Migration ist eines der bestimmenden Themen der aktuellen Koalitionsverhandlungen. Doch ein zentrales Phänomen, das sich bereits heute auf Migration auswirkt und in Zukunft noch größeren Einfluss darauf haben wird, wurde bisher ausgeklammert: Klimamigration.
Dabei verschärft der Klimawandel bereits heute Lebensbedingungen weltweit und beeinflusst Migrationsentscheidungen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Klimafolgen die Verfügbarkeit von Wasser und fruchtbarem Land beeinträchtigen, Extremwetterereignisse häufiger und intensiver machen und den Meeresspiegel ansteigen lassen. Die Folgen umfassen sowohl schleichende Prozesse wie die Versalzung von Ackerland als auch plötzlich auftretende Ereignisse wie Überschwemmungen und Dürren. Diese Veränderungen zerstören die Existenzgrundlagen vieler Menschen weltweit, insbesondere in küstennahen Gebieten, Trockenregionen und kleinen Inselstaaten. Die genannten klimabedingten Stressfaktoren verstärken bereits bestehende sozioökonomische und politische Probleme und machen Migration oft zur letzten Anpassungsstrategie. Klimamigrationsprognosen variieren abhängig vom gewählten Emissionsszenario und sozioökonomischen Entwicklungen. Schätzungen der Weltbank von 78 bis zu 170 Millionen klimabedingten Binnenvertriebenen in sechs Weltregionen bis Mitte des Jahrhunderts zeigen, dass der Klimawandel das weltweite Migrationsgeschehen wesentlich mitprägen wird.
Klimamigration: von der Realität aufs politische Parkett
Andernorts findet diese Realität bereits Einzug in Debatten und spiegelt sich in der Gesetzgebung wider. So verabschiedeten Länder in Lateinamerika, Asien und Europa bereits entsprechende Gesetze: Boliviens Migrationsgesetz von 2013 etwa kennt für den Begriff „Klimamigrant:in“ eine eigene Definition. Bangladesch verabschiedete im selben Jahr eine Nationale Strategie für das Management von Katastrophen und klimabedingte Binnenvertreibung. Finnland und Schweden verabschiedeten 2004 bzw. 2005 Gesetze, die Personen Schutz gewähren, denen es aufgrund einer Umweltkatastrophe nicht möglich ist, in ihr Herkunftsland zurückzukehren. In Italien ist ein bis zu sechsmonatiger Schutz möglich, wenn im Herkunftsland humanitäre Härten aufgrund von Hunger oder Umweltkatastrophen drohen.
Auch auf regionaler Ebene sind Staaten tätig: Dreißig afrikanische Staaten haben die Kampala Konvention ratifiziert, die Vertragsstaaten verpflichtet, durch Klimaschutzmaßnahmen Vertreibungen zu verhindern und Vertriebene zu schützen. Weiterhin Freizügigkeitsabkommen der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM) und die Organisation Ostkaribischer Staaten (OECS) Menschen, die durch Umweltkatastrophen wie Wirbelstürme vertrieben wurden, unkomplizierte Aufnahme und vereinfachten Zugang zu nationalen Arbeitsmärkten.
Neben diesen nationalen und regionalen Initiativen findet Klimamigration außerdem zunehmend Eingang in die Migrationsdiplomatie. Bereits 2012 lancierten Norwegen und die Schweiz die „Nansen Initiative“. Die zwischenstaatliche Initiative legte 2015 die „Nansen Protection Agenda“ vor, die nicht-bindende Standards für den Umgang mit erzwungener Klimamigration festlegt. Die 2018 verabschiedeten Globalen Pakte für Migration und Flüchtlinge erkennen explizit klimabedingte Vertreibung an und sehen eine Reihe von Anpassungs- und Schutzpraktiken vor.
Bemerkenswert ist auch das 2023 geschlossene Falepili-Union-Abkommen zwischen dem Inselstaat Tuvalu und Australien, das erstmals Klimawandel-Visa für Klimavertriebene einführt. Es umfasst drei Bereiche: Mobilität, Klimakooperation und gemeinsame Sicherheit. Jährlich erhalten demnach bis zu 280 der 11.000 tuvalischen Staatsbürger:innen (etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung) Visa, die ihnen ermöglichen, temporär oder dauerhaft in Australien zu leben, inklusive Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt, Gesundheitsversorgung und sozialen Leistungen. Zudem stellt Australien 110 Millionen australische Dollar (rund 65 Millionen Euro) für Klimaanpassungsprojekte, Infrastruktur und Budgethilfe bereit. Im Gegenzug erhält Australien Mitspracherecht bei Sicherheits- und Verteidigungsfragen Tuvalus.
Bilaterale Vereinbarungen können konkrete Lösungen für betroffene Länder schaffen.
Während einige das Abkommen kritisieren und die Souveränität Tuvalus bedroht sehen, stellt es für andere eine „Rettungsleine“ für pazifische Inselstaaten dar. Unabhängig von der Bewertung zeigt es, dass bilaterale Vereinbarungen konkrete Lösungen für betroffene Länder schaffen können – im Gegensatz zu vielen bisher unverbindlich gebliebenen Bestimmungen auf internationaler Ebene. Das Abkommen bestätigt daher eine Grundannahme deutscher bilateraler Partnerschaften: Mit gutem Design können Migrationsabkommen beiden Seiten und auch anderen Politikbereichen der Partnerschaft dienen, anstatt sie, wie teilweise befürchtet, zu behindern.
