologierat (Trade and Technology Council, TTC) oder der G7 hervorgehen könnte, würde den Informationsaustausch und die Koordinierung von Zugangsbeschränkungen zu strategischer Technologie durch autoritäre Staaten wie Russland und China systematisieren. Zu seinen Funktionen könnte das Erstellen von Dashboards für den Informationsaustausch, das Formulieren von Empfehlungen für Einfuhr- und Ausfuhrkontrollen für kritische Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, Investitions­prüfung, die ­Ermittlung vertrauenswürdiger Anbieter und Forschungsschutz gehören.

Instrumente wie die „Foreign-Direct Product Rule“ und die „Entity List“ in Deutschland einführen. Deutschland verfügt über zahlreiche wichtige, versteckte Hebel in Hightech-Wertschöpfungsketten. Solche Instrumente könnten Deutschland helfen, sich auf künftige potenzielle Engpässe in der Quanten- und Biotechnologie vorzubereiten – Bereiche, in denen Deutschland über wichtige Nischenfähigkeiten in der Lieferkette verfügt.

Eine handlungsorientierte politische Debatte über die Governance und Forschung von abfließenden Investitionen anstoßen. Die Bundesregierung sollte mit ihren EU- und NATO-Partnern prüfen, wie Investitionen in autokratischen Staaten besser geprüft werden können, ohne offene Märkte zu gefährden. Das BMBF sollte sich auf EU-Maßnahmen in diesen Bereichen vorbereiten, indem es Leitlinien erstellt und diese öffentlich zugänglich macht.

Die Bewertung der Vertrauenswürdigkeit über 5G-Netzwerkausrüstung hinaus ausweiten. Die ­Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands sollte eine stärkere Entwicklung nationaler Instrumente ermöglichen, die politische und sicherheitspolitische Faktoren bei der Beschaffung von Technologie (u. a. Smart Cities, KI, Satellitentechnologie) heranziehen. Diese sollten zwischen NATO- und EU-Verbündeten, Verbündeten im Rahmen bilateraler Abkommen und konsolidierten Demokratien einerseits sowie Nicht-EU/NATO und autoritären ­Staaten andererseits differenzieren.

Die europäische Beteiligung an neu entstehenden Vereinbarungen über den Zugang zu Technologien und deren Kontrolle im indopazifischen Raum ­fördern. Eine stärkere strategische Konvergenz zwischen Europa und anderen demokratischen Akteuren ist der Schlüssel zur Schaffung eines robusten, zuverlässigen Marktes für kritische Technologien. Die Bundesregierung sollte sich im Rahmen der EU dafür einsetzen, dass Europa sich auf geoökonomischer und technologischer Ebene verstärkt im indopazifischen Raum engagiert.

Das gesamte Kapitel Deutschlands wirtschaftliche Sicherheit und Technologie finden Sie hier

 

Kapitel 6: Internationale Allianzen, Partnerschaften und Normen im Technologiebereich stärken

Die Idee einer demokratischen Vertrauenszone („trust zone“) im Bereich der digitalen Technologien vorantreiben. Diese Vertrauenszone würde den Austausch von Wissen, Kapital und Daten regeln, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Vertrauenswürdigkeit von strategisch wichtigen IKT-Infrastrukturen wie Netzausrüstung, Cloud-/Edge-Diensten und Smart-City-Anwendungen zu steigern.

Eine globale Konnektivitätsdoktrin mit offenem Internetzugang als Grundrecht einführen. Deutschland sollte mit der EU und anderen gleichgesinnten Demokratien zusammenarbeiten, um gemeinsam finanzierte „Konnektivitätspakete“ zu entwickeln, die die Entwicklung der digitalen Infrastruktur mit dem Aufbau von Cyber-Kapazitäten verbinden. Auf dem Wege der Zusammenarbeit muss zudem dafür gesorgt werden, die digitale Kluft im Globalen Süden zu verringern sowie offene Informationsflüsse während Internetsperren durch autoritäre Regime und in Konfliktgebieten aufrechtzuerhalten.

Eine deutsche Open-Tech-Stiftung gründen. Der neu eingerichtete Sovereign Tech Fund sollte durch eine deutsche Open-Tech-Stiftung ergänzt werden, um Mittel für die Entwicklung von Technologien bereitzustellen, welche die Demokratie und Privatsphäre stärken und im Einklang mit dem Verständnis von digitaler Souveränität der Bundesregierung stehen. Diese Mittel sollten vor allem Gemeinschaften im Globalen Süden zugutekommen.

Der Politisierung von Standardsetzung im Bereich kritischer und neuer Technologien entgegenwirken. Da der Anteil von Nichtmarktwirtschaftsländern in den Gremien für technische Standardisierung zunimmt, sollte Deutschland eine internationale Studiengruppe initiieren, die ermittelt, ob und welche politischen Instrumente eingesetzt werden, um die Standardsetzung im Bereich kritischer und neu entstehender Technologien zu beeinflussen. Dies sollte die Grundlage für ein koordiniertes Engagement mit den internationalen Standardsetzungs-­Gremien bilden, um den Vorrang technischer Kriterien zu gewährleisten und ihren Ruf als unparteiische ­Institutionen zu wahren.

Das Entstehen einer digitalen „Bewegung der Blockfreien Staaten“ verhindern. Die Bundes­regierung hat ihren Digitaldialog mit Indien bereits 2022 wieder aufgenommen und das Land zum diesjährigen G7-Gipfel eingeladen. Mit Blick auf die G20-Präsidentschaft Indiens im Jahr 2023 sollte Deutschland nun auf seinem Engagement aufbauen und Indiens demokratische Verantwortung betonen, eine integrative digitale Agenda zu fördern, in deren Mittelpunkt klimafreundliche Technologien sowie offene und freie Konnektivität stehen.

