Zusammenfassung
Über 5.000 Personen haben seit 2012 Westeuropa verlassen, um sich dschihadistischen Organisationen wie dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Syrien und dem Irak anzuschließen (Renard & Coolsaet 2018). Etwa ein Drittel ist mittlerweile in die Herkunftsländer zurückgekehrt. Dies verdeutlicht die internationale Dimension der Prävention von gewalttätigem Extremismus. Die Gruppe der „IS Rückkehrenden“ ist heterogen und umfasst Männer, Frauen und Kinder bzw. Jugendliche. Einige haben vor Ort Straftaten begangen und können auch nach ihrer Rückkehr als radikalisiert gelten. Doch aufgrund der schwierigen Beweislage erhalten viele Täter nur kurze Hafttrafen. Für das Themen- und Handlungsfeld Tertiärprävention von (gewaltbereitem) islamistischem Extremismus[1] ist der Umgang mit den Rückkehrenden von großer Relevanz, stellt die Akteure aber auch vor neue Herausforderungen. Um eine wirksame und nachhaltige Antwort zu ermöglichen, ist deshalb internationaler Wissensaustausch von zentraler Bedeutung.
Im Rahmen des International Forum for Expert Exchange on Countering Islamist Extremism (InFoEx) befasste sich ein internationaler Workshop im Dezember 2019 in Berlin mit der Frage der Reintegration von Rückkehrenden aus Syrien und dem Irak. Der Austausch wurde von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) organisiert und umfasste etwa 30 Teilnehmende aus Belgien, Deutschland und Frankreich. Deutlich wurde, wie wichtig eine strukturierte und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Akteuren, der Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung, die besondere Rücksichtnahme auf Kinder und Jugendliche und die Arbeit auch mit hochradikalisierten Rückkehrenden ist. In diesem Themenpapier werden zu jedem dieser Aspekte Herausforderungen und bewährte Praktiken dargestellt, die von den Workshopteilnehmenden diskutiert wurden. Das Papier enthält außerdem praktische Empfehlungen von Experten und Expertinnen sowie einige Beispielprojekte.
Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich die folgenden zentralen Empfehlungen für Akteure im Umgang mit Rückkehrenden aus Syrien und dem Irak:
Empfehlungen
1. Gesamtheitliches Fallmanagement stärken und je nach Fall weitere relevante Akteure wie Lehrkräfte oder das Jugendamt einbeziehen.
2. Relevante Akteure für die unterschiedlichen Aspekte des Themas Rückkehrende sensibilisieren, insbesondere auch Mitarbeitende von Jugendämtern und Justizvollzug.
3. Rückkehrenden bei Bedarf den Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung ermöglichen.
4. Die Komplexität möglicher Traumata berücksichtigen und langfristig Schutzfaktoren stärken, insbesondere bei Kindern und bei Jugendlichen in der Pubertät.
5. Stigmatisierung z.B. in der Schule vermeiden, um Reintegration nicht zu erschweren.
6. Weibliche Rückkehrerinnen weder unter- noch überschätzen, sondern Gemeinsamkeiten sowie gender-spezifische Unterschiede berücksichtigen, beispielsweise ihre Rolle in den Strukturen des IS.
Einleitung
Über 5.000 Personen haben seit 2012 Westeuropa verlassen, um sich dschihadistischen Organisationen wie dem sogenannten Islamischen Staat (IS) anzuschließen (Renard & Coolsaet 2018). Etwa ein Drittel ist mittlerweile in die Herkunftsländer zurückgekehrt und stellt diese vor ungewohnte und vielschichtige Herausforderungen. Für das Themen- und Handlungsfeld Tertiärprävention von (gewaltbereitem) islamistischem Extremismus[2] sind drei Aspekte von besonderer Relevanz: Unter den Rückkehrenden sind erstens neben männlichen Kämpfern auch eine relativ hohe Anzahl von Frauen sowie Minderjährigen, unter ihnen auch sehr kleine Kinder. Zweitens haben sich die ausgereisten Personen oft noch in Europa radikalisiert und können auch nach ihrer Rückkehr als radikalisiert gelten. Manche haben im Gebiet des IS Gewaltverbrechen oder andere schwere Straftaten begangen, erhalten aber aufgrund der schwierigen Beweislage oft keine langjährigen Haftstrafen. Drittens existieren je nach Herkunftsland unterschiedliche Gesetzgebungen bezogen auf die Strafbarkeit z.B. der Ausreise ins Kriegsgebiet oder die Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer terroristischen Organisation ebenso wie unterschiedliche praktische Herangehensweisen an den Umgang mit Rückkehrenden.
Somit unterstreicht die Problematik der Rückkehrenden nicht nur die Notwendigkeit eines gesamtheitlichen Ansatzes in den Herkunftsländern, sondern auch die internationale Dimension von Extremismusprävention. Es gibt großen Bedarf, sich über die besonderen Herausforderungen im Umgang mit dieser Zielgruppe auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene auszutauschen und „bewährte Praktiken“ (good practices) zu identifizieren. Dieses Themenpapier soll dazu einen Beitrag leisten, indem es die Ergebnisse von Expertenbeiträgen und Fachdiskussionen aus dem vierten InFoEx-Workshop im Dezember 2019 darstellt. Ziel des Workshops war es, den internationalen Wissensaustausch zur Reintegration von Rückkehrenden aus Syrien und dem Irak zu unterstützen. Etwa 30 Teilnehmende aus Belgien, Deutschland und Frankreich nahmen an der Veranstaltung in Berlin teil, um Erfahrungen und bewährte Praktiken zu diskutieren. Auf der Basis eines bedarfsorientierten Ansatzes[3] konzentrierten sie sich auf die Zusammenarbeit der Stakeholder, den Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung im Gegensatz zur psychosozialen Beratung[4], den Umgang mit Kindern und Jugendlichen sowie den mit hochradikalisierten Rückkehrenden. Außerdem wurden von den Teilnehmenden weiterer Bedarf an Erfahrungen und Erkenntnissen für den Umgang mit Rückkehrenden identifiziert. Das Papier folgt dieser Struktur, wobei in jedem Kapitel die Schwerpunkte der jeweiligen Expertendiskussion zusammengefasst werden und entweder mit Beispielen aus der Praxis oder Empfehlungen für Praktiker und Praktikerinnen aus dem Bereich der Tertiärprävention ergänzt werden.
Reintegration – von wem?
Trotz der Schwierigkeit, verlässliche Daten zu erheben (beispielsweise aufgrund der unterschiedlichen nationalen Kategorien oder den Unsicherheiten in Kriegsgebieten), können folgende Zahlen die Dimension der Thematik verdeutlichen: Laut Thomas Renard vom Egmont Royal Institute for International Relations in Belgien sind seit 2012 etwa 5.000 – 5.500 erwachsene Personen von Westeuropa nach Syrien und in den Irak gereist, um sich einer dschihadistischen Gruppierung anzuschließen, in den meisten Fällen dem IS.[5] Eine Studie von Joana Cook und Gina Vale vom King’s College London verdeutlicht, dass zwischen 1.400 und 1.650 Minderjährige von ihren Eltern bei der Ausreise mitgenommen oder im Gebiet des IS geboren wurden (Cook & Vale 2019, S.36). Je nach Quelle gibt es für etwa 500 – 600 Minderjährige Nachweise, dass sie tatsächlich vor Ort geboren wurden.
Basierend auf den verfügbaren Daten wird in Fachkreisen immer wieder die „Faustregel“ der drei Drittel bemüht: Ein Drittel der europäischen „Foreign (Terrorist) Fighter“ (FTF) sei ums Leben gekommen; ein weiteres Drittel befinde sich noch vor Ort (entweder in Gefangenschaft bzw. Lagern in Syrien und dem Irak oder noch an Kampfhandlungen beteiligt). Coolsaet & Renard (2019) schätzten beispielsweise im Oktober 2019, dass sich etwa 1.200 Personen, unter ihnen mindestens 700 Kinder, größtenteils in Syrien in Gefangenschaft befinden (Coolsaet & Renard 2019).
