Memo

30. Apr. 2024

Die EU muss sich für konfliktfreie transatlantische Handelsbeziehungen engagieren

Transatlantische Handelsbeziehungen
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Deutschland und die EU sind aufgrund ihrer engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit den USA an konfliktfreien transatlantischen Handelsbeziehungen interessiert. Ob ein Sieg Joe Bidens oder Donald Trumps: Unter beiden möglichen Präsidentschaften zeichnen sich protektionistische Tendenzen und ein härteres Vorgehen gegen China ab; der Druck auf die EU wird zunehmen. Während die EU im Fall einer zweiten Amtszeit Bidens auf einen nachhaltigen transatlantischen Wirtschaftsraum setzen muss, sollte sie beim Szenario Trump den transaktionalen Charakter in der Handelspolitik nutzen.

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Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten haben die am stärksten integrierten bilateralen Handels- und Investitionsbeziehungen der Welt. Auch für Deutschland haben die Wirtschaftsbeziehungen mit den USA einen hohen Stellenwert: Seit 2015 sind die USA – gemäß Statistischem Bundesamt – der wichtigste Markt für deutsche Exporte. Darüber hinaus bleiben die USA auch bei den Direktinvestitionen die wichtigste Zielregion für deutsche Unternehmen. Es ist aus dem Grund ein zentrales Anliegen von Deutschland (und der EU), die Kooperation mit den USA weiter auszubauen, einen transatlantischen Marktplatz zu entwickeln und Handelskonflikte zu verhindern. Ohne ein Abkommen wie dem TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) bleibt zum jetzigen Zeitpunkt der Transatlantische Handels- und Technologierat (TTC) das wichtigste Forum für die transatlantische Kooperation; ein Fortbestehen des Gremiums ist im deutschen und europäischen Interesse.

Seit der Präsidentschaft von Donald Trump im Jahr 2016 hat sich die Handelspolitik der USA grundsätzlich gewandelt. Auch wenn sein Nachfolger Joe Biden immer wieder die Bedeutung von Partnern wie Deutschland und der EU betont, hat sich unter seiner ersten Amtszeit die amerikabezogene Handelspolitik der Vorgängerregierung fortgesetzt – nur mit freundlicherem Ton.

  • Grundsätzlich hat die Amtszeit beider Präsidenten wesentliche Unterschiede zwischen der US- und der EU-Handelspolitik offengelegt. Dies betrifft mehrere Punkte: 
  • In der Handelspolitik ist und bleibt China für die USA das Thema Nummer eins. Die Volksrepublik wird als zentrale Bedrohung für die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Vormachtstellung der USA betrachtet.
  • Im Rahmen dieser geopolitischen Rivalität werden die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) von den USA nicht mehr als Grundlage für die amerikanische Handelspolitik akzeptiert. Auch das Berufungsgericht bleibt weiterhin blockiert. Der Schwerpunkt liegt auf nationalen Handelsgesetzen.

Auf bilateraler Ebene besteht kein Interesse an umfassenden Handelsabkommen. Unter Trump gab es Deals zugunsten der USA, unter Biden informelle Dialogformate (TTC, IPEF). 

Unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahl im November, werden diese Unterschiede in den transatlantischen Handelsbeziehungen weiter Bestand haben. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass sich die Rivalität und Abkoppelung der USA in Bezug auf China (De-risking) weiter verschärfen wird. In den USA gibt es bereits parteiübergreifende Überlegungen, China die Meistbegünstigung zu entziehen. Die Europäer werden daher in Zukunft mit stärkeren protektionistischeren Maßnahmen konfrontiert werden, die Auswirkungen auf den globalen sowie den transatlantischen Handel haben. Auch der Druck, die Handelsschutzmaßnahmen der USA gegenüber China mitzutragen, wird wachsen.

Dennoch gibt es offensichtliche Unterschiede zwischen beiden Kandidaten, die im Folgenden erörtert werden.

