Policy Brief

25. März 2025

Fachkräfte für die Zukunft

Wie Deutschland Klimawandel und Migration strategisch begegnen kann
Arbeiter und Windturbinen
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Deutschlands Wirtschaft droht in zentralen Zukunftstechnologien, darunter der Elektromobilität, den Anschluss zu verlieren. Zusätzlich verlangsamt der Fachkräftemangel die Nachhaltigkeitstransformation. Teil der Lösung kann die Einwanderung „grüner“ Fachkräfte aus dem außereuropäischen Ausland sein. Indem die Bundesregierung die Zuwanderung von Fachkräften aus Ländern mit hohen Klimarisiken fördert, zahlt dies auch auf Deutschlands Verpflichtungen in Bezug auf internationale Klimaanpassung ein. 

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Für den Industriestandort Deutschland stellt die Transformation hin zu nachhaltigen Wertschöpfungsketten und einem klimaneutralen Wachstumsmodell eine Herausforderung dar, die durch den Arbeitskräftemangel verschärft wird.
Fachkräfteeinwanderung, auch aus dem außereuropäischen Ausland, kann helfen, Lücken zu schließen. Durch die Ausbildung und Anwerbung „grüner“ Fachkräfte aus besonders klimavulnerablen Ländern kann Deutschland Synergien zwischen Wirtschaftspolitik und Entwicklungszusammenarbeit erzeugen.
Der Ausbau grüner Technologien dient längst nicht mehr nur dem Schutz der globalen Gemeingüter, sondern ist Voraussetzung für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit einer modernen Wirtschaft. Auch weil zunehmend systemische Rivalitäten mit China in den Vordergrund treten. 

Einleitung 

Ein Blick in die Zukunft: Im Jahr 2045 ist die grüne Transformation in Deutschland erfolgreich umgesetzt, das Land ist klimaneutral. Die Energieversorgung erfolgt nahezu vollständig aus erneuerbaren Energien. Für die Industrie war mit der Abkehr von fossilen Energieträgern eine wettbewerbsfähige Neuausrichtung des Standorts verbunden: Ehemals emissionsintensive Branchen konnten mehrheitlich gehalten werden und haben den Wandel zu klimafreundlichen und ressourcenschonenden Produktionsverfahren gemeistert. Wirtschaftsexpertinnen und -experten betonen, dass auch die gesteuerte Zuwanderung einen wichtigen Anteil am Gelingen der Transformation hatte. Teil der Maßnahmen vor knapp 20 Jahren waren spezielle Programme, um Fachkräfte mit „Green Skills“ zu gewinnen. Darunter aus Ländern, die hohen Klimarisiken ausgesetzt und in denen die Lebensgrundlagen vieler Menschen gefährdet sind. Vorausschauend wurde dort in die Ausbildung von Fachkräften investiert, auch mit deutscher Unterstützung. Dies eröffnete ihnen sowohl Chancen auf dem Arbeitsmarkt in ihren Heimatländern als auch in Deutschland. 

Zurück in die Gegenwart: Neben der Bildung einer neuen Regierung steht Deutschland im Frühjahr 2025 vor der Herausforderung, einen Weg aus der Rezession zu finden. Das Vertrauen in die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft scheint allerdings getrübt. Zusätzlich gefährdet der Fachkräftemangel die grüne Transformation der Wirtschaft und wird laut dem aktuellen Fachkräfte-Report der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zum Standortrisiko. Allein mit heimischen Fachkräften ist der tiefgreifende Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft kaum zu stemmen, vor allem nicht in zentralen Handlungsfeldern wie der Energiebranche. Doch in der gegenwärtig polarisierten Migrationsdebatte ist wenig Raum für eine sachliche, an Bedarfen orientierte Diskussion um Fachkräftezuwanderung. Gleichzeitig führt der Klimawandel bereits heute dazu, dass Menschen in einigen Regionen dieser Erde keine Perspektive mehr haben, weil Lebensgrundlagen schwinden und die Unbewohnbarkeit ganzer Regionen droht. 