Kooperatives Engagement im EU-US-Technologiedialog zeigen, insbesondere im TTC. Deutschland sollte einen bilateralen Digitaldialog mit den Vereinigten Staaten institutionalisieren, der die politischen Ergebnisse des TTC aufnehmen und verstärken kann.

Asymmetrische Technologieallianzen mit sub­nationalen Verwaltungseinheiten bilden. Städte und Bundesstaaten übernehmen zunehmend Aufgaben der digitalen Governance, die nationale Regierungen nicht übernehmen wollen oder können. Im Einklang mit den neuen Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zur digitalen Diplomatie sollte Deutschland mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern auf dieser Ebene zusammenarbeiten, um Technologieallianzen zu bilden, die die deutschen und EU-Werte im Bereich der Regulierung widerspiegeln und die subnationale Übernahme von Normen für die Internet- und Cyber-Governance unterstützen.

Das gesamte Kapitel Deutschlands globale Technologie-Diplomatie finden Sie hier

 

Kapitel 7: Aufkommende und disruptive Technologien, die Bundeswehr und die Zeitenwende 

2 Prozent des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Förderung disruptiver Verteidigungstechnologien bereitstellen. Die Bundesregierung sollte mindestens 2 Prozent des Sondervermögens für die Förderung disruptiver Verteidigungstechnologien bereitstellen, um Anreize für den Zufluss von Risikokapital in neue Start-ups im Verteidigungssektor und höhere FuE-Ausgaben etablierter deutscher Verteidigungsunternehmen zu setzen.

Die ethische Debatte über militärische Anwendungen von EDTs mit Einsatzrealitäten verbinden. In Deutschland werden Diskussionen rund um das ­Thema Ethik häufig stark abstrahiert von der ­Realität militärischer Einsätze geführt. Dabei sollten sich Diskussionen auf die Bestimmung eines angemessenen Maßes an maschineller Autonomie und die Festlegung von vertretbaren Zwecken für den Einsatz von EDTs konzentrieren.

Dual-Use Implikationen von EDTs mit innovationsorientierter Industriepolitik verknüpfen. Deutschlands neue Nationale Sicherheitsstrategie sollte einen Abschnitt enthalten, der die technologie- und innovationsbezogene Industriepolitik, einschließlich ihrer für die Verteidigung relevanten Aspekte, zusammenführt – und zwar im Rahmen einer regierungsübergreifenden Bewertung zentraler Bedrohungen für die nationale Sicherheit.

Wissenstransfer zwischen militärischer und ­ziviler FuE verbessern. Die Bundesregierung sollte das Münchner Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr (dtec.bw) stärker mit den bayerischen Hightech-Start-ups vernetzen. Zudem sollte sie eine separate Track-II-Plattform einrichten, die Innovatoren bei der Entdeckung von Dual-Use-Anwendungen von EDTs unterstützt, welche mit der Förderung von Innovationsagenturen wie SPRIND und dem Cyber Innovation Hub entwickelt wurden. Außerdem sollte sie Anreize für deutsche und europäische Risikokapitalinvestitionen in Start-ups im Bereich der Verteidigungstechnologie setzen, etwa durch Ko-Finanzierungen.

Die Beschaffung von Verteidigungsgütern an technologische Innovationszyklen anpassen. Schwankungen im Verteidigungshaushalt erschweren die Unterstützung längerer EDT-Innovations­zyklen. Die Regierung sollte einen bis 2030 laufenden SpezialFonds für disruptive Verteidigungstechnologien mit jährlichen Mindestbudgetgarantien einrichten.

Die Interoperabilität mit Verbündeten durch gemeinsame Grundsätze und militärische Formationen aufrechterhalten. Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass die EDT-bezogene Transformation der Bundeswehr nicht die Interoperabilität mit verbündeten Streitkräften untergräbt. Sie sollte die Entwicklung gemeinsamer ethischer Grundsätze und Verhaltenskodexe fördern, wie etwa in der KI-Strategie der NATO geschehen.

Das gesamte Kapitel Ethisch und einsatzfähig finden Sie hier

 

Einleitung: A German Digital Grand Strategy

Sprint und Marathon

Der geopolitische Wettbewerb zwischen etablierten und aufstrebenden Mächten, Demokratien und autoritären Systemen – und auch zwischen regelorientierten Multilateralisten und machtbasierten Unilateralisten – hat zu einer deutlichen Zunahme der Instrumentalisierung von Abhängigkeiten geführt.

[1]

Deutschland und Europa sind mit einer neuen Realität konfrontiert: Der Zugang zu und die Kontrolle über Knotenpunkte und Engpässe in den Bereichen Handel, Finanzen, Energie, Rohstoffe, oligarchische Netzwerke und sogar Nahrungsmittel werden als Instrumente eines globalen Konflikts niedriger ­Intensität eingesetzt.

Dies trifft insbesondere auf technologische Konnektivität zu. Die USA, China und ihre Big-Tech-Partner, unter anderem in den Bereichen KI, Cloud-, Plattform- oder Chip-Technologie, haben die Kontrollhoheit über wichtige Knotenpunkte. Der zunehmend universelle Charakter bestimmter grundlegender Technologien im Hinblick auf die wirtschaftliche, politische und militärische Wettbewerbsfähigkeit macht diese Situation für Deutschland und Europa noch gefährlicher.