Szenarien

Trump 2.0: Die Rückkehr des Zollpräsidenten

Trump gab sich in seiner ersten Amtszeit gerne als Zollpräsident. Diesem Image wird er auch im Vorwahlkampf gerecht. So kündigte er bereits an, bei seiner Wiederwahl zehn Prozent Zölle auf alle Importe zu verhängen, unabhängig davon, ob dies autokratische Staaten oder G7-Verbündete wie Deutschland oder die EU betrifft.

Die Rivalität mit China steht bei ihm erneut oben auf der Agenda. Trump hat angedeutet, Zölle in Höhe von 60 Prozent einzuführen. Dies käme einem Strafzoll gleich und würde zu einer starken Entkoppelung beider Wirtschaften führen. Dazu betonte er im Wahlkampf, dass er auf Autos, die in Mexiko von chinesischen Firmen hergestellt worden seien, einen Zoll von 100 Prozent erheben würde. Gleichzeitig überlegt Trump, ein Importverbot für essenzielle Güter aus China einzuführen.

Robert Lighthizer, bereits Handelsbeauftragter im ersten Kabinett Trumps, würde voraussichtlich auch bei dessen Wiederwahl die Handelspolitik stark beeinflussen. In seinem Buch „No Trade is Free“, das im Juni 2023 erschien, beschreibt er den Ablauf von Handelsverhandlungen und weshalb Druckmittel („leverage“) der Schlüssel zum Erfolg seien. Denn es gebe, so meint er, „keinen Handel ohne Kosten“. Daraus lässt sich schließen, dass die Zeichen wieder auf Deals stehen, die auf Basis der wirtschaftlichen Stärke der USA durchgesetzt werden – mit Auswirkungen auf die EU und Deutschland. 

Grundsätzlich gilt es jedoch zu beachten, dass der Kongress ein Mitspracherecht in der Handelspolitik hat, auch wenn er über Jahrzehnte viele Kompetenzen an den Präsidenten abgegeben hat. Es finden sich viele wirtschafts- und handelsfreundliche Republikaner in den eigenen Reihen. Der angekündigte Trump-Zoll von 10 bis 60 Prozent wäre eine Katastrophe für die US-Wirtschaft und Industrieproduktion, die stark auf günstige Vorprodukte angewiesen ist. Darüber hinaus würde er zu einer hohen Inflation führen und gegen zahlreiche Handelsabkommen verstoßen, einschließlich des Abkommens zwischen den USA, Mexiko und Kanada (USMCA), das Trump selbst unterzeichnet hat.

Bereits in seiner ersten Amtszeit gab es mehrere Bestrebungen, Teile der Handelskompetenz zurück an den Kongress zu übertragen. Zuletzt brachten der demokratische Kongressabgeordnete Ron Beyer (D-VA) und der Republikaner Mike Gallagher (R-WI) im August 2023 erneut den überparteilichen „Congressional Trade Authority Act“ ein, um die rechtliche Autorität des Kongresses in der Handelspolitik wiederherzustellen. So soll der Präsident verpflichtet werden, dem Kongress jeden Vorschlag zur Anpassung von Importen im Interesse der nationalen Sicherheit gemäß Abschnitt 232 des Trade Expansion Act von 1962 vorzulegen. 

Biden 2.0: Dialogformate und Fokus auf China

Die bisherige arbeitnehmerorientierte („worker-centric“) Handelspolitik wird auch im Fall einer zweiten Amtszeit Bidens fortgeführt werden. Die Aussicht auf umfassende Handelsabkommen bleiben gering, auch wenn in der Vergangenheit Präsidenten wie Bill Clinton oder Barack Obama die Handelspolitik in ihrer zweiten Amtszeit – ohne einen drohenden Wahlkampf - deutlich aktiver genutzt haben. Insgesamt ist die Stimmung in den USA jedoch überwiegend negativ in Bezug auf Handelsabkommen, so dass voraussichtlich an den bestehenden Dialogformaten festgehalten werden wird. Dies betrifft aus Sicht Deutschlands und Europas insbesondere die Gespräche im Rahmen des TTC. 