Der vorliegende Policy Brief stellt konkrete und umsetzbare Maßnahmen vor, mit denen die nächste Bundesregierung auf das eingangs skizzierte Zukunftsszenario hinarbeiten kann. Werden Fachkräftemangel, Klimawandel und Migration aus besonders klimavulnerablen Ländern in der Politikgestaltung zusammengedacht, ergeben sich bisher wenig genutzte Potenziale zur Deckung des „grünen“ Fachkräftebedarfs. Von Vorteil für alle Beteiligten: Deutschland, aber auch die betroffenen Staaten, gewinnen dringend benötigte Fachkräfte für die grüne Transformation, die Herkunftsländer profitieren möglicherweise durch Rücküberweisungen und Fachkräfte erhalten bessere Zukunftsaussichten. 

Weichenstellung für Wettbewerbsfähigkeit

Grüne Transformation und Wettbewerbsfähigkeit sind eng miteinander verknüpft. Der Strukturwandel hin zu klimaneutralen und damit zukunftsfähigen Wertschöpfungsprozessen stärkt den Standort, sichert und schafft Arbeitsplätze und erhält den Wohlstand. Er ist mitentscheidend dafür, dass Deutschland seine ambitionierten Ziele beim Klimaschutz erreicht und bis 2045 klimaneutral wird. Maßgeblich für das Gelingen sind der Ausbau erneuerbarer Energien, die Steigerung von Energieeffizienz sowie die Schonung von Ressourcen, etwa durch den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft. 

Die mit der grünen Transformation einhergehenden Umbrüche haben weitreichende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt (s. Box 1). Dabei ist der Bedarf nicht nur auf Handwerks- oder Ingenieursberufe beschränkt. Es braucht ebenso Expertise aus der Wissenschaft, „Know-how“ aus der Beratungsbranche oder auch Fach- und Führungskräfte für Planungs- und Steuerungsprozesse. Nicht zuletzt entstehen im Zuge des Ausbaus von Industriezweigen immer auch Bedarfe an gering qualifizierten Arbeitskräften und es bieten sich Chancen zu deren Teilqualifizierung.

Im Hinblick auf zukünftige Bedarfe sieht die 2022 beschlossene Fachkräftestrategie der Ampelkoalition Maßnahmen in verschiedenen Handlungsfeldern vor. Zu diesen zählen die Modernisierung der Ausbildungsordnungen in der dualen Berufsausbildung, Investitionen in Weiterbildung oder die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Fachkräfteeinwanderungspolitik ist zentraler Bestandteil der Strategie, um die bestehende Lücke zu schließen. Sie nennt ausländische Arbeitnehmerinnen und -nehmer als „unverzichtbar für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“. Zudem betont sie, dass Deutschland auch im internationalen Vergleich ein attraktives Einwanderungsland sein muss. Wichtige Weichenstellungen hierfür wurden mit dem 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz und dessen Weiterentwicklung drei Jahre später vorgenommen. Es erleichtert die Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte und entbürokratisiert Prozesse. Um diese Weichenstellungen gezielter für die grüne Transformation nutzbar zu machen, bedarf es jedoch weiterer Schritte. Die hier vorgelegten Handlungsempfehlungen zeigen auf, wie die Bundesregierung Erwerbsmigration aus Ländern erleichtern kann, die erheblichen Klimarisiken ausgesetzt sind. Der folgende Abschnitt legt dar, warum dies auch über den Gewinn von Fachkräften hinaus im Eigeninteresse Deutschlands ist.

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Die Grüne Transformation und ihre Arbeitsmarkteffekte

Um die Transformation zu gestalten, braucht es Fähigkeiten in vielen Berufsgruppen und Tätigkeitsfeldern. „Green Skills“ können von technischen Fähigkeiten, wie der Installation von Solaranlagen, bis zu transferierbaren Skill-Sets, beispielsweise aus dem Nachhaltigkeitsmanagement, reichen. Die Feststellung von Arbeitskräftebedarfen für „Green Jobs“ kann daher variieren, je nach Definition und Berechnungsansatz. Enger gefasste Definitionen heben Bedarfe in bestimmten Berufsgruppen wie Technikern und Ingenieuren hervor, bei denen ein Mangel herrscht. Oder sie fokussieren sich auf 
bestimmte Branchen (beispielsweise Berufe im Bereich der erneuerbare Energien). Dies vereinfacht Datenerhebungen, wird aber dem Spektrum an Berufen und Qualifikationen, die für die Umsetzung der grünen Transformation insgesamt und in verschiedenen Sektoren benötigt werden, nicht gerecht.

