Memo

12. Febr. 2025

Wirtschaftliche Sicherheit in Zeiten geopolitischer Spannungen

Mehr außenwirtschaftliche Souveränität anstreben
Europa und ihre Partner
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Wirtschaftliche Sicherheit ist ein zentraler Bestandteil der politischen Debatte in Europa. Sie sollte daher auch von politischen Verantwortlichen in Deutschland stärker berücksichtigt werden – auch, weil die neue US-Administration den Druck auf China aufrechterhalten wird. Deutschland muss jetzt pragmatische Maßnahmen ergreifen, um nicht unvorbereitet zwischen die Fronten beider Großmächte zu geraten. Dazu gehört: die Arbeit zu Exportkontrollen auf EU-Ebene zu intensivieren, die Debatte über Auslandsinvestitionskontrollen gezielt zu führen, Instrumente zur Stärkung der nationalen Souveränität einzuführen und ein Gremium für wirtschaftliche Sicherheit zu schaffen.

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Ziel: Handlungsempfehlungen konsequent umsetzen

Der Systemwettbewerb zwischen den USA und China bestimmt die wirtschaftlichen Spielräume. Deutschlands exportorientierte Wirtschaft ist mit beiden Volkswirtschaften eng verflochten und wird die Konsequenzen einer Separierung der Technologie- und Handelssphären deutlich spüren. Die Nationale Sicherheitsstrategie, die China-Strategie der Bundesregierung sowie die Europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit haben die Risiken für die im geopolitischen Spannungsfeld vernetzte deutsche und europäische Wirtschaft identifiziert. Jetzt müssen die daraus folgenden Handlungsempfehlungen unter geopolitischen Abwägungen konsequent umgesetzt werden. 

Die neue Bundesregierung sollte deshalb bei Exportkontrollen eine führende Rolle in der EU einnehmen und sich auch um einen engeren Austausch mit den USA bemühen. Zusätzlich muss die Debatte zur Auslandsinvestitionskontrolle in der EU ergebnisoffen beschleunigt werden. Die Reduzierung von Abhängigkeiten der deutschen Wirtschaft von einzelnen Absatzmärkten sollte durch ein neues Instrument durchsetzbar gemacht werden, wo es notwendig erscheint, und die Koordinierung sowie Verständigung von Staat und Wirtschaft deutlich gestärkt werden. Wirtschaftliche Sicherheit ist dabei eine neue Dimension der staatlichen Souveränität. Sie stärkt das Verhältnis mit internationalen Partnern, modernisiert die deutsche Außenwirtschaftspolitik und macht die Bundesrepublik reaktionsfähiger. 

Ausgangslage: Die Wirtschaftsbeziehungen als geopolitisches Instrument nutzen

Deutschlands wichtigste Handelspartner neben der EU sind die USA und China. Damit ist es besonders anfällig für die Folgen der steigenden Rivalität zwischen den beiden Großmächten und die Spannungen des neuen geoökonomischen Umfelds.

Die USA sehen in China ihre größte Sicherheitsbedrohung und versuchen dessen technologische Entwicklung zu begrenzen, um die eigene Führungsposition auszubauen. China wiederum baut seine eigene technologische Wertschöpfung stark aus und bindet ausländische Abnehmer oder Unternehmen enger an den chinesischen Markt, um die eigene geopolitische Position abzusichern. Als Konsequenz wird die Welt zunehmend in wirtschaftliche und regulatorische Sphären aufgeteilt, zuletzt durch die Regeln der scheidenden Biden-Administration zur Regulierung von künstlicher Intelligenz

Unter Präsident Trump muss Deutschland mit wachsendem Druck rechnen, die China-Politik Washingtons zu unterstützen. Dies aber kann direkte Auswirkungen auf deutsche Unternehmen haben, etwa in der optischen Industrie, deren spezielle Komponenten für Maschinen der Halbleiterfertigung besonders wichtig sind. Das Presidential Memorandum zur America First Trade Policy fordert beispielsweise den amerikanischen Außenminister und Handelsminister auf, die Effektivität von US-Exportkontrollen zu untersuchen und Empfehlungen zu deren Verbesserung abzugeben. Darüber hinaus verlangt es Anreiz- und Durchsetzungsmaßnahmen, um andere Staaten dazu zu bringen, amerikanische Exportkontrollen umzusetzen, inklusive Handelsmaßnahmen und Maßnahmen der nationalen Sicherheit.

Gleichzeitig ist zu erwarten, dass China umgekehrt Anreize bieten und Druck auf Deutschland und Europa ausüben wird, damit diese nicht in US-Richtung gehen.

Dabei besteht die große Gefahr für Deutschland und die EU, unvorbereitet zwischen die Fronten zu geraten. Die USA und China weisen als Haupthandelspartner Deutschlands nach der EU (zusammengenommen) aber jeweils eine viel geringere Exportabhängigkeit auf. Mit über 40 Prozent (2023) vom BIP hat Deutschland einen der höchsten Exportanteile weltweit und den höchsten der G7. Eine Wiederbelebung des deutschen Wachstums kann nur funktionieren, wenn die aktuellen geopolitischen Realitäten beachtet werden, die sich aus der Verbindung mit diesen beiden Märkten ergeben. Es gilt, einen Weg zwischen der Politik der USA, die eine Entkopplung von China in strategischen Sektoren zum Ziel hat, und einer übermäßig vertrauensvollen Hinwendung zum chinesischen Markt zu finden, bei dem deutsche Unternehmen die Zukunft bereits deutlich kritischer sehen. Zusätzlich zu der EU kann Deutschland mit der neuen Bundesregierung deutlich konkretere Maßnahmen ergreifen, um den eigenen Souveränitätsanspruch auch in den kommenden Jahren beizubehalten oder sogar auszubauen.