Das letzte Drittel ist die Gruppe der sogenannten IS-Rückkehrenden: Etwa 1.800 bis 1.900 Personen sind bereits wieder in Europa, unter ihnen knapp 200 Kinder und 200 Frauen (Cook & Vale 2019, S.36). Dabei existiert weder zum Begriff des „Foreign (Terrorist) Fighter“[6] noch des „Rückkehrenden“ eine einvernehmliche Definition, was den Vergleich der wenigen verfügbaren Daten erschwert. Gleichzeitig verdeutlichen die folgenden Aspekte die Heterogenität dieser Gruppe und die große Bandbreite der Herausforderungen:
Im Gegensatz zu anderen dschihadistischen Ausreisebewegungen ist ein relativ hoher Anteil – etwa 15 bis 20 Prozent der Westeuropäer, die sich dem IS angeschlossen haben – weiblich (Cook & Vale 2019, S.36). Da sich Personen unterschiedlichen Alters zur Ausreise entschlossen haben, handelt es sich bei den Rückkehrenden sowohl um Erwachsene als auch um Minderjährige, unter denen auch kleine Kinder sind, die erst vor Ort geboren wurden. Manche Ausgereiste sind relativ schnell und desillusioniert zurückgekehrt; andere bleiben auch nach ihrer Rückkehr hochradikalisiert. Unter ihnen sind entschlossene Überzeugungstäter und -täterinnen, die eigentlich bis zu ihrem Tod im Gebiet des IS bleiben wollten. Ob eine Person als hochradikalisiert gilt, ob sie eine Haftstrafe erhält und ob sie an einer Ausstiegsberatung interessiert ist, hat Auswirkungen auf ihre mögliche Reintegration. Auch ist anzunehmen, dass einige der Rückkehrenden psychotherapeutische Behandlung benötigen.
Eine in Syrien oder im Irak begangene Straftat vor einem europäischen Gericht nachzuweisen, ist nicht einfach. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass nicht alle Rückehrenden für die tatsächlich von ihnen begangenen Straftaten (wie zum Beispiel Kriegsverbrechen) angeklagt und verurteilt werden. Jedoch wurden beispielsweise in Belgien laut Thomas Renard 70 Prozent der Rückkehrenden, die vor Gericht gestellt werden konnten – d.h. die sich nicht in der Türkei in Haft befanden, minderjährig oder bereits verstorben waren –, zu durchschnittlich 5,8 (Frauen) bzw. 6,6 Jahren (Männer) verurteilt. In Frankreich haben die 113 verurteilten Rückkehrenden eine durchschnittliche Haftstrafe von 7,5 Jahren erhalten. Die meisten Rückkehrenden werden nicht für Kriegsverbrechen, sondern für die Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt, was zu diesen relativ kurzen Haftstrafen führt. In Ländern wie Schweden und Großbritannien wurden bisher weniger Personen verurteilt, in Großbritannien beispielsweise nur 40 der 400 Rückkehrenden. Außerdem wurden in Europa weibliche Rückkehrende bislang weniger oft verurteilt als männliche.
Seit einigen Jahren wird in den Medien, aber auch in Fachkreisen eine Debatte darüber geführt, aus welchen Gründen sich Frauen radikalisieren und für eine Ausreise zum IS entscheiden, welche Rolle(n) Frauen in den Strukturen des IS tatsächlich innehaben und welche rechtlichen Mittel, z.B. das Völkerrecht, im Umgang mit IS Rückkehrerinnen angewendet werden können und sollen.[7] Eine wichtige Rolle spielt auch, ob es sich bei Rückkehrenden um Personen mit Aufenthaltsrecht oder sogar um Staatsbürger handelt. Einige europäische Länder wie Großbritannien haben bereits Gebrauch von Regelungen für den Entzug der Staatsbürgerschaft gemacht.[8] Schließlich geht es in der politischen Debatte auch um den Umgang mit den mehreren hundert europäischen mutmaßlichen IS-Anhängern und ihren Kindern, die sich nach wie vor entweder im Norden Syriens in Lagern der mehrheitlich kurdischen Demokratischen Kräfte Syriens (engl. Syrian Democratic Forces bzw. SDF) oder aber in irakischen oder türkischen Gefängnissen befinden und auf eine Rückkehr in ihre Herkunftsländer hoffen.
Für einen nachhaltigen Umgang mit dieser diversen Zielgruppe müssen Deradikalisierungs- und Reintegrationsmaßnahmen repressive Maßnahmen ergänzen. Somit spielen Programme und Projekte der Tertiärprävention eine wichtige Rolle.
Empfehlungen
von Thomas Renard, Senior Research Fellow, Egmont Royal Institute for International Relations, Belgien
• Die meisten Länder in Europa haben eine relativ robuste und umfassende Herangehensweise an den Umgang mit zurückkehrenden Kämpfern entwickelt. Allerdings scheinen in mehreren Ländern die Justizvollzuganstalten nicht umfassend auf die Rückkehr einer hohen Anzahl von Frauen vorbereitet zu sein (beschränkte Anzahl an Plätzen, mangelnde Infrastruktur für kleine Kinder, mangelnde Trennungsmöglichkeiten zwischen Häftlingen, Mangel an ausgebildetem Personal…). Die Justizvollzuganstalten sollten sich schnellstmöglich auf die mögliche Rückkehr von weiteren weiblichen Foreign Fighter vorbereiten, egal ob sie eigenständig oder mithilfe von Rückführungsverfahren aus Syrien zurückkehren.
• Einige Foreign Fighter haben ihre Haftstrafe bereits abgesessen; andere werden in den kommenden Jahren aus der Haft entlassen werden. Deshalb ist das Monitoring nach der Haftentlassung, z.B. von Personen mit einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe oder solchen, die einer Ausstiegsberatung zugestimmt haben, sehr wichtig. Dabei sollten die (sicherheitsrelevanten) Informationen in gemeinsamen Fallkonferenzen unter Einbeziehung aller relevanten Akteure auch aus der Ausstiegsberatung diskutiert werden.
• Die Rückfallquoten sind bei terroristischen Tätern, einschließlich der zurückkehrenden Kämpfer, sehr niedrig (in Belgien weniger als fünf Prozent).[9] Diese Zahl verdeutlicht den Bedarf an maßgeschneiderten und sachkundigen Ansätzen für jeden Rückkehrenden während und nach der Haft. Während ein Mangel an richtigem Monitoring zu weiteren Anschlägen führen könnte, besteht bei exzessiven Sicherheitsmaßnahmen die Gefahr, dass sie betroffene Personen, die sich auf einem positiven Weg der Herauslösung befinden, entfremden.
Zusammenarbeit der Stakeholder
Für den Umgang mit Rückkehrenden aus Syrien und dem Irak können Sicherheitsbehörden wie Polizei und Kriminalämter, Gerichte, Strafvollzugsbehörden und Bewährungshelfer, zivilgesellschaftliche und behördliche Beratungsstellen und Projektträger, Jugend- und Sozialämter, aber auch Psychotherapeuten und Psychologen relevante Akteure sein. Die Zusammenarbeit dieser vielen Akteure mit ihren unterschiedlichen Prioritäten, Herangehensweisen und Organisationskulturen gestaltet sich teilweise schwierig.
Auswahl von Ergebnissen aus den Fachgesprächen
Bei der Zusammenarbeit der Akteure im Umgang mit Rückkehrenden wurden vor allem Herausforderungen genannt, die generell in der Deradikalisierungsarbeit wahrgenommen werden. Die Workshop-Teilnehmenden beschäftigen oft Fragen nach Zuständigkeit und Kompetenz, Koordination und Kommunikation sowie dem Informationsfluss und Umgang mit sensiblen und personenbezogenen Daten. Auch die Berichterstattung über aktuelle Fälle von Rückkehrende sowie die Wahrnehmung, dass eine politische Strategie fehle, werden als Herausforderung gesehen. Schließlich stelle sich die Frage nach der Nachhaltigkeit der Reintegration von Rückkehrenden. Für die Bewältigung dieser Herausforderungen wurden nach ersten Erfahrungen in der Zusammenarbeit folgende Herangehensweisen als hilfreich angesehen:
• Der Aufbau und die Pflege umfassender Netzwerkstrukturen, bestehend aus allen relevanten Akteuren, seien vor allem in der Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und behördlichen Akteuren auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen wichtig. Einige Teilnehmende fanden eine eher hierarchische Zusammenarbeit zielführend; andere äußerten sich positiv über den Austausch auf Augenhöhe, z.B. mit dem Sozial- und Jugendamt.
• Durch strukturierten Informationsaustausch können proaktiv Handlungssicherheit und -fähigkeit geschaffen, Ansprechpartner identifiziert und Zuständigkeiten geklärt werden. Ein behördlicher Teilnehmer berichtete, dass es nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Koordination mit der Polizei mittlerweile sehr positive Erfahrungen mit Meldewegen und Zuständigkeiten gebe. Die Einberufung von Fallkonferenzen wurde von einem Teilnehmer positiv erlebt, da sich Akteure persönlich kennen lernen und Misstrauen abgebaut werden könne.
• Dabei sei auch Erwartungsmanagement wichtig. Ein behördlicher Teilnehmer betonte die Relevanz eines gemeinsamen Verständnisses. Um Vorurteilen entgegenzuwirken, solle beispielsweise die Polizei informiert werden, wie die Sozialarbeit mit dem Fall umgehe und umgekehrt.