Eine Studie des „Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung“ (KOFA) aus dem Jahr 2022 zur Fachkräftelücke in der Solar- und Windenergie veranschaulicht die Vielfalt der involvierten Aufgaben im Ausbau erneuerbarer Energien. Insgesamt wurden 190 relevante Berufe identifiziert – von der Konzeption über das Genehmigungsverfahren bei der Bauplanung, Fertigung und Transport bis zur Installation, Inbetriebnahme und Wartung. Die ermittelte Fachkräftelücke für Solar- und Windenergie lag im Jahresdurchschnitt 2021/2022 bei ca. 216.000 Personen. Die Studie wirbt dafür, ausländische Fachkräfte, Auszubildende und Studierende zu gewinnen. Der aktuelle KOFA-Jahresrückblick zum branchenübergreifenden Fachkräftemangel stellt einen Mangel an Fachkräften für Bauelektrik in Höhe von circa 18.000 Personen fest und bezeichnet diesen als „Flaschenhals“ für den Bau von Solar- 
und Windkraftanlagen.

Die Wirtschaftsexperten Jürgen Blazejczak und Dietmar Engler beziffern in einer Publikation den sektorenübergreifenden Arbeitskräftebedarf auf dem Weg Deutschlands hin zur Klimaneutralität auf 767.200 Personen. Den Definitionen der Bundesregierung folgend wird der Bedarf in unterschiedlich qualifizierte Personengruppen aufgeschlüsselt: 58 Prozent Fachkräfte, 19 Prozent Helfer mit Helfer- und Anlerntätigkeiten, 13 Prozent Spezialisten mit komplexen und 10 Prozent Experten mit hochkomplexen Tätigkeiten. Rund 40 Prozent der benötigten Fachkräfte fallen auf Berufsgruppen, in denen die Bundesagentur für Arbeit für das Jahr 2019 einen Mangel an Fachkräften, Spezialisten und Experten identifiziert hat.

Grüne Technologien im strategischen Interesse Deutschlands

Der Ausbau erneuerbarer Energien ist kein reines Klimaschutzprojekt. Schon längst dominiert China den Weltmarkt in vielen Zukunftstechnologien, darunter auch Schlüsseltechnologien der grünen Transformation. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine machte Deutschlands energiepolitische Abhängigkeit deutlich und untermauerte die Bedeutung einer unabhängigeren und zugleich krisenfesten Energieversorgung. Diese Ziele können durch den Ausbau erneuerbarer Energien schnell und wirtschaftlich vorangetrieben werden. Zudem braucht es in bestimmten Sektoren, wie der Wasserstoffwirtschaft, ausländische Partner und starke Handelsbeziehungen. 

Erfolgreicher Klimaschutz ist zudem ein wichtiges Werkzeug aus Deutschlands „Soft-Power-Instrumentenkasten“. Während die US-Regierung unter Trump versucht, eine industriepolitische Kehrtwende zu vollziehen und den bei Unternehmern beliebten Inflation Reduction Act auszuhöhlen, kann Deutschland Führung und Verlässlichkeit beweisen, indem es seine klimapolitischen Zusagen einhält und Ziele konsequent umsetzt. Soft Power kann sich auch in traditionellen Sicherheitsbereichen niederschlagen: Nicht zuletzt führten Bemühungen im globalen Klimaschutz und der Aufbau partnerschaftlicher Entwicklungszusammenarbeit dazu, dass Deutschland für seine Kandidatur um den nichtständigen Sicherheitsratssitz 2019/2020 genügend Stimmen in der VN-Generalversammlung erhielt. Nun kandidiert Deutschland erneut für den Sicherheitsrat 2027/2028 und sollte seinem Engagement um integrierte Sicherheit durch konkrete Schritte Nachdruck verleihen. 