Nächste Schritte: Mehr Mut in drei Bereichen aufbringen

1. Eine Führungsrolle in Europa einnehmen und neuen Initiativen offen gegenübertreten

Deutschland kann wirtschaftliche Sicherheit als Chance begreifen, um sich zukunftsorientierter aufzustellen und als kooperationsbereiter Partner innerhalb der EU, mit den USA und anderen zu beweisen. Kurzfristig kann es bei Exportkontrollen von Zukunftstechnologien und Auslandsinvestitionskontrollen in Europa eine Führungsrolle einnehmen.

Prinzipiell ist Deutschland bei der Exportkontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck bereits gut aufgestellt. Nach der kürzlich erfolgten Novellierung der nationalen Liste sollte es sich aber aktiver dafür einsetzen, in Europa eine Führungsrolle in dem Bereich einzunehmen. Dafür wäre es wichtig, dass die Bundesregierung auf eine noch intensivere Koordinierung der nationalen Listen drängt, hin zu einer gemeinsamen Kontrollliste für Zukunftstechnologien. Zudem sollte sie weiterhin Möglichkeiten in Betracht ziehen, in multilateralen Foren Kontrollen zu erarbeiten und diese über nationale Listen in die EU-Dual-Use-Verordnung aufzunehmen. Parallel dazu sollte die Evaluierung der Verordnung noch dieses Jahr angegangen werden. 

Auch Auslandsinvestitionskontrollen werden in der EU besprochen. Kürzlich hat ein 18-monatiges nationales Monitoring im Rahmen der EU-Empfehlung zur Überprüfung von Investitionen in Drittstaaten begonnen. Die Bundesregierung sollte hierfür ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stellen und eine Ausweitung der Analyse von Investitions- und Lieferkettendaten fördern. Dazu sollte auch die Möglichkeit einer Nutzung von angepassten Auslandsinvestitionsdaten der Bundesbank in Betracht gezogen werden. 

Ein weiterer Schritt zur Stärkung nationaler Souveränität sollte die Einführung eines Instruments zur Prüfung von Abhängigkeiten von Auslandsmärkten in strategischen Sektoren sein. Bereits in der China-Strategie der Bundesregierung wurden Klumpenrisiken als potenzielle Gefahr identifiziert. Ein solches Instrument muss jedoch länderunspezifisch sein und in erster Linie als Analyse- und Verhandlungsgrundlage dienen und erst in Härtefällen sollten Maßnahmen ergriffen werden, die eine Reduzierung von Abhängigkeiten durch starke Anreize herbeiführen. 

Mittelfristig werden gemeinsame Sicherheitsstandards für die Wirtschaft sowohl von der EU und den USA als auch von weiteren Partnern angestrebt. Hierauf muss sich die Bundesregierung strukturiert vorbereiten und auf EU-Ebene die Debatte mitgestalten. Im transatlantischen Verhältnis sollte sie dem Bestreben, Exportkontrollen stärker zu koordinieren, offen gegenübertreten und eigene Initiativen vorschlagen, auch in Absprache mit Partnern wie Japan. Ohne bestehende multilaterale Formate aufzugeben, stärkt dies die Position Deutschlands und hilft kommende Entwicklungen besser abzuschätzen, inklusive der Konsequenzen für die heimische Wirtschaft. 

2. Strategisches Denken in neuen Strukturen

Deutschland muss sein strategisches geoökonomisches Denken deutlich stärken und in seinen Strukturen reflektieren. Wirtschaftliche Sicherheit ist ein referatsübergreifendes Konzept, weshalb es als Stabsthema auf Abteilungsebene gehoben werden sollte. Darüber hinaus sollte ein ressortübergreifendes Gremium für wirtschaftliche Sicherheit unter der Koordinierung des Chefs des Bundeskanzleramts geschaffen werden. Dieses Gremium wäre auch der richtige Ort, um das zuvor erwähnte Instrument zur Prüfung von Abhängigkeiten von Auslandsmärkten einzusetzen. 

3. Das Verständnis zwischen Politik und Wirtschaft in Deutschland stärken

Die Basis einer moderneren Außenwirtschaftspolitik muss ein gemeinsames Verständnis von Politik und Wirtschaft über die Risiken und Möglichkeiten von Wirtschaftsbeziehungen in einer geopolitisch volatilen Lage sein. Eine neue Bundesregierung sollte hierzu einen regelmäßigen Austausch mit den Wirtschaftsverbänden sowie einzelnen Unternehmen aus strategischen Sektoren auf Geschäftsführungsebene einberufen. Die Sitzungen sollten halbjährlich in Präsenz in abhörsicheren Räumlichkeiten der Bundesregierung stattfinden, die Koordination beim Bundeskanzleramt liegen und ein Fokus auf politischer Lageeinschätzung und Informationsaustausch gelegt werden. 

Eine detaillierte Ausführung der Empfehlungen für die kommende Bundesregierung wird vom Autor nach der Bundestagswahl veröffentlicht.

Bibliografische Angaben

Medunić, Filip. “Wirtschaftliche Sicherheit in Zeiten geopolitischer Spannungen.” DGAP Memo 17 (2025). German Council on Foreign Relations. February 2025.

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