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13. Nov. 2023

Macron hinterlässt großes Vakuum im Sahel

Abzug frz. Truppen Niger
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Die wiederholten Rückschläge von Präsident Macron in der Sahelzone werfen Fragen für das westliche Engagement in der Region auf, meint Frankreich-Experte Jacob Ross von der DGAP. Das muss nicht zwingend schlecht sein.

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat außenpolitisch hoch gepokert – und wieder verloren. Nach langer Weigerung folgte sein Botschafter in Niger Ende September einer Ausreiseanordnung, die dortige Putschisten bereits Wochen zuvor gestellt hatten. 1500 französische Soldaten sollen bis zum Jahresende das Land verlassen. Ihr Abzug ist nur die jüngste Episode in einer Reihe von Rückschlägen. Denn zuletzt mussten sich französische Truppen bereits aus Mali und Burkina Faso zurückziehen.

Der Truppenabzug ist deshalb zuerst eine Niederlage für Macrons Afrikapolitik. Wie alle Präsidenten vor ihm hatte auch er seit 2017 angekündigt, die Beziehung zu den afrikanischen Staaten zu modernisieren, versprach sich Impulse für die französische Außenpolitik insgesamt. Die koloniale Vergangenheit hinter sich zu lassen, ohne vollkommen mit der eigenen Geschichte zu brechen – das war das Ziel.

Sechs Jahre später ist die Lage düster: Die Rückzüge im Sahel stellen das französische Selbstverständnis als regionale Ordnungsmacht infrage. Der Putsch in Gabun traf Paris weitgehend unvorbereitet, und Marokko lehnte nach dem verheerenden Erdbeben im September jegliche Hilfe aus Frankreich ab. Der ehemalige Außenminister Dominique de Villepin verglich den Einflussverlust in Afrika unlängst mit der Suez-Krise von 1956. Andere Beobachter fürchten angesichts der „Putsch-Epidemie“ (Macron) einen Schock wie nach der Niederlage Frankreichs in Dien Bien Phu im Indochinakrieg 1954. Solche Vergleiche spiegeln die Stimmung im Pariser Establishment.

Kritik an Dominanz des Élysée

Die Debatte, die der Rückzug aus Niger ausgelöst hat, geht aber weit über die Kritik an Macron hinaus. Vertreter des Außenministeriums beklagen die Dominanz des Élysée-Palasts in der Außenpolitik und den Einfluss des Verteidigungsministeriums und der Geheimdienste über politische Entscheidungen auf dem afrikanischen Kontinent. Angesichts der Entwicklungen in Mali, Burkina Faso und Niger stehen die vier verbliebenen permanenten Stützpunkte Frankreichs auf dem Kontinent zur Disposition. Zudem soll künftig das Parlament stärker in die Außen- und Sicherheitspolitik eingebunden werden. Und die kritische Öffentlichkeit hinterfragt sich, denn in der Vergangenheit entstand Interesse für Militäreinsätze wie Serval und Barkhane häufig erst, nachdem ein französischer Soldat gefallen war.

Der französische Einflussverlust in Westafrika sollte auch außerhalb Frankreichs zu denken geben. 

Der französische Einflussverlust in Westafrika sollte aber auch außerhalb Frankreichs zu denken geben. Denn abseits der westlichen Öffentlichkeit, die mit dem andauernden Angriff Russlands auf die Ukraine und dem wieder aufgeflammten Krieg in Nahost vollauf beschäftigt ist, gewinnen dort Dschihadisten an Terrain. Frankreichs Rückzug aus Niger wirft nun Fragen für das gesamte westliche Engagement auf.

Suche nach Ersatz für Frankreich

Denn Niger war als „Stabilitätsanker“ zuletzt nicht nur Partner im Krieg gegen regionale Terroristen, sondern auch Drehscheibe im Kampf gegen internationale kriminelle Gruppierungen aller Art. Die USA betreiben eine Luftwaffenbasis in Agadez, von der aus Aufklärungs- und Kampfdrohnen operieren. Weniger bekannt ist, dass in der Wüstenstadt, die als Tor zur Sahara (und damit Nordafrika und dem Mittelmeer) gilt und Umschlagplatz für den Schmuggel von Waffen, Drogen und Menschen ist, auch Behörden wie die amerikanische Drug Enforcement Administration (DEA) präsent sind. Hinzu kommen zahllose Projekte der humanitären- und Entwicklungshilfe, die meist nur dank der internationalen Militärpräsenz arbeiten können.

Frankreichs Einflussverlust in Afrika zwingt europäische Partnerstaaten wie Deutschland deshalb dazu, sich zu fragen, ob sie Frankreich ersetzen wollen – und können. Dass jedes Vakuum, dass durch den Abzug Frankreichs in der Region entsteht, gefüllt wird, darüber gibt es keinen Zweifel. Aufständische und Dschihadisten aller Couleur, russische Söldnergruppen, türkische Waffenhändler und chinesische Staatskonzerne – an Partnern mangelt es nicht. Für den Westen stellt sich in Westafrika die Frage, ob ihnen künftig das Feld überlassen wird.

Für die Sicherheit der EU und die deutsch-französische Beziehung könnte Frankreichs Einflussverlust in Afrika am Ende aber etwas Gutes haben. Denn anstatt in Westafrika als Ordnungsmacht aufzutreten, oder sich im Indopazifik als Alternative zu den USA und China zu gerieren, gibt es in Paris zunehmend Stimmen, die fordern, sich in Zukunft verstärkt auf die europäische Sicherheit zu konzentrieren. Aus deutscher Sicht wäre das wünschenswert – und eine Chance, sich wieder anzunähern.

Bibliografische Angaben

Ross, Jacob. “Macron hinterlässt großes Vakuum im Sahel.” November 2023.

Dieser Beitrag wurde erstmalig am 7 November 2023 in Table.Media publiziert.

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