Memo

16. Juli 2024

Deutschland muss Exportkontrollen strategischer gestalten

Zwischen Systemwettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit
Abbildung: Arbeiter in einer Halbleiter-Fabrik
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Exportkontrollen bleiben ein integraler Bestandteil der außenpolitischen Strategie der USA im Systemwettbewerb mit China. Deutschland als enger transatlantischer Partner wird zunehmend Druck verspüren, der Linie der USA mit immer strikteren Kontrollen bei Halbleitern, KI und Supercomputern zu folgen. Auch wenn sich die Bundesregierung ihren Partnern in Washington nicht in jeder Hinsicht anschließen muss, sollte sie aus eigenem strategischem Interesse bei besonders sensiblen Spitzentechnologien die Kontrollen mitgestalten und ihre europäischen Verbündeten mitnehmen. 

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Exportkontrollen im geopolitischen Kontext

Die Bundesregierung befasst sich im geoökonomischen Umfeld immer öfter mit Fragen der Exportkontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use-Güter). Diese können sowohl für zivile wie auch für militärische Zwecke genutzt werden. Auf EU-Ebene wird die Ausfuhr durch die Dual-Use-Verordnung (VO) für alle 27 Mitgliedstaaten verpflichtend geregelt. Die Umsetzung findet allerdings durch die nationalen Behörden statt, welche die Ausfuhr von Gütern aus ihrem Territorium kontrollieren. Die Mitgliedstaaten – und somit auch Deutschland – haben das Recht, mit nationalen Kontrollen über die gemeinsamen EU-Kontrollen hinauszugehen, beispielsweise aus Gründen der öffentlichen Sicherheit. Diese nationalen Kontrollen können von anderen Mitgliedstaaten übernommen werden, eine Verpflichtung kann aber nur durch eine Änderung der im Anhang der Dual-Use-VO der EU aufgeführten Listen erfolgen. 

Grundsätzlich ist die VO darauf ausgelegt, neue Güter über die Listen der multilateralen Exportkontrollregime aufzunehmen. Sobald diese Vereinbarungen angepasst werden, kann die EU die neuen Kontrollen übernehmen, womit sie für alle Mitgliedstaaten verpflichtend werden. Dual-Use-Güter werden seit 1996 durch das Wassenaar Arrangement (WA) reguliert. Diesem haben sich neben der EU auch die USA, Russland, Indien und 38 weitere Staaten verpflichtet, womit eine breite Umsetzung der Kontrollen gewährleistet werden soll. Seit 2020 ist das WA jedoch durch Russland blockiert und seit Februar 2022 ist eine Zusammenarbeit mit Russland ausgeschlossen. Dadurch kann die Dual-Use-VO der EU zurzeit weder angepasst werden noch auf Veränderungen der internationalen Lage reagieren. Spezifische Exportkontrollen für Russland wurden im Sanktionsregime der EU festgeschrieben. 

Im Gegensatz zur EU verwenden die USA Exportkontrollen nicht nur als Instrument der Rüstungskontrolle, sondern auch als außenpolitisches Mittel im Rahmen der geostrategischen Rivalität mit China, um eine „größtmögliche Führung“ in den Technologiefeldern der Zukunft (Computertechnologien, Biotech und Grüne Technologien) zu erreichen. Aus Gründen der nationalen Sicherheit wird der Fluss von Spitzentechnologien in den Bereichen Halbleiter, künstliche Intelligenz und Supercomputer nach China reguliert. Es geht darum, zukünftige Entwicklungen einzuschränken. Die USA drängen ihre Verbündeten wie Deutschland und weitere EU-Mitgliedstaaten zu eigenen Kontrollen, denn die Wertschöpfungskette für viele der betroffenen Technologien ist über mehrere Staaten verteilt. Damit sollen auch Wettbewerbsnachteile für die eigene Wirtschaft verhindert werden. Mittlerweile haben Japan und Kanada, die Niederlande, Spanien, Frankreich und Italien nationale Kontrollen erlassen. Auch Deutschland steht bereits unter Druck. Diese Entwicklungen stellen Deutschland vor die Frage, inwieweit es den USA mit der Risikoeinschätzung gegenüber China folgen möchte und ebenfalls weitere Ausfuhrkontrollen in den sensibelsten Spitzentechnologien einführen sollte. 