• In jedem Fall sei eine Einzelfallprüfung notwendig, um die tatsächlich relevanten Akteure zu identifizieren und – zum Beispiel über eine bevorstehende Rückführung – rechtzeitig einzubeziehen. Nötige Maßnahmen sollten vor der Rückkehr der betroffenen Person besprochen werden. Dabei solle insbesondere die lokalen Ebene und deren spezifisches Wissen einbezogen werden, z.B. zum sozialen Umfeld oder lokalen Besonderheiten.
• Nach Meinung mehrerer Teilnehmenden ist die grundsätzliche Sensibilisierung der Akteure für die verschiedenen Aspekte der Thematik „Rückkehrende“ wichtig. Beispielsweise könne die Berichterstattung über Rückkehrende kontraproduktiv für deren Reintegration sein, deshalb sollten Angehörige für den Vorgang der Rückführung und den Umgang mit Medien sensibilisiert werden. Eine Beraterin sprach sich auch dafür aus, Sicherheitsbehörden verstärkt für den Blick auf die Entwicklung und Bedürfnisse des Klienten zu sensibilisieren.
• Mehrere Teilnehmende betonten, dass dem sozialen Umfeld (z.B. Familie, Schule oder Gemeinde) besondere Aufmerksamkeit zukommen müsse. Rückkehrende sollten möglichst nicht in das gleiche Umfeld zurückkehren und damit erneut den Dynamiken ausgesetzt werden, die zu ihrer Radikalisierung geführt hatten. Ein Ausstiegsberater berichtete von seiner Wahrnehmung, dass der Zugang zu klassischer Sozialarbeit, zum Beispiel zu Drogenhilfe oder Unterstützung bei der Wohnungssuche, teilweise durch Vorbehalte gegenüber den Rückkehrenden erschwert werde. Besonders wichtig sei deshalb, die Arbeitsebenen in den Regelstrukturen – Jugendamt, Sozialamt und Schulamt – in Fallkonferenzen einzubinden. Außerdem könne man Rückkehrenden Kindergartenplätze für ihre Kinder zur Verfügung stellen, was den Zugang zu den Kindern und ihren möglicherweise radikalisierten Eltern erleichtern könne (siehe auch Kapitel 3).
• Teilnehmende forderten auch eine umfassendere Informationsstrategie für staatliche Maßnahmen. Dafür sei eine gemeinsame politische Linie und ein strukturierter Informationsfluss zwischen den verschiedenen Ressorts auch auf Bundesebene wichtig. Ein erster Ansatz seien die Leitlinien zum Umgang mit Rückkehrenden aus dem Irak und Syrien (siehe S.17).
• Schließlich plädierten Teilnehmende zusätzlich zu fallbezogenen Besprechungen für einen regelmäßigen und institutionalisierten Austausch, um Entwicklungen erkennen und mögliche Reaktionen besprechen zu können. Langfristig könnten so gemeinsame Ansätze und Zielvereinbarungen beispielsweise auch für den Datenschutz geschaffen werden. Ein behördlicher Teilnehmer merkte allerdings an, es genüge, bereits bestehende (informelle) Strukturen zu nutzen und lediglich die Zuständigkeiten zu klären. Auch ein Ausstiegsberater äußerte sich zufrieden mit den bisherigen informellen Kommunikationswegen, da durch sie kein Zwang entstehe.
Beispiel:
Erste Erfahrungen aus dem Modellprojekt Rückkehrkoordination
von Armin Laaf, Rückkehrkoordinator in Hessen
Das Modellprojekt Rückkehrkoordination wurde 2019 in Deutschland durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge initiiert und wird vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat finanziert. In bislang sechs deutschen Bundesländern (seit 2020: sieben) stellen Rückkehrkoordinierende zentrale Informationsschnittstellen für Akteure dar, die mit Rückkehrenden aus dschihadistischen Kampfgebieten arbeiten. Dazu zählen Sicherheitsbehörden, zivilgesellschaftliche Organisationen und Regelstrukturen der Kommunen, Länder und des Bundes. In Hessen arbeiten zwei Rückkehrkoordinierende, die durch das Land Hessen kofinanziert werden, in der strategischen Vernetzung und operativen Fallbearbeitung. Durch den Aufbau belastbarer Netzwerke und durch die zentrale Bündelung und Koordinierung der Informationen wird der bedarfsorientierte Austausch auf allen Ebenen ermöglicht und eine am Einzelfall orientierte, ganzheitliche Fallbearbeitung gewährleistet. In diesem Rahmen sollen Herausforderungen identifiziert und gezielt Expertise geschaffen werden.
Aus den bisherigen Erfahrungen ergeben sich folgende erste Vorgehensweisen:
1. Die Rückkehrkoordination steht mit allen relevanten Akteuren im bedarfsorientierten Austausch; dabei bleiben die Kompetenzen und Verantwortungsbereiche der Akteure gewahrt.
2. Sie steht den Akteuren als zentraler fachlicher Ansprechpartner auf Landesebene zur Verfügung, sensibilisiert für die Thematik und unterstützt bei Herausforderungen.
3. Die Einbeziehung und Information von Akteuren erfolgen bedarfsorientiert, um Stigmatisierungen zu vermeiden. Es gilt die Devise: so viele Akteure wie nötig und so wenige wie möglich. Gemeinsame Besprechungen ermöglichen es, den Umgang mit verschiedenen Szenarien sowie die bisherige und zukünftige Maßnahmenplanung zu eruieren.
4. Die im Einzelfall durch die Beratungsstellen initiierten Deradikalisierungsmaßnahmen werden durch die Rückkehrkoordination nachgehalten.
Durch die zentrale Perspektive der Rückkehrkoordination und die Netzwerkstrukturen wird eine multiprofessionelle Zusammenarbeit ermöglicht, von der alle fallbezogenen Akteure inhaltlich und strukturell profitieren. Die Rückkehrkoordinierenden der verschiedenen Bundesländer tauschen sich regelmäßig untereinander und mit dem BAMF aus, wodurch das Projekt stetig reflektiert und weiterentwickelt wird.
Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung
Bei Bedarf einen Zugang zu psycho-therapeutischer Behandlung sicherzustellen, kann aus Sicht vieler Akteure eine wichtige Rolle bei der Rehabilitation von Rückkehrenden spielen. Dieses Thema spielt auch für die Teilnehmenden des Workshops eine große Rolle.
Auswahl von Ergebnissen aus den Fachgesprächen
Personen, die ausgereist waren, um sich dem IS anzuschließen, haben die terroristische Organisation in unterschiedlicher Weise unterstützt.[10] Manche waren direkt in Organisationsstrukturen eingebunden; andere haben durch ihr Leben vor Ort indirekt einen Beitrag im Sinne des IS geleistet. Aus Sicht einer Teilnehmerin sind diese Personen deshalb Täter, Zeugen und oft auch Opfer von teils massiver, unter anderem ideologischer, Gewalt geworden. Es sei somit anzunehmen, dass ein Großteil der Rückkehrenden – Männer, Frauen und Kinder bzw. Jugendliche – in unterschiedlichem Maße traumatisiert seien. Dies habe Folgewirkungen auf das weitere Leben, die Rehabilitation und Reintegration.
Gleichzeitig sei die psychotherapeutische Versorgung von Menschen mit komplexen Traumata in Deutschland sowie in vielen anderen Ländern unzureichend. Es gebe grundsätzlich zu wenig Psychotherapeuten und -therapeutinnen und eine zu geringe Praxisdichte, was zu langen Wartelisten führe. Die spezielle Gruppe der IS-Rückkehrenden ist aus Sicht einer Teilnehmerin außerdem für die meisten psychotherapeutisch Tätigen (wie auch für die Soziale Arbeit) eine neue Gruppe, für die es noch an der nötigen Erfahrung fehle. Zudem sei die Expertise für die psychologisch-psychotherapeutische Beratung und Behandlung von Menschen, die in Kriegs- und Krisensituationen traumatisiert wurden – als Täter oder Opfer – noch nicht ausreichend in der Aus- und Weiterbildung verankert. Deswegen trauten sich Psychotherapeuten die Behandlung dieser Zielgruppe oft nicht zu und lehnten sie ab. Ein besonderer Mangel bestehe im Bereich der kinder- und jugendpsychotherapeutischen Versorgung.
