Spannungen im Südchinesischen Meer und in der Taiwanstraße bergen das Risiko, zu einem heißen Konflikt zu werden. Eine militärische Auseinandersetzung zwischen China und den USA wäre möglich, die Kosten für Deutschland und Europa enorm. |
Europäische Staaten sowie Länder im Indo-Pazifik müssen sich langfristig auf weniger US-Unterstützung einstellen und im Falle einer Wiederwahl Donald Trumps auf den möglichen Wegfall von Sicherheitsgarantien vorbereiten. |
Die angespannte Sicherheitslage und die geteilten Herausforderungen machen es notwendig, enger miteinander zusammenzuarbeiten. |
Deutschland sollte selbstbewusster die aggressiven und illegalen Handlungen Chinas verurteilen, von den Erfahrungen der indo-pazifischen Partner lernen und diese im Bereich des maritimen Kapazitätsaufbaus unterstützen. |
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Einleitung
Während der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine in Europa die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht, droht auch im Indo-Pazifik der Ausbruch eines militärischen Konflikts – und das gleich an mehreren Orten. Insbesondere im Südchinesischen Meer und um Taiwan steigt das Risiko einer militärischen Auseinandersetzung und in der Folge eines potenziellen Konflikts zwischen den USA und China.
Angesichts des Krieges in der Ukraine scheinen diese Konfliktrisiken zunächst weniger relevant. Doch die sicherheitspolitischen Spannungen im Indo-Pazifik betreffen auch Europa und damit Deutschland. Die „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ der Bundesregierung von 2020 tragen den Sicherheitsrisiken, die von der Region ausgehen, bereits Rechnung und fordern eine Vertiefung der sicherheitspolitischen Beziehungen mit Demokratien und Wertepartnern im Indo-Pazifik. Allerdings bleibt die Definition dieser Wertepartner bislang vage und die sicherheitspolitische Koordinierung mit demokratischen Partnern, insbesondere auch in Hinblick auf Taiwan, ungenügend und wenig konkret.
Das Verhindern einer weiteren Erosion der regelbasierten internationalen Ordnung liegt in Deutschlands Interesse. Allein die ökonomischen Auswirkungen eines militärischen Konflikts zwischen China und Taiwan wären enorm und würden diejenigen der Corona-Pandemie und des Krieges gegen die Ukraine bei Weitem in den Schatten stellen: Die Kosten einer militärischen Eskalation für die Weltwirtschaft werden auf zehn Billionen US-Dollar geschätzt – das entspricht zehn Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Für Deutschland, dessen Handelsaustausch zu über 20 Prozent im Indo-Pazifik stattfindet, hätte ein solches Szenario katastrophale Folgen. Darüber hinaus verdeutlicht die enge Zusammenarbeit Russlands mit China und Nordkorea, dass Deutschland Sicherheit nicht nur in der eigenen Nachbarschaft adressieren sollte. Weder China noch Nordkorea haben ein Interesse an einem schnellen Ende des Krieges gegen die Ukraine – denn dieser lenkt die Aufmerksamkeit und militärischen Ressourcen Europas, aber vor allem der USA, weg vom Indo-Pazifik. China und Nordkorea unterstützen Russland: die Volksrepublik mit der Lieferung von Dual-Use-Gütern und dem Import von russischem Öl und Nordkorea mutmaßlich mit der Lieferung von Waffen und Munition. Japan und Südkorea, die zu den größten Unterstützern der Ukraine gehören, verstehen diese Verzahnung globaler Sicherheit. Beide Länder fürchten, dass das Unvermögen der internationalen Gemeinschaft, den russischen Angriff zu stoppen, den Weg einer militärischen Aggression im Indo-Pazifik ebnen könnte, weil China sich durch einen Sieg Russlands ermutigt fühlen könnte, seinerseits Taiwan anzugreifen.
