Vom 30. bis 31. Mai findet das vierte Treffen des Transatlantischen Handels- und Technologierats (Trade and Technology Council, TTC) in Luleå, Schweden statt. Wie US-Sicherheitsberater Jake Sullivan in seiner Rede vom April 2023 betonte, wollen sich die USA nicht mehr auf traditionelle Handelsabkommen konzentrieren, sondern auf „innovative neue internationale Wirtschaftspartnerschaften“. Auch von europäischer Seite wird immer wieder betont, dass der TTC ein wichtiges Forum zur Vertiefung der transatlantischen Zusammenarbeit ist, um Handel zu erleichtern und globale Standards in den Bereichen Technologie und Sicherheit zu setzen.
Doch die Gefahr besteht, dass solche Foren zu reinen Dialogformaten verkommen und die politische Aufmerksamkeit schnell abnimmt. Dieses Schicksal ereilte beispielsweise den Transatlantic Economic Council (TEC), der 2007 gegründet wurde und sich schnell in technokratischen Streitigkeiten verlor. Daher muss der TTC auch auf seinem vierten Treffen konkrete Ergebnisse liefern. Dies gilt umso mehr, da den transatlantischen Partnern die Zeit davonrennt: in den USA stehen im November 2024 die nächsten Präsidentschaftswahlen an. Abhängig vom Ausgang dieser Wahlen könnte das Konfliktpotenzial im transatlantischen Verhältnis deutlich steigen. Das Jahr 2023 muss daher dringend genutzt werden, um transatlantische Strukturen und Abkommen zu schaffen, die zukunftssicher sind.
2023 muss dringend genutzt werden, um transatlantische Strukturen und Abkommen zu schaffen, die zukunftssicher sind
Die drei großen Themen des TTC: Russland, China und IRA
Das Engagement der USA für den TTC basiert vor allem auf der Bedeutung gemeinsamer defensiver wirtschaftlicher Maßnahmen gegenüber autokratischen Staaten wie Russland und China – ein Anliegen, das auch in der EU zunehmend zum Ausdruck kommt. So stand nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine bei den TTC-Treffen im Jahr 2022 vor allem eine geeinte Haltung der transatlantischen Partner gegenüber Russland auf der Agenda. Durch die enge Koordinierung zwischen den USA und der EU in puncto Sanktionen konnte die Bedeutung der transatlantischen Partnerschaft gestärkt werden. Diese Herausforderung wird auch auf dem Gipfel in Luleå bestehen bleiben.
Von Seiten der USA ist das zweite große Thema des TTC der Umgang mit China, einer Nichtmarktwirtschaft, die sich zunehmend repressiv verhält und sich nicht scheut, Handel und Technologie als geopolitische Machtinstrumente zu missbrauchen. Die EU teilt viele Bedenken in Bezug auf China. Allerdings ist die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Bedrohungswahrnehmung in den USA deutlich größer als in der EU. Letztere strebt daher – stärker als die USA – vor allem ein „De-Risking“ an. Trotzdem nähert sich die EU zunehmend der amerikanischen Haltung an und will im Herbst eine neue Strategie zur wirtschaftlichen Sicherheit („Economic Security Strategy“) veröffentlichen. Diese beinhaltet auch Themen wie Exportkontrollen und Investitionsscreening, die für die USA – auch im Rahmen des TTC – von besonderem Interesse sind. Der TTC ist jedoch aus Sicht der EU nicht grundsätzlich gegen China gerichtet, sondern soll die transatlantische Partnerschaft vertiefen.