Diese laufen im Technologiebereich sehr erfolgreich. Der Handelsteil zieht die Bilanz jedoch nach unten und wird mit zahlreichen anstehenden Konflikten weiterhin konfliktträchtig bleiben. Dies betrifft die Airbus-Boeing-Vereinbarung zur Aussetzung von Zöllen, die auf fünf Jahre und damit 2026 ausgelegt war. Ebenso betrifft diese Problematik die Stahl- und Aluminiumzölle, die spätestens in zwei Jahren auslaufen. Zudem bleibt das mögliche Abkommen über eine „Globale Vereinbarung für nachhaltige Stahl- und Aluminium (GASSA) weiterhin in weiter Ferne.

Auch unter einer zweiten Amtszeit Bidens wird sich die aggressive Haltung gegenüber China intensivieren, denn das Anliegen ist überparteilich. Infolge dessen werden verstärkte Handelsschutzmaßnahmen eingeführt, die Exportkontrollen sowie das Inbound- und Outbound-Investment Screening verschärft werden. Auch unter Biden wird der Druck auf Deutschland und die Europäer zunehmen, den USA in diese Richtung zu folgen. 

Empfehlungen

Handelspolitische Strategien für Deutschland und die EU

Fest steht: Unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA müssen sich Deutschland und die Europäer stärker auf ihre eigenen Stärken und ihre Wettbewerbsfähigkeit konzentrieren. Dazu gehört zum einen die Vollendung des Binnenmarktes, insbesondere bei Dienstleistungen, Energie und im digitalen Bereich. Zum anderen bedeutet dies eine „intelligente“ Industriepolitik im Bereich des grünen und digitalen Wandels, die in engem Zusammenhang mit einer offenen Handelspolitik steht. Ohne internationalen Handel und Investitionen wird die grüne und digitale Transformation scheitern und die europäische Wettbewerbsfähigkeit abnehmen. Daher muss sich die EU auf die Aushandlung und Umsetzung ehrgeiziger Freihandelsabkommen mit gleichgesinnten Partnern wie Australien, Mercosur, Chile, Mexiko und den ASEAN-Staaten konzentrieren. 

Ein zweiter wichtiger Punkt, den die EU und Deutschland dringend befolgen sollten, – unabhängig vom Ausgang der Wahlen – ist die Stärkung der multilateralen Regeln im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). Die 13. Ministerkonferenz (MC13) in Abu Dhabi war eine große Enttäuschung und mit der Abkehr wichtiger Player wie der USA von der WTO, ist die Achtung der WTO-Regeln durch die EU sowie die weitere Reformbereitschaft von entscheidender Bedeutung. Nur so kann die Hinwendung zu einem machtbasierten Welthandel vermieden werden.

Daneben gibt es differenzierte Strategien, je nachdem, wer im Januar 2025 ins Weiße Haus einzieht. Ein stärkerer Fokus auf China und eine notwendige engere Abstimmung mit den USA gilt jedoch für beide Präsidenten.

Die EU und Trump 2.0: Transaktionale Handelspolitik unterstützen

In einer zweiten Amtszeit von Donald Trump würden die transatlantischen Handelsbeziehungen von einer protektionistischen Handelsagenda geprägt sein. Die Androhung und gegebenenfalls Anwendung von Zöllen gegen Deutschland und die EU sind eine sehr wahrscheinliche Option. Allerdings hat sich bei Trump gezeigt, dass er an kurzfristigen „Deals“ interessiert ist, die ihn als Gewinner dastehen lassen. Diese Art der „transaktionalen“ Handelspolitik müssen Deutschland und die EU nutzen, um protektionistischen Tendenzen entgegenzuwirken. Konkret müssen diese Deals so ausgestaltet sein, dass sie für beide Seiten zielführend sind, jedoch auch Arbeitsplätze und die Industrieproduktion in den USA fördern, ein zentrales Thema für Trump. Möglicherweise kann hier das Angebot erneuert werden, alle Zölle auf Industrieprodukte im transatlantischen Raum abzuschaffen. Auch gegenseitige Anerkennungsabkommen in zentralen Sektoren sind eine Option.

