Die Amerikaner haben nicht nur den hoch umstrittenen Republikaner Donald Trump ins Amt gewählt, sie haben seiner Partei überdies für mindestens die kommenden zwei Jahre eine Mehrheit im Senat und Abgeordnetenhaus gegeben. Hinter der rot eingefärbten Wahlkarte liegt indes ein tief gespaltenes Land, das einen Kandidaten gewählt hat, der sich in einem stark polarisierten und explosiven Wahlkampf für einen Bruch mit dem System ausgesprochen hat.
Nicht jede Ankündigung des Wahlkämpfers Trump wird der Präsident Trump in tatsächliche Politik umsetzen. Doch seine Kritiker in den USA und die wichtigsten Partner der Vereinigten Staaten blicken mit großer Verunsicherung auf den Republikaner – und die Millionen Wähler, die ihm ins Amt verholfen haben.
Bereits am Wahlabend wurde klar, dass die Anzahl der frustrierten Establishment-Kritiker und die Gruppe derer, die sich zutiefst entfremdet und entkoppelt fühlen, deutlich unterschätzt wurden. Trump hat Menschen wieder in das politische Geschehen gezogen, die sich davon verabschiedet hatten. Mit seiner Ankündigung, „Amerika wieder groß zu machen“, bedient er ein Minderwertigkeitsgefühl vieler weißer Amerikaner, die Angst haben, sozial abzusteigen und sich von beiden Parteien im Stich gelassen fühlen. Durch seine direkten Befragungen der Wähler gab Trump ihnen das Gefühl, dass er, anders als die etablierten Politiker, ihre Bedürfnisse tatsächlich ernst nimmt. Wenn Clinton in den Fernsehdebatten Trump belächelte, spielte sie ihm unbewusst in die Karten: Sie verstärkte die von Trump gewünschte Solidarisierung seiner Anhänger gegen die Eliten und die etablierte Politik, und damit vor allem gegen sich selbst. Am Ende erhielt Trump selbst die Stimmen mancher Anhänger des im Vorwahlkampf unterlegenen linken Demokraten Bernie Sanders.
Bleibende Spuren des Wahlkampfs
Trotz der republikanischen Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus stehen den USA innenpolitisch alles andere als ruhige Zeiten ins Haus. Die politischen Fronten dürften sich noch weiter verhärten, wenn die extremeren unter Trumps Unterstützern ihre Punkte einfordern, oder sich die Demokraten mit einem progressiven Programm neu aufstellen. Die politische Radikalisierung und die soziale Spaltung, die auch durch den zutiefst diskriminierenden Wahlkampf Trumps weiter geschürt wurde, wird die Demokratie in der westlichen Führungsmacht weiter unter Druck setzen – und die Stabilität auch in Europa und der Welt beeinträchtigen.
Es ist in den USA üblich, dass nach acht Jahren ein mit harten Bandagen erkämpfter Regierungswechsel stattfindet. Auch ist Trump nicht der erste Kandidat, der mit populistischen Positionen Erfolg hat. Was sich aber nachhaltig verändert haben dürfte, ist die politische Kultur im Land. Die rhetorische Polarisierung des Wahlkampfes hat Tabus gebrochen, Aggressionen geschürt und Raum für Fremdenhass und illiberale Forderungen geschaffen. Die großzügig einigende Dankesrede Trumps in der Wahlnacht kann hierüber nicht hinwegtäuschen. Andere westliche Populisten könnten sich durchaus daran orientieren, wie sich so die Grenzen des öffentlichen Diskurses verschieben lassen.
Wahrscheinlich kein Amerexit
Obwohl die meisten Probleme Amerikas hausgemacht sind, hat Trump im Wahlkampf anderen die Schuld gegeben, meist Einwanderern oder Wettbewerbern. Er hat Nationalismus geschürt, indem er Amerika gegen andere definiert hat. Dieser Nationalismus befremdet insbesondere Amerikas Freunde in der westlichen Welt.
Viele Positionen des Wahlkämpfers Trump – etwa sein Infragestellen von NATO und Handelsabkommen, oder die freundliche Haltung gegenüber Wladimir Putin – haben Befürchtungen wachsen lassen, dass sich Amerika aus „dem Westen“ zurückzieht.
Doch Trumps Präsidentschaft dürfte sich zumindest in Teilen an die politische Wirklichkeit anpassen. So würden auf internationaler Ebene die USA mit der Schutzzusage in der NATO auch ihren Einfluss in Europa aufgeben. Und auf nationaler Ebene könnten jene Parteifreunde Trumps kruden Protektionismus einhegen, die auf ausländische Investitionen in ihren Wahlkreisen und Arbeitsplätze in multinationalen Unternehmen zählen. Nicht zuletzt werden republikanische Hardliner Trumps Haltung gegenüber Putin herausfordern. Ein spontaner Rückzug der USA dürfte dem neuen Präsidenten demnach schwerfallen. Dennoch müssen sich die Europäer auf ein schwieriges Verhältnis mit einer US-Regierung einstellen, die sich „America First“ auf die Fahnen geschrieben hat.
Je mehr die USA mit sich selbst beschäftigt sind, desto weniger werden sie ihre globale Ordnungsfunktion wahrnehmen. Im schlimmsten Fall könnte Trump sogar versuchen, von innerem Unfrieden mit einer offensiveren Außenpolitik abzulenken.
Den Weckruf nicht ignorieren
Die Bedeutung der transatlantischen Zusammenarbeit per se ist durch das Ergebnis der Präsidentschaftswahl nicht gemindert. Doch steht Europa nach der gestrigen Wahl ein anderes Amerika gegenüber.
Europa muss sich bereit dafür machen, außen- und sicherheitspolitisch mehr Verantwortung zu übernehmen. Dies erfordert angesichts der Brexit-Entscheidung der Briten, eine entschiedene Führung von Deutschland und Frankreich und enge Zusammenarbeit mit Polen und anderen EU-Staaten.
Deutschland und Europa müssen überdies nun selbst stärker für die liberale Demokratie und offene Gesellschaften einstehen. Innerhalb der EU muss eine positive politische Agenda entwickelt werden, die Wähler zurückgewinnen kann, die sich auch auf unserem Kontinent von illiberalen, xenophoben und nationalistischen Parteien angesprochen fühlen.
Europa muss zudem dem neuen US-Präsidenten klarmachen, dass es einen Kern freiheitlicher Werte gibt, in deren Mittelpunkt der Mensch an sich und nicht nur der Amerikaner steht, und ohne den die transatlantische Zusammenarbeit nicht zu haben ist. Die Verteidigung der liberalen Demokratie nach innen und nach außen ist unsere oberste Aufgabe geworden.