Vor diesem Hintergrund bemüht sich Deutschland seit einiger Zeit um einen ressortübergreifenden Ansatz im Bereich der digitalen Technologie. Im August 2022 hat sich das Bundeskabinett auf eine erste deutsche Digitalstrategie verständigt. Das vom BMDV erarbeitete Dokument konzentriert sich auf drei Aktionsbereiche: eine vernetzte und digital souveräne Gesellschaft; innovative Wirtschaft, Arbeitswelt, Wissenschaft und Forschung; und den digitale Staat. Die Strategie beinhaltet auch einige „Hebelprojekte“, insbesondere in puncto Normen und Standards, Datenverfügbarkeit und digitale Identitäten.

[2]

Doch auch wenn sich die Bundesregierung mit ­ihrer Digitalstrategie der Notwendigkeit stellt, das ­ministerielle Silodenken zu überwinden und die Privat­wirtschaft in einen politischen Ansatz für digitale Technologien einzubinden, scheinen ihr die geopolitischen Bedrohungen, denen sich Deutschland bereits heute stellen muss, zu sehr aus dem Blickfeld geraten zu sein.

[3]

Zudem gelingt es der Regierung in ihrer Digitalstrategie noch nicht, technologische Trends zu erkennen und sich im Einklang mit ihren politischen Zielen auf diese vorzubereiten (siehe Abbildung 1). Die zurückhaltenden digitalpolitischen Strategien der letzten deutschen Regierungen konzentrierten sich vor allem auf kurzfristige Anliegen im Digitalbereich. Sie erwiesen sich als ungeeignet, Herausforderungen wie die Auswirkungen neuer Technologien auf die Innovationslandschaft, die industrielle Basis und ein durch Technologie, wirtschaftlichen Wettbewerb, Ideologie und Sicherheit eng verwobenes internationales System zu bewältigen. Als solche haben diese Maßnahmen erschwert, dass Deutschland mittelfristig wichtige technologische Trends erkennen und mitgestalten kann.

 

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Darüber hinaus zeichnete sich die deutsche Digitalpolitik bisher häufig durch geografische Kurzsichtigkeit aus, da sie stark auf das Inland ausgerichtet war. Deutschlands Digitalstrategie 2022 muss dabei zugutegehalten werden, dass sie eine ausschließliche Fixierung auf die Infrastruktur, die die Digitalisierung ermöglicht, überwinden will und die folgenden Bereiche, die vier Bs, in den Vordergrund stellt:

Bund-Land (Föderalismus): Ausarbeitung einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über interoperable Genehmigungsverfahren, die Standardisierung von IT-Schnittstellen und die Multi-Cloud-Strategie in der Verwaltung

Bürokratie (IT-Konsolidierung und Digitalisierung in der Verwaltung): Behördenportale für eingereichte Unterlagen, die bis 2025 mit EU-Systemen kompatibel sein werden; Ausarbeitung einer Deutschen Verwaltungscloud-Strategie (DVS) und Festlegung von Kriterien für nachhaltige Rechenzentren auf der Grundlage sicherer und idealerweise Open-Source-Software sowie der Standards für die Beschaffung von Datenspeichern; e-ID-Standards; öffentlich zugängliche Daten und Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes (OZG)

Breitband (Breitband- und sonstige Konnektivitätsinfrastruktur): Ausweitung der 7,5 Millionen Glasfaseranschlüsse in Deutschland auf ländliche Regionen im Rahmen des Weiße-Flecken-Förderprogramms; lückenloses Mobilfunknetz im ländlichen Raum und entlang der Bahnstrecken; erweiterte Frequenzlizenzen; ein Gigabit-Grundbuch (Gigabit-Register mit Informationen zur Erweiterung der digitalen Infrastruktur) mit klaren Vorgaben für den Ausbau der IKT-Infrastruktur

Bildung (digitale Bildung): Digitalpakt 2.0 bis 2030 mit Cloud- und Software-Tools in einer sogenannten Nationalen Bildungsplattform, die auf Gaia-X und Hardware-Wartung basiert, aufbauend auf den digitalen Tools der einzelnen Bundesländer

Auch wenn all diese Maßnahmen notwendig sind, muss klar werden, dass ein auf diesen vier Bs basierender Ansatz unzureichend ist. Die Bundesregierung muss – in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft, den Forscherinnen und Forschern im Land sowie der Zivilgesellschaft – ihre Fähigkeit stärken, kurzfristige technologische Entwicklungen zu erkennen und schnell auf diese zu reagieren. Stichwort: Sprint. Gleichzeitig muss sie eine strategische Weitsicht entwickeln, um für mittelfristige Trends und deren Auswirkungen zu planen. Stichwort: Marathon. Beides miteinander in Einklang zu bringen, stellt die Politik zweifellos vor Herausforderungen. Wenn sie die kurzfristigen Probleme in den Vordergrund stellt, könnte das zu einer unzureichenden Planung im Digitalbereich führen. Schenkt sie jedoch den mittelfristigen Risiken mehr Aufmerksamkeit, besteht die Gefahr, dass sie die erforderlichen Schritte übersieht, um unverzüglich zu reagieren.

