Policy Brief

13. März 2023

Auf in den „Blauen Pazifik“

Warum die EU den Inselnationen im Pazifik bei klimabedingter und maritimer Sicherheit helfen sollte
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Der „Blaue Pazifik“ ist eine riesige Region im Südpazifik, die sich über 30 Millionen Quadratkilometer erstreckt und 14 Nationen umfasst. Insgesamt drei Millionen Einwohner leben auf Tausenden von Inseln, die akut vom Klimawandel bedroht sind – eine Herausforderung, die durch die geopolitische Konkurrenz der Großmächte noch erschwert wird. Die Europäische Union kann dieser Region durch den ­Aufbau von Kapazitäten zur Klimaanpassung, zur Verbesserung der ­maritimen Sicherheit und zur engeren regionalen Zusammenarbeit helfen. Dies deckt sich mit europäischen strategischen Interessen, zu denen auch gehört, sich als vertrauenswürdige auswärtige Macht zu etablieren.

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Key Findings
Der Blaue Pazifik ist ein Brennpunkt des geopolitischen Wettbewerbs. Was hier geschieht, hat Auswirkungen auf Frieden und Stabilität der gesamten pazifischen Region und darüber hinaus.
Der Klimawandel ist die größte Bedrohung für die Inselstaaten. Die EU sollte Projekte zur Klimaanpassung fördern, die Wissenstransfer von und nach Europa ermöglichen.
Die Länder des Blauen Pazifiks verfügen über zu wenig ­Kapazitäten zur Überwachung und Durchsetzung der ­maritimen Sicherheit. Mit Hilfe zum Kapazitätsaufbau kann die EU Schmuggel verhindern und zur Nichtverbreitung von Massen­vernichtungswaffen beitragen.

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Eine umworbene Region

Der Name „Blauer Pazifik“ beschreibt eine Gruppe von Inselstaaten im Südpazifik, die sich über ein großes Seegebiet im Dreieck zwischen China, Australien und den Vereinigten Staaten erstrecken. Washington und Peking ringen im Blauen Pazifik um Einfluss, und das aus guten Gründen: Die Region ist von erheblicher strategischer Bedeutung und verfügt über große Vorkommen von natürlichen Ressourcen. Hinzu kommt, dass die Großmächte die Inselstaaten für politisch beeinflussbar halten.

Die Vereinigten Staaten unterhalten Militärstützpunkte im US-Territorium Guam und dem US-Bundesstaat Hawaii. Ein weiterer Stützpunkt soll in den Föderierten Staaten von Mikronesien errichtet werden; in Palau ist ein Überhorizontradar geplant. Zudem steht die Erneuerung der Assoziierungsabkommen mit drei Inselstaaten an. Unter anderem mit den Ländern der Initiative „Partners of the Blue Pacific“ soll die Zusammenarbeit vertieft werden. Eine Reihe weiterer hochrangiger Treffen sowie neuer Partnerschafts- und Investitionsabkommen im Verlauf des Jahres sind als direkte Reaktion auf den wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einfluss Chinas in der Region zu verstehen. Washington befürchtet auch, dass Peking schrittweise eine militärische Präsenz aufbaut. Das Sicherheitsabkommen, das China im April 2022 mit den Salomonen abschloss, hat diese Befürchtungen noch verstärkt. Wichtige Routen für die Handelsschifffahrt, die wirtschaftliche Versorgung und den militärischen Nachschub führen durch den Blauen Pazifik. Wenn es im westlichen Pazifik, beispielsweise in der Straße von Taiwan, zu einem Zwischenfall käme, wäre die US-Marine darauf angewiesen, den Blauen Pazifik durchqueren zu können.

Parallel dazu wetteifern die Großmächte um die Ressourcen der Region: Die Inseln des Blauen Pazifiks verfügen über riesige ausschließliche Wirtschaftszonen (AWZ), die reich sind an natürlichen Ressourcen wie Fisch, aber auch Nickel, Kupfer und Kobalt.  Zugleich gilt, dass sich mit wirtschaftlichen Investitionen und Entwicklungsprojekten auch politische Unterstützung erkaufen lässt: Von den sechs Inselstaaten, die ursprünglich diplomatische Beziehungen zu Taiwan unterhielten, sind nur noch vier übrig. Die Salomonen und Kiribati nahmen 2019 stattdessen Beziehungen zu China auf.

