Online Kommentar

06. Okt. 2022

Zwischenwahlen in den USA

Bei den Midterms geht es nicht nur um die Kongressmehrheiten, sondern auch um wichtige Wahlämter für 2024
Photo of entrance to a US voting precinct
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Im November werden in den 50 US-Bundesstaaten Mitglieder des Kongresses gewählt. Das Ergebnis wird zeigen, ob Joe Biden und die Demokraten ihre politische Agenda weiterverfolgen können. Aber auch Gouverneure, Staatssekretäre und Richter werden gewählt. Hierzulande sollte diesen Wahlen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Denn: Ihr Ausgang ist für die Präsidentschaftswahlen 2024 relevant. Viele der Posten sind für die Durchführung der Wahlen und Bestätigung der Ergebnisse von Bedeutung. Sollten in wichtigen Swing States Trump-Anhänger, die seine Lüge vom Wahlbetrug in 2020 propagieren, diese Posten besetzen, könnten sie in zwei Jahren die Wahlergebnisse manipulieren.

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Gegen Donald Trump und seine Vertrauten laufen derzeit mehrere Ermittlungsverfahren. Einige Untersuchungen verdeutlichen, mit welchen Methoden der damalige Präsident vor zwei Jahren versucht hat, die Ergebnisse in seinem Sinne zu manipulieren. Gegenstand einer Grand Jury in Georgia ist beispielsweise ein Telefongespräch vom Januar 2021, in dem der damals noch amtierende Präsident den Staatssekretär von Georgia, Brad Raffensperger, erfolglos aufforderte, 11.780 weitere Stimmen für die Republikaner zu „finden“. Trump brauchte diese Stimmen, um das Ergebnis in Georgia zu kippen, das einen knappen Vorsprung für Joe Biden gezeigt hatte. Daneben untersucht die Grand Jury die Aufstellung „falscher“ Wahlmänner, die Trump und seine Vertrauten unter anderem in Georgia initiiert haben sollen.

Auch wenn Trumps versuchte Wahlmanipulation 2020 gescheitert ist: Die Aufarbeitung der Ereignisse von damals macht deutlich, wie anfällig das antiquierte Wahlsystem der USA für mögliche Wahlmanipulationen ist, und welche Bedeutung einzelnen Offiziellen auf Ebene der Bundesstaaten bei der Durchführung und Bestätigung von Wahlen zukommt. Trump versucht seither, Verbündete, die seine Lüge von der „gestohlenen“ Wahl 2020 unterstützen, in diese zentralen Positionen zu bringen. Sollten diese bei den Wahlen im November gewinnen, könnten sie bei einem engen Wahlausgang 2024 dem Druck von Trump nachgeben, die Ergebnisse im Sinne der Republikaner zu manipulieren.

Präsidentschaftswahlen werden oft in Swing States entschieden

Dass solche Manipulationsversuche überhaupt möglich sind, ist in vielerlei Hinsicht dem unzeitgemäßen System zur Wahl des Präsidenten geschuldet. Im Gegensatz zu anderen Präsidialsystemen, etwa in Frankreich, wird der US-Präsident bzw. die US-Präsidentin nicht direkt durch das Volk, sondern indirekt durch ein Wahlmännerkollegium gewählt. Dieses Gremium wurde 1787 durch die Verfassung geschaffen, da deren Urheber der Überzeugung waren, dass die Präsidentschaftswahl durch den Kongress die Gewaltenteilung aufheben würde. Seitdem stellt jede politische Partei vor den Wahlen für jeden der 50 Bundesstaaten (sowie für Washington, DC) eine Gruppe von Wahlmännern und -frauen zusammen. Die Wahlleute der Partei, die im November die Mehrheit der Stimmen im jeweiligen Staat erhalten hat, treffen sich im Dezember, um für den Präsidenten oder die Präsidentin zu stimmen. Anfang Januar werden die Stimmen aus allen Bundesstaaten in einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses ausgezählt, bei der der bzw. die dann noch amtierende Vizepräsident oder Vizepräsidentin den Vorsitz führt und das endgültige Wahlergebnis bekannt gibt.

