Kritische Infrastrukturen in der Verantwortung von Städten – wie Energieversorger, Gesundheitswesen oder Industrie – sind häufig Ziele hybrider Bedrohungen und externer Einflussnahme, mit Konsequenzen für ganz Deutschland und die EU. Es besteht die Gefahr, dass Länder wie China die Fragmentierung der politischen Landschaft Deutschlands gezielt ausnutzen, um den eigenen Einfluss zu steigern. Bislang fehlt jedoch eine Strategie im Umgang damit.
Gleichzeitig werden Chancen von Urban Diplomacy nicht ausreichend genutzt. Städte und Kommunen bieten wichtige unmittelbare Verbindungen zu Zivilbevölkerung, wirtschaftlichen Akteuren und der politischen Basis. Sie sind daher der richtige Ort zur umfassenden Sensibilisierung für sicherheitspolitische Risiken.
Deutschland sollte außenpolitische Strukturen und Prozesse optimieren, um Städte für hybride Bedrohungen zu sensibilisieren und somit ihre eigene, aber auch die Resilienz auf Bundesebene zu stärken.
Rahmenbedingungen
Standortinteressen münden in unterschiedliche Prioritäten für Bund und Kommunen
Aspekte wie Standortpolitik und Wirtschaftsförderung spielen für viele Städte in ihren Außenbeziehungen eine wichtige Rolle. Beziehungen mit China bieten etwa attraktive Möglichkeiten zur Anwerbung von Direktinvestitionen, insbesondere angesichts der angespannten (und im Zuge der Covid-19-Pandemie noch einmal verschärften) finanziellen Situation vieler Kommunen. Deren Interessen stimmen allerdings nicht zwingend mit außen- und sicherheitspolitischen Interessen und Prioritäten auf Bundesebene überein. Prominente Beispiele dafür sind Städte wie Duisburg oder Hamburg, die wirtschaftlich stark von ihren Beziehungen zu China profitieren, diese aktiv vorantreiben und sich selbst explizit als Teil der chinesischen Belt and Road Initiative bezeichnen. Dies steht im Gegensatz zu einer kritischeren Haltung auf Bundesebene, die vor zu starken Abhängigkeiten warnt.
Begrenzte verfassungsrechtliche Zuständigkeit führt zu Knappheit von Ressourcen und Expertise
Darüber hinaus besteht ein Ressourcen- und Expertisegefälle, das sich unter anderem aus den unterschiedlichen Kernaufgaben von Bund und Kommunen ergibt. Verfassungsrechtlich liegt die Zuständigkeit für außenpolitische Beziehungen primär beim Bund (Artikel 32, Absatz 1 GG). Kommunen dürfen dementsprechend keine eigene Außenpolitik betreiben, die der des Bundes widerspricht. Internationale Städtebeziehungen und Städteaußenpolitik gehören daher nicht zu den kommunalen Kernaufgaben. Folglich verfügen Kommunen meist nicht über eigenes Personal mit außen- und sicherheitspolitischen Fachkenntnissen und über Expertise zu Ländern wie China, Russland oder anderen Drittstaaten. Es mangelt zudem häufig an Expertise und Problembewusstsein, was Risiken und Gefahren durch gezielte Investitionen in kritische Infrastruktur, Desinformation oder Cyberangriffe angeht.
Den meisten Städten fehlen die personellen Ressourcen, um Städte- und Projektpartnerschaften sowie Wirtschaftskooperationen systematisch auf Risiken für langfristige Resilienz zu prüfen und intensiv zu begleiten. Nur wenige, insbesondere große Städte verfügen über Abteilungen für internationale Beziehungen und Städtepartnerschaften. Die Sensibilisierung für außen- und sicherheitspolitische Chancen und Risiken hängt stark von den Interessen und dem Hintergrund einzelner (Ober-) Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ab.