Aus den bisherigen Erfahrungen ergeben sich folgende erste Erkenntnisse und Empfehlungen:
• Viel Geduld sei nötig, um den Zugang zu Rückkehrenden aufbauen zu können. Praktiker und Praktikerinnen beobachteten, dass sich Rückkehrende oft nicht vorstellen könnten, eine Therapie zu machen, auch wenn Beratende dies unter Umständen für hilfreich hielten. Außerhalb des Gefängnisses sei es besonders schwierig, Rückkehrende von den Vorteilen einer Therapie zu überzeugen. Im Gefängnis sei der Zugang einfacher; die betroffenen Individuen stimmten nach einiger Zeit einer Therapie eher zu. Teilweise bäten Rückkehrende auch von selbst um Unterstützung durch Therapie. Beratungsstellen könnten den Betroffenen helfen, in Kontakt mit entsprechend geschulten Psychotherapeuten zu kommen. Eine Beraterin berichtete, dass viele Klienten mit ihr zum ersten Mal über ihre persönliche Geschichte sprächen und sich so die Chance ergebe, gemeinsam Bedarfe für die Aufarbeitung zu identifizieren.
• Da eine biografische Aufarbeitung der Radikalisierungsdynamik in der Ausstiegsberatung aufgrund einer schweren Traumatisierung anfangs oft nicht möglich sei, sollte eine Stabilisierung der betroffenen Person sichergestellt werden. Diese Stabilisierung könne auch durch geeignete pädagogische bzw. sozialpädagogische Fachkräfte mit entsprechender Expertise, z.B. in einer Beratungsstelle, getätigt werden. Nach Ansicht einer Teilnehmerin sollten die psychosozialen Unterstützer von Rückkehrenden zumindest grundlegende Kenntnisse im Umgang mit Traumata haben. Für Sozialarbeitende sei es außerdem wichtig zu berücksichtigen, dass Rückkehrende teilweise auch mehrmaligen traumatischen Erlebnissen ausgesetzt waren und keine homogene Gruppe darstellten, sondern sich bei einigen auch die Täter- mit einer Opfer-Erfahrung bzw. Selbstwahrnehmung mische.
• Sich gegenseitig ergänzende, multiprofessionelle und interdisziplinäre Ansätze: Die S3 Leitlinien[11] zur Behandlung von Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen seien 2019 ergänzt worden, um mehrfach Traumatisierte zu berücksichtigen (Schäfer et al 2019). Darin werde die Notwendigkeit multimodaler Hilfen hervorgehoben. Es gehe dabei um traumafokussierte Psychotherapie, aber auch darum, dass diese sich mit psychologisch-edukativen, sozialarbeiterischen oder familienhelfenden Ansätzen ergänzen könne. In mehreren deutschen Beratungsstellen sei bereits ein Psychologe bzw. eine Psychologin Teil des Teams. Einige Beratungsstellen seien derzeit dabei, multi-professionelle Teams aufzubauen. Eine Alternative könne die enge Zusammenarbeit v.a. mit Psychotherapeuten sein. Außerdem könne je nach Symptomausprägung und Symptomschwere auch eine psycho-pharmakologische Mitbehandlung notwendig werden, so dass sich eine Kooperation mit Psychiatern anbiete. Dafür brauche es allerdings bereits etablierte Netzwerke und Kommunikationswege. Die Zusammenarbeit könne so die Beziehung zu dem Klienten bzw. der Klientin maßgeblich verbessern und dafür sorgen, dass sich die beiden Formen der Beratung bzw. Behandlung gegenseitig ergänzen.
• Spezialisierte Netzwerke zu schaffen und auszubauen wäre nach Ansicht mehrerer Teilnehmender wichtig, um die Zusammenarbeit zu erleichtern und den Zugang zu nötiger Expertise zu ermöglichen. Ein Runder Tisch bestehend aus Jugendamt, Beratungsstelle sowie VertreterInnen der psychologischen und psychotherapeutischen Berufsgruppen könnte hilfreich sein, um relevante Akteure (Fachgesellschaften, Arbeitsgruppen, Psychotherapeutenkammern, etc.) zu erreichen und einzubeziehen. Beratungsstellen sollten außerdem proaktiv Ansprechpartner identifizieren, die sie in bestimmten Fällen um Unterstützung bitten könnten.
• Auch die Aus- und Weiterbildung von psychotherapeutisch Tätigen ist aus Sicht einiger Teilnehmender wichtig, um Unsicherheiten abzubauen und die entsprechende Versorgung gewährleisten zu können. Es wurde beispielsweise vorgeschlagen, ein Qualifizierungs-Modul für den Umgang mit rückkehrenden Kindern und Erwachsenen zu entwickeln. Notwendig seien auch grundlegende Weiterbildungen im Bereich traumafokussierter Psychotherapie und traumasensibler Hilfen für traumatisierte bzw. ideologisierte Kinder. Fachgesellschaften für Psychotherapeuten auf nationaler Ebene könnten diese Weiterbildung anbieten und so bundesweite Netzwerke schaffen.
• Schließlich diskutierten Teilnehmende die Frage von interkultureller Kompetenz, d.h. inwiefern zum Beispiel europäische Psychotherapeuten ein „westliches“ Verständnis von Aufarbeitung und Therapie hätten. Einige Teilnehmende sprachen sich deshalb für interkulturelle und interreligiöse Sensibilisierung und Weiterbildung von Psychologen und Psychotherapeuten aus, um neue Behandlungsansätze zu eröffnen. Auf diesem Weg könne man gerade männliche Rückkehrer erreichen, die sich einer psychotherapeutischen Behandlung sonst eventuell verweigern, da sie als „unmännlich“ verstanden werde. Bewährt habe sich hier die Arbeit mit muslimischen Therapeuten. Der rückkehrenden Person sollte aber die Wahl des Therapeuten zu überlassen bleiben.
Beispiel:
Fachstelle Extremismus und Psychologie in Deutschland
von Kerstin Sischka, Psychologische Psychotherapeutin
In Deutschland hat die Fachstelle Extremismus und Psychologie ein Kooperationsmodell zwischen der Tertiärprävention und PsychotherapeutInnen entwickelt. Im Zentrum dieses Modells stehen die Projekte NEXUS (seit 2018) und TRIAS (seit 2020) sowie ein bundesweites Netzwerk. SozialarbeiterInnen, die mit Rückkehrenden arbeiten, erhalten Fallberatung. Es wurde ein psychotherapeutisches Sprechstundenangebot eingerichtet, sodass Rückkehrende Empfehlungen und bei Bedarf psychotherapeutische Unterstützung bekommen. Die Fachstelle ist bundesweit mit psychotherapeutischen Fachgesellschaften vernetzt (wie z.B. der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT), die in Deutschland über 50 Institutsambulanzen betreibt) und trägt durch Fachartikel und Vorträge zum Wissenstransfer bei. PsychotherapeutInnen, die mit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen arbeiten, erhalten kollegiale Beratung.
Aus der bisherigen Arbeit ergeben sich laut Kerstin Sischka folgende Empfehlungen bzw. bewährte Praktiken:
1. Die Gruppe der Rückkehrenden (mit Kindern) ist heterogen. Biografische Erfahrungen und die psychische Verfassung sind sehr unterschiedlich. Um ein individualisiertes Behandlungsangebot zu unterbreiten, sollte mit psychotherapeutischen Institutsambulanzen kooperiert werden.
2. Die psychotherapeutische Versorgung von Rückkehrenden mit Kindern sollte (ggf. nach der Entlassung aus der Haft) wohnortnah erfolgen. Je nach Fall können lokal niedergelassene Psychotherapeuten für Erwachsene, Kinder bzw. Jugendliche oder Familien einen Beitrag leisten. Sie sollten kollegiale Beratung erhalten.
3. Teilnehmende aus der psychotherapeutischen Aus- und Weiterbildung sollten das Arbeitsfeld „Psychotherapie in der Rehabilitation bzw. Distanzierungs- und Ausstiegsbegleitung“ kennenlernen und Klienten unter Supervision beraten und behandeln können. Institute und Ambulanzleitungen sollten dies unterstützen.
Kinder und Jugendliche
Von den mindestens 1.400 Minderjährigen, die von ihren Eltern bei der Ausreise aus Westeuropa nach Syrien mitgenommen oder im Gebiet des IS geboren wurden, befinden sich knapp 200 wieder in Europa (Cook & Vale 2019, S.6). Während einige bei ihren Eltern – vor allem ihren Müttern – verbleiben, werden viele nach der Ankunft in die Obhut von Angehörigen übergeben, da ihre Eltern entweder ums Leben gekommen sind, nicht mit ausreisen durften oder bei ihrer Ankunft in Untersuchungshaft gekommen sind. Der Umgang mit minderjährigen Rückkehrenden stellt die Präventionsarbeit vor neue Herausforderungen.
