Deutschland und das Vereinigte Königreich streben eine engere Partnerschaft in Sachen Militär an, darunter auch eine vermehrte Zusammenarbeit in der Verteidigungsindustrie. Bis jetzt gestaltete sich die deutsch-britische Rüstungskooperation eher als Flickenteppich mit gemischtem Ergebnis. Der Luftraumsektor ist traditionell am empfänglichsten für gemeinsame Rüstungsprojekte, während sich die Land- und Seeverteidigung bislang eher auf die nationale Ebene beschränkt.
Studien zeigen jedoch, dass politische, operative, wirtschaftliche, industrielle und technologische Erwägungen und Ziele auch eine engere Kooperation in der Verteidigung und insbesondere der Rüstung anstoßen können. Solche kooperativen Unternehmungen beruhen auf einer gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Kooperationspartnern, um die langfristige Lebensdauer moderner Waffensysteme zu gewährleisten, was zusätzlich den hohen politische Symbolwert dieser Zusammenarbeit unterstreicht. Rein über die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich hinaus, müssen Deutschland und das Vereinigte Königreich jedoch auch Überlegungen anstellen, inwieweit gemeinsame Bestrebungen strukturelle Faktoren beeinflussen, die für die jeweilige Verteidigungsindustrie maßgebend sind - von Industriekapazitätssicherung über technologischen Fortschritt bis Versorgungskettensicherung. Angesichts der vielen neuen geopolitischen und geoökonomischen Herausforderungen, denen sich beide Länder und ihre jeweiligen Industriestandorte gegenüber sehen, bietet eine derartige Kooperation einen vielversprechenden Weg, diese zu meistern.
Das Zusammenspiel verschiedener struktureller Rahmenbedingungen, wie etwa transnationale Verflechtungen und internationaler Wettbewerb, üben Druck auf bestehende Kapazitäten und das jeweilige nationale Bestreben, ihre industrielle und technologische Basis beizubehalten, auf. Letzteres kann zwar oft nationale Lösungsansätze bewirken, doch es bietet auch Grundlage für eine engere europäische Industriekooperation. Die deutsche, kontinentaleuropäische und britische Industrie ist bereits stark miteinander vernetzt und daran wird sich auch in absehbarer Zukunft nichts ändern.
Die verteidigungstechnologische und -industrielle Basis Europas (EDTIB) weist derzeit Schwachstellen in ihrer Abhängigkeit über die gesamte Versorgungskette auf, von Rohstoffimporten bis zum Export von Waffensystemen als Einnahmenquelle. Eine deutsch-britische Kooperation in der Verteidigungsindustrie muss Lösungen für diese Abhängigkeiten in ihren Ansatz miteinbinden. Dies ist besonders wichtig hinsichtlich der Positionierung und Wettbewerbsstärke ihrer jeweiligen industriellen Fähigkeiten innerhalb der EDTIB und um mit dem sich rasant entwickelnden internationalen Rüstungsmarkt mithalten zu können.
Die verschiedenen Stadien des Waffenlebenszyklus sind ein guter Ausgangspunkt, um Herausforderungen und Kooperationsmöglichkeiten zu identifizieren. Eine frühe und konsequente Kooperation über den gesamten Lebenszyklus hinweg eröffnet einen entsprechend größeren Vorteil auf mehreren Ebenen - politisch, militärisch und wirtschaftlich. Eine frühe Kooperation kann industrielle und technologische Vorteile bringen, auch wenn es schlussendlich nicht zu einer gemeinsamen Produktion und einem gemeinsamen Einsatz von Waffensystemen kommt. Aus der Vergangenheit zeigt sich, dass gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprogramme in verschiedene nationale Folgeprogramme einfließen und eine große technologische Bereicherung für diese darstellen.
