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25. Febr. 2025

An der Wiedereinführung der Wehrpflicht führt jetzt kein Weg vorbei

Soldaten vor einem Schützenpanzer Puma
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Deutschland hat unter der Ampel wertvolle Zeit vergeudet, um wehrhaft zu werden, schreibt unser Gastautor, der Ex-Wehrbeauftragte. Umso dringender sei mit Blick auf Trump und Putin, dass die nächste Regierung sofort loslegt: Die Truppe müsse wiederbewaffnet werden, die Wehrpflicht „ohne Prüf-Klimbim“ zurückkehren.

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Nicht kleckern, sondern klotzen! Das muss nun das Leitmotiv für die schnelle Wehrhaftmachung Deutschlands und Europas werden. Wer den Schuss noch immer nicht gehört haben will, schläft nicht, sondern stellt sich tot.

Russlands Präsident Putin bedroht europäische Nato-Verbündete mit Krieg. Gleichzeitig stellt Amerikas Präsident Donald Trump das transatlantische Schutzversprechen infrage – und bedroht seinerseits Kanada, Grönland und Panama mit militärischen Annexionsfantasien. Es ist ernst.

Ein Jahrzehnt des schuldhaften Zögerns seit Wladimir Putins erstem Versuch, 2014 die Ukraine zu unterwerfen, rächt sich nun. Die Appeasement-Politik mit Minsk I und II, Nord Stream I und II sowie auch der Weg-mit-Schaden-Abzug des Westens aus Afghanistan dürften Moskau eher ermutigt haben, statt es einzudämmen.

Mit ihrer damaligen „Trendwende“-Rhetorik hat die heutige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Zeit als deutsche Verteidigungsministerin keinen einzigen Negativtrend gewendet. Die Bundeswehr blieb zu klein, mangelhaft ausgestattet, für die Abschreckung Russlands „blank“. Es gab Warnungen und Mahnungen, aber darauf immer wieder offiziell die gleiche beschwichtigende Auskunft, es sei alles auf einem guten Weg. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ die Verwahrlosung der Berliner Militärpolitik laufen, als gäbe es keine neue Bedrohung.

Unmittelbar nach dem zweiten Überfall auf die Ukraine, im Februar 2022, erklärte Merkels Nachfolger, Olaf Scholz (SPD), nun werde alles anders. Er sprach von einer „großen nationalen Kraftanstrengung“ für eine „hochmoderne“ Bundeswehr, „die uns zuverlässig schützt“. Beschlossen wurde alsbald ein einmaliger kreditfinanzierter 100-Milliarden-Euro-Ausrüstungsfonds. Aber das war es dann auch schon.

Der jährliche reguläre Verteidigungsetat wurde bei etwas über 50 Milliarden Euro dauerhaft eingefroren, Militärhilfe für Kiew zunächst nur widerstrebend freigegeben, und die überforderte Christine Lambrecht (SPD) durfte noch ein Jahr lang Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte bleiben, ein weiteres verlorenes Jahr.

Während die Ukraine um ihr Überleben kämpfte, sollte sich an den klima-, sozial- und identitätspolitischen Prioritäten der Ampel-Koalition nichts ändern, um das Dreierbündnis – koste es, was es wolle – mithilfe des Koalitionsvertrages von vor dem Krieg zusammenzuhalten. Die Zeitenwende wurde zum exklusiven Spezialproblem der Bundeswehr herabgestuft. Tatsächlich ist die Ampel dann aber wohl gerade an ihrer Unfähigkeit zum Neu-Priorisieren zerbrochen.

Die Wiederbewaffnung der Bundeswehr wird zwangsläufig Zumutungen in anderen Bereichen mit sich bringen. Sollten sich nicht alle Investitionsbedürfnisse aus zusätzlichem Wirtschaftswachstum finanzieren lassen, wonach es im Moment nicht aussieht, muss der 500-Milliarden-Bundeshaushalt in Richtung Verteidigung umgebaut werden. 100 statt 50 Milliarden Euro im Jahr dürften durch neue Prioritätensetzung für das Militär zu erwirtschaften sein. Darüber hinaus gehende Bedarfe würden wohl weitere Verschuldung erfordern.

Wehrpflicht ohne Prüf-Klimbim in den Koalitionsvertrag!

Dabei ist bisher nicht vollständig abzusehen, wie die Bundeswehr in Zukunft kämpfen soll und was sie dafür braucht. Aus den neuen geheimen Verteidigungsplänen der Nato ergeben sich Kräfteforderungen, die unter den Nationen verteilt werden müssen. Das findet auf militärpolitischer Ebene gerade jetzt statt. Der Nato-Gipfel im Juni soll das Ergebnis formal absegnen. Falls dann die USA weniger zusagen als bisher erwartet, käme auf Deutschland ein höherer Anteil zu, über die üblichen zehn Prozent hinaus.