Die ­Rivalität der USA ­gegenüber China wird weiterhin die Exportkontrollen ­bestimmen

Deutschland hat ein Interesse an multilateralen Exportkontrollen – aus wirtschaftlichen und politischen Gründen. Eine zu große Fragmentierung innerhalb der EU bringt mehr Unsicherheit für die Wirtschaft und schwächt die Mitgliedstaaten ohne relevante Kontrollen politisch gegenüber den USA. Dies könnte auch dazu führen, dass die USA drastischere Mittel einsetzen oder Unternehmen direkt sanktionieren. Die Kommission hatte im Januar Optionen zu Anpassung der Dual-Use-VO vorgelegt und die Mitgliedstaaten haben im Mai signalisiert, dass sie vorerst keine weiteren Kompetenzen zentralisieren wollen und die bestehenden Kapazitäten zuerst voll ausgenutzt werden sollten. Die weitere Entwicklung wird vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen in den USA an Bedeutung gewinnen.

Die Rivalität der USA gegenüber China ist durch überparteilichen Konsens gekennzeichnet und wird weiterhin die Exportkontrollen bestimmen. Es ist deshalb zu erwarten, dass – unabhängig vom Ausgang der Wahl – die bisher bestehenden Kontrollen auf weitere Kategorien von Halbleitern und Maschinen sowie deren Wartung ausgedehnt und für GAAFET-Technologien, eine Fertigungsmethode für Halbleiter oder KI-Komponenten wie etwa Large Language Models und Cloud-Anwendungen, präzisiert werden. Die Entity-Liste der USA, die Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Regierungen, Behörden sowie Einzelpersonen und weitere Organisationen enthält, für die eine Ausfuhrgenehmigung eingeholt werden muss, wird höchstwahrscheinlich um chinesische Entitäten erweitert werden, die im Bereich KI und LiDAR tätig sind, Huawei zuarbeiten oder selber in der Halbleiterfertigung tätig sind.      

Szenarien

Biden 2.0: Kontinuität mit Ad-hoc-Kooperation

Bei einer Wiederwahl würde Joe Biden aller Voraussicht nach den eingeschlagenen Kurs nicht ändern, sondern ihn durch weitere Instrumente wie Auslandsinvestitionskontrollen und der Regulierung von Datenflüssen verschärfen. Damit wird in allen Dimensionen (Sachgüter und Software, Kapital, Daten) versucht, die sensiblen Bereiche der US-Wirtschaft vom chinesischen Markt zu trennen. 

Deutschland wird größeren Druck, aber auch größere Anreize als bisher verspüren, den Ansatz der USA mitzutragen. Zum einem könnte eine Regierung unter Biden stärker noch auf Vorteile setzen, die eine Anpassung der nationalen und europäischen Kontrollen an die US-Kontrollen belohnen. Dies könnte beispielsweise die Reduzierung von Genehmigungspflichten für bestimmte Güter beinhalten, wie bereits unter AUKUS geschehen. Zum anderen könnten aber auch vermehrt Sanktionen gegen chinesische oder sogar europäische Firmen erlassen werden, wenn Exportkontrollen umgangen werden. Es ist ebenso wahrscheinlich, dass Biden weiter auf die Expertise von Think-Tanks und weniger aus dem Privatsektor setzen wird. Somit werden Sicherheitsinteressen gegenüber China die weiteren Maßnahmen der USA bestimmen und den Spielraum für Deutschland, mit wirtschaftlichen Argumenten dagegenzuhalten, verringern. 

