Handelspolitik als Machtpolitik
Seit seinem Amtsantritt am 20. Januar 2025 droht Donald Trump immer wieder mit Zöllen, die bereits im März gegen Kanada, Mexiko und China eingeführt und teilweise bereits wieder zurückgenommen wurden. Am 12. März sollen auch die ersten Stahl- und Aluminiumzölle gegen die EU kommen. Trump nutzt die Handelspolitik als zentrales Element, um durch die Androhung oder Anwendung von Zöllen wirtschaftliche und (sicherheits-)politische Ziele der USA durchzusetzen. Die Bereitschaft, Zölle gegen sämtliche Staaten anzuwenden und auf diese Weise die Marktmacht der USA als Hebel zu nutzen, stellt eine Bedrohung für die wirtschaftliche Nachkriegsordnung dar. Das Gleiche gilt für die Verlässlichkeit von Bündnissen, sowohl weltweit als auch auf transatlantischer Ebene.
Die EU und die USA haben die am stärksten integrierten bilateralen Handels- und Investitionsbeziehungen der Welt. Das Gleiche gilt auch für die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA. Europa und Deutschland sind daher unmittelbar von protektionistischen Maßnahmen der USA betroffen. Trotz der konfliktgeladenen Beziehungen mit der Trump-Administration muss es daher ein zentrales Anliegen sein, die transatlantische Kooperation fortzuführen und Handelskonflikte zu verhindern. Im Fall von wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen muss jedoch entschieden EU-weit gehandelt werden. Gleichzeitig wird die Suche nach neuen regelbasierten Partnerschaften mit Mittelmächten immer wichtiger.
„America First Trade Policy“: ein Memo und seine Folgen
Obwohl der Kongress laut Verfassung das Recht hat, den Handel zu regulieren, hat er durch eine Reihe von Gesetzen diese Befugnis an die Exekutive übertragen. Diese Machtfülle wird seit Trumps Amtsantritt deutlich. Zu Beginn gab es lediglich ein Memo über eine „America First Trade Policy“. Hier wies der Präsident seine neuen Kabinettsmitglieder an, sämtliche Handelsbeziehungen zu überprüfen und Empfehlungen über mögliche Gegenmaßnahmen vorzubereiten. In dem Dokument werden die Grundlagen für bereits aktuelle und zukünftige Zollmaßnahmen gelegt.
1. Wirtschaft: Reziproke Zölle als Antwort auf das Handelsbilanzdefizit und Regulierungen
Direkt zu Beginn des Memos wird der Wirtschaftsminister – in Absprache mit dem Finanzminister und dem Handelsbeauftragten (USTR) – angewiesen, die Ursachen der großen und anhaltenden jährlichen Warenhandelsdefizite und ihre Auswirkungen auf die wirtschaftliche und nationale Sicherheit zu untersuchen und geeignete Maßnahmen zu empfehlen. Auch wenn Handelsbilanzdefizite ein langjähriges Trump-Thema sind, werden sie hier zum ersten Mal mit der nationalen Sicherheit verknüpft. Dies ermöglicht die Anwendung einer Reihe von Handelsgesetzen, die aus dem Kalten Krieg stammen und die Einführung von schnellen Zöllen ohne lange Verfahren ermöglichen.
Obwohl das Memo noch die Möglichkeit eines „globalen Zusatzzolls“ erwähnt, stehen mittlerweile reziproke Zölle auf der Tagesordnung. So kündigte Trump am 13. Februar 2025 an, dass er ab April 2025 reziproke Zölle einführen will – und zwar für jedes Land. Nur so kann seiner Meinung nach die (angeblich) ungerechte Situation behoben werden, dass andere Länder von den niedrigen Zöllen zum amerikanischen Markt profitieren, ihre Märkte jedoch geschlossen halten. Bei diesen Zöllen sollen auch die Mehrwertsteuer und andere nicht näher bezeichnete unfaire Handelspraktiken berücksichtigt werden. Daneben soll es Zusatzzölle im Automobil-, Pharma- und Agrarsektor geben. Eine mögliche Gesetzesgrundlage könnte Abschnitt 338 des Handelsgesetzes von 1930 liefern, des „Smoot-Hawley Tariff Acts“, der Trump einen schnellen Weg zur Verhängung von Importzöllen von bis zu 50 Prozent eröffnen würde.