Das führt insbesondere bei deutsch-chinesischen Städte- und Projektpartnerschaften zu starken Ungleichgewichten. Einer Handvoll deutscher Verantwortlicher stehen oftmals personell starke chinesische Delegationen gegenüber, die über deutsche Sprachkenntnisse, Regionalexpertise und klare strategische Handlungsanweisungen verfügen. In der Folge haben deutsch-chinesische Städtepartnerschaften häufig geopolitische und geoökonomische Implikationen. Unter deutschen Kommunen ist das Problembewusstsein dafür in den letzten Jahren zwar gewachsen, es mangelt jedoch nach wie vor an Fähigkeiten und Ressourcen, darauf angemessen zu reagieren.
Politische Strukturen entsprechen nicht den realen Herausforderungen
Zusätzlich erschwert die föderale Struktur der Bundesrepublik koordiniertes außenpolitisches Handeln: Städte sind verfassungsrechtlich in ihrem außenpolitischen Spielraum begrenzt. Gleichzeitig darf der Bund Städten aufgrund des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung nur begrenzt Vorgaben machen. Konkrete Leitlinien, beispielsweise zur Ausgestaltung von Städtepartnerschaften, werden deshalb nicht formuliert. Diese strukturelle und verfassungsrechtliche Trennung stellt die Bundesregierung im Umgang mit hybriden Bedrohungen vor die Herausforderung, ein hinreichendes Lageverständnis von Risiken auf kommunaler Ebene zu erhalten und Antworten unter Akteuren auf allen Ebenen zu koordinieren.
Es gibt nur wenige Strukturen, die aktiv darauf hinwirken, das außen- und sicherheitspolitische Problembewusstsein zwischen Kommunen und Städten untereinander sowie mit der Bundesregierung anzugleichen und sicherzustellen, dass kommunale Aktivitäten im Einklang mit den außen- und wirtschaftspolitischen Leitplanken der Bundesregierung stehen. Das gilt insbesondere für die Beziehungen zu China. Es fehlen institutionalisierte Kanäle zur systematischen Verständigung zwischen Bundesregierung und Städten hinsichtlich Außen- und Sicherheitspolitik und Strategien zur Stärkung außenpolitischer und demokratischer Resilienz. Spitzenverbände deutscher Städte und Kommunen wie der Deutsche Städtetag oder der Deutsche Städte- und Gemeindebund befassen sich, wenn überhaupt, nur am Rande mit Themen wie Desinformation, hybriden Bedrohungen oder gezielter Einflussnahme durch China.
Der Austausch zwischen Kommunen und Bundesverwaltung findet in erster Linie ad hoc und bilateral statt. Eine Ausnahme bildet die „Servicestelle Kommunen in der Einen Welt“ (SKEW) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die einen jährlichen Runden Tisch zum Thema „Kommunale Partnerschaften mit China“ anbietet. Auch das Auswärtige Amt hat den Kommunikationsbedarf zwischen den Ebenen erkannt, auf Referentenebene einen zentralen Anlaufpunkt für Städte geschaffen und einzelne Koordinierungsrunden innerhalb der Länderreferate eingerichtet – beispielsweise eine China-Runde mit Kommunalverbänden. Doch Städtepartnerschaften werden trotz ihrer geopolitischen und geoökonomischen Implikationen nach wie vor primär als ein kulturpolitisches Thema behandelt.
Herausforderungen und Empfehlungen
Überblick verschaffen
Um deutsche außenpolitische Ziele kohärent umzusetzen, muss sichergestellt werden, dass der Bund einen Überblick über Städtepartnerschaften und kommunale Projektpartnerschaften einerseits sowie ein Verständnis der Resilienz von Kommunen andererseits hat. Dies erfordert ein Monitoring politischer und wirtschaftlicher Interdependenzen mit Drittstaaten wie China und Russland sowie des Umgangs mit hybriden Bedrohungen.
Ein besserer Überblick über lokale Herausforderungen und effektivere Koordination zwischen Bundes- und Kommunalverwaltungen trägt nicht nur zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber diesen Risiken auf Bundesebene bei, sondern auch zur Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Auf EU-Ebene fußt der Umgang mit hybriden Bedrohungen auf einem gesamtstaatlichen Ansatz, der Regierung, Bevölkerung und Privatsektor miteinschließt. In ihrem „Strategische Voraussicht“-Report verkündete die EU-Kommission 2020, dass Resilienz – insbesondere ökonomische und gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit – den Kompass für neue Politiken darstellen soll. Ein effektiver Umgang mit den Herausforderungen auf EU-Ebene erfordert, dass die Mitgliedsstaaten subnationale Entwicklungen ausreichend kennen und außenpolitische Prioritäten gegenüber Städten klar kommunizieren.