Zehn Prozent wären bei zusätzlich 49 Kampfbrigaden (mit 5000 Soldaten), die nach ersten Informationen aus der Allianz für die Verteidigung Europas neu erforderlich werden: fünf mehr für Deutschland. Vorhanden sind zurzeit siebeneinhalb, organisiert in drei Divisionen. Eine weitere Brigade ist gerade für die Dauer-Stationierung in Litauen im Aufbau. Insgesamt zehn Brigaden hatte Berlin bisher (bis 2031) versprochen, die neuen fünf kämen nun dazu, heißt: Das deutsche Heer müsste seinen Umfang genau verdoppeln, eigentlich.

Im Kalten Krieg bis 1990 bestand das Feldheer der westdeutschen Bundeswehr aus 36 Kampfbrigaden in 12 Divisionen, dahinter die Territorialverteidigung, in der Luft 1000 Kampfflugzeuge, auf See 130 Schiffe und Boote. Die Sollstärke der aktiven Truppe lag bei 495.000, mobilgemacht wären es 1,3 Millionen Soldaten gewesen. Die Quote der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt betrug 3,5 bis 4 Prozent, finanziert aus dem allgemeinen Bundeshaushalt bei weiter wachsendem Sozialstaat. Das war die alte Welt.

Heute kämpft die Bundeswehr als reine Freiwilligenarmee verzweifelt um Personal. Die Sollstärke von 203.000 wird seit Jahren nicht erreicht, das Ist liegt wie Blei bei 180.000 Soldatinnen und Soldaten, als ginge es „nur“ um die überschaubaren Auslandseinsätze von vorher. Für die existenzielle Aufgabe der Bündnisverteidigung in Europa aber hätten die Streitkräfte längst wieder größer werden müssen, und anders strukturiert. Fehlanzeige.

Deshalb geht für die nächste Regierung kein Weg am unverzüglichen Wiederbeleben der Wehrpflicht vorbei. Das muss in den Koalitionsvertrag, ohne Prüf-Klimbim. „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“, heißt es eindeutig im Grundgesetz. Da steht nicht: „… falls sich genügend Leute finden, die Lust dazu haben.“ Mindestens 250.000 Soldatinnen und Soldaten werden gebraucht. Das Personalproblem dürfte bald drängender sein als das Materialproblem.

Denn Rüstungsgüter sind in größeren Gebinden inzwischen schon geordert oder stehen kurz vor der Bestellung, immer noch zu wenig, aber die Produktion läuft an: mehr Artillerie und gepanzerte Gefechtsfahrzeuge, mehr Logistik, digitale Funkausstattung, eine Vervielfachung der Luftabwehrsysteme, Munition, neue U-Boote und Fregatten. Prekär ist die Lage noch bei Drohnen und Drohnenabwehr, Weltraumkapazitäten und der Einbindung von künstlicher Intelligenz. Aber die Lücken sind erkannt.

Der beschleunigte Kauf von amerikanischen F-35-Jagdbombern garantiert bald wieder die nukleare Gegendrohung mit hier stationierten US-Atomwaffen. Ein israelisch-amerikanisches Raketenabwehrsystem, Arrow-3, soll Kreml-Drohungen mit gezielten Atomschlägen kontern, erste Einsatzbereitschaft: Ende 2025. Und die konventionell bewaffneten „Deep Precision Strike“-Mittelstreckenflugkörper der USA sind ein mächtiges Instrument glaubwürdiger Abschreckung unterhalb der nuklearen Schwelle, wenn sie 2026 in Deutschland stationiert werden.

Wenn nicht: Das transatlantische Schutzversprechen ist bislang die Grundlage der Verteidigungsplanungen für Europa – fiele es weg, müsste alles jetzt Geplante doppelt so europäisch werden. Denn die USA allein tragen bisher 45 Prozent aller Nato-Lasten. Erforderlich wäre dann keine nur große, sondern eine gewaltige nationale und europäische Kraftanstrengung.

Bibliografische Angaben

Bartels, Hans-Peter. “An der Wiedereinführung der Wehrpflicht führt jetzt kein Weg vorbei.” German Council on Foreign Relations. February 2025.

Dieser Artikel wurde erstmals in der Welt am Sonntag am 22. Februar 2025 veröffentlicht.

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