Kommentar

16. Apr. 2020

Keine Angst vor russischer Desinformation in der Coronakrise

In der Coronakrise stellt russische Propaganda eine wesentliche Gefahr nicht nur für die Stabilität und Handlungsfähigkeit Deutschlands, sondern auch für den Zusammenhalt der EU dar. Deutschland muss seine Resilienz durch einen dezentralen Ansatz steigern, der Institutionen stärkt und die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure fördert. Der Vorschlag nach einem staatlichen Abwehrzentrum gegen Desinformation, das zivilgesellschaftliche Initiativen einbindet, sollte deshalb ernsthaft diskutiert werden.

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Desinformation und Propaganda sind zentraler Bestandteil russischer Außenpolitik. In der aktuellen Covid-19-Pandemie streuen russische Stellen gezielt und verstärkt Desinformationen, um das Vertrauen in Gesundheitssysteme und Instrumente für die Krisenbewältigung europäischer Länder zu untergraben. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) veröffentlichte Ende März 2020 einen Bericht zum Anstieg von Desinformation im Zuge der Coronakrise. Er registrierte zwischen dem 22. Januar und dem 27. März über 150 Fälle von Desinformation allein aus russischen oder prorussischen Quellen. Auch wenn diese Zahlen moderat erscheinen, treffen sie Deutschland und Europa zu einem Zeitpunkt höchster Unsicherheit. Der EAD hat mehrere Schwerpunkte der Falschinformationen identifiziert. Dazu zählen die Aussagen, dass die USA das Coronavirus absichtlich kreiert hätten, dass das Virus nicht gefährlicher als ein Grippevirus sei oder dass die EU in der Coronakrise versagt habe und Europa wie der Westen generell im Niedergang begriffen seien. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass es sich hierbei nicht nur um Desinformation, sondern auch um Propaganda handelt. Letztere stellt für Deutschland das größere Risiko dar.

DESINFORMATION VS. PROPAGANDA

Desinformation umfasst die absichtsvolle Verbreitung von tendenziösen oder falschen Inhalten. Beispiele dafür sind die Aussagen, dass die USA das Virus entwickelt hätten oder dass Corona gar nicht gefährlich sei bzw. dass Virus gar nicht existiere. Dass diese Informationen mitunter widersprüchlich sind, stellt keinen Fehler sondern eine Charakteristik dar. Ziel ist nicht, die Zielgruppe von einem Narrativ zu überzeugen, sondern sie zu verunsichern und zu desorientieren. Dies soll die Zielgruppe in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken und ihre Moral schwächen. Die von russischen und pro-russischen Quellen verbreiteten Informationen in der Coronakrise enthalten jedoch neben Desinformation auch Propaganda.

Propaganda will die Einstellung der Zielgruppe hinsichtlich eines speziellen Themas ändern oder zumindest die bestehende Sichtweise untergraben. Ein wesentlicher Unterschied zu Desinformation ist daher auch das Verhältnis zur Wahrheit: Propaganda kann Desinformation enthalten, sie basiert aber auch auf wahren Inhalten. Das aktuell viel verwendete Narrativ, dass die EU der Coronakrise nicht gewachsen sei und versage, stellt ein eindrückliches Beispiel dar. Zum einen soll die Einstellung der Zielgruppe hinsichtlich der EU negativ beeinflusst werden. Gleichzeitig wird damit das von russischen und pro-russischen Quellen häufig verwendete Bild eines Westens im Niedergang widergespiegelt. Zum anderen bietet sich die Gelegenheit zur in der Propaganda üblichen Überhöhung des Eigenbildes, indem Russland gegenüber Europa als handlungsfähig und das russische Politikmodell an sich als gleichwertig oder überlegen zu den europäischen Demokratien und der EU dargestellt wird. In der Tat hat die EU sich nicht als sonderlich handlungsfähiger Akteur in der Coronakrise gezeigt, wie die andauernde Debatte um die Corona-Bonds oder die Schließung der nationalen Grenzen zeigt.

DEUTSCHLAND IST WIDERSTANDSFÄHIG

Die Erfolgskriterien von Desinformation und Propaganda unterscheiden sich ebenfalls. Desinformation hat einen starken Einfluss auf die Zielgruppe, wenn diese bereits ein gewisses Maß an Verunsicherung und mangelndem Vertrauen in staatliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Institutionen aufweist. Propaganda hat Erfolg, wenn die Zielgruppen bereit sind, ihre Einstellungen und Wertesysteme zu verändern. Daher variiert die Anfälligkeit für einzelne Gruppen, aber auch für Themen und Zeitpunkte. Für Deutschland ergibt sich daraus aktuell eine eher geringe Bedrohung von Desinformation. Umfragen in Deutschland zeigen, dass die Bevölkerung den Institutionen sowie auch Politikerinnen und Politikern ein in der Krise wachsendes Vertrauen entgegenbringt. Laut des Deutschlandstrends, veröffentlicht am 2. April, stieg die Zufriedenheit mit der Arbeit der Regierungskoalition um 28 Prozent im Vergleich zum Vormonat auf 63 Prozent. 72 Prozent der Befragten zeigten sich zufrieden mit dem Management der Coronakrise durch die Politik. Auch die Zustimmung für führende Politikerinnen und Politiker wie für Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz stiegen auf Höchstwerte in dieser Legislaturperiode.

Zufriedenheit mit der  Arbeit der Regierungskoalition ist gestiegen.

Gleichzeitig zeigt eine CiveyUmfrage, dass das generelle Gefühl der Unsicherheit in Deutschland nicht zugenommen hat. Daraus ergibt sich zumindest für Deutschland eine erstaunliche Stabilität in der aktuellen Krise, die die Anfälligkeit für Desinformation deutlich verringert. Die steigenden Einschaltquoten der Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Programme zeigen sogar den erhöhten Bedarf an seriösen Informationen.

