Memo

08. Febr. 2023

Carbon Leakage in Zeiten der Energiekrise

Bild: Vogelperspektive auf Wolken und Schornsteine
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Gemeinfrei CC0

Im Zuge des Energiepreisschocks könnte zunehmend energieintensive Produktion ins Ausland verlagert werden. Damit europäische Klimapolitik effektiv ist, müssen daher die innen- und außenpolitischen Dimensionen der industriellen Transformation gemeinsam angegangen werden. 

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Deutschlands CO2-Emissionen sind in den letzten drei Jahrzehnten zurückgegangen. Dies gilt nicht nur für die produktionsbasierten Emissionen (Emissionen, die im Inland durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe und die industrielle Produktion verursacht werden), sondern auch für die konsumbasierten Emissionen (Emissionen, die durch heimischen Konsum verursacht werden und somit importierte Emissionen beinhalten). Die produktionsbasierten Emissionen sind von 1,05 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr 1990 auf etwa 866 Millionen Tonnen im Jahr 2005 und 639 Millionen Tonnen im Jahr 2020 zurückgegangen. Gleichermaßen fielen die konsumbasierten Emissionen von 1,19 Milliarden Tonnen im Jahr 1990 auf 1,05 Milliarden Tonnen im Jahr 2005 und 769 Millionen Tonnen im Jahr 2020. In beiden Fällen beträgt die Emissionsminderung etwa 35 Prozent.

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Die Dekarbonisierung Deutschlands (die sich auch auf die Industrie erstreckt) wurde also bislang nicht auf Kosten der Verlagerung von CO2-Emissionen und der Einfuhr von Gütern mit einem höheren CO2-Fußabdruck erreicht. Dieser Trend gilt auch für die 27 EU-Mitgliedstaaten insgesamt.

Die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgelöste Energiekrise ist ein geopolitischer Schock für Deutschland und Europa, der diese langfristige Entwicklung gefährden könnte. Vor dem Hintergrund hoher Energiepreise wurden energieintensive Industrieprozesse ins Ausland verlagert, um sich an die Situation anzupassen (Carbon Leakage).

Diese Verlagerung ist eine Folge des Energiepreisschocks, nicht der CO2-Besteuerung. So haben beispielsweise Teile der chemischen Industrie bereits erwägt, die Produktion ins Ausland zu verlagern, um Gas zu sparen. Erdgas ist ein wichtiger Primärenergieträger im deutschen Energiemix und insbesondere als Input für hochintensive Produktionsprozesse relevant. Einige Industrieprodukte wie Ammoniak, das bei der Produktion von Stickstoffdünger und bestimmten Kunststoffen verwendet wird, benötigen im chemischen Produktionsprozess ebenfalls Erdgas. Solche Produktionsverlagerungen könnten dauerhaft anhalten, zumal die Energiepreise weiterhin deutlich über dem Vorkrisenniveau liegen werden.

Mehrere Monate nach Beginn der Energiekrise und nachdem die extreme Preisvolatilität in den letzten Wochen nachgelassen hat, haben sich die anfänglichen Befürchtungen eines Zusammenbruchs der Volkswirtschaft bislang nicht bestätigt. Vielmehr scheint eine substanzielle Anpassung des Energieverbrauchs bei relativ geringen volkswirtschaftlichen Kosten möglich. Eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle hat gezeigt, dass der überwiegende Teil des Gasbedarfs der deutschen Industrie (90 Prozent) für die Herstellung einer relativ kleinen Anzahl von Produkten (etwa 300 Stück) verwendet wird. Es ist unwahrscheinlich, dass die Verlagerung der Produktion dieser Güter großen wirtschaftlichen Schaden anrichten würde.

Die Auslagerung der CO2-intensiven Produktion könnte daher als eine Beschleunigung der Dekarbonisierung Europas erscheinen. Aus Perspektive der globalen Emissionen stellt dies jedoch keine Emissionsminderung dar, sondern eine Verlagerung von CO2-Emissionen, die bei früheren Klimapolitiken nicht vorhanden war.

Internationale Klimaschutzbemühungen werden dringlicher

Die Verlagerung energieintensiver Produktion ins Ausland im Zuge des Energiepreisschocks erhöht die Bedeutung internationaler Klimaschutzmaßnahmen und verringert die Wirksamkeit nationaler Klimapolitik. Oder auf den Punkt gebracht: Eine nachhaltige Transformation der Industrie in Zeiten der Energiekrise erfordert die Kohärenz von innen- und außenpolitischen Zielen.

Tatsächlich dürfte sich die Kluft zwischen konsum- und produktionsbasierten Emissionen noch vergrößern. Im Lichte einer strengeren europäischen Klimapolitik in den kommenden Jahren wächst die Bedeutung eines Mechanismus zum CO2-Grenzausgleich (eines sogenannten Carbon Border Adjustment Mechanism oder kurz CBAM) und anderer internationaler klimapolitischer Instrumente. Die innen- und außenpolitischen Dimensionen der industriellen Transformation müssen daher zunehmend gemeinsam angegangen werden, damit europäische Klimapolitik effektiv ist.

Innenpolitisch muss sichergestellt werden, dass Investitionen die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen erhöhen, anstatt deren Ausstieg weiter zu verzögern oder, schlimmer noch, neue Lock-in-Effekte zu erzeugen. In dieser Hinsicht geben die der Industrie während der COVID-Pandemie zugewiesenen Konjunkturmittel Grund zur Vorsicht: Während in Deutschland nur wenige Mittel direkt in die fossile Brennstoffindustrie geflossen sind und der Schwerpunkt auf der Förderung der Wasserstoffproduktion lag, zeigt eine gesamteuropäische Bewertung der Konjunkturausgaben im Industriesektor, dass 20 Milliarden Euro (etwa 36 Prozent aller Konjunkturausgaben für die Industrie) vermutlich einen nachteiligen Effekt für die grüne Transformation haben.

In Zeiten multipler Krisen neigen Regierungen dazu, sich auf kurzfristige Lösungen zu konzentrieren, dadurch Pfadabhängigkeiten zu verstärken und den Strukturwandel zu verzögern. Während einige Ausgaben für bestehende fossile Infrastrukturen zur Gewährleistung der Energiesicherheit notwendig sind, muss eine nachhaltige industrielle Transformation den Schwerpunkt auf transformative Lösungen legen.

Auf internationaler Ebene spielen marktbasierte Mechanismen wie der schon erwähnte CO2-Grenzausgleich eine wichtige Rolle, um die Verlagerung von CO2-Emissionen zu verhindern und Anreize für Emissionsminderungen im Ausland zu schaffen. Darüber hinaus müssen Deutschland und die EU nach neuen Wegen suchen, um Anreize für die industrielle Dekarbonisierung mit Handelspartnern zu schaffen. Die Just Energy Transition Partnerships (JETPs), die mit Ländern wie Indien und Südafrika beschlossen wurden, könnten als Blaupausen für die Finanzierung einer umweltfreundlichen Industrieproduktion im Ausland dienen und die Verlagerung von CO2-Emissionen verringern.

Bibliografische Angaben

Wolff, Guntram, and Tim Bosch. “Carbon Leakage in Zeiten der Energiekrise.” German Council on Foreign Relations. February 2023.

Diese deutsche Version des DGAP Memos ist zuerst auf Makronomo am 6. Februar 2023 erschienen.

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