Da die Überprüfung sämtlicher Zolllinien sowie ihre Anpassungen nicht praktikabel sind, ist davon auszugehen, dass willkürlich Sektoren und Länder herausgegriffen werden. Insbesondere Deutschland und die Automobilindustrie werden hier unmittelbar im Fokus stehen: So hat Deutschland 2024 einen Überschuss von 70 Milliarden Euro mit den USA verzeichnet. Und während Autoimporte in Europa einem Zoll von 10 Prozent unterliegen, erheben die USA lediglich 2,5 Prozent. Wenn man diese Betrachtungsweise jedoch ausweitet, erheben die USA auf Pick-up-Laster, sogenannte „light duty trucks“, einen Zoll von 25 Prozent.
Daneben stehen jedoch auch angeblich diskriminierende Regulierungen im Fokus. So wies Präsident Trump in einem Memo vom 21. Februar die Regierung an, Zölle in Erwägung zu ziehen, für den Fall, dass Staaten Digitalsteuern auf amerikanische Unternehmen erheben. Dies betrifft die vorherigen Untersuchungen gegen Frankreich, Österreich, Italien, Spanien, Großbritannien, Indien und die Türkei sowie möglicherweise eine neue Untersuchung gegen Kanada.
2. Politische Themen: Zölle gegen illegale Migration, Fentanylschmuggel und für mehr Sicherheitsausgaben
Im klassischen Sinne der Geoökonomie soll die Marktmacht der USA auch genutzt werden, um (sicherheits-)politische Ziele und Interessen der USA durchzusetzen. Dies betrifft in erster Linie die beiden Nachbarstaaten und Mitglieder des Freihandelsabkommens USMCA, Kanada und Mexiko. Beide Länder sind in hohem Maße von der amerikanischen Wirtschaft abhängig und somit in einer sehr schlechten Verhandlungsposition.
Bereits am 1. Februar wurde Trump aktiv und kündigte unter Berufung auf den „International Emergency Economic Powers Acts“ (IEEPA) von 1977 Zölle in Höhe von 25 Prozent gegen Kanada und Mexiko und in Höhe von 10 Prozent gegen China an. Als Grund gab er an, dass Kanada, Mexiko und China zu wenig gegen die illegale Migration und gegen den Schmuggel von Fentanyl vorgingen. Die US-Zölle wurden zunächst verschoben, traten dann am 4. März 2025 in Kraft und wurden – nachdem die Börsenkurse fielen – am 6. März in Bezug auf Kanada und Mexiko wieder angepasst: USMCA-Waren werden nun ausgenommen und es gibt verminderte Zölle für Energieprodukte. Kanada, Mexiko und China reagierten mit Gegenzöllen. Der erste Handelskrieg hat somit bereits begonnen.
Weitere politische Themen, die Deutschland und die europäischen NATO-Staaten betreffen, ist das Thema Sicherheitsausgaben. Trump drohte im Wahlkampf mehrfach, dass die NATO-Staaten mindestens 5 Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben bereitstellen müssten. Auch hier besteht die Möglichkeit, dass Trump Zölle einsetzt, um Druck auf die Europäer auszuüben.
3. Der Umgang mit China
China stellt weiterhin eine zentrale Bedrohung für die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Vormachtstellung der USA dar. Im Rahmen der „America First Trade Policy“ wird das Büro des USTR aufgefordert, zu überprüfen, ob sich China an das Wirtschafts- und Handelsabkommen („Phase One Agreement“) hält, das im Januar 2020 zwischen Trump und Xi Jinping verhandelt wurde. Gleichzeitig sollen die Ergebnisse der bestehenden Zölle, die unter Abschnitt 301 des Handelsgesetzes von 1974 eingeführt wurden, analysiert werden. Dabei steht vor allem auch die Umgehung durch Drittländer auf der Agenda.
Zusätzlich veröffentlichte Trump am 21. Februar 2025 eine „America First Investment Policy“, in der er den Ausschuss für ausländische Investitionen in den Vereinigten Staaten (CFIUS) anwies, China von Investitionen in Technologie, kritische Infrastruktur, Gesundheitswesen, Landwirtschaft, Energie, Rohstoffe oder andere strategische Sektoren abzuhalten. Dazu zählen zum ersten Mal auch „Greenfield“-Investitionen.
Die bisherigen Zusatzzölle von 20 Prozent gegen China in Bezug auf Fentanyl und illegale Migration könnten darauf hindeuten, dass Trump an einer Einigung und einem weiteren Abkommen mit China interessiert ist. Dies ist jedoch ungewiss. China hat mit Gegenzöllen reagiert, und bereits einen Tag nach Inkrafttreten der ersten Zölle ein WTO-Streitbeilegungsverfahren gegen die USA eingeleitet.
