Was die Kriegsziele sind, die man verfolgen sollte, darüber gibt es im Westen keine Übereinstimmung. Ähnliches gilt für die Frage wie und mit welchen Mitteln der Krieg zu beenden wäre: In Deutschland dominiert die Ansicht, dass der Konflikt politisch lösbar sei. Deshalb wird immer wieder die Verhandlungsoption als Alternative dargestellt.
Tatsächlich haben sich Russland und infolgedessen auch die Ukraine dazu entschieden, den Ausgang dieses Krieges vom Einsatz militärischer Mittel abhängig zu machen. Die russischen Kriegsziele lassen hier keinen Spielraum für politische Kompromisse.
Derzeit regiert eine militärische Logik den Konflikt
Eine politische Lösung des Konfliktes wird es erst geben können, wenn die militärische Dimension auf dem Schlachtfeld entschieden wurde. Wenn die Kämpfe ohne Geländegewinne aber die Regierungen einen hohen politischen Preis für den Krieg zahlen lassen, dann mag es eine Chance geben, Kriegsziele als erreicht zu erklären und einen zumindest vorübergehenden Waffenstillstand einzugehen.
Dieser würde den territorialen Status quo einfrieren. Ein Friedensabkommen ist aufgrund einer Reihe ungelöster und unlösbarer Fragen wie der Krim und der so genannten Donezker und Luhansker Volksrepubliken, die Russland als unabhängig anerkannt hat, unwahrscheinlich.
Ukrainische Rückeroberungen werden schwierig
Leider scheint es wenig realistisch zu sein, dass die Ukraine alle seit 2014 verlorenen Gebiete zurückgewinnen kann; nicht einmal die seit Februar 2022 verlorenen Gebiete. Aber glücklicherweise ist es ebenso unrealistisch, dass Russland die Ukraine vollständig besiegen könnte. Ohne eine groß angelegte Mobilisierung verfügt Russland einfach nicht über genügend Landstreitkräfte, um die derzeitigen hochintensiven Kämpfe über den Sommer hinaus fortzusetzen.
Da Putin immer noch an der Macht ist, besteht das kleinste noch zu erreichende territoriale Ziel Russlands in der Besetzung der gesamten ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk. Moskau ist aufgrund der früheren Anerkennung der Unabhängigkeit der Volksrepubliken Donezk und Luhansk dazu gezwungen, dieses Ziel zu erreichen.
Bei den anderen besetzten Teilen der Ukraine (mit Ausnahme der Krim) gibt es jedoch keine solche strukturelle Pfadabhängigkeit. Moskau kann in Bezug auf den Status der besetzten Teile der Regionen Charkiw, Saporischschja und Cherson differenzieren und flexibel sein. Im Übrigen hat sich die Ukraine auf die andere zentrale russische Forderung, sich durch eine Änderung ihrer Verfassung zur Neutralität zu verpflichten, bereits bereit erklärt.
Russische Eroberungen werden zum Stillstand kommen
Russland hat bereits fast die gesamte Region Luhansk eingenommen und wird seine militärischen Anstrengungen wahrscheinlich fortsetzen, bis es auch den Rest der Region Donezk eingenommen hat. Danach wird die russische Armee jedoch verbraucht sein. Jede weitere strategische Offensive, auch gegen Odessa, ist ausgeschlossen. Daher wird es nach dem Ende der Schlacht um den Donbass auch im Interesse Moskaus sein, eine Form der Deeskalation anzustreben. Bis dahin wird die ukrainische Armee bereits dezimiert, die Infrastruktur ruiniert, die Gesellschaft erschöpft und die Wirtschaft auf westliche Lebenshilfe angewiesen sein.
Dies wird der Zeitpunkt sein, an dem ein Waffenstillstand erreicht werden kann, der sich weitgehend auf den territorialen Status quo stützt. Zwar kann die Ukraine den Verlust von Gebieten nicht anerkennen, aber ein vorübergehendes Einfrieren könnte dennoch realistisch sein.
Vorübergehend in dem Sinne, dass danach alles davon abhängen wird, ob und wie sich die Dinge im Kreml entwickeln. Eine russische Führung nach Putin wird vor der Entscheidung stehen, ob die Kontrolle von Teilen der ukrainischen Regionen Cherson, Saporischschja und Charkiw es wert ist, noch mehrere Jahre lang unter den Sanktionen zu leiden.
Hinzu kommt die Möglichkeit eines dauerhaften Konfliktes auf kleiner Flamme: Die Ukraine könnte versuchen, die russischen Besatzer durch ständige Angriffe zu zermürben und so die Aufgabe der besetzten Gebiete wahrscheinlicher zu machen.
Andere Alternativen sind wenig wahrscheinlich
Einschneidende Veränderungen sind nur denkbar, wenn entweder der russische Präsident sein Amt kurzfristig und dann sicher ungewollt abgeben muss. Dann wird der Nachfolger mehr Handlungsspielräume haben, und vielleicht auch andere Interessen.
Oder aber, Russland ruft tatsächlich den Krieg aus und kann dadurch schnell sehr viele Soldaten ausheben und an die Front schicken. Dies würde Russland vielleicht ermöglichen, deutlich mehr von der Ukraine zu erobern als derzeit möglich, wenn auch mit schrecklichen menschlichen Verlusten. Doch dies dürfte in der Gesellschaft extrem schlecht ankommen.