In Bezug auf spätere Phasen des Lebenszyklus von Militärausrüstung ist die britisch-deutsche Rüstungskooperation auf der Systemebene beschränkt, was sich aufgrund gegenläufiger Unterschiede in der jeweiligen Beschaffungsstrategie in vorhersehbarer Zukunft nicht ändern wird. Daher sollte sich der Fokus auf der Systemebene auf die maximale Nutzung von bereits gemeinsam verwendeter Ausrüstung bezüglich Einsatz, Wartung und Aktualisierung konzentrieren. Die gemeinsame Beteiligung am Air Policing Baltikum mit Eurofighter und die Anschaffung von Boxer APCs für das britische Heer legen erste vielversprechende Grundsteine für weitere Kooperationen.
Waffensystemkomponenten machen einen wichtigen Teil des Rüstungsmarkts aus. Aus kurzfristiger Sicht bietet vor allem der Munitionssektor Ausbaumöglichkeiten, da Deutschland, das Vereinigte Königreich und gesamt Europa in bestimmten Bereichen weiterhin stark von den USA abhängig sind. Darüber hinaus verbessert eine stärkere Systemintegration von Munition die europaweite Interoperabilität und könnte letztendlich auch zu Kostenersparnis durch gemeinsame Beschaffung führen. Solche Größenvorteile sollten unbedingt ausgeschöpft werden, angesichts der geringen Munitionsbestände in Europa, die weder für hochintensive Konflikte noch längere Konflikte niedriger Intensität ausreichend sind.
Zu guter Letzt birgt eine Kooperation in der Verteidigungsindustrie auch umstrittene politische Fragen, wie etwa in den letzten fünf Jahren offensichtlich wurde: Brexit, wachsende Ambitionen der europäischen Verteidigungsindustrie und tiefgreifende Debatten zum Thema Waffenexporte, vor allem jene, die für Konfliktregionen bestimmt sind. All dies kann die Kooperation in der Verteidigungsindustrie zwischen Deutschland und Kontinentaleuropa einerseits und dem Vereinigten Königreich andererseits in unterschiedlichem Maße hindern oder verkomplizieren. Gegensätzliche Exportstrategien verschiedener europäischer Länder könnten zu einem strukturellen Hindernis werden, das eine Kooperation unterbindet oder zur Bildung unterschiedlicher Kooperationsblöcke innerhalb Europas beiträgt. Eine derartige Entwicklung würde wiederum zu einem doppelten Aufwand in Rüstungsbestreben führen, einer strategischen Planung entgegenwirken und Chancen der Kooperation, wie Kosteneinsparung und das geballte übergreifende Know-how der Verteidigungsindustrie zur Erzielung der besten Produkte, vergeuden.
Gegenwärtig liegt das Hauptaugenmerk einer möglichen britisch-deutschen Kooperation in der Verteidigungsindustrie auf politischen Versuchen, das UK auch nach dem Brexit in die Sicherheitsbelange der EU einzubinden. Gleichzeitig haben Deutschland und das Vereinigte Königreich bis jetzt unterschiedliche Rüstungsstrategien verfolgt. Hier einen gemeinsamen Weg zu finden gestaltet sich auf kurzfristige Sicht schwierig, nicht zuletzt auch, weil Beschaffung und Lebenszyklen im Verteidigungsbereich Jahrzehnte überspannen. Die derzeitige Situation bietet jedoch auch Möglichkeiten. Um eine potenzielle industrierelevante Kooperation anzustreben, müssen Deutschland und das UK diverse Möglichkeiten auf operativer, technologischer, industrieller und wirtschaftlicher Ebene systematisch erschließen. Damit kann eine Basis für eine zielgerichtete Selektion entsprechender Kooperationsprojekte geschaffen werden. Hierfür muss der Kooperationsrahmen breitmöglichst ausgelegt werden, über „traditionelle“ Formen der Rüstungskooperation hinaus, um Ziele wie verminderte industrielle Abhängigkeit und eine klare transnationale Strategie einzubinden.
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