Die EU und die USA wollen die internationalen Regeln für die Technologienutzung neu gestalten und tagen dazu derzeit in Paris beim zweiten Handels- und Technologierat (TTC). Das Forum, das im vergangenen Herbst ins Leben gerufen wurde, ist das derzeit wichtigste transatlantische Wirtschaftsprojekt.
Es soll die Grundlage für ein euro-atlantisches Machtzentrum und eine digitale Welt schaffen, die auf demokratischen Werten basiert.
Der Start im September 2021 verlief zunächst holprig: Die Spannungen rund um den chaotischen Rückzug der USA aus Afghanistan und ein geplatzter U-Boot-Deal zwischen Frankreich und Australien zugunsten der Amerikaner sorgten für Unstimmigkeiten.
Der Krieg in der Ukraine schweißt die Partner zusammen
Aber das hat sich geändert. Aufgerüttelt durch den russischen Angriff auf die Ukraine rücken die Partner enger zusammen. Das TTC entwickelt sich zu einer systemischen Partnerschaft für eine globale Tech-Governance zwischen demokratischen Staaten.
Wie machtvoll die ist, zeigt sich bereits: Unmittelbar nach Kriegsbeginn nutzten die EU und die USA die TTC-Instrumente, um Russland in seinen Technologieexporten zu beschränken und den Zugang zu kritischen Technologien einzuschränken.
Die Sanktionen gegen Halbleiter dürften dazu führen, dass Russlands Technologiesektor aus Mangel an Chips verkümmert. Betroffen sind Branchen wie die Luftfahrt, Rechenzentren, Künstliche Intelligenz (KI), Cloud-Technologie, industrielle Kontrollsysteme und militärische Ausrüstung.
2017 erklärte der russische Präsident Wladimir Putin, ein in der KI führendes Land würde der "Herrscher der Welt" sein. Durch den beschränkten russischen Zugang zu Halbleitern haben die EU und die USA Russland im KI-Bereich nun marginalisiert.
Ursprünglich wurde der TTC ins Leben gerufen, um Chinas technologischen und geoökonomischen Ambitionen entgegenzuwirken. Der Ukrainekrieg verlagerte den Fokus aber.
Die Bemühungen der TTC-Partner, Russlands technologische Fähigkeiten einzudämmen und eine Art demokratische Autonomie zu sichern, könnten als Probelauf dafür dienen, wie der Westen auf Chinas systemische technologische Herausforderung reagieren will.
Die autoritäre und digitale Macht von Russland und China zu begrenzen ist genauso wichtig, wie ein offenes und pluralistisches Internet aufrechtzuerhalten.
Die EU und die USA planen dafür eine strategische gegenseitige Abhängigkeit bei kritischen Technologien.
Beide haben Schwachstellen in den Lieferketten für Halbleiter ausgemacht, die durch die Coronapandemie, den Wettbewerb zwischen den USA und China und einen sprunghaften Anstieg der Nachfrage sichtbar wurden.
Der Plan von Intel, in Magdeburg eine Chipfabrik zu bauen, ist Teil der Bemühungen, die Lieferketten stärker geografisch zu diversifizieren und zwischen den USA und der EU zu verschränken.
USA und Europa planen gemeinsame Standards
Die EU und die USA nähern sich zudem bei heiklen Grundsatzfragen an - etwa was weltweite Standards für Künstliche Intelligenz angeht. So soll der Schaden, den die KI-Anwendungen anrichten können, darüber entscheiden, wie intensiv sie für die Zulassung geprüft werden müssen.
Ein weiteres Beispiel ist eine Annäherung beim Datenschutz, um die Macht von Onlineplattformen und Desinformation zu regulieren. Die Errungenschaften der EU im Bereich der Plattform-Governance sorgen für Bewunderung und sogar Neid bei amerikanischen Politikern, zu denen unter anderem der ehemalige Präsident Barack Obama und die ehemalige Außenministerin Hilary Clinton gehören.