Der US-Präsident bzw. die US-Präsidentin wird mit mindestens 270 der 538 verfügbaren Stimmen des Wahlmännerkollegiums gewählt. Die 50 Bundesstaaten (sowie Washington, DC) haben eine sehr unterschiedliche Anzahl von Stimmen in diesem Kollegium. Im Jahr 2020 hatte zum Beispiel Kalifornien 55 Stimmen, Wyoming nur drei (die Anzahl wird durch den Zensus bestimmt). Wichtig ist: Mit Ausnahme von Nebraska und Maine folgen alle Staaten dem „Winner-take-all“-Prinzip, das heißt die Stimmen aller Wahlmänner und -frauen eines Staates gehen an die Kandidatin bzw. den Kandidaten mit der Mehrheit. Aufgrund von eindeutigen Wählerpräferenzen für eine Partei ist in den meisten Staaten früh klar, wer die Mehrheit der Stimmen erhalten wird. Anders ist dies bei den sogenannten Swing States, in denen sich die Mehrheiten oft von Wahl zu Wahl ändern. In diesen Staaten kann ein Kandidat bzw. eine Kandidatin einer Partei mit geringem Vorsprung, bei dem es sich manchmal nur um ein paar tausend Stimmen handelt, alle Wahlmänner bzw. -frauen-Stimmen des Staates gewinnen. Die konkurrierenden Präsidentschaftskandidaten investieren deshalb den Großteil ihrer Wahlkampfmittel in diese „Battleground states“. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 gehörten Arizona, Pennsylvania, Michigan, Wisconsin und – zum ersten Mal seit Jahrzehnten – Georgia dazu.

Gouverneure und Staatssekretäre spielen eine zentrale Rolle bei Wahlprozessen

Je mehr das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vom Ausgang in den Swing States abhängt, desto mehr rücken die Offiziellen und Institutionen in den Vordergrund, die die Wahlen beaufsichtigen und die Ergebnisse in diesen Staaten bestätigen. Die Wahlverwaltung ist in den USA stark dezentralisiert und jeder Bundesstaat hat unterschiedliche Regeln, wie die Wahlen auf den lokalen Wahlbezirken durchgeführt werden. In vielen Staaten spielen Staatssekretäre – als oberste Verwaltungsbeamte auf staatlicher Ebene – eine wichtige Rolle bei der Beaufsichtigung der Wahlen, auch wenn sich ihre spezifischen Befugnisse von Staat zu Staat unterscheiden. Nach Schließung der Wahllokale sind die lokalen Wahlausschüsse für die Wahlprüfung, Auszählung der Stimmen und Tabellierung zuständig. Die Ergebnisse aus den Wahlbezirken werden an den Staatssekretär oder den staatlichen Wahlausschuss, in dem die Staatssekretäre oftmals Mitglieder sind, gesandt, welche die Ergebnisse zusammenfügen und das Wahlergebnis des Staates bestätigen (in einigen Staaten sind auch Gouverneure und/oder Richter des Obersten Gerichtshofs an der Bestätigung der Ergebnisse beteiligt).

Daraufhin bestätigt der Gouverneur eine Liste der Wahlmänner und -frauen aus dem Bundesstaat mit Angabe der erzielten Stimmen (Certificate of Ascertainment) und sendet sie an den US-Archivar in Washington. Bei eventuellen Klagen über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen urteilen die Gerichte bis hin zu den Obersten Gerichten auf Ebene der Bundesstaaten. Nach Beendigung der sogenannte „Safe harbor“-Frist zur Anfechtung der Wahlergebnisse treffen sich Mitte Dezember die Wahlmänner und -frauen, die im Certificate of Ascertainment festgelegt sind, in den jeweiligen Hauptstädten für die Wahl des Präsidenten. Nach ihrer Wahl unterzeichnen sie ein Certificate of Vote (das vom Staatssekretär bestätigt wird) und senden Kopien an den US-Kongress und das Nationalarchiv. Diese Certificates of vote werden bei der gemeinsamen Sitzung beider Kammern des Kongresses am 6. Januar geöffnet. In dieser Sitzung können Abgeordnete aus beiden Kammern die Ergebnisse aus einzelnen Staaten anfechten, die mit Mehrheiten in beiden Kammern gar als ungültig erklärt werden können (was noch nie vorgekommen ist).

Viele Positionen, die bei den Wahlen 2024 eine zentrale Rolle bei der Durchführung des Wahlprozesses und der Bestätigung der Ergebnisse spielen werden, stehen im November zur Wahl: In 36 Staaten werden Gouverneure, in 27 Staaten Staatssekretäre, und in 30 Staaten Richter/innen für die Obersten Gerichtshöfe gewählt. Daneben werden in den parallel stattfindenden Kongresswahlen alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 35 der 100 Sitze im Senat gewählt.