Indische Fachkräfte für die deutsche Solarwirtschaft

Am Beispiel Indiens kristallisieren sich die synergistischen Potenziale, Fachkräftegewinnung für die grünen Transformation und Klimawandel zusammenzudenken. Das Land belegt Platz sechs des Global Climate Risk Index, der die Auswirkungen von Extremwetterereignissen wie Überflutungen, Stürmen, Hitzewellen oder Dürren bemisst. Auch schleichende Veränderungen wie der Temperaturanstieg gefährden Lebensgrundlagen im bevölkerungsreichsten Land der Erde.

Für Programme zur Fachkräftegewinnung mit fairen und ethischen Standards ist Indien ein interessanter Partner, weil es mit einem Durchschnittsalter von knapp 29 Jahren über eine junge Bevölkerung verfügt und gleichzeitig mit 16 Prozent eine hohe Jugendarbeitslosigkeitsquote hat. Zudem ist Deutschland bei jungen und gut qualifizierten Inderinnen und Indern beliebt. Im Wintersemester 2023/2024 stellten sie laut Zahlen des DAAD Indien mit knapp 50.000 Studierenden die größte Gruppe internationaler Studierender in Deutschland dar, 60 Prozent von ihnen waren in Ingenieursstudiengängen eingeschrieben. Das 2023 abgeschlossene Abkommen zur Migrations- und Mobilitätspartnerschaft untermauert die gute und gefestigte bilaterale Beziehung zwischen Indien und Deutschland, auch über den migrationspolitischen Bereich hinaus. Erst im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung eine „Fachkräftestrategie Indien“ verabschiedet, um den Zuzug von Fachkräften aus Indien zu fördern.

Wie Fachkräftegewinnung für die grüne Transformation aus Indien in der Praxis gelingen kann, zeigt ein Projekt zur Gewinnung von Elektronikern für die deutsche Solarbranche der Allianz „10.000 Tage“. Diese wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der gemeinnützigen Organisation „ProjectTogether“ initiiert. Sie bringt staatliche, zivilgesellschaftliche, wissenschaftliche und wirtschaftliche Akteure zusammen, um an neuen und innovativen Lösungen zur Behebung des Fachkräftemangels in der grünen Transformation zu arbeiten.

Im Solarfachkräfte-Projekt schließt die Personalvermittlungsagentur „Green Professionals“ die Lücke zwischen der Qualifikation indischer Fachkräfte und den Bedürfnissen deutscher Arbeitgeber. „Green Professionals“ unterstützt geeignete Bewerberinnen und Bewerber bei der Anerkennung von Fähigkeiten und Berufserfahrung, Visumsfragen, dem Spracherwerb und der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt. Die Elektroniker werden in Teilzeit in Deutschland angestellt und mittels eines durch Bildungsgutscheine finanzierten Kurses bis zur voll-ständigen Anerkennung des Berufsabschlusses durch die IHK FOSA begleitet.

Durch die mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz eingeführte „Chancenkarte“ besteht auch ohne einen festen Arbeitsvertrag die Möglichkeit zur Einreise und Jobsuche in Deutschland. Diese erlaubt es Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern, sofern sie die Kriterien des Punktesystems erfüllen, ein Jahr zu bleiben. Sie sind berechtigt, qualifizierte Probebeschäftigungen von bis zu zwei Wochen aufzunehmen sowie Nebenbeschäftigungen nachzugehen. Im besten Fall mündet eine Probebeschäftigung in der Vereinbarung einer Anerkennungspartnerschaft mit dem Ziel, die Berufsanerkennung zu erreichen. Gemäß dem Stand im Oktober 2024 wurden 780 Chancenkarten-Visa in Indien ausgestellt.