Das Spannungsverhältnis zwischen kurzfristiger und langfristiger technologischer Entwicklung wird auch in den Strategien der deutschen Privatwirtschaft im Digitalbereich deutlich. Dadurch liegt Deutschland in vier Bereichen hinter seinen internationalen Partnern zurück und muss dringend aktiv werden:

Datenlücke: Studien zu den direkten Auswirkungen der DSGVO und anderer Datenschutzvorschriften auf die Innovation in Europa lassen keine eindeutigen Schlüsse zu. In einigen Fällen hat die Verordnung eine Minderung der Verfügbarkeit und Geschwindigkeit der Datenverarbeitung zur Folge. In anderen Fällen eröffnet sie neues Innovationspotenzial. Allerdings ist der Umfang der Datenmärkte in Europa im Vergleich zu anderen demokratischen Staaten wie den USA begrenzt. Diese Tendenz könnte sich zudem durch die Bemühungen um mehr Datenlokalisierung – innerhalb der EU und weltweit – weiter verschärfen. Als vielversprechend können das Streben nach mehr Datenaltruismus auf europäischer Ebene (im Rahmen des Datengesetzes und des Daten-Governance-Gesetzes), die Freigabe öffentlicher Daten für kommerzielle Zwecke und die Förderung von Datenräumen in Bereichen wie Gesundheit und Mobilität gewertet werden. Doch bisher bleibt es nur bei derartigen Plänen. Zudem stößt der Datenaustausch auf kulturell bedingte Hindernisse.

Anpassungslücke: In der deutschen Industrie, insbesondere im Mittelstand und bei kleinen Unternehmen, kommt es weiterhin zu Verzögerungen bei der Einführung von Cloud-Services, die zunehmend den Zugang zur industriellen Digitalisierung und zu Plattformen sicherstellen, auf denen weitere digitale Dienstleistungen in den Bereichen KI, Cybersicherheit und Datenanalysen angeboten werden. Bei der Cloud-Einführung rangiert Deutschland auf Platz 20 aller 27 EU-Mitgliedstaaten. Dass die deutsche Industrie keine größeren Nachteile durch die verzögerte Einführung der ursprünglichen Software und Internetrevolution zu spüren bekam, war darauf zurückzuführen, dass sie ihre weltweite Wettbewerbsfähigkeit durch ihre Nischenfähigkeiten bewahren konnte. Und doch sind mit den potenziellen Auswirkungen neuer Technologien, die sich in den einzelnen Branchen langsam bemerkbar machen, grundlegende – wenn nicht sogar existenzielle – Gefahren für einige wichtige Geschäftsmodelle verbunden.

Investitions- und Kommerzialisierungslücke: Die Bundesregierung plant FuE-Investitionen in Höhe von 3,5 Prozent des BIP. Außerhalb Europas kommen die meisten Mittel für FuE im Bereich neuer Technologien aus der Privatwirtschaft. Die Hälfte der wichtigsten privaten Investoren im Bereich Quantencomputing stammen aus den USA, 40 Prozent aus China, kein einziger dagegen aus Europa. In Europa werden lediglich 12 Prozent, in den USA 40 Prozent und in Asien 32 Prozent der weltweiten privaten Investitionen in KI getätigt. Das Missverhältnis im Bereich der Kommerzialisierung liegt auf der Hand: Europa ist bei Patenten nur in zwei von zehn Schlüsseltechnologien führend. Und dies, obwohl sich die Grundlagenforschung in Europa, mit Deutschland an der Spitze, auf Augenhöhe mit den USA und China bewegt.

Cyber-Lücke: Die Zahl der Sicherheitsvorfälle in deutschen IT-Systemen – darunter IP-Diebstahl, Angriffe mit Schadprogrammen auf Kommunen und Krankenhäuser, politische motivierte Hackerangriffe wie 2021 auf den Deutschen Bundestag und unbeabsichtigte Kollateralschäden – haben seit der Pandemie zugenommen. Die Angriffe durch staatliche Akteure wie China und Russland und durch staatsnahe und nicht-staatliche Akteure werden immer zahlreicher und ausgefeilter. Deutschland hat sich an vorderster Front um die Erarbeitung von Cyber-Kontrollen und -Standards bemüht, um Vorkehrungen für die sich verändernde Bedrohungslandschaft zu treffen. Im Rahmen der EU verweist Deutschland auf die möglichen Folgen – von Sanktionen bis hin zu Attribuierung – derartiger Angriffe gemäß der Cyber Diplomacy Toolbox. Außerhalb der EU hat der norwegische Staatsfonds festgestellt, dass Cybergefahren eine wichtige Ursache für systembedingte wirtschaftliche Risiken darstellen.

In jedem dieser vier Bereiche hat sich Deutschlands bisherige Herangehensweise (Schritt-für-Schritt) als ungeeignet erwiesen, Herausforderungen wie die Auswirkungen neuer Technologien auf die Innovation und Industrie des Landes zu bewältigen, ebenso wenig wie die Auswirkungen auf ein internationales System, in dem Technologie, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, nationale Sicherheit, und zunehmend auch ideologische Belange, untrennbar miteinander verwoben sind. Hier kann Deutschland nur erfolgreich sein, wenn es endlich eine solide, leistungsfähige europäische Digitalwirtschaft aufbaut, die in eine offene, demokratische und regelbasierte digitale Ordnung eingebettet ist. Dies ist besonders wichtig, da sich die Risiken einer Fragmentierung des Internets, von Datenlokalisierung und einer zunehmenden Rolle von Technologien beim Export von Governance-Modellen erhöhen. Zudem ist es wichtig, da digitale Abhängigkeit eine Schwachstelle für geopolitische Angriffe ist.