Gemeinsame Agenda definieren
Sowohl auf kommunaler als auch auf Bundesebene sprechen sich Akteure aus Politik und Verwaltung für einen stärkeren Austausch zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen aus – im Einklang mit den föderalen Strukturen und unterschiedlichen Kernkompetenzen. Diesen bislang diffusen Konsens gilt es zu konkretisieren und zu operationalisieren. Bund und Kommunen sollten im Rahmen eines strukturierten Strategieprozesses eine gemeinsame Agenda erarbeiten, in welchen Fragen mehr Austausch, Zusammenarbeit oder Koordinierung sinnvoll sind, um in einem nächsten Schritt über geeignete Formate nachzudenken. Ein solcher Dialogprozess kann zum einen das Bewusstsein kommunaler Akteure für die eigene Betroffenheit von außen- und sicherheitspolitischen Fragen stärken. Zum anderen kann er die Bundesregierung und den Bundestag dafür sensibilisieren, dass eine stärkere Einbindung kommunaler Akteure der Kohärenz, Glaubwürdigkeit und den Erfolgsaussichten deutscher und europäischer Außenpolitik zugutekommt. Dabei sollte auch die Herausforderung mitgedacht werden, die Bevölkerung bestmöglich für außen- und sicherheitspolitische Risiken zu sensibilisieren.
Neben politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren sollten auch Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft in einen solchen Prozess eingebunden werden, um die Mechanismen und Strategien chinesischer Einflussnahme genau zu beleuchten, insbesondere die unmittelbare Kopplung politischer und wirtschaftlicher Instrumente. Ein umfassendes Resilienz-Lagebild sollte folgerichtig auch in kurz- und mittelfristige Investitionsentscheidungen auf Bundes- und Länderebene einfließen, um angesichts von Ressourcenknappheit jene Kommunen vorrangig zu unterstützen, die besonders vulnerabel sind für politische Einflussnahme durch Direktinvestitionen.
Austausch zwischen Städten und Bund verbessern
Direkt verbunden mit einem gemeinsamen Ambitionsniveau ist die Frage nach den dafür nötigen Ressourcen und Strukturen – sowohl auf kommunaler und Bundesebene als auch bezüglich der Interaktion beider Ebenen. Außen- und sicherheitspolitische Expertise auf kommunaler Ebene und das Bewusstsein für Risiken sollte durch Fortbildungsmaßnahmen für kommunale Akteure, neue Stellen und eine intensivere themenspezifische Vernetzung unter deutschen und europäischen Städten gestärkt werden. Der Austausch zum Thema „hybride Bedrohungen“ sollte forciert werden.
Auf Bundesebene sollte Urban Diplomacy nicht länger primär als kulturpolitisches Thema verstanden werden. In der nächsten Legislaturperiode empfiehlt es sich, für alle sicherheitspolitisch relevanten Ministerien, Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für kommunale (Resilienz-)Fragen einzusetzen. Eine solche Struktur erleichtert den ständigen Austausch zwischen den Ebenen, beispielsweise zu Best Practices im Umgang mit hybriden Bedrohungen. Ergänzend zur Schaffung von Dialogformaten stellt sich die Frage nach möglichen Hebeln, um die Resilienz von Städten – im Einklang mit deutschen außenpolitischen Zielen – aktiv zu fördern und Negativentwicklungen vorzubeugen oder entgegenzuwirken, ohne das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung zu verletzen.
Über die einzelnen Handlungsebenen hinweg sollte außerdem der Nutzen bestehender Formate (insbesondere Gesprächskreise und Städtenetzwerke) und Strukturen wie der SKEW evaluiert werden, um auf dieser Grundlage eventuelle Anpassungen vorzunehmen.