Pulverfass Indo-Pazifik
Bedrohung im Südchinesischen Meer
Im Südchinesischen Meer sind die Risiken einer militärischen Auseinandersetzung im Indo-Pazifik derzeit am größten. In den vergangenen Monaten kam es in dem rohstoffreichen und vielbefahrenen Gewässer wiederholt zu Zwischenfällen zwischen den Küstenwachen der Philippinen und Chinas. China reklamiert praktisch das gesamte Südchinesische Meer für sich – trotz eines Urteils des Ständigen Schiedsgerichts in Den Haag von 2016, das Chinas Hoheitsansprüche in der Region zurückwies. Im Streit um diese Ansprüche setzte die chinesische Küstenwache zuletzt wiederholt Wasserwerfer, militärische Laser und sogar Äxte gegen philippinische Schiffe ein. Sollte es im Rahmen solcher Grenzüberschreitungen beispielsweise zur Schädigung oder gar zum Tod eines philippinischen Besatzungsmitglieds kommen, so könnte dies die Philippinen dazu veranlassen, den Vertrag über gegenseitige Verteidigung mit den USA in Anspruch zu nehmen. Die USA müssten sich in dem Fall zwischen zwei schwierigen Optionen entscheiden: in einen militärischen Konflikt mit China zu geraten oder nicht einzuschreiten und infolge dessen global die Glaubwürdigkeit als verlässlicher Bündnispartner zu verlieren. Aus einer mangelnden Bereitschaft der USA, den Bündnispartner zu verteidigen, könnte China wiederum die Konsequenz ziehen, dass es auch bei einem Angriff auf Taiwan keine US-Intervention fürchten müsste.
Die Bundesregierung muss signalisieren, dass sie die Bedrohung durch China im Indo-Pazifik (...) ernst nimmt.
Gefahrenlage Taiwan
Dass China innerhalb der nächsten Jahre versuchen wird, die Annexion Taiwans mit militärischen Mitteln herbeizuführen, mag momentan unwahrscheinlich scheinen, da dies mit hohen Kosten für das chinesische Militär und die ohnehin derzeit schwächelnde Wirtschaft der Volksrepublik verbunden wäre. Das könnte sich jedoch ändern, sollte China den Eindruck gewinnen, dass Taiwan einen zu separatistischen Kurs verfolgt, sprich nach formeller Unabhängigkeit strebt. In Reaktion auf den Amtsantritt des neuen taiwanischen Präsidenten, Lai Ching-te, den China als Befürworter eines unabhängigen Taiwans sieht, veranlassten die Machthaber in Peking etwa im Mai dieses Jahres zwei Tage lang großangelegte Militärübungen in den Gewässern um Taiwan als „Bestrafung“ für separatistisches Verhalten. Aggressives chinesisches Verhalten sowie Überschreitungen der taiwanischen Luftverteidigungszone durch militärische Flugzeuge und Schiffe sind mittlerweile fast täglich zu verzeichnen. US-Präsident Joe Biden sicherte mehrfach zu, die USA würden im Falle eines Angriffs Taiwan verteidigen – offiziell verfolgt die Regierung in Washington die Strategie der „strategischen Ambiguität“. Sie lassen also offen, ob sie Taiwan militärisch beistehen würden.
USA: Ungewisser Partner
Zusätzlich zur angespannten Sicherheitslage in Europa und im Indo-Pazifik bereitet den europäischen und indo-pazifischen Verbündeten der USA auch der Blick Richtung Washington so manche Sorgen. Die USA sind der wichtigste Sicherheitsgarant sowohl für NATO-Europa als auch für Partner und Verbündete im Indo-Pazifik. Eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps im November dieses Jahres könnte bedeuten, dass dieser seinen „America First“-Kurs womöglich radikalisiert: Forderungen nach stärkerer Lastenteilung könnten gegenüber Alliierten in beiden Regionen deutlich lauter und vehementer werden.