Auswahl von Ergebnissen aus den Fachgesprächen
In einigen Ländern, wie zum Beispiel in Belgien und in den Niederlanden, wurden Unterstützungssysteme für zurückgekehrte Kinder entwickelt.[12] Es fehlt nach Ansicht eines Teilnehmenden jedoch oft an Koordination und einer ganzheitlichen Strategie, weswegen zu viele Akteure involviert seien, von denen manche zudem kein ausreichendes Verständnis für die spezifische Situation der Kinder hätten. Viele der Kinder seien traumatisiert und zeigten Verhaltensauffälligkeiten. Manche zeigten ein externalisierendes (und dann eher auffälliges) Verhalten; andere Kinder hätten Selbstschutzmechanismen entwickeln, um „Triggersituationen“ zu vermeiden. Aufgrund von Angst (z.B. vor Retraumatisierung) könnten sie unter Umständen sehr angepasst sein, also Vermeidungsverhalten zeigen.[13] Beratende berichteten außerdem, dass einige Kinder in ihrer psychischen und physischen Entwicklung zurückgeblieben seien, möglicherweise auch aufgrund von Mangelernährung. In der Schule hätten die Kinder anfangs oft einen Rückstand, da sie während ihres Aufenthaltes im Gebiet des IS keine oder keine vergleichbare Schuldbildung erhalten hätten.
Außerdem stelle sich die Frage, ob diese Kinder auch als radikalisiert gelten müssten und ein Sicherheitsrisiko von ihnen ausgehen könne. Es gebe viele Beispiele von Kindern, die während ihres Aufenthaltes gezielt mit der Ideologie des IS indoktriniert wurden, oder von Jungen, die ab dem Alter von etwa 9 Jahren, teilweise auch bereits früher, Waffentraining erhalten haben (siehe dazu auch Vale 2018). Ein Sozialarbeiter berichtete, dies treffe auch für einige der nach Deutschland zurückgekehrten Kinder zu. Von den 30 nach Belgien zurückgekehrten Minderjährigen wurden nach Auskunft eines Forschers drei in Jugendhaftanstalten aufgenommen (überwiegend als vorbeugende Maßnahme) und mittlerweile wieder entlassen. Bisher seien keine Straftaten oder gewalttätigen Zwischenfälle bekannt und die Kinder schienen sich gut zu reintegrieren. Jedoch wirkt nach Erfahrung einer Beratungsstelle die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit im Prozess der Reintegration störend.
Es stellte sich angesichts dieser Herausforderungen die Frage, ob Akteure wie Sozialarbeitende und Jugendämter bei den bisherigen Ansätzen auch für gefährdete Minderjährige bleiben oder Maßnahmen speziell für diese Zielgruppe entwickeln sollten.
Aus den bisherigen Erfahrungen im Umgang mit zurückgekehrten Kindern und Jugendlichen ergeben sich folgende erste Erkenntnisse und Empfehlungen:
• Vielversprechend sei im Umgang mit dieser Zielgruppe die systemische Beratung, d.h. der gesamten Familie bzw. des Umfelds. Viele der Familien hätten jedoch Vertrauen in die Behörden verloren, weshalb sich der Kontakt mit ihnen schwierig gestalte. Beratungsstellen sollten deshalb zuerst Vertrauen aufbauen und kommunizieren, dass man Eltern und Kindern Hilfe anbieten wolle. Besonders der Zugang zu den Müttern sei wichtig. Um zu verhindern, dass den Familien immer wieder dieselben Fragen gestellt würden, sollten sich nach Ansicht einer Beratungsstelle die involvierten Akteure untereinander eng absprechen.
• Im Kindergarten oder in der Schule könne eine vorherige Sensibilisierung der Lehrkräfte den richtigen Umgang mit betroffenen Minderjährigen erleichtern, beispielsweise wenn die öffentliche Berichterstattung zu Stigmatisierung und Überreaktion durch andere Kinder, deren Eltern oder Lehrkräfte führt. Dafür wurde es nach Erfahrung einer behördlichen Teilnehmerin als hilfreich wahrgenommen, wenn auch Lehrkräfte an Fallkonferenzen teilnehmen, um die Problematik besser zu verstehen und Hilfestellung zu erhalten, damit sie angemessen reagieren können.
• Praktiker sollten außerdem ein Grundverständnis von psychischer Gesundheit, v.a. in Bezug auf Traumata, haben, beispielsweise durch Fortbildungen zum Umgang mit traumatischen Erfahrungen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass kleine Kinder, die im Gebiet des IS sozialisiert wurden, durch die Rückkehr erneut traumatisiert werden können. Ein deutscher Rückkehrkoordinator berichtete, dass die meisten der wenigen bisher zurückgekehrten Kinder Auffälligkeiten zeigten und viele aufgrund von Unterernährung in ihren grobmotorischen Fähigkeiten Defizite gegenüber Gleichaltrigen aufwiesen. Die Kinder sollten vom Schulsystem aufgefangen und langfristig begleitet werden, auch um eine Radikalisierung zu einem späteren Zeitpunkt vermeiden zu können.
• Das Geschlecht und Alter des Kindes solle berücksichtigt werden, v.a. in Bezug auf ein mögliches Sicherheitsrisiko. Im Kindergartenalter würden oft nur Aussagen der Eltern wiederholt; umso wichtiger sei der Zugang zu diesen Eltern. Außerdem ist es nach Ansicht eines deutschen Beraters sinnvoll, dass das Jugendamt Kinder von Rückkehrenden gesondert behandelt. Das Amt müsse beispielsweise berücksichtigen, ob ein Kind in einem Kriegsgebiet war und dort schießen musste. Wichtig seien deshalb auch eine Sensibilisierung und Weiterbildung von Angestellten des Jugendamtes sowie von Richtern. Während erwähnt wurde, dass möglicherweise auf Erfahrungen im Umgang mit ehemaligen Kindersoldaten zurückgegriffen werden könnte, wurde kein konkretes Beispiel genannt.
Beispiel:
Beratungsnetzwerk Grenzgänger (IFAK e.V.) in Deutschland
basierend auf einem Interview mit Dr. Vera Dittmar (Forschungsstelle Deradikalisierung/FORA) und Nina Jacobs (Traumatherapeutin)
Bei Grenzgänger begleitet ein achtköpfiges Team aktuell zwölf Kinder im Alter von 1 bis 13 Jahren, die aus Syrien und dem Irak zurückgekehrt sind. Grundlage der systemischen Beratungsarbeit mit zurückgekehrten Kindern sei eine wertschätzende Haltung. Eine große Bandbreite an Methoden fördere schrittweise das Vertrauen zu den Beratenden sowie das Selbstbewusstsein der Kinder. Da bei einigen von ihnen schulische Defizite vorlägen, erstellten die Beratenden ein individuelles Screening. So könnten Hilfen im Umgang mit Schulen, Kindergärten und offiziellen Stellen angeboten und zusätzliche Förderungen ermöglicht werden, wodurch die Kinder gestärkt würden. Diese positive Entwicklung sowie ihre wachsende Beziehung zu den Beratenden ermöglichten häufig auch einen besseren Zugang zu den Eltern.
Neben der Entwicklungsförderung sei ein weiteres Beratungsziel, die Distanzierung von einer extremistischen Ideologie zu unterstützen. Oftmals seien Eltern dafür erst nach einer längeren Anpassungsphase offen. Folgende weitere Erfahrungen wurden bisher gemacht:
1. In allen Fällen erfolge eine offene und produktive Zusammenarbeit mit dem Jugendamt. Die Tätigkeit von Schulen und Kindergärten werde im Zuge der Beratung indirekt unterstützt, indem Ressourcen der Kinder gestärkt werden, damit sie emotional stabil in diesen Organisationen agieren könnten. Die Vergangenheit der Kinder im IS werde nach Absprache mit den Eltern nicht offenbart, um Stigmatisierungsprozesse zu vermeiden. Jedoch würden neue außerfamiliäre Erfahrungen der Kinder im Beratungsprozess engmaschig begleitet.
2. Eltern sähen eine therapeutische Behandlung des Kindes oft skeptisch. Sie befürchteten u.a. die Weitergabe von strafrechtlich relevanten Informationen. Die Vorteile der Behandlung würden daher genau erklärt. Bisher gelängen die Behandlung von Traumata sowie die Weiterempfehlung an Experten gut. Ebenso könne die Traumatherapie mit Angehörigen einen Schutzfaktor für die Kinder darstellen.
3. Je älter die Kinder seien, desto eher folgten sie einer extremistischen Ideologie. Es sei hilfreich, mit den Kindern empathisch über ihre und die eigenen Werte zu sprechen und Denkimpulse zu geben.