Was hat das mit Europa zu tun?

Zumindest auf dem Papier beansprucht die EU eine eigenständige Rolle im Blauen Pazifik. Brüssel hat eine Strategie für den Indopazifik formuliert, in der die Bedeutung der französischen Überseegebiete hervorgehoben wird, zumal die französischen Territorien im Blauen Pazifik AWZs von rund sieben Millionen Quadratkilometern umfassen. Die EU und einzelne europäische Staaten unterhalten diplomatische Vertretungen und verfolgen wirtschaftliche und politische Interessen in der Region. Für die pazifischen Inselstaaten (PICs) sind die EU-Wirtschaftshilfe und die Handelsbeziehungen zu Europa wichtig.

 Was im Blauen Pazifik passiert, wirkt sich weit jenseits der Region aus. Vielfältige Auswirkungen könnten die Stabilität pazifischer Räume bis hin nach Australien, Neuseeland, Ostasien und Südostasien gefährden. Aber auch für Europas Handelswege und Lieferketten und damit seinen wirtschaftlichen Wohlstand drohen Konsequenzen. Sollte es im Blauen Pazifik zu militärischen Scharmützeln kommen, könnte dies auch die französischen Territorien betreffen, was die EU zu einer Reaktion zwingen würde.

Ohnehin sind die europäischen Regierungen in die Probleme der PICs involviert. In den politischen Debatten spielt die historische Verantwortung Europas für Kolonialismus und andere Formen der Ausbeutung eine große Rolle; diese nährt auch den Wunsch nach Unabhängigkeit in den französischen Überseegebieten. Hinzu kommt das Gefühl von Ungerechtigkeit, was die Folgen des Klimawandels betrifft: Die PICs sind unverhältnismäßig stark vom Klimawandel betroffen, obwohl sie weniger als 0,03 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verursachen. Schließlich gibt es Forderungen nach Unterstützung und Entschädigung der Opfer der französischen Atomtests in der Region. In Anbetracht der bilateralen postkolonialen Verwicklungen ist die EU offenkundig besser geeignet als einzelne Mitgliedstaaten, um sich in der blau-pazifischen Region zu engagieren.

Ein Fokus auf den Blauen Pazifik

Es gibt auch einen positiven Grund für Europa, dem Blauen Pazifik mehr Aufmerksamkeit zu widmen: Mit einem Engagement in der Region kann die EU ihre eigenen Stärken zum Tragen bringen. Die ­Europäische Union ist immer dafür eingetreten, dass Länder dort, wo es um ihre gemeinsame Geografie geht, einvernehmliche politische Entscheidungen treffen. Der Begriff „Blauer Pazifik“ spiegelt ein Verständnis von Geopolitik, wie sie die EU auf kreative Weise vorgezeichnet hat: eine Selbstbeschreibung der Region, mit der sie ihre Vernetzung und gemeinsamen Herausforderungen und Interessen betont.

Die Bezeichnung „Blauer Pazifik“ steht für Gemeinschaft inmitten großer Vielfalt. Es beschreibt ein riesiges Gebiet, das sich über 30 Millionen Quadratkilometer und Tausende von kleinen Inseln erstreckt. Seine drei Millionen Einwohner leben verstreut auf 14 Nationen, die unterschiedliche Kulturen, Sprachen und politische Ansätze haben – und doch durch den Ozean verbunden sind. Über eine gemeinsame Institution verfügt die Region bereits: das Pacific Islands Forum (PIF), das in engerer Zusammenarbeit die einzige Chance sieht, den verheerenden Folgen des Klimawandels und der geopolitischen Konkurrenz zu begegnen.