Folglich sollten sich die US-Verbündeten auf weniger Rückhalt durch die USA einstellen. Für Deutschland bedeutet dies in erster Linie, Lücken in der eigenen Verteidigungsfähigkeit zu schließen und auf etwaige Ausfälle der US-Politik – etwa im Bereich der Ukraine-Unterstützung – möglichst gut vorbereitet zu sein. Aber die Bundesregierung muss auch signalisieren, dass sie die Bedrohung durch China im Indo-Pazifik, die das Hauptaugenmerk der US-amerikanischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist, ernst nimmt, um US-amerikanische Unterstützung in Europa weiterhin zu sichern – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Immerhin ist der überparteiliche Konsens in den USA, dass der Indo-Pazifik und der Umgang mit China strategische Priorität für Washington hat, und dass die Abstimmung zwischen europäischen und indo-pazifischen Partnern gewünscht ist.
Angesichts des Eskalationspotenzials im Indo-Pazifik ist daher eine klare Haltung notwendig. Dazu gehört das diesjährige Manöver Indo-Pacific Deployment, dessen Zweck es ist, in der Region Präsenz zu zeigen und für die Freiheit der Seewege einzustehen. Trotz Befürchtungen, dass Deutschland vor einer Durchfahrt der Taiwanstraße zurückschrecken könnte, wie das bereits 2021 im Rahmen der Entsendung der Fregatte „Bayern“ in die Region der Fall war, passierte die Fregatte „Baden-Württemberg“ Anfang September 2024 die Meerenge. Augenscheinlich wollte die Bundesregierung nicht den Eindruck erwecken, man ließe sich von chinesischen Warnungen einschüchtern – die chinesische Regierung hatte zuvor von einer Provokation gesprochen. Verteidigungsminister Pistorius erklärte: „Internationale Gewässer sind internationale Gewässer, es ist der kürzeste Weg, es ist angesichts der Wetterlage der sicherste Weg, und es sind internationale Gewässer, also fahren wir durch.“ Die Durchfahrt signalisiert, dass sich Deutschland nicht von Chinas Drohgebärden einschüchtern lässt und sich für die Freiheit der internationalen Seewege einsetzt. Damit sendet Deutschland ein wichtiges Signal – an China, aber auch an die USA und deren regionale Verbündete.
Optionen der Kooperation
Deutschlands (militärische) Ressourcen sind begrenzt. Dennoch kann es zur Abschreckung gegenüber China und damit zur Verhinderung einer militärischen Auseinandersetzung beitragen.
Eine verstärkte Aufmerksamkeit vieler Staaten, auch aus Europa, auf die Aktivitäten Chinas inklusive deutlicher Verurteilung, könnte das chinesische Kalkül verändern. Auch in erster Linie symbolisches Engagement wie die Durchfahrt durch die Taiwanstraße oder (weitere) gemeinsame Militärübungen mit Ländern wie Japan, Südkorea, oder Australien können eine abschreckende Wirkung auf China entfalten.
Angesichts der geteilten Herausforderungen, aber auch gemeinsamer Werte wie demokratischer Prinzipien und der Freiheit und Sicherheit von Seewegen, sollte Deutschland mit Partnern wie Australien, Japan, Südkorea, Neuseeland und den Philippinen Einheit demonstrieren und signalisieren, dass es eine Änderung des Status quo, beispielsweise das Durchsetzen unrechtmäßiger Gebietsansprüche mit militärischen Mitteln, ablehnt. Darüber hinaus kann es Sicherheitsunterstützung leisten und auch im Bereich der Rüstungsindustrie näher mit den genannten Partnern zusammenarbeiten. Die Kooperation zwischen Polen und Südkorea zur Beschaffung militärischer Ausrüstung verdeutlicht, dass eine solche Zusammenarbeit unmittelbar auch die Sicherheit Europas stärkt.
Angesichts des Eskalationspotenzials im Indo-Pazifik ist eine klare Haltung notwendig.
Die Verflechtung euro-atlantischer und indo-pazifischer Sicherheit zeigt, dass ein Engagement im Indo-Pazifik auch die europäische Sicherheit stärkt. Ein Einstehen für die liberale und regelbasierte Ordnung würde nicht nur zur Stabilität im Indo-Pazifik und zur Verhinderung von Konflikten beitragen. Es würde auch signalisieren, dass Deutschland ein verlässlicher Partner ist und somit dazu beisteuern, dass der Bündnispartner USA, aber auch indo-pazifische Länder sich weiterhin für die Sicherheit Europas einsetzen.