Für Deutschland ist es deshalb wichtig, bei den Spitzentechnologiekontrollen einen Schritt auf die USA zuzugehen, um weitere Entwicklungen beeinflussen zu können. Denn in einer zweiten Amtszeit würde Biden die Verbündeten stärker einbeziehen wollen, um gemeinsame Rahmenbedingungen zu beschließen. Deutschland kann aufgrund seiner wirtschaftlichen Größe innerhalb der EU für einen gemeinsamen Ansatz gegenüber den USA eintreten und sich für eine neue Abstimmungsgruppe einsetzen. Mehr EU-interne Kooperation wird auch von den Niederlanden vorgeschlagen.  Ein Stillhalten zum jetzigen Zeitpunkt könnte gerade für deutsche Unternehmen Ungewissheit über zukünftige Kontrollen oder sogar die Möglichkeit von weiteren Maßnahmen der USA erhöhen. 

Trump 2.0: Maximaler Druck, gleiche Richtung

Ähnlich wie Biden würde auch Donald Trump Exportkontrollen und Auslandsinvestitionskontrollen im Laufe der Zeit zu zentralen Instrumenten einer zweiten Amtszeit machen. Einige ehemalige Regierungsmitglieder sprechen gar davon, die USA ökonomisch von China abzukoppeln. 

Trump würde den Druck auf Deutschland deutlich erhöhen, sich den Export- und Investitionskontrollen der USA anzuschließen. Die Exportkontrollen würden, wie auch bei Biden, mit der allgemeinen China-Politik der USA vermischt und von Deutschland würde erwartet werden, diese Politik in allen Bereichen mitzutragen. Trump könnte auch versuchen, Lizenzen für Staaten zu entziehen, die dieser Politik nicht folgen und Sanktionen gegen deutsche Unternehmen durchzusetzen. Das würde die deutsche Politik mit der Fragestellung konfrontieren, entweder einzelne Unternehmen zu schützen oder das transatlantische Verhältnis. Die EU wird Deutschland dabei nur wenig helfen können, da die Mitgliedstaaten selbst einen Weg finden müssen, die Dual-Use-VO der EU anzupassen. Darüber hinaus ist bei einem Sieg von Trump mit einer Veränderung der Beamtenauswahl zu rechnen. Das würde eine strukturelle Änderung der Mentalität im Department of Commerce und im BIS mit sich bringen und, mehr noch als bei Biden, auf die Regulierung des Exports als auf dessen Ermöglichung abzielen. Die EU würde sich damit einer weitaus größeren und politisierten Behörde gegenübersehen, die noch rigoroser unilaterale Kontrollen einführt – möglicherweise auch gegenüber Deutschland. 

Empfehlungen

Für strategischere ­Exportkontrollen Deutschlands und Europas

Die China-Politik der USA wird unter keinem der beiden derzeitigen Präsidentschaftskandidaten eine Umkehr erfahren. Deutschland hat ein Interesse an einer stabilen transatlantischen Partnerschaft, einer geeinten EU und einem Privatsektor, der Spitzentechnologie mitgestaltet. Chinas Streben nach technologischer Unabhängigkeit und der Übernahme von Zukunftsindustrien stellt langfristig auch deutsche Unternehmen vor Herausforderungen. Die USA werden unter beiden möglichen Präsidenten nicht zögern, den Handel mit China auch für deutsche Unternehmen durch eigene Kontrollen zu regulieren.   

1. Nationale Kontrollen als Übergangsphase bei strategischen Zukunftstechnologien

Eine multilateral abgestimmte Exportkontrolle ist sowohl für die deutsche Wirtschaft als auch für die Sicherheit vorteilhafter. Bis eine solche Lösung gefunden wird, könnte Deutschland seine nationalen Kontrollen schrittweise anpassen. Die Niederlande, Spanien, Frankreich und Italien haben unter anderem bereits nationale Kontrollen bei Halbleiter- und Quantentechnologien eingeführt. Deutschland könnte auf Basis der Dual-Use-VO diese Kontrollen auch auf deutsche Exporteure anwenden (sofern es die betroffenen Unternehmen davon in Kenntnis setzt) oder eigene Kontrollen einführen. Ohne das WA könnte so eine schrittweise Einführung von einem Teil der EU-Mitgliedstaaten erfolgen und die Basis für einen multilateralen Mechanismus gelegt werden, der auch die USA einbezieht. 