FOLGEN DER CORONA-KRISE BERGEN RISIKEN FÜR DEUTSCHLANDS  STABILITÄT

Ein deutlich höheres Risiko für die Stabilität stellt dagegen die auf Langfristigkeit angelegte Propaganda dar. Diese ist in einigen Themenschwerpunkten bereits jetzt sichtbar: die Schuldzuweisungen an die USA, die Handlungsunfähigkeit der EU mit einer Rückbesinnung auf den Nationalstaat und der generelle Niedergang des Westens mit einem Abgesang auf die liberale Demokratie. Diese Themen spielen auch ohne das Zutun russischer oder pro-russischer Informationsquellen eine zunehmende Rolle in der deutschen Öffentlichkeit. Die aktuellen Propagandainhalte sowie auch Teile der Desinformation verstehen es, an diese Debatten und Konflikte anzuknüpfen. Angesichts des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Ausmaßes der aktuellen Krise treten diese Konfliktlinien noch in den Hintergrund. Die deutsche Demokratie profitiert von einem „rally-around-the-flag“-Moment. Diese Themen werden jedoch zurückkehren, sobald der Höhepunkt der Krise überschritten ist. Deutschland und Europa werden die Folgen der Krise für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft verhandeln müssen: Welche Rolle wird der Staat in der Wirtschaft spielen? In welchem Verhältnis sollen staatliche Eingriffs- und bürgerlicher Freiheitsrechte stehen? Welche Rolle wird der Nationalstaat haben, welche die EU?

RECHTE GRUPPIERUNGEN ALS BINDEGLIED

Diese Fragen bergen eine erhebliche politische Sprengkraft. Eine besondere Bedeutung kommt dabei Gruppierungen zu, die inhaltliche Schnittmengen zu den Propagandainhalten aufweisen. Dies trifft insbesondere auf rechtspopulistische bis -extreme Gruppen zu. Auch sie sehen das liberal- demokratische Modell und den Westen im Allgemeinen im Niedergang. Das autoritäre System Russlands dient ihnen als Inspiration oder zumindest als potentieller Verbündeter im Umbau Deutschlands und Europas. Die zahlreichen Verbindungen mit russischen bzw. pro-russischen Akteuren reichen von der rechtsextremen Szene bis tief hinein in das rechtspopulistische Lager der AfD. In geringerem Maße trifft dies auch auf Teile der Linken zu. Jedoch hat sich die Partei einerseits in den Regierungen vieler Bundesländer systemstützend und nicht –zersetzend verhalten und zum anderen einen deutlich geringeren Einfluss auf den Diskurs als die AfD.

Das Ausmaß der Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren darf jedoch nicht überschätzt werden. Es handelt sich hier keinesfalls um zentral gesteuerte und orchestrierte Kampagnen, sondern vielmehr um ein Netz unterschiedlichster Akteure, die aus verschiedenen Motiven handeln. Diese reichen von der Überzeugung vom Untergang des westlichem Modells oder der Überlegenheit des russischen Wegs bis zur schlichten Opportunität und Vorteilsbeschaffung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich einzelne Inhalte nicht nur unterscheiden, sondern gar behindern. So stehen die anhaltenden Berichte über russische bzw. pro-russische Desinformation den Bemühungen des russischen Staates, sich als Helfer in der Not durch Lieferungen in Krisengebiete darzustellen, entgegen. Es gibt daher auch innerhalb dieses Netzwerkes durchaus Konflikte und Friktionen.

DEZENTRALITÄT IST DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG

Deutsche Entscheidungsträgerinnen und –träger sowie die Medien tun daher gut daran, angesichts der aktuellen Desinformation Ruhe zu bewahren. Gleichzeitig sind die langfristigen Risiken der Propaganda erheblich. Die Bekämpfung dieser Gefahr stellt sich jedoch als deutlich komplizierter heraus. Deutschland muss seine Resilienz hinsichtlich seines liberal-demokratischen Systems, seiner Werte und auch seiner Zustimmung zur Europäischen Union verstärken.

Bereits 2016 kam erstmals die Forderung nach einem Abwehrzentrum gegen Desinformation auf, die jedoch bis dato nicht umgesetzt wurde. Die FDP erneuerte nun diese Forderung in der aktuellen Krise. Angesichts der Herausforderung muss ein solches Zentrum jedoch einen deutlich erweiterten Fokus haben, der nicht nur klassische Fake News, sondern auch Propaganda- und Destabilisierungsbemühungen umfasst.

Einem staatlichen  Abwehrzentrum kommt vor allem eine koordinierende und keine  kontrollierende Aufgabe zu.

Da es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, die auf lokaler und nationaler Ebene sowie in Koordination mit den europäischen Partnerinnen und Partnern verfolgt werden muss, kommt einem staatlichen Abwehrzentrum vor allem eine koordinierende und keine kontrollierende Aufgabe zu. Es kann staatliche und gesellschaftliche Initiativen verknüpfen, Finanzierungen und andere Unterstützung für zivilgesellschaftliche Initiativen bereitstellen und so zivilgesellschaftliche Antworten fördern. Soweit möglich, kann ein solches Zentrum auch eine Koordination mit den Geheimdiensten ermöglichen, die sowohl internationale als auch deutsche Akteure hinsichtlich ihrer Desinformations- und Propagandabemühungen sowie Destabilisierungsziele beobachten. Ebenso wie die Gestalt der russischen und pro-russischen Propaganda und Desinformation dezentral ist, muss es auch die Antwort sein.

Bibliografische Angaben

Pagung, Sarah. “Keine Angst vor russischer Desinformation in der Coronakrise.” April 2020.