Digitale Souveränität als Deutschlands Leitmotiv im globalen Kontext

Um die vier Lücken zu schließen und die kurz- und mittelfristige technologische Entwicklung zu bewältigen, muss Deutschland in einem integrierten Ansatz seine Kapazitäten und Zielsetzungen auf nationaler und internationaler Ebene in einem technologiepolitischen Rahmen bündeln. Eine solche integrierte Strategie erfordert die Aufmerksamkeit und Unterstützung von Vertreterinnen und Vertretern ­aller politischen Institutionen, einschließlich des Bundestages, der Ministerien, der EU, der Länder, von etablierten Unternehmen sowie Start-ups des Privatsektors und anderen Partnern in Europa und über den Kontinent hinaus. Nur so lassen sich gemein­same Ziele und Strategien entwickeln.

Deutschland muss seinen Partnern wie auch seinen Gegnern ein klares Verständnis von seiner internationalen Digitalpolitik als umfassendes Ganzes vermitteln. Diese Politik sollte auf die Rolle  als führender EU-Mitgliedstaat ausgerichtet sein und sich auf sechs Bausteinen stütze, die auf dem Prinzip der „Wahlfreiheit“ basieren:

Unterstützung eines starken Innovationsumfelds. Im Rahmen der Strategie sollten stärkere Verbindungen geschaffen werden zwischen staatlich geförderter FuE, Kommerzialisierung und Industriepolitik in neu entstehenden Technologiebereichen wie KI, Quantencom­puting, fortschrittliche Chips und Cloud Computing.

Förderung des offenen Wettbewerbs von Ideen und Technologien. Digitalpolitik sollte Lock-in-Effekte vermeiden und gleichzeitig eine Diversifizierung der Anbieter unterstützen, um die Versorgungssicherheit bei kritischen Technologien und der Beschaffung von Rohstoffen zu erhöhen. Sie sollte strategische Interdependenzen mit gleichgesinnten Staaten schaffen, den pragmatischen Einsatz von Open-Source-Software fördern, die Interoperabilität proprietärer Systeme fordern und einen Bottom-up-und Multistakeholder-Ansatz mit mehreren Interessengruppen bei der Festlegung von Standards priorisieren.

Festlegung eindeutiger Regeln, die eine demokratische, menschenzentrierte Ordnung schaffen. Digitalpolitik sollte die Inhaltsmoderation, die Marktmacht von Online-Plattformen, von Industriedaten, Cybersicherheit, Cloud-Regeln und KI regeln, um das digitale Vertrauen der Europäerinnen und Europäer zu stärken und ein globales Modell zu schaffen. Sie muss die Fähigkeiten Deutschlands und Europas erneuern, technische Standards zu setzen.

Wiederherstellung der informationellen Selbstbestimmung der Userinnen und User in Europa und weltweit. Digitalpolitik sollte den Datenschutz, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und die Inhaltsmoderation fördern, ohne die Meinungsfreiheit wesentlich einzuschränken. Sie muss Wahlfreiheit als Leitprinzip der IKT-Infrastrukturzusammenarbeit mit den westlichen Balkanstaaten, den Ländern der Östlichen Partnerschaft und des Globalen Südens unterstützen.

Reduzierung von CO2-Emissionen und Gewährleistung von technologischer Nachhaltigkeit. Digitalpolitik sollte den Einsatz neuer Technologien fördern, die „Green by Design“ sind und bei denen die CO2-Reduzierung im Mittelpunkt steht. Derartige Technologien umfassen modernste Chips und Edge-Computing, energieeffiziente Algorithmen, KI-gestützte Energieoptimierung im IoT sowie Quantentechnologie für eine nachhaltige Landwirtschaft.

Durchsetzung von angemessenen Sanktionen im Falle einer Verletzung dieser Regeln. Digital­politik sollte angemessene Sanktionen, Investitionsbeschränkungen, Exportkontrollen und den Verlust des Zugangs zu geistigem Eigentum, Daten und Märkten gegenüber Staaten und Technologieunternehmen, einschließlich Gatekeeper-Plattformen, Telekommunikations- und Internetdienstleistern und Hardware-Anbietern und Messenger-Diensten vorsehen, wenn diese gegen Regeln verstoßen.

Ein solches Vorgehen ist weniger naheliegend, als es scheint. In den letzten Jahren hat die EU zwischen zwei Konzepten der digitalen Souveränität einen Ausgleich gesucht und mitunter tiefe innere Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten über die strategische Ausrichtung in diesem Bereich überspielt. Der regelzentrierte Ansatz baut auf der ordoliberalen Tradition auf und beruht auf einer starken Unterstützung des Wettbewerbs, einer klar definierten Regulierung, Grundrechten und offenen Märkten. Er lehnt die auf Netzwerkeffekten basierende Kartellbildung, Lock-in-Effekte und Hindernisse für grenzüberschreitende digitale Dienst­leistungen ab. Diese Auffassung beruht auch auf einem mehrdimensionalen Verständnis von Souveränität, das die Selbstbestimmtheit des Staates, von Institutionen und Einzelpersonen wahrt. Einige Partner Deutschlands – insbesondere Frankreich und Teile der ­Europäischen Kommission – befürworten jedoch einen Ansatz mit einer mehr auf die Marktteilnehmenden ausgerichteten, interventionistischen Vorstellung von digitaler Souveränität, die technologische importsubstituierende Industrialisierung (ISI), protektionistische Maßnahmen und Datenlokalisierung innerhalb Europas hervorhebt.

Beide Vorstellungen von digitaler Souveränität beruhen im Kern darauf, den europäischen digitalen Binnenmarkt zu verwirklichen und die Skalierbarkeit in ganz Europa zu gewährleisten. Beide sehen die Stärkung der inländischen Innovationskapazitäten und die Verringerung externer Schwachstellen als strategisches Ziel an. Außerdem unterstreichen beide die Rolle des Staates bei der Gestaltung der IKT-Umgebung. Doch solange beide Traditionen in Europa bestehen – und zentrale Konflikte und Widersprüche unter den Teppich gekehrt werden – kann es sein, dass wichtige strategische Entscheidungen im ­Rahmen von Konsensbildung verzögert werden.

