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22. Jan. 2025

Notwendiger Bruch mit der Vergangenheit

Emmanuel Macron mit seinen Botschaftern im Elysee Palace
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Frankreich diskutiert zum Jahresbeginn sein Verhältnis zu afrikanischen Partnerstaaten. Anlass sind die Rede Emmanuel Macrons vor seinen Botschaftern und die afrikanischen Reaktionen darauf. 

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Vorhersehbare Eskalationsspirale

In einer Rede an seine Botschafter warf Macron am 6. Januar den afrikanischen Partnern Frankreichs vor, sie schuldeten Paris Dank für Militärinterventionen in mehreren Staaten seit 2013. Die entsprechenden Reaktionen aus den Hauptstädten auf dem afrikanischen Kontinent ließen nicht lange auf sich warten. Es war ein bekanntes Spiel: Macron übt Kritik an afrikanischen Partnern, die diese zum Anlass nehmen, um sich öffentlichkeitswirksam von der einstigen Kolonialmacht zu distanzieren. 

In Westafrika reagierten mehrere Regierungen. Aus dem Tschad meldeten sich Präsident Idriss Déby und sein Außenminister Abderaman Koulamallah zu Wort und kritisierten die „verächtliche Haltung“ Macrons. Im Senegal reagierte Premierminister Ousmane Sonko auf eine weitere Aussage Macrons, den Abzug französischer Truppen aus der Region habe Paris „verhandelt“. Sonko wies das entschieden zurück und betonte, es habe keine Gespräche hierzu mit Dakar gegeben – auch die neue senegalesische Führung macht seit ihrem Wahlsieg im vergangenen Jahr mit anti-französischen und Frankreich-kritischen Statements Politik, sowie mit Ankündigungen französische Soldaten auszuweisen. 

Zur Kritik aus den ehemaligen Kolonien Tschad und Senegal gesellte sich jene aus dem einstigen Departement Algerien. Dort sorgte Macrons Bemerkung, Algerien habe sich mit der Verhaftung des 80-jährigen Schriftstellers Boualem Sansal „entehrt“, für Empörung. Das algerische Regime sprach von einer „inakzeptablen Einmischung“ – das Regime, wohlgemerkt, dem zuletzt vorgeworfen wurde, in Frankreich lebende algerisch-stämmige Influencer zu Aufrufen zu Gewalt gegen Franzosen, „Ungläubige“ und Juden angestiftet zu haben. 

Französischer Positionswechsel

Das algerisch-französische Verhältnis steht dabei stellvertretend für Veränderungen, die auch der französische Blick auf den afrikanischen Kontinent in den vergangenen Jahren durchlaufen hat. Wie alle französischen Präsidenten vor ihm, bemühte sich auch Macron zu Beginn seiner Amtszeit um eine Aussöhnung mit Alger. Er ging dabei weiter als seine Vorgänger, öffnete Archive und nannte den Kolonialismus ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Auch er musste jedoch mit der Zeit einsehen, dass das algerische Regime kein Interesse an einer normalen Beziehung zu Frankreich hat – zu wertvoll ist der Konflikt mit Paris immer dann, wenn das Regime wegen seiner eigenen Unfähigkeit in der Kritik steht.

So leitete Macron im Herbst 2024 den vorläufigen Bruch mit Algerien ein. Im Rahmen des Staatsbesuchs in Marokko kündigte er an, im Streit der nordafrikanischen Nachbarn um Gebiete in der Sahara zukünftig die Position Rabats anzuerkennen. Viele Diplomaten kritisierten diese Entscheidung – die einen Bruch mit der traditionell ausgewogenen französischen Position bedeutete. Doch Macron weiß viel Unterstützung hinter sich, besonders rechts der Mitte. Viele Franzosen sind ihrerseits algerische Einmischungen leid, in Frankreich lebenden Algerier werden regelmäßig vom Regime in Alger aufgehetzt. Hinzu kommt, dass auch in Paris rechte und rechtspopulistische Politiker mittlerweile versuchen, mit den französisch-algerischen Spannungen Innenpolitik zu machen.

Strategische Verschiebung

Ohnehin haben die Anti-Terroreinsätze seit 2013 eben nicht nur in Afrika, sondern auch in Frankreich eine Interventionsmüdigkeit zur Folge. Viele Soldaten und eine wachsende Zahl französischer Diplomaten halten europäische Bemühungen um eine Stabilisierung, geschweige denn die Demokratisierung der afrikanischen Partnerstaaten mit Blick auf die Erfahrungen der letzten Jahre, insbesondere im Sahel, für fruchtlos. Weil gleichzeitig Haushaltsmittel knapp werden und die Bedrohungen und Aufgaben auf dem eigenen Kontinent wachsen, plädieren immer mehr Beobachter für einen klaren Bruch mit der historischen französischen Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent. 

Für die französische Regierung scheint daher mindestens kurzfristig eine Reduzierung dieser Präsenz unvermeidlich. Bis auf den Stützpunkt in Djibouti, dem Frankreich wie andere Staaten wegen der geografischen Lage auch für die Zukunft große Bedeutung zumisst – vollkommen unabhängig vom afrikanischen Kontinent – dürften die bilateralen Partnerschaften Frankreichs mit afrikanischen Staaten an Bedeutung verlieren. In den Augen einiger westlicher Partner, den USA zuallererst, wird das vermutlich zunächst als Schwächung des weltweiten Einflusses Frankreichs interpretiert werden – schließlich verließ sich Washington in der Vergangenheit häufig auf französische Kenntnisse und Kontakte im frankophonen Afrika, zuletzt vor allem im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

Chancen und Risiken für die Zukunft

Für Deutschland und die EU liegt in dem französischen Abzug aus Afrika jedoch eine Chance. Nicht nur finanzielle und personelle Ressourcen werden so für andere Aufgaben frei – etwas für ein verstärktes sicherheitspolitisches Engagement in Osteuropa, mit dem Frankreich seine Initiativen zur Steigerung der europäischen Souveränität untermauern möchte. Vor allem könnte der Trend zu einem Umdenken der politischen, militärischen und diplomatischen Eliten in Paris führen. 

Die Freude über den Abschied der Franzosen könnte in vielen Hauptstädten frankophoner Staaten nicht lange währen. Sehr anschaulich zeigten das kürzlich Meldungen aus dem Tschad. Nur einen Tag, nachdem Außenminister Koulamallah und Präsident Déby Macron für seine Rede kritisiert hatten, drangen mehr als fünfzig Terroristen der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram in der Hauptstadt N’Djamena bis auf das Gelände des Präsidentenpalasts vor und lieferten sich Feuergefechte mit Kräften des Regimes. In solchen Situationen haben in der Vergangenheit mehrmals die französische Luftwaffe oder Bodentruppen das Überleben des Regimes im Tschad gesichert. Die Bereitschaft, das in Zukunft zu wiederholen, dürfte in Frankreich vorerst gen Null gehen.

Bibliografische Angaben

Ross, Jacob. “Notwendiger Bruch mit der Vergangenheit.” German Council on Foreign Relations. January 2025.

Dieser Artikel ist einer leicht abgeänderten Version bei Table Media am 14. Januar 2025 erschienen.

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