4. Wirtschaftssicherheit: Stahl und Aluminiumzölle
In seinem oben genannten „America First Memo“ zur Handelspolitik fordert Trump seine Regierung auf, die Wirksamkeit der bestehenden Maßnahmen zur Anpassung der Stahl- und Aluminiumimporte im Hinblick auf die nationale Sicherheit zu untersuchen und Empfehlungen abzugeben. Hier wurde er direkt aktiv und erhöhte am 10. Februar 2025 die Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte pauschal auf 25 Prozent, „ohne Ausnahmen oder Befreiungen“. Diese Zölle wurden bereits 2018 auf der Basis von Abschnitt 232 des „Trade Expansion Act“ von 1962 eingeführt und sollen am 12. März 2025 in Kraft treten. Sie betreffen zum ersten Mal auch die EU.
Weitere Themen im Bereich der Wirtschaftssicherheit beziehen sich auf die Überprüfung des Exportkontrollsystems im Hinblick auf die Schließung von Schlupflöchern, um den technologischen Vorsprung der USA zu bewahren. Der US-Präsident fordert außerdem eine Überprüfung der Richtlinien für Auslandsinvestitionen; dies betrifft insbesondere das „Outbound Investment Screening“.
Vom westlichen Bündnis zu „Only America First“: Wie sollte die EU reagieren?
Das Zusammenspiel zwischen nationaler Sicherheit und amerikanischer Wirtschaftskraft wird zu einem Kernthema für Donald Trump. Der zunehmende Einsatz von Zöllen, Exportkontrollen und Investitionsbeschränkungen weist auf diese Dynamik hin. Es geht dabei jedoch nur um die Vormachtstellung der USA; auch die bisherige Zusammenarbeit mit verbündeten Staaten wie Kanada, Mexiko oder den europäischen Staaten wird als Nullsummenspiel betrachtet. Dabei bleiben die Welthandelsorganisation und ihre Regeln im besten Fall irrelevant – sollten die USA nicht sogar ganz austreten. Dieses Jahr steht erneut die regelmäßig alle fünf Jahre stattfindende Überprüfung des WTO-Beitritts der USA im Kongress an.
Doch die transatlantischen Beziehungen bleiben weiterhin zentral. Der EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič reiste im Februar nach Washington, um Angebote zu machen. Neben einem stärkeren Ankauf von amerikanischen LNG, könnte auch Wasserstoff eine Rolle spielen. Im Hinblick auf den Ansatz der reziproken Handelspolitik bietet die EU richtigerweise an, ihre Auto- beziehungsweise Industriezölle zu senken. Dies könnte als erster Sieg Washingtons gesehen werden. In jedem Fall bleibt es dabei: Die Zollpolitik ist unter Trump unberechenbar und folgt keiner Logik. Eine Anwendung von reziproken Zöllen gegen die EU im April erscheint sehr wahrscheinlich.
Was ist zu tun, wenn Zölle tatsächlich eingesetzt werden? In Bezug auf die Stahl- und Aluminiumzölle ist die EU vorbereitet: Da diese Zölle mit denen seiner ersten Amtszeit (von 2018) identisch sind, kann die EU auch die ursprünglichen Gegenzölle wieder einführen, die unter Biden bis Ende März 2025 ausgesetzt waren. Im Fall der reziproken Zölle hat die Union bereits mit der Anwendung des Anti-Coercion-Instruments gedroht. Wichtig ist, dass Deutschland hier Teil einer geschlossenen europäischen Antwort ist.
In Zeiten, in denen die EU erneut von Trump als „Gegner“ betrachtet wird, wird die Besinnung auf die eigenen Stärken zur wichtigsten Aufgabe. Dazu gehört die Vollendung des Binnenmarktes, insbesondere bei Dienstleistungen, bei Energie und im digitalen Bereich. Hier zeigt der Draghi-Report wichtige Handlungsstränge auf. Gleichzeitig muss sich die EU auf die Aushandlung und Umsetzung ehrgeiziger Freihandelsabkommen mit gleichgesinnten Partnern – vor allem in Lateinamerika, der Asien-Pazifik-Region und Afrika – konzentrieren. Diese müssen auch als Grundlage für eine „Koalition der Willigen“ genommen werden, um eine enge Kooperation über liberale Handelsthemen und Reformen aufzubauen, mit dem Ziel, das regelbasierte globale Handelssystem langfristig zu sichern.