In dem Zusammenhang ist es besonders wichtig, Stakeholder einzubinden. Dies betrifft die Republikaner im Kongress, amerikanische und deutsche Unternehmen und die Zivilgesellschaft. Je mehr der Kongress, Arbeitgeber und Unternehmen sowie potenzielle Wählerinnen und Wähler, sprich die Zivilgesellschaft, langfristig die transatlantische Kooperation aufgrund von Arbeitsplätzen und Wettbewerbsfähigkeit unterstützen, desto schwieriger ist es für Trump, die Zusammenarbeit einfach zu beenden.

Daneben dürfte China in Trumps zweiter Amtszeit ein dominierendes Thema bleiben, durch dessen Brille auch Alliierte wie die EU bewertet werden. Während seiner letzten Amtszeit verfolgte er einen aggressiven Unilateralismus. Hier müssen sich die EU und Deutschland als Partner anbieten. So kann beispielsweise eine stärkere Abstimmung bei Investment-Screening und Exportkontrollen in Bezug auf China angeboten werden.

Die EU und Biden 2.0: Dialogformate stärken, bei China kooperieren

Das wichtigste transatlantische Forum unter einer zweiten Amtszeit von Präsident Biden bliebe der TTC. Hier ist es wichtig, zentrale Fortschritte zu erzielen, um dem Gremium mehr Leben einzuhauchen. Dies betrifft die Weiterführung der erfolgreichen Kooperation im Technologiebereich sowie die Zukunftssicherung des schwierigen Handelsbereichs. Dazu zählt neben der endgültigen Lösung für den Airbus-Boeing-Konflikt – wobei das eigentliche Problem China und nicht der Transatlantik ist – auch eine nachhaltige Lösung für die Stahl- und Aluminiumzölle. Bei jeder Einigung muss jedoch seitens der EU darauf geachtet werden, dass sie mit den multilateralen Regeln kompatibel ist. 

Des Weiteren muss schrittweise an einem transatlantischen Wirtschaftsraum gearbeitet werden. Auch wenn die Biden-Regierung (bislang) die Verhandlungen über den Marktzugang (Zölle etc.) ablehnt, könnte durch die Umsetzung der Transatlantischen Initiative für Nachhaltigen Handel (TIST) ein „grüner Korridor“ für Handel, Investitionen und Rohstoffe entstehen, der durch einen Fokus auf die Kreislaufwirtschaft nachhaltig gestaltet wird und Arbeitsplätze schafft.

Doch auch bei einem Präsident Biden wird sich die EU stärker im Bereich China bewegen müssen. Wie bei Trump betrifft dies die Bereiche Investment Screening und Exportkontrollen bei kritischen Technologien, bei denen sich die USA eine deutlich stärkere Unterstützung erhoffen. Die EU hat mit ihrer Strategie zur Wirtschaftssicherheit vom Januar 2024 ein wichtiges Zeichen gesetzt, auch für einen stärkeren europäischen Ansatz gegenüber China. Dies sind alles wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Auch wenn ein erneuter Sieg von Präsident Biden im Sinne der transatlantischen Beziehungen die bessere Wahl wäre, müssen sich die Europäer auch unter seiner Amtszeit auf Konflikte in der Handelskooperation einstellen. China wird das dominierende Thema sein und wenn die Europäer nicht stärker kooperieren, werden die transatlantischen Handelsbeziehungen konfliktreicher werden. Die Besinnung auf die eigenen Stärken wird damit zur wichtigsten Aufgabe für die EU.

Bibliografische Angaben

Schmucker, Claudia. “Die EU muss sich für konfliktfreie transatlantische Handelsbeziehungen engagieren.” DGAP Memo 6 (2024). German Council on Foreign Relations. April 2024.

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