Das dritte große Thema liegt auf der Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen. Grundsätzlich ist der Transatlantische Handels- und Technologierat zukunftsorientiert ausgerichtet und will gemeinsame Standards aufbauen, beispielsweise bei 6G und Künstlicher Intelligenz (KI). Allerdings wurde gerade beim dritten Treffen im Dezember 2022 in Maryland deutlich, dass transatlantische Handelskonflikte, in diesem Fall der Inflation Reduction Act (IRA), die Agenda überschatten können, selbst wenn sie grundsätzlich nicht Teil des Forums sind. Daher ist es aus politischer Sicht wichtig, dass es Fortschritte beim Abkommen über kritische Mineralien (CMA) gibt, das US-Präsident Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im März 2023 angekündigt hatten. Durch das CMA könnten kritische Mineralien, die in der EU gewonnen oder verarbeitet werden, auf die Anforderungen für Elektrofahrzeuge im Rahmen der Steuergutschrift des IRA angerechnet werden. Hierdurch würden die transatlantischen Partner zumindest einen Teil der diskriminierenden Wirkung des IRA in den Griff bekommen. Während dieses Thema für die EU vorrangig ist, wollen die USA die Verhandlungen aus dem TTC heraushalten. Die Gespräche zum IRA finden außerhalb des TTC statt, und voraussichtlich wird es hier diesbezüglich keine Einigung vor dem Ministertreffen geben.
Zeit für Taten – nicht nur für Worte
Im Technologiebereich geht es um die Zusammenarbeit bei neuen Technologien, Konnektivität und digitale Infrastruktur sowie den Schutz von Menschenrechten und Werten im geoökonomischen Umfeld. Vor allem im Bereich der Kooperation bei neuen Technologien wollen die EU und USA konkrete Ergebnisse erzielen. Hier geht es um einen gemeinsamen Fahrplan für vertrauenswürdige KI und Risikomanagement. Darüber hinaus soll es eine Einigung bei der Standardisierung von E-Mobility und additiver Herstellung geben. Gleichzeitig wollen beide Seiten ihre Subventionen für die Chip-Produktion stärker koordinieren, um einen schädlichen Subventionswettlauf zu vermeiden.
Ziel ist es, geeint gegenüber Chinas geostrategischen Interessen vorzugehen
Im Hinblick auf Konnektivität und digitale Infrastruktur geht es unter anderem um die transatlantische Zusammenarbeit bei zukünftigen 6G-Telekommunikationsstandards. Ziel ist es, geeint gegenüber Chinas geostrategischen Interessen vorzugehen und bereits jetzt wichtige Schritte bei Sicherheit und Werten festzulegen, die auch Einfluss auf globale Regeln haben. Bei Menschenrechten und Werten im geopolitischen digitalen Umfeld steht vor allem ein gemeinsames Vorgehen in Bezug auf ausländische Einflussnahme und Desinformation im Vordergrund.
Im Handelsbereich geht es zum einen um die Förderung von Nachhaltigkeitszielen und zum anderen um wirtschaftliche Sicherheit. In puncto Nachhaltigkeit stehen die Ausweitung gegenseitiger Anerkennungsabkommen, eine Fortführung der Diskussionen aus dem „Trade and Labor Dialogue“ sowie – zumindest von Seiten der EU – die weiterführenden Diskussionen zum IRA im Mittelpunkt. Beim Thema wirtschaftliche Sicherheit und Wohlstand wird es wiederum um Exportkontrolle und Investitionsscreening gehen. Auf der Agenda steht auch die Frage, wie Exportkontrollen möglicherweise ausgeweitet werden können und ob ein „Outbound“-Investitionsscreening notwendig ist. Hier steht die EU jedoch noch am Anfang der Diskussionen. Ein weiterer Punkt wird der Umgang mit Nichtmarktwirtschaften (China) unter anderem bei medizinischen Geräten sein.
Darüber hinaus müssen Fortschritte beim Thema Stahl und Aluminium erzielt werden. Donald Trump hatte in seiner Amtszeit Zölle auf den Import von Stahl und Aluminium erhoben, auch aus der EU. Diese hatte auch sein Nachfolger Joe Biden zunächst fortgeführt. Erst am Rande des G20-Gipfels Ende Oktober 2021 einigten sich beide Seiten auf einen Kompromiss: Die EU stimmte einem Zollkontingent zu, das ihr eine bestimmte Menge an zollfreien Ausfuhren in die Vereinigten Staaten gewährt. Im Gegenzug setzte sie ihre Vergeltungsmaßnahmen gegen US-Zölle aus. Das Abkommen enthält zwei weitere wichtige Aspekte:
Erstens wollen die USA und die EU enger zusammenzuarbeiten, um gegen unfaire Handelspraktiken und Überkapazitäten in Drittländern vorzugehen.