Nach gescheiterten Versuchen der Wahlmanipulation 2020 hofft Trump auf mehr Verbündete für 2024

Nach der Wahl 2020 verhinderten einige republikanische Offizielle auf Bundesstaatsebene, wie zum Beispiel Brad Raffensperger in Georgia, dass die Wahlergebnisse in wichtigen Swing States mit engem Wahlausgang manipuliert wurden. Sie hielten damit dem Druck der republikanischen Basis stand, von der die Mehrheit bis heute Trumps Lüge von gefälschten Wahlen teilt. In Arizona versuchte Trump den republikanischen Gouverneur davon abzuhalten, die Liste der Wahlmänner zu zertifizieren. Daneben verhinderte der Sprecher des Repräsentantenhauses von Arizona, dass republikanische Kollegen einen Gesetzentwurf einbrachten, mit dem das Wahlergebnis von Arizona außer Kraft gesetzt werden sollte. In Michigan weigerten sich örtliche Wahlbeamte der Aufforderung des Trump-Wahlkampfteams zu folgen und Unregelmäßigkeiten bei der Wahl in ihrem Bezirk zu bestätigen. Und in Pennsylvania widersetzten sich führende republikanische Parlamentarier dem Druck von Trump und seinen Vertrauten, „alternative“ Wahlmänner statt der demokratischen Wahlmänner einzusetzen. Denn nach Auffassung einiger Republikaner sollten die Parlamente in den Bundesstaaten die Befugnis haben, Wahlresultate als ungültig zu erklären, wenn es angeblich zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, und stattdessen die Wahlmänner des Staates selbst festlegen zu können.

Als absehbar war, dass die Manipulationsversuche in verschiedenen Staaten scheitern würden, initiierten Trump-Vertraute offensichtlich in sieben Swing States die Aufstellung von „alternativen“ Wahlmännern, die sich in ihren Staaten trafen, für Trump stimmten und dem Kongress falsche Certificates of vote sandten. Im Rahmen dieses Komplotts, der derzeit in Georgia untersucht wird, sollte Mike Pence am 6. Januar erklären, dass die Ergebnisse aus den sieben Staaten nicht eindeutig seien; allerdings widersetzte sich Pence dem Druck Trumps. Als Folge dieser Ereignisse versucht der Kongress gerade ein Gesetz zu verabschieden, das Einfallstore für Wahlmanipulationen, wie sie Trump nutzen wollte, zu schließen. Wesentliche Bestandteile der Vorschläge zu einer Reform des antiquierten Electoral Count Act von 1887 wären die Bestimmungen, dass der Vizepräsident bei der Auszählung im Kongress lediglich eine zeremonielle Funktion hat; dass nur die Gouverneure die Wahlleute festlegen können und dass die Parlamente keinerlei Befugnisse haben, alternative Wahlmänner und -frauen aufzustellen.

Nach seiner Weigerung der Wahlmanipulation am 6. Januar 2021 wurde Pence von Trump heftig kritisiert und als RINO, „Republican in Name Only“, sprich „Republikaner nur dem Namen nach“, verunglimpft. Zwei Jahre später dominieren die Trump-Anhänger die Republikanische Partei. Dass zeigte sich auch bei den republikanischen Vorwahlen zur Nominierung der Kandidaten für die Posten der Gouverneure und Staatssekretäre. Dabei haben sich in den wichtigen Swing States Arizona, Michigan, Nevada und Pennsylvania (wo der Gouverneur den Staatssekretär ernennt) Trump-Anhänger durchgesetzt, die seine Lüge von gefälschten Wahlen 2020 propagieren.  Wie radikal sie als Amtsträger handeln, sollten sie im November gewählt werden, ist unklar; dass sie aber durchaus zu extremen Positionen neigen zeigt das Beispiel Mark Finchem, der republikanische Kandidat für den Staatssekretärsposten in Arizona. Finchem, der früher Mitglied der rechtsextremen Oath Keepers-Miliz war, erklärte, dass er den Sieg von Joe Biden im Jahr 2020 nicht bestätigt hätte. Als Abgeordneter des Repräsentantenhauses von Arizona hatte er 2020 einen Gesetzentwurf vorgeschlagen, der es dem Parlament ermöglicht hätte, die Wahlergebnisse in drei Bezirken, in denen die Demokraten die Mehrheit erzielt hatten, für ungültig zu erklären. Damit hätte Trump den Staat Arizona gewonnen.