Denn alle Inselstaaten im Blauen Pazifik stehen vor einem Problem von globalem Ausmaß, das in seinen Folgen für sie alles überlagert: dem Klimawandel. Der Ozean verbindet und ernährt sie, doch ist es auch der Ozean, der sie heute kollektiv und existenziell bedroht. Ihre niedrig gelegenen Atolle sind unverhältnismäßig stark betroffen. Ihre Ökosysteme, die biologische Vielfalt, die Lebensgrundlagen, die Sicherheit der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung sowie ihr wirtschaftlicher Wohlstand werden durch die Erwärmung der Gewässer und die vom Klimawandel ausgelösten Naturkatastrophen bedroht. Besonders gravierend sind die Auswirkungen auf die Gesundheit und die Sicherheit von Frauen. Insgesamt stellen der Klimawandel und seine Folgen nicht nur die größte Sicherheitsbedrohung, sondern zugleich den größten Bedrohungsmultiplikator für die Länder des Blauen Pazifiks dar.

 

Ein zweites großes Thema, das den gesamten ­Blauen Pazifik betrifft, ist der geopolitische Wettbewerb – nicht zuletzt, weil er die Staaten daran hindert, das erste Problem anzugehen. Insbesondere Australien und die USA umwerben die PICs mit wirtschaftlichen und politischen Vereinbarungen, um sich Einfluss und Unterstützung gegen China zu erkaufen, das in gleicher Manier antwortet. Die Länder des Blauen Pazifiks fürchten aufgrund dieser strategischen Rivalitäten massiv unter Druck zu kommen und ausgebeutet zu werden, ähnlich wie schon im 20. Jahrhundert. Der Ständige Vertreter von Fidschi bei den Vereinten Nationen in New York beschrieb die gemeinsame Einschätzung mit den folgenden Worten: „Im geopolitischen Wettstreit zwischen den Vereinigten Staaten und China ist es der ­Klimawandel, der gewinnt.“  

Die Staaten des Blauen Pazifik geben der Eindämmung des Klimawandels und der geopolitischen Rivalität Vorrang – und dies deckt sich mit den europäischen Interessen. Allerdings ist es der EU bisher nicht gelungen, aus ihrem Engagement zum Aufbau von Kapazitäten in der Region hinreichend eigenen Nutzen zu ziehen.

 

Klimasicherheit

Im Juli 2022 riefen die Staats- und Regierungschefs des Blauen Pazifiks den Klimanotstand aus und forderten Unterstützung für die Bemühungen der Region, sich dem Klimawandel anzupassen, seine Folgen abzumildern und das Risiko von Katastrophen zu verringern. Erforderlich sei zudem ein Perspektivwechsel, um die PICs nicht nur als Opfer des Klimawandels, sondern auch als Quellen von Wissen und als Orte der Forschung zu begreifen. Tatsächlich ist der Blaue Pazifik bereits als Innovationszentrum beschrieben worden. Die Region hat eine Reihe von innovativen Anpassungsprojekten entwickelt, allerdings fehlt es vielfach an den für die Umsetzung erforderlichen finanziellen, technischen und personellen Kapazitäten.

Um einige dieser Defizite zu beheben, hat die EU im November 2021 die EU-Pacific Green-Blue ­Alliance ins Leben gerufen. Für die Jahre 2021 bis 2027 sind Finanzhilfen von insgesamt 197 Millionen Euro vorgesehen. Zusätzlich stellt die EU auch Mittel für andere wichtige Klimaanpassungsprojekte bereit. Hier ist es wichtig, technische Hilfe und die enge ­Zusammenarbeit mit den lokalen Gemeinschaften, etwa durch Gespräche am runden Tisch und gemeinsame Forschungsprojekte, besonders zu fördern. So können Hindernisse abgebaut und die Einbeziehung von Frauen und indigenem Wissen aus dem Pazifikraum erleichtert werden. Durch lokale Eigenverantwortung und die Einbindung verschiedener Interessengruppen wird die Nachhaltigkeit von Klimaschutzprojekten erhöht. Ein solcher Ansatz verbessert zugleich die Chancen für Innovationen, die auch in andere europäische Klimaschutzbemühungen einfließen können.

Insgesamt ist die EU bei der Unterstützung der Klima­anpassung nicht so effektiv, wie sie es gerne wäre. Ihre Strukturen sind so bürokratisch, dass sich der Zugang zu Finanzmitteln und die Durchführung von Projekten oft als schwierig erweisen.