4. Die Kinder seien im Gegensatz zu ihren Eltern nicht sicherheitsrelevant. Allerdings könne es in der Pubertät zu schwierigen Identitätsfindungsprozessen kommen. Daher sei die Stärkung von Schutzfaktoren dieser Kinder eine wichtige langfristige Aufgabe der Beratung.
Für eine erfolgreiche Reintegration der Rückkehrer-Kinder sei eine sozialpädagogische Beratung wichtig, um sie emotional zu stabilisieren, ihnen Alternativen zu ihren bisherigen Erfahrungen beim IS aufzuzeigen und ihre Resilienz gegen extremistische Tendenzen zu stärken.
Hochradikalisierte Rückkehrende
Neben den bisher genannten Schwierigkeiten im Umgang mit Rückkehrenden aus Syrien und dem Irak gibt es besonders herausfordernde Fälle für die Tertiärprävention. Dazu gehören Rückkehrende, die als hochradikalisiert eingeschätzt werden und die sich der Zusammenarbeit mit behördlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren verweigern.
Auswahl von Ergebnissen aus den Fachgesprächen
Zunächst ging es in der Diskussion der Workshopteilnehmenden um die Frage, wie der Zugang zu hochradikalisierten Rückkehrenden sichergestellt werden könne. Vor allem eine Zusammenarbeit mit Personen außerhalb des Strafvollzugs gestalte sich beispielsweise für Beratungsstellen als sehr schwierig. Außerdem stelle sich die Frage, wie hochradikalisierte Rückkehrende mit Hilfe von Instrumenten zur Risikoeinschätzung identifiziert werden können. Während einige Teilnehmende vor allem die „Gefahr für die Gesellschaft“ erfassen wollten, gehe es anderen darum, eine „Person in Gefahr“ zu identifizieren. Außerdem ist aus Sicht eines Beraters das Ergebnis der Risikoeinschätzung für die Beratung zwar von Belang. Dennoch sei es wichtig, den Beratungsprozess so unvoreingenommen wie möglich anzugehen. Schließlich betonten mehrere Teilnehmende, dass das größte Sicherheitsrisiko von gewaltbereiten Personen ausgehe. Diese könnten, müssten aber nicht unbedingt hochideologisiert sein.
Vor besonderen Herausforderungen stehen die Akteure der Ausstiegsarbeit im Umgang mit hochradikalisierten weiblichen Rückkehrenden. Ein Berater berichtete aus Frankreich, dass Rückkehrerinnen, denen Verbrechen nachgewiesen wurden, dort (im Gegensatz zu Deutschland) mittlerweile ähnlich lange Haftstrafen wie Männer erhielten. Die Zahl der weiblichen Insassen in einem französischen Gefängnis habe sich von zwei auf mittlerweile 22 erhöht. Mangels entsprechender Infrastruktur sei es aber oft nicht möglich, hochradikalisierte Insassinnen zu isolieren, wie das in einigen europäischen Ländern bei männlichen Insassen praktiziert werde.
Basierend auf den bisherigen Erfahrungen im Umgang mit männlichen und weiblichen hochradikalisierten Rückkehrenden wurden im Workshop folgende Erkenntnisse kommuniziert:
• Generell seien Geduld und Empathie von großer Bedeutung. Nach Ansicht eines Beraters gilt das besonders im Umgang mit Personen mit einer sogenannten „fused identity“, die ihre eigene und die Identität der Gruppe als Einheit wahrnehmen.[14] Nach der Erfahrung dieses Beraters im Strafvollzug stellt die Person anfangs mit Hilfe eines bestimmten Narrativ dar, wie er oder sie sich gerne selbst sehen möchte. Nach und nach beginne diese Geschichte Risse zu zeigen und eine Reflektion über diese Selbstdarstellung werde möglich. Aus einer deutschen Beratungsstelle wurde berichtet, dass der erste Kontakt zu potenziellen Klienten durch das Gefängnispersonal hergestellt werde. Es bleibe aber dem Insassen die Entscheidung überlassen, ob und wann die Beratung in Anspruch genommen werde. Erfahrungsgemäß wollten einige Individuen anfangs nicht mit den Beratenden sprechen, kontaktieren diese nach einigen Monaten dann doch. Die Bereitschaft, sich auf eine Beratung einzulassen, hänge vom Grund für die Rückkehr nach Deutschland ab.
• In Bezug auf die Risikoeinschätzung muss nach Ansicht eines Teilnehmenden abgewogen werden, wie mit den Informationen umgegangen wird. Ein Teilnehmer berichtete dazu, dass er die Ergebnisse der Risikobewertung (VERA-2R) in die Arbeit mit den Klienten einfließen lasse, da sie eine gute Arbeitshilfe seien, um persönliche Risikofaktoren zu thematisieren. Ein wichtiger Teil der Distanzierungsarbeit sei es, dass den Betroffenen klar werde, warum die Gesellschaft sie für gefährlich hält. Ein transparenter Umgang mit der Risikoeinschätzung könne dabei hilfreich sein. Für eine erfolgreiche Ausstiegsberatung ist aus Sicht eines Beraters am wichtigsten, dass die betroffene Person intrinsisch motiviert ist, ihre ideologische Überzeugung zu ändern. Nach Ansicht eines behördlichen Teilnehmenden kann die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Ausstiegsprogramm dennoch ein Ansatzpunkt sein, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Ein Teilnehmender empfahl, Probleme extremistischer Häftlinge nicht auf die Ideologie zu reduzieren, sondern die Betreffenden in Regelprogramme (z.B. Anti-Gewalt- oder Anti-Aggressionstraining) zu integrieren. Begegnungen mit anderen Menschen mit ähnlichen Problemen könnten sehr hilfreich sein.
• Nicht die Auseinandersetzung mit der Ideologie, sondern die Stabilisierung der betreffenden Person solle anfangs im Vordergrund stehen. Einige Beratenden waren sich beispielsweise darüber einig, dass die Beratungsnehmenden sich nicht dauerhaft verstellen und auch ihre Motivation zur Teilnahme nicht langfristig vortäuschen können. Dies sollte bei der Erstellung von Berichten und Gutachten durch Beratende stets transparent kommuniziert werden.
• Des Weiteren können je nach Fall Gruppen- oder Einzelgespräche zielführender sein. Ein Berater empfahl, radikalisierte Personen möglichst in Gruppenangebote zu integrieren. Sonderbehandlungen von extremistischen Gefangenen könnten auch dazu führen, dass sie den Unmut anderer Gefangener auf sich ziehen. Gleichzeitig empfahl er Einzelgespräche, wenn innerhalb einer Gruppe nur eine hochradikalisierte Person anwesend sei, die tendenziell die meiste Aufmerksamkeit erhalte. Da als radikalisiert geltenden Insassen im Strafvollzug oft nicht viel Interaktion erlaubt sei, werde jede Gesprächsmöglichkeit als positiv wahrgenommen. So könne eine Beziehung aufgebaut werden. Dabei kommuniziere der Berater von Anfang transparent, dass er nicht für die Justiz oder den Geheimdienst arbeite, aber über das Gespräch berichten müsse. Französische Rückkehrende oder Personen, die auf dem Weg nach Syrien verhaftet wurden, müssten beispielsweise an einer Beurteilungsgruppe teilnehmen. Sie seien sich darüber bewusst, dass ihr Urteil schwerer ausfallen könnte, wenn sie nicht an einer Beratung teilnehmen.
• Nach Ablauf der Haftstrafe stellten erfahrungsgemäß die unterschiedlichen Programme und Zuständigkeiten die handelnden Personen vor große Herausforderungen: Zuständigkeiten endeten häufig „an der Gefängnistür“. Dabei sei es vor allem für Rückkehrende wichtig sicherzustellen, dass die Beratung auch außerhalb des Vollzugs fortgeführt wird oder zumindest eine Übergabe erfolgt, damit auf bestehende Fortschritte aufgebaut werden kann.
• Außerhalb des Strafvollzugs sind hochradikalisierte Rückkehrende nach Erfahrung mehrerer Beratender besonders schwer zu erreichen. Eine Möglichkeit könne sein, einen Kontakt zu Familie oder Freunde aufzubauen und so die relevante Person zu erreichen. Nach Ansicht einer Beraterin gibt es im Umfeld des potenziellen Klienten normalerweise mindestens eine Person, die den Ausstieg unterstützen möchte und so einen Ansatzpunkt darstelle.