In einigen Staaten könnten neue Bestimmungen zu geringerer Wahlbeteiligung führen

Sollten die Trump-Anhänger im November ihre Wahlen gewinnen könnten sie in den nächsten zwei Jahren die Wahlbestimmungen in ihren jeweiligen Bundesstaaten beeinflussen. Denn seit einem Urteil des Supreme Court von 2013, durch das Teile der Wahlrechtsreform von 1965 aufgeweicht wurden, können alle Bundesstaaten wieder den Großteil ihrer Wahlbestimmungen und ohne Aufsicht durch das US-Justizministerium selbst festlegen. Seitdem wurde insbesondere in einigen Staaten mit republikanisch dominierten Parlamenten die Möglichkeit zur Wahlbeteiligung faktisch erschwert (während sie in vielen anderen Staaten erleichtert wurde). Im Einklang mit republikanisch dominierten Parlamenten könnten Trump-nahe Gouverneure und Staatssekretäre diesen Trend fortsetzen, um den Republikanern bei künftigen Wahlen vermeintliche Vorteile zu verschaffen. Jim Marchant, der republikanische Kandidat für das Amt des Staatssekretärs in Nevada, möchte zum Beispiel die Möglichkeit der Briefwahl abschaffen, und er ist damit nicht allein. Einige der Trump-Anhänger, die als Gouverneure und Staatssekretäre kandidieren, haben sich in der America First Secretary of State Coalition zusammengeschlossen. Zu ihren Zielen gehören die Einführung neuer Bestimmungen für Wählerausweisdokumente, Einschränkungen bei der Briefwahl und eine „aggressive Bereinigung der Wählerlisten“. Sollten solche Maßnahmen übereifrig durchgeführt werden könnten Wähler aus den Wählerverzeichnissen gestrichen und dadurch ihre Wahlteilnahme erschwert werden. Die Verringerung der Wahlbeteiligung kann besonders in Swing States mit gewöhnlich engen Ausgängen relevant sein.

Daneben ist zu befürchten, dass Kandidaten wie Finchem und andere, sollten sie gewählt werden, möglichen Versuchen Trumps und anderer Republikaner zur Wahlmanipulation nachgeben könnten. Ein Vorwand könnten erneute Behauptungen führender Republikaner von Wahlbetrug in Swing States sein, wie sie Trump schon 2020 gemacht hatte. Damals hatte er beispielsweise behauptet, dass die Wahlbeteiligung in einigen Wahllokalen in Michigan über 100 Prozent lag; dass Tausende von falschen Stimmzetteln zu den Briefwahlunterlagen in Detroit hinzugefügt wurden; dass Wahlmaschinen in Pennsylvania Stimmen für Trump in Stimmen für Biden umgewandelt haben; und dass in einigen Staaten Stimmen von Wählern abgegeben wurden, die nicht mehr lebten. Nachzählungen, Zivilklagen und Prüfungen in mehreren Bundesstaaten ergaben, dass die Vorwürfe unbegründet und die Zahl der Unregelmäßigkeiten nicht wahlentscheidend waren.

Im schlimmsten Fall könnte 2024 eine Regierung ins Amt kommen, der die demokratische Legitimität fehlt

Wenn Donald Trump, der trotz laufender Ermittlungen gegen ihn unter republikanischen Wählerinnen und Wählern weiter populär ist, noch einmal für das Präsidentenamt kandidieren und verlieren sollte, könnte er erneut Anschuldigungen über Wahlbetrug und Unregelmäßigkeiten erheben.

Verbündete republikanische Offizielle in den Swing States könnten diese Behauptungen als Grundlage dafür nehmen, einzelne Wahlergebnisse in ihren Staaten nicht zu bestätigen und damit für Ungewissheit über den Wahlausgang zu sorgen. In solch einer politisch instabilen Situation wären Gewaltausbrüche wie am 6. Januar 2021 nicht auszuschließen.

Sollten Trump oder seine Verbündeten mit möglichen Manipulationsversuchen in zwei Jahren somit Erfolg haben, könnte 2025 eine Regierung ins Amt kommen, der die Legitimität eines fairen und demokratischen Wahlprozesses fehlt.

Das hätte wesentliche Auswirkungen auf die internationale Rolle und Autorität der USA und das Verhältnis zu ihren demokratischen Verbündeten, einschließlich Deutschland, Ländern, die weitgehend auf die Vereinigten Staaten als militärische Alliierte, führenden Unterstützer der Ukraine gegen Russland, und demokratischer Partner im Systemwettbewerb mit aufstrebenden autoritären Regimen bis heute angewiesen sind. Die Bemühungen der Biden-Administration, demokratischen Rückschritten in verbündeten Ländern entgegenzuwirken, sind bisher weitgehend wirkungslos geblieben. Sollte aber die Demokratie in den USA selbst erodieren, hätte das für Deutschland, die EU und andere Verbündete gravierende Auswirkungen.

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Angaben

Tolksdorf, Dominik. “Zwischenwahlen in den USA.” German Council on Foreign Relations. October 2022.

Dieser DGAP-Kommentar wurde am 6. Oktober 2022 veröffentlicht.

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