Diese Beispiele zeigen erste Ansätze, wie eine verbesserte Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte gelingen kann und sollten daher umfassend evaluiert werden, um Lernerfahrungen für zukünftige Initiativen zu nutzen. Im Kontext besonders klimavulnerabler Staaten, wie etwa in der Gruppe der V20, könnten ähnliche Projekte wie das Solarfachkräfte-Projekt die Erwerbsmigration gezielter ermöglichen. 

Arbeits- und Klimamigration zusammendenken

Neben ausländischer Fachkräfteanwerbung braucht es insbesondere Ansätze, bei denen Arbeits- und Klimamigration zusammengedacht werden. Dies würde ermöglichen, nicht nur reaktiv auf humanitäre Notlagen einzugehen, sondern proaktiv positive wirtschaftliche Entwicklungen zu fördern. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration erweiterte beispielsweise den Vorschlag des WBGU unter anderem um ein „Klima-Arbeitsvisum“. Der Vorschlag des „Klima-Arbeitsvisums“ orientiert sich strukturell an der 2015 beschlossenen Westbalkan-Regelung, die Menschen aus Ländern des Westbalkans die Zuwanderung nach Deutschland erlaubt, sofern diese einen Arbeitsvertrag bei einem in Deutschland ansässigen Unternehmen vorweisen können. Auch das „Klima-Arbeitsvisum“ wäre an die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in Deutschland gekoppelt und könnte Menschen aus klimavulnerablen Herkunftsländern per begrenztem Gesamtkontingent oder Quote für einzelne Länder die Zuwanderung erleichtern. 

Durch die gezielte Förderung von Ausbildung und verbesserten Rahmenbedingungen für Erwerbsmigration aus „Klima-Hotspots“ könnte Deutschland nicht nur dem Fachkräftemangel, sondern gleichzeitig auch Klimamigration besser begegnen. 

Ausländische Fachkräfte: Schon heute unverzichtbar

In Deutschland hatten im Oktober 2024 laut Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit 16,4 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eine ausländische Staatsangehörigkeit – insgesamt 5,8 Millionen Menschen. 54,9 Prozent von ihnen kamen aus Nicht-EU-Ländern. Damit leisten Arbeitnehmerinnen und -nehmer aus dem Ausland gegenwärtig einen unverzichtbaren Beitrag zur Wertschöpfung und sind aus vielen Berufssparten nicht mehr wegzudenken. 

In Ingenieurs- und Informatikberufen, die für die grüne Transformation zentral sind, hat die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte maßgeblich dazu beigetragen, den Fachkräftemangel zu lindern: Zwischen Ende 2012 und September 2023 erhöhte sich die Zahl ausländischer Ingenieure um 146,6 Prozent von 46.489 auf 114.648. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der in Deutschland tätigen Ingenieure stieg damit von 6 Prozent auf 11 Prozent.

Laut Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) verursacht der Mangel an Ingenieuren und IT-Fachkräften jährlich einen Wertschöpfungsverlust von 9 bis 13 Milliarden Euro. Der größte Mangel ist in den Bereichen Energie- und Elektrotechnik zu verzeichnen.

Zu anderen existierenden Instrumenten, die die Regierung nutzen könnte, um grüne Fachkräfte aus klimavulnerablen Ländern zu gewinnen, gehören Migrationspartnerschaften wie jene mit Indien oder Kenia. Diese Abkommen beinhalten Maßnahmen zur Förderung der Migration und Mobilität von Fachkräften, aber auch Vereinbarungen zur Rückkehr abgelehnter Asylsuchender. Maßnahmen zur Erleichterung der Fachkräftemigration können beispielsweise die Förderung des Spracherwerbs oder eine verbesserte Vorintegration, die Anerkennung von Qualifizierungen oder der Ausbau von Visakapazitäten sein. In der Entwicklungszusammenarbeit arbeitet Deutschland mit 60 Partnerländern bei der Weiterentwicklung und dem Ausbau der beruflichen Bildung zusammen. Ein Fünftel der Projekte in der Berufs- und Hochschulbildung stärkt Kompetenzen, die es für die grüne Transformation braucht. 