Die EU und die USA erwägen derzeit gemeinsame Regeln, um mehr Transparenz und stärkere Rechenschaftspflichten für Facebook, Twitter, Tiktok, Telegram und andere große digitale Plattformen zu schaffen.
Die transatlantischen Partner müssen auch prüfen, wie sie den Zugang zu kritischen Materialien wie Seltenen Erden, die aus Staaten wie Russland und China stammen, sichern.
Zudem müssen sie dafür sorgen, dass Lieferketten nur solche Länder mit einbeziehen, in denen die demokratischen Rechte geachtet werden. Bei Solarpanels, die von Zwangsarbeitern in Arbeitslagern in Xinjiang hergestellt werden, ist das nicht der Fall.
Washington plant ein digitales Bündnis der Demokratien
Das erklärte Ziel der Regierung von US-Präsident Joe Biden ist, dass digitale Technologien die Demokratie, einschließlich Privatsphäre, Pluralismus, Minderheiten-, LGBTQ- und Frauenrechte "stärken und nicht schwächen" sollen.
Auf Bidens Anregung hin haben die USA, die EU und mehr als 30 Nicht-EU-Staaten eine "Erklärung zur Zukunft des Internets" unterschrieben. Darin sprechen sie sich dafür aus, dass das Internet offen, frei, global und sicher sein soll und die Menschenrechte in der digitalen Welt geschützt werden sollen.
Zu den Unterzeichnern gehören auch die Ukraine und Taiwan. Große Tech-Mächte des globalen Südens wie Südafrika, Indien, Brasilien und sogar Mexiko und Südkorea schlossen sich der Erklärung allerdings nicht an.
So setzt sich zunehmend die Überzeugung durch, dass eine Vision für demokratische Technologien nicht genügend Zustimmung im globalen Süden findet.
Vielleicht hat die EU gerade deshalb Indien - einem der größten Systemrivalen Chinas im indopazifischen Raum - die Hand gereicht, um einen zweiten Handels- und Technologierat einzurichten.
Als unbestrittene Technologiemacht des globalen Südens ist Indien ein systemrelevanter Akteur. Die Beziehungen zwischen der EU und Indien werden allerdings weniger vorhersehbar und schwieriger sein als die technologische Partnerschaft zwischen der EU und den USA.
Gemeinsam denken die EU und USA aber auch darüber nach, wie die Entwicklungshilfe für den Digitalausbau auf dem westlichen Balkan, in Afrika und im postsowjetischen Raum aussehen kann.
Auch hier scheinen sich beide Seiten darauf zu einigen, Chinas Technologie-Merkantilismus durch Huawei und ZTE langfristig bekämpfen und eine Dominanz der chinesischen Netzausrüster verhindern zu wollen.
Die Bemühungen gehen über 5G hinaus und umfassen auch Cloud-Computing, Künstliche Intelligenz, Unterseekabel, Smart-City-Technologie, 6G und Quanten-Computing.
Die Weltordnung braucht ein Update
Der Grundriss für die euro-atlantische Technologiepartnerschaft ist vorhanden. Zwar bleiben Stolpersteine bei sensiblen Themen wie Datenschutz, Marktmacht großer Plattformen oder Standards für Künstliche Intelligenz. Doch im Moment sind Europa und die USA auf einem guten Weg, ihre Tech-Allianz der Demokratien zu etablieren.
Die Weltordnung braucht ein Upgrade. Im Industriezeitalter wurde sie von Freihandelsabkommen, strengen Vorschriften und vertraglichen Allianzen beherrscht.
Im digitalen Zeitalter hingegen müssen die Bündnisstrukturen dynamisch, pragmatisch und funktionsfähig sein. "Governance" muss über den Staat hinausgehen und Nutzer, Unternehmen und die Zivilgesellschaft einbeziehen.
Kurz gesagt, es muss eine Ökosystem-Allianz geben. Die EU und die Vereinigten Staaten sind auf einem guten Weg, dieses System zu entwickeln.