Klima in Migrationsabkommen: Angebote, die Deutschland Partnerländern machen sollte
Deutschland engagiert sich seit einigen Jahren zunehmend in bilateraler Migrationsdiplomatie. Die deutschen Abkommen sollen dazu beitragen, Migration zu steuern, indem sie Rückkehrkooperationen voraussetzen und gleichzeitig reguläre Migrationswege eröffnen. In den letzten Jahren hat die Bundesregierung mit Indien, Georgien, Kenia, Usbekistan, Marokko und Kolumbien Migrationspartnerschaften geschlossen bzw. Migrationspartnerschaften vereinbart. Doch obwohl der Klimawandel in vielen dieser Länder bereits spürbare Folgen hat und Migrationsentscheidungen beeinflusst, bleiben klimamigrationspolitische Aspekte in den Abkommen bisher unberücksichtigt.
Deutschland sollte daher künftig Klimamigration in solchen richtungsweisenden Vereinbarungen nicht länger ausklammern, sondern in die Verhandlungen aufnehmen. Konkret könnte die Bundesregierung ihren Partnerländern folgende drei Angebote machen:
1. Partnerländer durch Austauschformate bei der Klimaanpassung unterstützen
Deutschland sollte im Rahmen von Migrationsabkommen auch Austauschformate zwischen hiesigen Klimaexpert:innen und solchen aus Partnerländern fördern und bürokratische Hürden abbauen. So könnte es Visaverfahren priorisieren und mehr Aufenthaltstitel für Klima-Forscher:innen und Praktiker:innen erteilen, die sich über technische Trends wie effiziente Bewässerungssysteme, klimaresiliente Landwirtschaft und modernen Hochwasserschutz austauschen. Diese praktisch orientierten Verbesserungen in der Visavergabe könnten wissenschaftsdiplomatische Projekte wie die der „Internationalen Klimainitiative“ (IKI) stärken. Seit 2008 fördert die Bundesregierung damit den Schutz des Klimas und der Biodiversität im Globalen Süden. Neben diesen kürzeren Aufenthalten sollten bei der in den Abkommen angelegten Förderung von Aus- und Weiterbildungsangeboten sowohl in Deutschland als auch in den Partnerländern klimarelevante Sektoren stärker in den Fokus rücken, etwa im Bereich der nachhaltigen Energietechnik. Solche Maßnahmen würden die Partnerländer klimaresilienter machen und gleichzeitig einen zusätzlichen Anreiz für eine Migrationskooperation mit Deutschland schaffen.
2. Aufnahmekontingente für Klimavertriebene anbieten
Die Abkommen sollten neben der Arbeitsmigration einen weiteren Zugangsweg schaffen: Schutzvisa für Staatsangehörige des Partnerlandes, die aufgrund plötzlich auftretender Klimafolgen wie Überschwemmungen, Dürren oder Wirbelstürme vorübergehend Schutz in einem anderen Land benötigen – ähnlich der vom Sachverständigenrat für Integration und Migration vorgeschlagenen Klima-Card für temporäre Migration. Dafür wären klare Kriterien zur Einstufung und Bewertung solcher Notsituationen erforderlich, etwa zur Art und Intensität. Die Visa könnten – ähnlich wie der Schutzstatus für Ukrainer:innen, allerdings im wesentlich begrenzteren Umfang von etwa fünfstelligen Kontingenten – zunächst auf zwei Jahre befristet und anschließend neu bewertet werden. Je nach Lage könnte der Schutzstatus verlängert, ein anderer Aufenthaltstitel relevant werden oder eine Rückkehr erfolgen. Ein durch das Migrationsabkommen gefestigtes Vertrauensverhältnis würde solche Regelungen erleichtern, da die Partnerländer ihre Kooperationsbereitschaft – auch bei der Rücknahme eigener Staatsbürger:innen – bereits unter Beweis gestellt hätten.
3. Anreize für die Aufnahme von Klimavertriebenen in der Region schaffen
Gleichzeitig sollte Deutschland Anreize zur Aufnahme von Klimavertriebenen für die Partnerländer schaffen, in deren direkter Nachbarschaft Menschen aufgrund von Klimafolgen fliehen müssen. Migration im Kontext des Klimawandels findet überwiegend innerhalb von Ländern statt. Falls jedoch der Heimatstaat nicht selbst über ausreichende Ressourcen verfügt, nach einer Katastrophe Binnenvertriebenen zu unterstützen, sollten Schutzsuchende verlässlich Zuflucht in nahegelegenen Staaten finden können, anstatt in weit entfernte Länder fliehen zu müssen. Deutschland sollte die Partnerländer dabei unterstützen, rechtliche, technische und infrastrukturelle Hürden regionaler Mobilität abzubauen, insbesondere bei der Umsetzung von Freizügigkeitsabkommen wie in der ECOWAS oder IGAD-Region. Daneben könnte Deutschland den Partnerländern finanzielle Unterstützung anbieten, etwa durch eine länderspezifische Pro-Kopf-Pauschale für jede aufgenommene Person. Hier sollten bei der Bewertung der Notsituation dieselben Kriterien wie bei der Aufnahme nach Deutschland angewendet werden. Dieser wechselseitige Ansatz – Deutschland nimmt Vertriebene aus dem Partnerland auf und stärkt gleichzeitig regionale Aufnahmekapazitäten – schont deutsche Aufnahmeressourcen und stärkt Deutschlands Rolle als verlässlicher Partner. Der Koalitionsvertrag sollte daher Migrationsabkommen zum Ziel haben, die nicht nur Rückkehr und legale Zugangswege beinhalten, sondern auch klimafest sind.