Instrumente und Optionen

Die Bundesregierung sollte dringend die Möglichkeit nutzen, Synergien zwischen innen-, außen- und entwicklungspolitischen Maßnahmen zu schaffen. Dafür empfehlen wir die folgenden Schritte: 

Berücksichtigung „grüner Berufe“ und besonders klimawandelbedrohter Herkunftsländer in der „Chancenkarte“ 

Ein Weg auf gesetzgeberischer Seite wäre es, die im Juni 2024 eingeführte „Chancenkarte“, die Teil der 2023 verabschiedeten Erweiterung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ist (beispielsweise Berücksichtigung des Herkunftslands), von denen Personen profitieren, die besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Durch die Förderung der Aus- und Weiterbildung vor Ort ließe sich der Pool an qualifizierten Arbeitskräften erweitern, die für die Umsetzung der grünen Transformation in Deutschland gesucht werden und die Chancenkarte in Anspruch nehmen könnten. Eng verknüpft mit dieser Maßnahme wären Migrations- und Ausbildungspartnerschaften, aber auch eine stärkere Standardisierung von „Green Skills“ und ein Einsatz von Teilqualifizierungen. 

Steuerliche Anreize und Investitionsgarantien für die Aus- und Weiterbildung grüner Fachkräfte 

Fachkräfterekrutierung ist für Unternehmen ein Kostenfaktor, konkret mit Blick auf die Identifikation von Fachkräften, deren Qualifizierung oder die Begleitung des Visaprozesses und der Einreise. Wenn Unternehmen Kosten in höherem Maße steuerlich abschreiben könnten, die ihnen bei der Rekrutierung von Personal aus besonders vom Klimawandel betroffenen Ländern entstehen, ließen sich Anreize setzen. Länder, die hohen Klimarisiken ausgesetzt sind, sind zudem oft gleichzeitig auch von Konflikten und Instabilität betroffen. Durch Instrumente der Außenwirtschaftsförderung (z.B. Investitionsgarantien) könnten Investitionen deutscher Unternehmen, die im „grünen Sektor“ tätig sind und in Aus- und Weiterbildungsinfrastruktur in besagten Ländern investieren, besser finanziert und abgesichert werden. 

Migrationsabkommen mit besonders vom Klimawandel betroffenen Ländern

Bilaterale Migrationsabkommen, die besonderen Fokus auf grüne Fachkräfte legen, könnten ein nächster Schritt sein, der Partnerschaften stärkt und zugleich auf Ziele der Entwicklungszusammenarbeit einzahlt. Zur Ergänzung der innenpolitischen und gesetzgeberischen Maßnahmen sind Migrationsabkommen mit besonders vom Klimawandel betroffenen Länder sinnvoll, vor allem für die Erleichterung der Erwerbsmigration in den grünen Sektor in Deutschland. Durch Abkommen ließen sich beispielsweise Visaprozesse beschleunigen und die Zusammenarbeit bei der Aus- und Weiterbildung, etwa durch gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen („Green Skills“), verbessern. Deutschland hat mit Kenia und Indien bereits zwei Migrationsabkommen mit Ländern, die besonders vom Klimawandel betroffen sind.   

Ausbildungspartnerschaften für „Green Skills“ 

Mit klimaaußenpolitischen beziehungsweise entwicklungspolitischen Maßnahmen könnten Aus- und Weiterbildung in „Green Skills“ in besonders klimavulnerablen Ländern gefördert werden. Ausgestaltet als Ausbildungspartnerschaften würden sowohl diese als auch Deutschland profitieren, indem mittel- bis langfristig besonders für die Dekarbonisierung benötigte Fachkräfte ausgebildet werden. Fachkräfte haben nach einer Qualifizierung die Wahl, vor Ort zu arbeiten oder in Deutschland. 

Migrationsabkommen mit besonders vom Klimawandel betroffenen Ländern sind sinnvoll.