 

Ein „dritter Weg“ oder eine ­demokratische Technologie-Governance mit der EU und den USA im Zentrum?

Die Frage, wie Deutschland und die EU die digitale Souveränität als Rahmen interpretieren, wirkt sich unmittelbar auf die digitale Grand Strategy der EU und ihre strategische Positionierung aus. Politikerinnen und Politiker ordnen den europäischen Ansatz zur digitalen Technologie manchmal als selbständigen geopolitischen „dritten Weg“ zwischen einem eher liberalen, „amerikanischen“ Ansatz für Technologie-Governance und dem chinesischen Techno-Autoritarismus ein. Doch ein solcher Ansatz in der Digitalpolitik birgt zwei strategische Nachteile.

Erstens stärkt er eine Vorstellung von digitaler Souveränität, die sich auf die inländische Lokalisierung von Daten, sozialen Medien, digitalen Diensten und strategischen Technologien konzentriert, um die Industrialisierung und politische Kontrolle zu fördern. Dieser Ansatz könnte autoritäre Vorstellungen von digitaler Souveränität legitimieren wie sie Russland und China vertreten, die es einem starken, zentralisierten Staat erlauben, alle Lebensbereiche zu durchdringen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Er könnte auch einen globalen digitalen Merkantilismus begünstigen, der die Welt in Einflusssphären im Bereich digitaler Dienstleistungen und Daten unterteilt, die europäische Regeln und Akteure aus anderen geografischen Regionen ausschließen könnten.

Zweitens kann der Ansatz des sogenannten dritten Weges die Wahlfreiheit einschränken, indem er die Nutzung von Technologien, Daten und digitalen Dienste begrenzt, die sowohl den Nutzerinnen und Nutzern als auch einer innovativen industriellen Basis zugutekommen. Die weltweite Tendenz zu Datenlokalisierung, einem Splinternet und geschlossenen Technologieplattformen, die in regionale oder nationale Einflussbereiche eingeteilt sind, sollte den europäischen politischen Verantwortlichen zu ­denken geben. Ihre Amtskollegen in Neu-Delhi reagieren bereits auf diesen Trend und fordern einen „vierten Weg“ für Indien.[1] Andere aufstrebende Digitalmächte könnten diesem Beispiel folgen. Wenn die Welt von einem regional zersplitterten Internet geprägt wäre und dem digitalen Merkantilismus verfiele, würde Europa mit seiner Abhängigkeit von digitalen Diensten aus den USA sowie ostasiatischer Hardware neben anderen Nationen noch weiter als bisher zurückfallen, wenn es darum geht, eigene Kapazitäten in Bereichen wie IoT, dem industriellen Internet der Dinge (IIoT) und neue Technologien wie Quantencomputing, Blockchain und KI auszubauen. Außerdem könnte dies einen digitalen Protektionismus befördern, der weitere offene Märkte ausschließt und durch den Deutschland und die EU möglicherweise Zugangsmöglichkeiten, Innovationspotenzial und Governance-Partner verlieren.

All dies bedroht Deutschlands – und Europas – digitale Souveränität, die auf universellen Prinzipien aufbauen muss, um sich zu behaupten. Digitale Souveränität muss die Emanzipation des Einzelnen in einem globalen, demokratischen Wertesystem in den Mittelpunkt stellen, auch wenn sie darauf abzielt, die deutsche und europäische technologische Wettbewerbs und Widerstandsfähigkeit zu stärken.

Zu diesem Zweck sollten Deutschland und die EU mit anderen gleichgesinnten Staaten – insbesondere den USA – zusammenarbeiten, um ihr kollektives Gewicht in Bezug auf Marktgröße, Technologiezugang und Innovationskapazität zu nutzen. Eine solche Zusammenarbeit könnte auch zur Offenheit beitragen, indem sie Regeln, Werte, Wechselseitigkeit und Zugangsmöglichkeiten miteinander verknüpft, die in einer demokratischen Technologieordnung als sich gegenseitig verstärkende Instrumente wirken.

Zusammenfassend ist ein Paradigma des „dritten Wegs“ im Sinne einer Äquidistanz zwischen den USA und China für Deutschland keine Option. Doch unabhängig von der Zusammenarbeit mit Partnern, in erster Linie den USA, muss Deutschland auch Maßnahmen zur Stabilisierung seiner Technologie-Industrie ergreifen, um sich selbst – und Europa – vor Verwundbarkeit durch einen immer härteren Wettbewerb im Technologiesektor zu schützen, in dem Europa eine führende Rolle übernehmen will. Dazu gehören auch die Entwicklung neuer Instrumente der gegenseitigen Unterstützung, für den Marktzugang, die Bildung von Technologieallianzen und eine Neuausrichtung der Forschung und Entwicklung auf Allzwecktechnologien.