• Für den Umgang mit hochradikalisierten Rückkehrerinnen ergeben sich zusätzliche Schwierigkeiten, vor allem da sie beispielsweise in Deutschland in der Regel keine oder nur kurze Haftstrafen erhielten. Viele dieser Frauen kehren mit Kindern heim, aber im deutschen Strafvollzug dürfen diese Kinder nur bis zum Alter von drei Jahren bei ihren Müttern verbleiben. Auch außerhalb des Strafvollzugs könnten Rückkehrerinnen das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren oder eine Kontaktsperre erhalten. Die Trennung zwischen Mutter und Kind kann nach Einschätzung von Teilnehmenden zu einer starken emotionalen und psychischen Belastung führen. In den Fällen, bei denen Kinder jedoch bei ihren Müttern blieben, könne der Zugang zu Rückkehrerinnen über die Unterstützung im Umgang mit Schule und Behörden aufgebaut werden (siehe auch Kapitel 3).
In der Ausstiegsberatung außerhalb des Strafvollzugs lasse eine Beratungsstelle in Deutschland der Klientin die Wahl zwischen der Beratung durch einen Mann oder eine Frau. Diese Wahlmöglichkeit werde positiv wahrgenommen. Nach Erfahrung einer Beraterin wählten Frauen mit einem traditionellen Familienbild tendenziell eher einen Berater.
Empfehlungen
von Mathieu Nicourt, Interregionale Direktion der Pariser Strafvollzugsbehörden, Frankreich
• Berücksichtigen Sie die Suche des Rückkehrenden nach Identität, d.h. das Bedürfnis, sich einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen, auch wenn diese Gemeinschaft nicht die Herkunftsgemeinschaft ist. Helfen Sie dem Rückkehrenden dabei, Besonderheiten zu identifizieren und zu verstehen und sich mit der Identität in Bezug auf das Wohnsitzland auseinanderzusetzen.
• Berücksichtigen Sie die Suche des Rückkehrenden nach Bedeutung, zum Beispiel das Bedürfnis, für eine Sache zu kämpfen, die als wichtig und edel betrachtet wird. Helfen Sie dem Rückkehrenden, motivierende und wertvolle Ziele innerhalb der Gesellschaft zu finden.
• Berücksichtigen Sie das Bedürfnis des Rückkehrenden, seine bzw. ihre Rolle zu finden und wertzuschätzen. Helfen Sie der Person, ein Gebiet oder Gebiete zu finden, auf denen er oder sie sich hervortun und Anerkennung für ihre bzw. seine Fähigkeiten erhalten kann.
Weiterer Bedarf bei der Reintegration von Rückkehrenden
Im Umgang mit Rückkehrenden aus Syrien und dem Irak stellen sich für die Akteure der Tertiärprävention womöglich noch weitere Fragen. Im Rahmen des Workshops wurde den Teilnehmenden deshalb die Möglichkeit gegeben, auf Defizite und Erfordernisse hinzuweisen, die für eine nachhaltige Beratung und Reintegration von Rückkehrenden als essenziell angesehen werden. Dies kann als Schritt verstanden werden, um transparent über Bedürfnisse zu sprechen und gemeinsam praxisrelevante Lösungen zu erarbeiten.
Auswahl von Ergebnissen aus den Fachgesprächen
Als besonders komplex wurde die Lage von Geflüchteten oder Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft beschrieben. Wenn der Aufenthaltsstatus und die Lebenshaltung in Deutschland nicht gesichert seien, könne das die Lebensführung erschweren, was wiederum eine Hürde für die Beratung darstellen könne. Diese Situation könne auch das Risiko einer erneuten Radikalisierung erhöhen. Im Umgang mit dieser besonderen Zielgruppe seien die rechtlichen Rahmenbedingungen sowohl für Beratende als auch für Rückkehrende nicht immer transparent und sollten deshalb möglichst vor Beginn einer Intervention geklärt werden.
Einen nachhaltigen Zugang zu Rückkehrenden zu etablieren, ist nach Ansicht mehrerer Teilnehmenden zwar die größte Herausforderung, aber zugleich der Schlüssel zu erfolgreicher Präventionsarbeit. Ein Einfluss auf den Prozess der Deradikalisierung sei nur möglich, wenn eine positive Beziehung zwischen Rückkehrendem und Beratendem aufgebaut werden könne. Die Beratung solle freiwillig geschehen, damit Rückkehrende ohne Druck sprechen könnten. Durch Fragen könne mehr über die Motivation zur Radikalisierung und zur Rückkehr erfahren werden. Im Beratungsprozess seien biografische Methoden („Biografie-Arbeit“) wichtig, um zu verstehen, was bisher im Leben der betreffenden Person passierte. Essenziell seien Fragen, die zu Reflektion anregen, wie z.B. „Warum bin ich hier an diesem Punkt in meinem Leben?“. Dabei ist nach Einschätzung einer deutschen Beraterin der Zugang zu potenziellen Klienten im Gefängnis meist leichter. In diesem Umfeld könne sie eine Beziehung zum Klienten aufbauen, die nach der Haftstrafe freiwillig fortgeführt werden könne. Außerhalb des Strafvollzugs sei den Betroffenen nicht immer klar, warum sie zu einer Beratung gehen sollten. Des Weiteren sollte die Beratung auf keinen Fall mit der Haftstrafe enden, sondern als Prozess verstanden und idealerweise vom selben Berater fortgeführt werden.
Für den Beratungsprozess sei auch der Zeitpunkt der Kontaktaufnahme relevant. Ein Kontakt zu einem bzw. einer Rückkehrenden solle von einem Beratenden so schnell wie möglich hergestellt werden. Wenn zum Beispiel der Kontakt durch die Beratungsstelle nicht direkt nach der Rückkehr, sondern erst nach zwei Monaten aufgenommen werde, sei der Grund der Kontaktaufnahme für Rückkehrende nur noch schwer nachzuvollziehen. Deshalb sei es auch wichtig zu erklären, aus welchem Grund eine Intervention angeboten werde. Dies gelte vor allem für Frauen, die nicht in Haft sind und deshalb auch selbst keinen Grund für eine Beratung sehen.
Ein weiteres wichtiges Thema bleibt die Berichterstattung und Notwendigkeit einer Sensibilisierung der Medien (Siehe Kapitel 1). In diesem Zusammenhang wurden mehrere Projekte erwähnt: Die Monash Universität in Australien (unter der Leitung von Virginie André) und das Egmont Institute in Belgien organisierten einen Austausch für Vertreter von Sicherheitsbehörden und der Presse, der von beiden Seiten positiv aufgenommen wurde. Ziel war es, das gegenseitige Verständnis zu verbessern, z.B. in Bezug auf die Wirkung von Gerüchten. Ein anderes Beispiel war ein geplanter neuer Masterstudiengang in Belgien, der Journalisten in der Berichterstattung über Themen wie Terrorismus, Foreign Fighter und die Auswirkungen von Stigmatisierung ausbildet. Außerdem wurde auf das UNESCO-Handbuch „Terrorismus und die Medien“ für Journalisten hingewiesen (Marthoz 2017).
Schließlich wurden weitere Bedarfe genannt, die generell für die Tertiärprävention gelten: Qualitätsstandards (z.B. für die Zusammenarbeit im Netzwerk durch ein klar strukturiertes Fallmanagement und Informationsaustausch), Aus- bzw. Weiterbildung zu islamistischer (De)Radikalisierung (auch z.B. für Akteure in der Jugendhilfe und Strafvollzug), Sicherheit von Sozialarbeitenden (beispielsweise falls sie als Zeugen vor Gericht aussagen müssen oder durch das Gewaltpotenzial im sozialen Umfeld der beratenden Person oder der Person selbst gefährdet werden), kultureller bzw. sprachlicher Zugang durch Beratende (da es z.B. in vielen Beratungsstellen keine Beratende gibt, die Farsi oder Kurdisch sprechen) sowie nachhaltiger Zugang zu Ressourcen.
Beispiel:
Leitlinien zum ganzheitlichen Umgang mit Rückkehrenden in Deutschland
Milena Uhlmann vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) präsentierte die Leitlinien zum ganzheitlichen Umgang mit Rückkehrerinnen und Rückkehrern. Hintergrund sei, dass für ungefähr die Hälfte der nach Deutschland zurückgekehrten Personen konkrete Indizien dafür vorlägen, dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen hätten und ein Sicherheitsrisiko darstellten. Für eine strafrechtliche Verfolgung gegen viele dieser Personen gebe es jedoch nicht ausreichend Beweise. Gleichzeitig sei deutlich geworden, dass repressive Maßnahmen im Umgang mit diesen Personen nicht ausreichten. Deshalb müssten Maßnahmen der Deradikalisierung und Reintegration einbezogen und angewendet sowie die Zusammenarbeit mit weiteren relevanten Akteuren – den Regelstrukturen auf Länder- und kommunaler Ebene, wie Jugend-, Sozial-, Schul-, Gesundheitsbehörden und örtlicher Polizei – gefördert werden.