Maritime Sicherheit

Die Europäische Union hat sich in ihrer Indo-­Pazifik-Strategie verpflichtet, zur Verbesserung der maritimen Sicherheit in der Region beizutragen. Dazu gehört die Stärkung von Kapazitäten zur Bekämpfung von Drogen- und Menschenhandel, von Wildtier-Schmuggel, dem Handel mit illegalen Waren und der Terrorismusfinanzierung. Die EU ist auch bestrebt, Mechanismen zum Informationsaustausch zu vereinheitlichen. Aber auch wenn dieser Informationsaspekt von großer Bedeutung ist, mangelt es den PICs vor allem an technologischen Mitteln (Software), technischer Ausrüstung (Hardware) und geschultem Personal für Datenmanagement, Überwachung und Durchsetzung.

Mit Hilfen zum Aufbau dieser Kapazitäten würde die EU auch im Sinne ihres langfristigen Ziels handeln, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Die Kapazitäten, die zur Kontrolle der Nichtverbreitung und zur Durchsetzung von Sanktionen benötigt werden, sind weitgehend identisch mit denen, die für die Überwachung und Sicherung des Seeverkehrs benötigt werden. In beiden Fällen geht es um die Sammlung von Informationen, um Beobachtung und Einschreiten zur Beendigung krimineller Machenschaften. Wie wichtig diese Fähigkeiten im Alltag sind, zeigen die illegalen Aktivitäten Nordkoreas: Pjöngjang ist dafür bekannt, dass seine Schiffe unter falscher Flagge fahren und versuchen, unter dem Radar zu bleiben, um Waffenembargos und Sanktionen zu umgehen. Für seine Operationen unter falscher Flagge nutzt Nordkorea auch die unzureichenden Kapazitäten der PICs aus.

Im Rahmen ihrer Nichtverbreitungsstrategie führt die EU bereits alljährliche Gespräche über den Kapazitätsaufbau zur Kontrolle der Nichtverbreitung und der Durchsetzung von Sanktionen im indopazifischen Raum. Wenn sie in diese Bemühungen auch den Kapazitätsaufbau für die Sicherheit im Seeverkehr einbeziehen und ihren Dialog mit dem Pacific Islands Forum (PIF) ausbauen würde, wäre ihre Hilfe wirkungsvoller. Ein solcher Kapazitätsaufbau würde den Interessen Brüssels entsprechen und Schwachstellen bei der Überwachung im Blauen Pazifik beheben helfen. Zugleich würde die EU auf diese Weise auch dem Interesse einiger Inselstaaten an mehr Sicherheitszusammenarbeit gerecht. Der Sicherheitspakt der Salomonen mit China, der Vereinbarungen über die Ausbildung lokaler Sicherheitskräfte enthält, ist ein Beispiel für den Sicherheitsbedarf der Inselstaaten.

Förderung der regionalen Zusammenarbeit

Mit Blick auf die Bedrohung durch den Klimawandel und die politischen Herausforderungen streben die Nationen des Blauen Pazifiks eine engere regionale Zusammenarbeit an. Für die EU gehört zum selbstgewählten außenpolitischen Profil, die Stärkung solcher regionalen Organisationen zu unterstützen. Für beide Seiten ist der Ausbau der Beziehungen zwischen der EU und dem PIF der logische nächste Schritt.

Die EU hat traditionell sowohl multilateral als auch bilateral mit den PICs zusammengearbeitet. Inzwischen entwickelt sich das PIF zur wichtigsten regionalen Organisation für Sicherheitsfragen und Themen, die alle Inselstaaten betreffen.  Als Dialogpartner arbeitet die EU bereits mit dem PIF zusammen und kann dessen Status als regionales Gremium nutzen, um an Treffen auf Minister- und Arbeitsebene teilzunehmen. Durch ein Partnerschaftsabkommen würden die Beziehungen zwischen beiden Großregionen institutionalisiert, was die Zusammenarbeit zwischen den Inselstaaten stärken und die EU-Aktivitäten der EU zum Aufbau von Kapazitäten im Blauen Pazifik erleichtern würde.

 

Bibliografische Angaben

Suh, Elisabeth, and Hanna Gers. “Auf in den „Blauen Pazifik“.” German Council on Foreign Relations. March 2023.

DGAP Policy Brief Nr. 4, 13. März 2023, 10 pp.

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