Zweckgerechte politische Entscheidungsstrukturen

Bisher hat die Abgrenzung von Politikfeldern und die breite Verteilung von Zuständigkeiten auf verschiedene Ministerien eine wirksame Koordinierung von Maßnahmen erschwert, die FuE, Industriepolitik, Regulierung und Werte auf kohärente Weise miteinander verbinden, um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, nationale Sicherheit und demokratische Werte in Deutschland zu fördern. Die Bundesregierung will mit Hilfe ressortübergreifender Reformen bisherige strukturelle Schwächen überwinden, um sowohl die Politik als auch die Haushaltsplanung im Digitalbereich zu optimieren (siehe Abbildung 2). Da es jedoch die Interessen von drei Parteien zu berücksichtigen galt, hat die Ampelkoalition die Zuständigkeiten für Technologie aufgeteilt, sodass sie nun breiter gestreut sind als in früheren Regierungen. Das Ergebnis – so wie es im Koalitionsvertrag steht – dürfte mit erheblichen Hürden für die Entwicklung einer klaren Vision von der digitalen Transformation Deutschlands – und damit von einer starken internationalen Position des Landes im globalen Technologiewettbewerb – verbunden sein.

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Das BMWK steuert die digitale Wettbewerbspolitik. Auch das Bundeskartellamt gehört zu seinem Geschäftsbereich. Es überwacht die Einhaltung des Gesetzes über Digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) und verfügt über wichtige Zuständigkeiten in den Bereichen Data Governance, KI und Cloud, einschließlich Gaia-X und SPRIND, Deutschlands Agentur für Sprunginnovation. Es verwaltet die Industriepolitik im Technologiesektor. Dazu gehören auch wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse (Important Projects of Common European Interest, IPCEIs) in Bereichen wie Halbleiter, ­Cloudcomputing und Wasserstofftechnologien Außerdem gibt es die Richtung der Außenwirtschaftspolitik vor und kontrolliert die wichtigsten Instrumente zur Steuerung von Technologie, nationaler Sicherheit und Handel. Zu diesen Instrumenten gehören die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck und das ­System für die Überprüfung von ausländischen Direkt­investitionen. All diese Hebel sind entscheidend, um Deutschlands und Europas Fähigkeit zur Gestaltung der Digital­politik und der digitalen Souveränität zu stärken.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wiederum verfügt über wesentliche Entscheidungskompetenzen bezüglich der Vergabe von Fördermitteln und Aufträgen in der Grundlagenforschung bei Instituten wie der Max-Planck-Gesellschaft sowie in der angewandten Forschung bei den 75 Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Das BMBF ist zusammen mit dem BMWK federführend bei der Gestaltung der neuen Agentur für Transfer und Innovation (DATI). Das BMWK verfolgt zugleich aber auch das Ziel, die Ausgaben im Bereich FuE bis 2025 auf 3,5 Prozent des BIP zu erhöhen. Die Verwaltung der IT-Konsolidierung im öffentlichen Sektor, der Cybersicherheit, des Schutzes kritischer Infrastrukturen und der Rechtsmäßigkeit des Datenzugriffs und der Datenspeicherung für Strafverfolgungszwecke verbleibt in der Zuständigkeit des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI). Das Bundesfinanzministerium (BMF) behält die Kontrolle über datenbezogene Politik, die für die Dateninfrastruktur von entscheidender Bedeutung ist und sich auf die Datenlokalisierung, die Industrieplanung und die Rahmenbedingungen auswirkt, unter denen amerikanische und chinesische Hyper­scaler an den Cloud-Service-Angeboten der öffentlichen Hand teilnehmen können.

Die Entscheidung der Regierung, die gesamte digitale Verantwortung auszulagern und das Koordinationspersonal im Bundeskanzleramt zu ­dekonzentrieren, wird zumindest teilweise von dem Gefühl getragen, dass die digitale Transformation in der Ära Merkel stagnierte. Damit könnte jedoch ein Rückschritt verbunden sein, denn das Bundeskanzleramt ist für die Durchsetzung von Maßnahmen von allen Regierungsstellen am besten positioniert. Es hat regelmäßig das Digitalkabinett einberufen, um behördenübergreifende Bemühungen zu bündeln, und die Beiträge externer Interessengruppen in die Strategie und die Bemühungen zur Schaffung eines digitalen Staates einfließen lassen.

Es hat gleichzeitig eine Konsolidierung stattgefunden, die dazu führen könnte, dass ein erweitertes BMDV zum Ausgangspunkt eines künftigen umfassenden Digitalministeriums wird. Die Verlagerung der Referate für europäische und internationale Digitalpolitik des BMWK und der zuständigen Führungskräfte in das BMDV könnte es einem solchen neuen „Tech-Zaren“ ermöglichen, auf dem Internet Governance Forum (IGF), im EU-Ministerrat für Digitales in Brüssel und bei anderen externen Zusammenkünften auf internationaler Ebene die politische Richtung vorzugeben. Das BMDV ist auch für die Bereiche Telekommunikation, Breitband und das Gesetz über digitale Dienste zuständig und leitet das Digitalkabinett der Regierung, das über ein Budget von 500 Millionen Euro verfügt.

Der Erfolg Deutschlands bei der Gestaltung einer digitalen Strategie wird davon abhängen, ob es dem BMDV gelingt, eine „vernetzte Mentalität“ zu schaffen, die zu einem Konsens innerhalb der Bundesregierung, zwischen den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern von Bund, Ländern und Kommunen sowie zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor führt. Die Zusammenarbeit des BMDV und BMWK wird von entscheidender Bedeutung sein, um kohärente nationale und globale Strategien zu entwickeln – für Data Governance, Start-ups, internationale Standards, Gaming, Marktzugang und Marktabschottung durch techno-autoritäre Staaten sowie industriepolitische Maßnahmen für den Technologiesektor, einschließlich digitaler Infrastruktur, und Internet Governance.