Die EU-Kommission hat die Förderung von „Green Skills“ bereits in ihrer Kommunikation zur „Union of Skills“ im März 2025 angelegt und will öffentlich-private Partnerschaften in diesem Bereich fördern, die etwa Ausbildung und Anwerbung von Arbeitskräften zusammenführen. Zudem wurden als Teil des EU-Migrationspakts Ausbildungspartnerschaften („Talent Partnerships“) angekündigt. Deutschland könnte sich dafür einsetzen, dass grüne Berufe Teil der Partnerschaften werden, einschließlich in klimawandelbedrohten Ländern.

Sinnvoll wäre es, wenn die Bundesregierung Ausbildungspartnerschaften zusammen mit Unterstützungsmaßnahmen für die Dekarbonisierung in einem Partnerland verhandelt und abstimmt. Ein Beispiel sind die „Just Energy Transition Partnerships“ (JET-P), ein Instrument für Investitionen in die grüne Transformation in besonders von fossilen Energieträgern abhängigen Ländern im Globalen Süden. In bisherigen JET-Ps werden Fragen der Beschäftigungspolitik kaum berücksichtigt. Ein „gerechter Übergang“ sollte aber auch die Um- oder Weiterqualifizierung beziehungsweise Ausbildung von Arbeitskräften miteinschließen.

Abbau von Hürden für die Arbeitsmigration geflüchteter Fachkräfte

Der Abbau von Hürden für die Arbeitsmigration von geflüchteten Fachkräften sollte mitgedacht werden. Aufgrund schleichender Umweltveränderung und erodierender Lebensgrundlagen – bis zur Unbewohnbarkeit von Regionen – werden immer mehr Menschen dazu gezwungen sein, zu migrieren, einschließlich von Orten, an denen sie bisher Schutz fanden. Es leben geschätzt bereits heute Dreiviertel der weltweit Geflüchteten in besonders von den Folgen des Klimawandels betroffenen Ländern. Der Abbau von Hürden zur Erwerbsmigration für geflüchtete Fachkräfte kann beispielsweise durch mehr Flexibilität bei der Anerkennung von Berufs- oder Bildungsabschlüssen erfolgen. Geflüchtete können Nachweise oft schwieriger erbringen. Zusätzlich wären verbesserte Kapazitäten im Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten zur Bearbeitung der Visaanträge geflüchteter Fachkräfte sinnvoll. Die Bündelung von Kompetenzen bei der Bearbeitung der Anträge dieser Personengruppe, die teilweise anspruchsvoller sind, könnte zu mehr Verlässlichkeit und schnellerer Bearbeitung führen. 

International standardisierte „Green Skills“ und Nutzung von Teilqualifizierungen

Eine stärkere Nutzung und Anerkennung von Teilqualifizierungen würde die Rekrutierungsmöglichkeiten für Jobs im grünen Sektor erweitern. Geringer qualifizierte Personen in Deutschland und aus besonders vom Klimawandel betroffenen Länder könnten sich dadurch mehr Beschäftigungsmöglichkeiten erschließen, etwa in der Installation von Photovoltaikanlagen, und auf eine vollwertige Berufsqualifizierung hinarbeiten. Zudem wäre es zeitgemäß, (Teil-)Qualifikationen für die Umsetzung der grünen Transformation international zu standardisieren, wie es beispielsweise durch die „Climate Mobility Accreditation“ geschieht. Deutschland sollte sich dafür auf multilateraler Ebene einsetzen. Mit digitalen Tools ließe sich ihre Echtheit vereinfacht prüfen und Portabilität sicherstellen. Auch die EU-Kommission sieht die Vereinheitlichung der Anerkennung von Qualifikationen als wichtigen nächsten Schritt an. Deutschland sollte im Bereich der „Green Skills“ verbesserte Verfahren pilotieren. Damit würde auch die Mobilität grüner Fachkräfte unterstützt, einschließlich aus besonders vom Klimawandel betroffenen Ländern.

Bibliografische Angaben

Becker, Mechthild, Hannes Einsporn, Tobias Stolz, and Kira Vinke. “Fachkräfte für die Zukunft.” DGAP Policy Brief 6 (2025). German Council on Foreign Relations. March 2025. https://doi.org/10.60823/DGAP-25-42049-de.

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