Im Anschluss an die Innenministerkonferenz im Herbst 2018 erarbeitete das BMI in Zusammenarbeit mit den Ländern „Empfehlungen für die nachhaltige, interdisziplinäre und akteursübergreifende Zusammenarbeit im ganzheitlichen Umgang mit Rückkehrern“ (BMI 2019, S.2). Nach diesen Leitlinien werden Rückkehrende nach Gefährdungsbewertung und Aufenthaltsort und den damit verbundenen Handlungsschwerpunkten kategorisiert. Beispielsweise werde unterschieden zwischen Personen, die bereits zurückgekehrt sind und Personen, deren Rückkehr bevorstehen könnte. Außerdem müssten die speziellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen besonders berücksichtigt und diese Fälle mit großer Sensibilität behandelt werden. Die Leitlinien definieren auch die Rollen der Akteure, darunter beteiligte Behörden auf Bundes- und Landeseben, Regelstrukturen auf Landes- und kommunaler Ebene sowie Träger der Deradikalisierungs- und Interventionsarbeit. Je nach Akteur würden bestimmte Vorgehensweisen und eine Koordinierung und das Monitoring der Maßnahmen empfohlen. Die Leitlinien ergänzten somit andere Maßnahmen wie das Modellprojekt „Rückkehrkoordination“ (siehe S.9). Ziel der Leitlinien sei eine Sensibilisierung der Akteure, die für den Umgang mit Rückkehrenden verantwortlich sind. Außerdem sollten sie den Bundesländern als Impuls dienen, selbst praktische Leitlinien zu entwickeln.
Empfehlungen
von Feride Aktaş, Violence Prevention Network, Deutschland
• Beratende benötigen immer einen konkreten Auftrag und eine Grundlage, um mit sogenannten Indexpersonen in Kontakt treten zu können.
• Berater können nicht die Aufgaben der Sicherheitsbehörden übernehmen und „ermittelnde Arbeit“ leisten. Daher ist es wichtig, Rollen, Zuständigkeiten und auch Verantwortlichkeiten in Fallabsprachen zu definieren.
• Das pädagogische Ziel, „die betroffenen Personen zur Selbstständigkeit“ zu befähigen, sollte nicht aus den Augen verloren werden.
Fazit
Die Personen, die Europa verlassen hatten, um sich dschihadistischen Organisationen in Syrien und dem Irak anzuschließen und nun wieder zurückgekehrt sind – oder die Absicht haben, in absehbarer Zeit zurückzukehren – stellen die Akteure der Tertiärprävention vor unterschiedlichste und zum Teil neue Herausforderungen. Vor allem die Heterogenität dieser Personengruppe verlangt nach einer intensiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit der relevanten Stakeholder, um die passenden Maßnahmen zur Unterstützung dieser Personen bei der Deradikalisierung, Distanzierung, Entkriminalisierung und Reintegration zu finden. Die Tatsache, dass es nach wie vor relativ wenig empirisch fundiertes Wissen über die Prozesse von Radikalisierung und vor allem Deradikalisierung bei dieser speziellen Zielgruppe gibt und gleichzeitig hohe Erwartungen von Politik und Gesellschaft an die Prävention gestellt werden, erschwert den Umgang mit dieser Zielgruppe zusätzlich. Die Reintegration von Rückkehrenden ist somit eine europäische, wenn nicht sogar internationale Herausforderung, die viele Länder noch länger vor ähnliche Fragen stellen wird. Der Bedarf wird von vielen Akteuren somit nicht unbedingt in der Entwicklung von neuen Methoden gesehen, sondern im Austausch durch Netzwerke für existierende Projekte und Initiativen in Deutschland und Europa, um gemeinsam die richtigen Antworten zu finden.
ÜBER DAS PROJEKT INTERNATIONAL FORUM FOR EXPERT EXCHANGE ON COUNTERING ISLAMIST EXTREMISM (INFOEX)
InFoEx ist ein Gemeinschaftsprojekt des Forschungszentrums für Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). InFoEx trägt 2019 und 2020 bewährte Praktiken und wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Tertiärprävention im In- und Ausland zusammen. Ziel des Projekts ist es, empirische Befunde zu (De-)Radikalisierungsprozessen zu erheben, wobei der Schwerpunkt auf deren praktischer Anwendbarkeit für die Deradikalisierungsarbeit liegt. Zu diesem Zweck initiierte das BAMF-Forschungszentrum einen Verbund von wissenschaftlichen Mitarbeitenden, die bei den bzw. über die lokalen Partner-Beratungsstellen der BAMF-Beratungsstelle „Radikalisierung“ sowie bei verschiedenen Forschungseinrichtungen angestellt sind. Diese wissenschaftlichen Mitarbeitenden bilden zusammen mit den Beratenden der lokalen Beratungsstellen die Hauptmitglieder von InFoEx.
InFoEx Workshop, Berlin, 5.-6. Dezember 2019
von Sofia Koller
mit Beiträgen von
Feride Aktaş,
Armin Laaf,
Mathieu Nicourt,
Thomas Renard,
Kerstin Sischka
Literaturverzeichnis
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[1] Im Kontext von InFoEx werden unter tertiärer Prävention von (gewaltbereitem) islamistischem Extremismus alle Maßnahmen verstanden, die (gewaltbereite) Extremisten und Extremistinnen in der Haft und der Gesellschaft bei der Herauslösung aus ihren Milieus, der Deradikalisierung, Entkriminalisierung und Resozialisierung unterstützen sollen.
[2] Im Kontext von InFoEx werden unter tertiärer Prävention von (gewaltbereitem) islamistischem Extremismus alle Maßnahmen verstanden, die (gewaltbereite) Extremisten und Extremistinnen in der Haft und der Gesellschaft bei der Herauslösung aus ihren Milieus, der Deradikalisierung, Entkriminalisierung und Resozialisierung unterstützen sollen.
[3] Zur Vorbereitung des InFoEx-Workshops wurden wissenschaftliche Mitarbeitende, die in lokale Beratungsstellen integriert sind, gebeten – in Absprache mit den Beratenden – spezifische Informationsbedürfnisse und Fragen zu diesem Thema mitzuteilen. Dieser Input wurde verwendet, um das Format und den Inhalt des Workshops zu entwickeln sowie relevante internationale Referenten bzw. Referentinnen auszuwählen.
[4] Während psychotherapeutische Behandlung eine geschützte Bezeichnung für speziell ausgebildete Fachkräfte ist, die psychische Krankheiten diagnostizieren und behandeln, bezeichnet psychosoziale Beratung generell Beratungsmöglichkeiten, z.B. durch Sozialarbeiter, für Menschen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden.
[5] Basierend auf Äußerungen von Thomas Renard bei einem InFoEx Workshop am 5.- 6.Dezember 2019 in Berlin
[6] Die Resolution 2178 (2014) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen definiert “Foreign fighter” als “individuals who travel to a State other than their States of residence or nationality for the purpose of the perpetration, planning, or preparation of, or participation in, terrorist acts or the providing or receiving of terrorist training, including in connection with armed conflict” (UN Sicherheitsrat 2014, S.2).
[7] Siehe z.B. Woldin 2020 zum Fall von Omaima A.
[8] Beispielsweise im Falle von Shamima Begum, siehe z.B. Bowcott 2020
[9] Siehe Studie von Thomas Renard (2020) zu Rückfälligkeit von terroristischen Straftätern.
[10] Zu den unterschiedlichen Rollen von ausländischen Anhängern beim IS siehe zum Beispiel Bakker & de Bont 2016 und Vale 2019.
[11] Neben der S3 Leitlinie, bei der es um die Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD, d.h. einfache und komplexe Traumafolgestörungen) geht, wurde 2019 außerdem eine S2K-Leitlinie entwickelt, die die Frühintervention bis zum dritten Monat nach einer akuten Traumatisierung beschreibt und der Vermeidung bzw. Prävention von Symptomen dient (AWMF 2019, Schäfer et al 2019).
[12] In den Niederlanden haben das Child Care and Protection Board (RvdK) und der Nationale Koordinator für Sicherheit und Terrorismusbekämpfung (NCTV) einen Leitfaden für den Umgang mit minderjährigen Rückkehrenden entworfen (RvdK & NCTV 2019)
[13] Zu diesem Thema wurde das Buch „Trauma und Entwicklung. Adoleszenz - frühe Traumatisierungen und ihre Folgen“ von Annette Streeck-Fischer empfohlen (2., überarbeitete Auflage von 2014 bei Schattauer GmbH)
[14] Zum Begriff der „fused identity“, siehe z.B. Gómez et al 2017.