Handlungsempfehlungen

Die Fähigkeit Deutschlands, seine strategischen Zielsetzungen zu verfolgen und die globale Technologieordnung zu gestalten, erfordert auf allen Regierungsebenen ein Umdenken und eine stärkere Interdisziplinarität. Dafür bedarf es einer entsprechenden Neuausrichtung seiner operativen Strukturen. Mit den folgenden sieben Maßnahmen könnte Deutschland dies erreichen:

Eine klar definierte „regelbasierte“ Doktrin der digitalen Souveränität unterstützen, die im Prinzip der Wahlfreiheit, offenen Märkten und Menschenrechten verankert ist. Die strategische Mehrdeutigkeit mit Blick auf das Konzept der digitalen Souveränität ist überholt. In einer Zeit, in der Europa strategische Technologieprojekte und Vorschriften für KI, Cloud-Computing, Halbleiter, 5/6G- Mobilfunknetze und Quantencomputing auf den Weg bringt, muss sich die Bundesregierung von ihrer inzwischen kontraproduktiven Mehrdeutigkeit verabschieden.

Geopolitisches Denken bei den Mitarbeitenden des Ministeriums und der Referate für Digital­politik (insbesondere im erweiterten BMDV) verankern. Das BMDV sollte ressortübergreifende Tagungen einführen, um die geostrategischen Implikationen digitaler und technologischer Regulierung sowie Politik zu bestimmen.[1] Hierfür muss die Rolle des AA und des BMVg in der Technologiepolitik gestärkt werden. Die Bundesregierung sollte die Mandate dieser Ministerien auf Bereiche jenseits des Ausbaus von 5G-Netzwerken, der Cybernormen, der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen (weapons of mass destruction, WMD) und der Beschaffung aufkommender Technologien ausweiten. Ihre Zuständigkeiten sollten sich auf technische ­Forschung und Entwicklung, technische Normen und zivile Anbieter von Infrastrukturen jenseits der Mobil­funkausrüstung erstrecken.

Einen umfassenden Aktionsplan im Bereich Technologie und Außenpolitik vorlegen, der einen Zusammenhang zwischen der Digitalstrategie und der geplanten Nationalen Sicherheitsstrategie herstellt. Das BMDV hat gemeinsam mit dem BMWK, BMBF, BMI, AA und BMVg und in Zusammenarbeit mit anderen Stakeholdern die erste integrierte Digitalstrategie der Bundesregierung erarbeitet. Nun sollten BMDV, AA und BMWK einen Aktionsplan entwerfen, der innenpolitische und europäische Fragen der Industriepolitik und der Regulierung des Technologiesektors mit außenpolitischen Fragen verknüpft, die in Bezug auf Techno-Autoritarismus, die Festlegung internationaler Standards, Internet ­Governance und Technologieallianzen relevant sind. Der Aktionsplan muss Haushaltsprioritäten setzen, die gewährleisten, dass die Haushaltskonsolidierung nach der Covid-19-Pandemie nicht zu Lasten eines technologischen Wandels geht, der die Herausforderungen der nächsten Welle des globalen geo­politischen und wirtschaftlichen Wettbewerbs bewältigen kann.

Das Amt eines Sonderbeauftragen für Technologie mit drei Stellvertreterinnen bzw. Stellvertretern einführen, die die deutsche Digital-Außenpolitik koordinieren können. Das AA sollte das Amt einer/ eines Sonderbeauftragten im Rang einer Staatssekretärin/eines Staatssekretärs einführen, die bzw. der insbesondere die Umsetzung des Aktionsplans übernimmt. Der bzw. dem Sonderbeauftragten sollten Stellvertreterinnen bzw. Stellvertreter für Cyber­sicherheit, Digitalwirtschaft und digitale Rechte zur Seite stehen, um die technologiepolitischen Ziele Deutschlands auf internationaler Ebene erfolgreich und kohärent zu vermitteln.

Den digitalen Föderalismus flexibler gestalten. Die Bundesregierung muss die Interoperabilität, die Komplementarität von Innovationen und die Bewertung der Sicherheit von Technologien zwischen Bund und Ländern stärken, um skalierbare Technologien auf europäischer und letztlich globaler Ebene aufzubauen. Entsprechende Bemühungen auf nationaler Ebene sind somit zugleich auch außenpolitisch relevant. Deutschland könnte beispielsweise einen „App Store“ für digitale Instrumente in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und Polizeiarbeit einrichten. Die Bundesregierung könnte auch die Auflagen bei ihren Finanzierungsanreizen für die Technologiebeschaffung durch Cyber- und Anbieterrichtlinien verstärken, die mit nationalen, EU- und NATO-Sicherheitsinteressen in Einklang stehen.

Einen ressortübergreifenden Bundestagsausschuss „Technologie- und Außenpolitik“ einrichten. Ein solcher Ausschuss würde die Kohärenz der Ansätze in Politikfeldern wie Föderalismus und demokratische Technologieallianzen gewährleisten. Die Gruppe, die sich parteiübergreifend aus Mitgliedern der Bundestagsausschüsse für Digitales, Auswärtige Angelegenheiten, Wirtschaft, Inneres, Finanzen und Verteidigung zusammensetzen würde, sollte sich mit Themen befassen, die für alle vertretenen Ressorts relevant sind.

Dieser Onlinetext ist die Einleitung und Zusammenfassung der zehn Aktionspläne. Laden Sie sich den kompletten Bericht hier herunter. 

Kapitel des Reports Eine digitale Grand Strategy für Deutschland“ 

 

Bibliografische Angaben

Barker, Tyson, and David Hagebölling. “Eine digitale Grand Strategy für Deutschland.” German Council on Foreign Relations. November 2022.

DGAP Report Nr. 8, November 2022, veröffentlicht am 09.11.2022; 104 Seiten.

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