Eine ­multilateral abgestimmte ­Exportkontrolle ist für die deutsche Wirtschaft und Sicherheit vorteilhafter

2. Die Dual-Use-­Verordnung der EU bereits heute stärken

Auf europäischer Ebene ist eine erneute Reform der Dual-Use-VO in naher Zukunft nicht geplant, weshalb Deutschland die bestehende Verordnung stärken und somit auf den Druck aus den USA mit einer konstruktiven Rolle reagieren sollte. Dafür sollte Deutschland die Kommission drängen, ihrer Veröffentlichungspflicht der einzelnen nationalen Listungen, die über die gemeinsame EU-Liste hinausgehen, häufiger nachzukommen. Ansonsten ist es den übrigen Mitgliedstaaten nicht möglich, das betreffende Gut ebenfalls zu kontrollieren. Auch sollten die Informationen gegenüber der Kommission und anderen Mitgliedstaaten über eingeführte Kontrollen unter Artikel 10 nicht nur dann erfolgen, wenn dieser Schritt als hilfreich angesehen wird, sondern generell in jedem Einzelfall. Hierzu könnte auch eine informelle Vereinbarung auf Arbeitsebene in der Ratsarbeitsgruppe zu Gütern mit doppeltem Verwendungszweck getroffen werden. 

3. Neue Formate ­testen und in Dual-Use-VO übernehmen

Vor dem Hintergrund eines potenziell schwierigen Partners in den USA ist es für den deutschen und europäischen Privatsektor wichtig, internationale Wettbewerbsbedingungen zu haben und Entwicklungen in der Exportkontrolle einschätzen zu können. Deutschland sollte sich daher für eine neue Gruppe einsetzen, die den Export von Zukunftstechnologien multilateral reguliert, um die Dual-Use-VO hierdurch zu erweitern. Nur so kann es zukünftige Kontrollen international mitgestalten und einer reaktiven Rolle zuvorkommen. Eine Kooperation mit den USA und weiteren Verbündeten eröffnet auch neue Möglichkeiten der gemeinsamen Kommerzialisierung. Die Global Export Control Coalition (GECC), die bereits die Russland Exportkontrollen koordiniert, bietet dafür ein geeignetes Forum. Auch Indien sollte eingebunden werden. 

In dieser Gruppe kann der Handel mit den betroffenen Gütern unter den Mitgliedern erlaubt bleiben. Regulieren könnte die EU dies mit einer EU General Export Authorisation für die Mitglieder der neuen GECC 2.0 und, indem sie eine gemeinsame Liste über Artikel 17 der Dual-Use-VO durch einen delegierten Rechtsakt übernimmt, sollte diese durch die Mitgliedstaaten als internationale Verpflichtung akzeptiert werden. Für den darüber hinausgehenden Export könnte ein Ansatz entwickelt werden, der weniger auf Entitätslisten beruht und mehr auf Lizenzen für einzelne Unternehmen oder Länder, die unter bestimmten Bedingungen erteilt und entzogen werden können (ähnlich der Individual Licence). Die Mitglieder könnten bei der Überprüfung kooperieren. Auch sollten die Kontrollen nur einen geringen Teil der strategischen Spitzentechnologie betreffen – einen echten „small yard“. 

Nur durch strategischere Exportkontrollen und eine Mitgestaltung der Kontrollen können Deutschland und die EU im chinesisch-amerikanischen Systemwettbewerb regulatorische Rahmenbedingungen aktiv mitgestalten. Auf diese Weise könnten sie politisch auf eine ausgeglichenere Strategie hinwirken, die auch die wirtschaftliche Entwicklung der mit China eng verflochtenen europäischen Unternehmen einbezieht.

Bibliografische Angaben

Medunić, Filip. “ Deutschland muss Exportkontrollen strategischer gestalten .” DGAP Memo 15 (2024). German Council on Foreign Relations. July 2024.

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