Handlungsempfehlungen
Die Bundesregierung sollte die folgenden Maßnahmen zwecks Stabilität und Vermeidung eines Konflikts im Indo-Pazifik beitragen:
- Allen voran sollte Deutschland sich mit seinen europäischen Partnern unter Berücksichtigung unterschiedlicher Szenarien auf gemeinsame Antworten verständigen, für den Fall, dass China versuchen sollte, den Status quo in der Straße von Taiwan oder im Südchinesischen Meer gewaltsam zu verändern. Diese Botschaft, die über verschiedene Kanäle an chinesische Regierungsvertreter herangetragen werden sollte, muss unmissverständlich deutlich machen, dass ein Angriff auf Taiwan gravierende wirtschaftliche und diplomatische Folgen hätte. Ein gewisses Maß an Ambivalenz – wie bei Abschreckung üblich – ist sicher klug. Doch darf die chinesische Führung nicht den Eindruck gewinnen, dass Deutschland oder Europa untätig bleiben würden.
- Als Teil dieser Abschreckungsstrategie sollte Deutschland weiter die Wichtigkeit von freien Seewegen einfordern. Die Durchfahrt der deutschen Fregatte „Baden-Württemberg“ durch die Taiwanstraße sollte als Maßstab für zukünftige Entsendungen in die Region dienen, die weiter signalisieren sollten, dass Deutschland für Frieden und Stabilität in der Region einsteht und eine Änderung des Status quo nicht toleriert. Auch mit Blick auf das Südchinesische Meer sollte Deutschland Verletzungen des UN-Seerechtsübereinkommen scharf verurteilen.
- Deutschland sollte Partner im Indo-Pazifik (weiter) unterstützen, etwa beim maritimen Kapazitätsaufbau. Im Rahmen der Enable & Enhance Initiative hat Deutschland die philippinische Küstenwache bereits mit zwei unbemannten Luftfahrzeugen (UAVs) zur Überwachung des eigenen Seegebiets ausgestattet, die Abgabe vier weiterer Drohnen sowie Schulungsmaßnahmen wurden im Januar 2024 angekündigt. Zukünftig sollten auch gemeinsame Patrouillen mit der philippinischen Küstenwache im Südchinesischen Meer erfolgen.
- Deutschland könnte im Indo-Pazifik Möglichkeiten minilateraler Kooperation in Erwägung ziehen, wie diese schon vielfach im Indo-Pazifik genutzt werden. Die gemeinsame Entsendung der deutschen, spanischen und französischen Luftwaffen im Rahmen des Indo-Pacific Deployments sowie deren gemeinsame Übung mit den japanischen Luftselbstverteidigungsstreitkräften bietet hierfür Ansatzpunkte und könnte in der Zukunft vertieft werden. In diesem Sinne sollte Deutschland enger mit europäischen Partnern, vor allem Frankreich und Großbritannien, die Entsendung von Fregatten zur Unterstützung des Prinzips offener Seewege abstimmen.
- Schließlich muss die veränderte Sicherheitslage in beiden Regionen und damit die Notwendigkeit, über Verteidigung zu reden, gegenüber der eigenen Bevölkerung deutlich und offen kommuniziert werden. Dabei kann Deutschland etwa von der Erfahrung Australiens lernen. Infolge des wirtschaftlichen Drucks, den China als Antwort auf die australische Ermittlungsanfrage zum Ursprung des Corona-Virus 2020 ausübte, kommunizierte die Regierung die geopolitischen Risiken, die von China ausgehen und die strategische Notwendigkeit von Investitionen in die Verteidigung gegenüber der Bevölkerung. Australiens Bevölkerung trägt die höheren Militärausgaben des Landes, auch im Rahmen des AUKUS-Bündnisses, weitgehend mit.