Zweitens einigten sie sich darauf, innerhalb von zwei Jahren ein „Globales Abkommen über nachhaltigen Stahl- und Aluminium“ auszuhandeln, das gleiche Wettbewerbsbedingungen schafft und Treibhausgasemissionen reduziert. Obwohl das Abkommen nicht direkt auf China Bezug nimmt, ist es eindeutig durch die unfairen Handelspraktiken des Landes motiviert. Deadline für die Verhandlungen ist Oktober 2023. Obwohl dieses Abkommen auf den ersten Blick den Bemühungen der EU entgegenkommt, einen Ausgleichsmechanismus für CO2-Emissionen zu schaffen (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM), gibt es Medienberichten zufolge transatlantische Interessensdivergenzen. So schlagen die USA vor, Strafzölle auf importierte Stahl- oder Aluminiumprodukte aus Ländern zu erheben, die sich nicht dem Abkommen angeschlossen haben und ihre Industrien weniger stark regulieren. Je nach Kohlenstoffintensität des Herstellungsprozesses sollen die Zölle progressiv ansteigen.
Die EU steht einem solchen Ansatz kritisch gegenüber. CBAM basiert auf einem CO2-Preis, gekoppelt an das Emissionshandelssystem der EU. Importeure bestimmter Produkte müssen in Zukunft die direkten und indirekten Emissionen ermitteln, welche im Produktionsprozess entstanden sind. Zudem sollen sie verpflichtet werden, CBAM-Zertifikate zu erwerben, sollte der im Produktionsland gezahlte Kohlenstoffpreis unter dem Preis der Kohlenstoffzertifikate im EU-Emissionshandelssystem bestehen. So soll ein unfairer Wettbewerbsnachteil ausgeglichen werden. Inländische und ausländische Produzenten werden dadurch gleichbehandelt (Inländerbehandlung), weshalb die EU ihren Ansatz als konformer mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) bewertet als den Strafzollmechanismus.
Die EU und die USA müssen sich im TTC auf eine positive Handelsagenda verständigen
Eine positive Handelsagenda: die Bedeutung der TIST
Der TEC ist damals gescheitert, da Handelskonflikte (Stichwort chlorbehandeltes Hühnerfleisch) Fortschritte in anderen Handelsbereichen verhinderten. Umso wichtiger ist es heute, dass sich die EU und die USA im TTC auf eine positive Handelsagenda verständigen: Das Thema wirtschaftliche Sicherheit ist richtig gewählt. Es spielt ebenso in der G7 eine wichtige Rolle und kann somit im größeren Kreis erörtert werden. Jedoch muss der TTC auch im Handelsbereich mehr als eine defensive Agenda beinhalten, um die Zukunft des Forums zu sichern.
Handel ist ein wichtiges Instrument, nicht nur um transatlantisches Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze zu fördern, sondern auch um einen positiven Beitrag zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu leisten. Umso wichtiger ist die Transatlantic Initiative on Sustainable Trade (TIST), auf die sich die EU und die USA beim letzten Treffen des TTC verständigten. Dabei soll es konkret um grüne Standards, die Förderung der Kreislaufwirtschaft, inklusive Handelspraktiken und globale Partnerschaften gehen. Die EU hat zudem eine Net-Zero Agenda und einen „grünen Korridor“ für Handel, Investitionen und Rohstoffe vorgeschlagen. Anders als die klassischen Freihandelsabkommen wie TTIP, die im jetzigen politischen Umfeld keine Zukunft haben, können die Partner durch den Aufbau gemeinsamer Standards den Übergang zu einem stärker kreislauforientierten und nachhaltigen transatlantischen Wirtschaftsraum erleichtern. So könnte der TTC ein zukunftssicheres politisches Zeichen setzen und eine positive Dynamik in den transatlantischen Beziehungen fördern.