Ziel: Mehr Migrationsdiplomatie wagen
Deutschland braucht eine starke Migrationsdiplomatie – darin sind sich die meisten Parteien einig. Ihre Wahlprogramme zeigen klare Bekenntnisse zu internationalen Partnerschaften, um Migration zu steuern. Doch es herrscht Uneinigkeit, welche Partner die richtigen sind, welche Schwerpunkte Deutschland in der Zusammenarbeit setzen sollte, und wer dafür zuständig sein soll, die Partnerschaften aufzubauen, zu verhandeln, sie umzusetzen und langfristig zu pflegen.
Das Ziel für die nächste Regierungskoalition sollte daher sein, aus diesen unterschiedlichen Vorstellungen eine realistische Migrationszusammenarbeit zu formen: Neben der Arbeit mit EU-Partnern sollte die Regierung die bilateralen Migrationsabkommen mit Partnerländern außerhalb Europas ausbauen, die Deutschland seit einigen Jahren politisch priorisiert.
Zur Erinnerung: Die Ampel-Regierung ernannte im Februar 2023 den FDP-Politiker Joachim Stamp als Deutschlands ersten Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen. Sie institutionalisierte damit zum ersten Mal die deutsche Migrationsdiplomatie. Das Amt ging mit hohen Erwartungen einher, da die Regierung es als ein Kernelement von Migrationssteuerung präsentierte. Das Motto: Partnerländer fördern die Rückkehr ihrer Staatsbürger, Deutschland fördert im Gegenzug legale Migrationswege und geht auch auf andere außen- oder entwicklungspolitische Interessen der Partnerländer ein. Als Blaupause sollte ein Abkommen mit Indien vom Dezember 2022 dienen.
Ausgangslage: Gemischte Bilanz – einige Erfolge trotz hartnäckiger Kritik
Heute, zwei Jahre später, ist die Bilanz des Sonderbevollmächtigten gemischt: Dem ersten Abkommen mit Georgien im Dezember 2023 folgten weitere mit Kenia und Usbekistan im September 2024 sowie gemeinsame Arbeitsstrukturen mit Marokko im Januar und Kolumbien im September 2024. Aktuell laufen zudem Verhandlungen mit Moldau, Kirgisistan und den Philippinen. Zahlenmäßig kann dies beeindrucken.
Die Kritik am Amt und den Ergebnissen der Arbeit war und ist jedoch oft harsch. Einige monieren, die Länder, mit denen die Abkommen geschlossen würden, seien migrationspolitisch wenig wichtig. So fällt Migration aus Usbekistan und Kenia numerisch kaum ins Gewicht verglichen mit der Türkei oder dem Irak. Andere befinden, der Ansatz von gemeinsamer Arbeit mit Partnerländern zu Migration sei mitnichten neu; es klebe nur ein schickerer Titel auf der Arbeit, die die Vorgänger-Regierungen genauso gemacht hätten – nur mit weniger Tamtam.
Drei Jahre nach Ankündigung und zwei Jahre nach Amtsantritt des Sonderbevollmächtigten muss die Regierung in der Lage sein, der Öffentlichkeit zu sagen, wie sie die Effekte ihrer Migrationsdiplomatie evaluiert
Die Ergebnisse einer aktuellen Kleinen Anfrage zeigen weitere Schwachstellen. Die Umsetzung zweier der drei geschlossenen Abkommen läuft nur schleppend an: Drei Monate nach Abschluss sind die gemeinsamen Steuerungsgruppen mit Kenia und Usbekistan immer noch nicht gebildet. Noch größere Sorge verursacht die Aussage, dass die Wirkungsmessung der Abkommen „zu einem geeigneten Zeitpunkt geprüft“ werde. Das ist mangelhaft. Drei Jahre nach Ankündigung und zwei Jahre nach Amtsantritt des Sonderbevollmächtigten muss die Regierung in der Lage sein, der Öffentlichkeit zu sagen, wie sie die Effekte ihrer Migrationsdiplomatie evaluiert – nicht, dass sie dies in Zukunft vielleicht einmal tun wird.
Nächste Schritte: Fünf Empfehlungen für eine bessere Migrationsdiplomatie
Die neue Bundesregierung sollte die Stärken in der Bilanz des Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen anerkennen, aber auch dringend die Schwachstellen angehen. Sie sollte fünf Maßnahmen ergreifen, um die systemischen Schwächen des Amtes zu korrigieren.
1. Sonderbevollmächtigten im Kanzleramt ansiedeln
Die derzeitige Verankerung im Bundesinnenministerium mag vereinzelte Vorteile bringen, begünstigt aber den Eindruck eines einseitigen Fokus auf Innenpolitisches. Eine Verlagerung des Amts ins Kanzleramt würde diesen Vorwurf entkräften und dem Amt nach außen, sprich gegenüber den Partnerländern, sowie nach innen, gegenüber den Ressorts, mehr Befugnisse und mehr Gewicht verleihen.
2. Budget anpassen
Funktionierende Strukturen benötigen neben politischem Willen auch eine angemessene Finanzierung. Ein flexibleres und umfassenderes Budget als bisher würde es erlauben, finanziell unabhängiger von einzelnen Ressorts zu sein und den Handlungsspielraum des Amts zu erweitern. Dies betrifft Ausgaben für Delegationsreisen und Verhandlungsführung genauso wie Konsultationsprozesse mit zivilgesellschaftlichen Akteuren oder Ausgaben bei der Implementierung von Abkommen.
3. Umsetzung priorisieren und Effekte messen
Zwei Schwerpunkte sollten die Arbeit in der kommenden Legislatur leiten: Statt dem bisherigen Fokus auf den Abschluss von Abkommen sollten zukünftig die Umsetzung der bestehenden Partnerschaften und die Pflege der gemeinsamen Arbeitsstrukturen im Vordergrund stehen. Zudem sollte der oder die Sonderbevollmächtigte die Effekte der Abkommen systematischer erfassen, analysieren und kommunizieren als bisher. Die Hinweise aus der Kleinen Anfrage, wie sich Asylantrags- und Rückkehrzahlen seit Intensivierung der Zusammenarbeit entwickelt haben, sind ein guter Anfang; im Bereich der Arbeitsmigration sind jedoch kaum Unterschiede zu den Vorjahren zu erkennen. Die Erfolge sind zum jetzigen Zeitpunkt also fraglich.
4. Deutsche Abkommen mit EU-Initiativen verzahnen
Erklärtes Ziel der EU-Migrationsvereinbarungen mit Tunesien, Mauretanien, Ägypten und dem Libanon ist es, irreguläre Migration durch finanzielle Unterstützung zu verhindern. Die Logik unterscheidet sich somit von derjenigen der deutschen Abkommen, die auf legale Wege und Rückkehr abzielen. Der Status quo, in dem die deutschen und EU-Abkommen weitgehend unverzahnt nebeneinanderher laufen, verhindert jedoch eine effiziente Ressourcennutzung. Sie schwächt zudem die Verhandlungsposition Deutschlands und der EU gegenüber Partnerländern. Die deutsche Regierung sollte daher mehr Einfluss auf die Aushandlung von EU-Vereinbarungen nehmen, um sicherzustellen, dass sich deutsche Interessen umfassender darin widerspiegeln.
5. Sachverstand, internationale Erfahrung und Konstanz
Die Jobbeschreibung des oder der Sonderbevollmächtigen gleicht der von Diplomaten: vertrauensvolle Kontakte mit Ländern pflegen und Interessen taktvoll vertreten. Die amtsinhabende Person benötigt daher neben Sachverstand vor allem kulturelles Fingerspitzengefühl und internationale Er fahrung, um Verhandlungen auch mit schwierigen Partnern zu führen. Sollte es zu einer Neubesetzung der Position kommen, wären überparteiliches Ansehen, gute Vernetzung in die deutsche Migrationslandschaft und langfristige Verfügbarkeit zudem wichtige Faktoren, um bei erneuten Regierungswechseln unnötige Umbruchsphasen zu minimieren. Denn gute Migrationsdiplomatie braucht Konstanz.