Die Europäische Union und die Bundesregierung bemühen sich um eine einheitliche China-Strategie. Die Bundesregierung hat in ihrer nationalen Sicherheitsstrategie China als systemischen Rivalen identifiziert. Konsequenzen aus dieser neuen Einschätzung zieht sie allerdings nicht. Zwar kann man den Besuch der chinesischen Regierung in Berlin als Kontaktpflege bezeichnen, es wird aber nicht klar, wie die Bundesregierung „De-risking“ betreiben möchte. Die EU-Kommission will hingegen „De-risking“ politisch vorantreiben, indem sie in Unternehmensentscheidungen eingreift.
All diese Versuche sind löblich, aber nicht ausreichend. Offene Volkswirtschaften wie die EU und Deutschland benötigen den internationalen Austausch, um zu prosperieren und ausreichend Ressourcen zur Energiesicherheit und Verteidigungsfähigkeit zu erwirtschaften. Wenn geopolitische Spannung und Sicherheitsfragen den wirtschaftlichen Austausch mit China zu einem Risiko machen, obliegt es der Regierung, alternative Handelsbeziehungen attraktiver zu machen. Gerade im stark wachsenden Feld der Energiewende liegt die größte Chance für Diversifizierung darin, neue Märkte zu erschließen.
Das Mercosurabkommen bietet sich als schon ausverhandeltes aber noch nicht ratifiziertes Handelsabkommen unmittelbar an. Es gibt gute Gründe, das Zeitfenster der spanischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2023 zu nutzen, um es abzuschließen. Danach dürfte es schwieriger werden: Mitte 2024 finden die EU-Wahlen statt, danach übernimmt Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft.
Schon im Juni 2019 wurde nach über 20 Jahren Verhandlung eine Einigung im Handelsbereich erzielt, die nun schnell ratifiziert werden sollte. Mit dem Abkommen bekämen EU-Unternehmen Zugang zum lateinamerikanischen Markt mit mehr als 260 Millionen Konsumenten. Die hohen Zölle würden stark gesenkt. Dies ermöglicht zusätzliche Wohlfahrtssteigerungen und eine Diversifizierung des europäischen und deutschen Handels.
Das Abkommen stärkte zudem die Allianz mit dem südamerikanischen Markt deutlich. Der wirtschaftliche und politische Austausch könnte gleichsam den Zugang zu kritischen Rohstoffen erleichtern und Vorhaben zum Import von Wasserstoff und darauf basierenden klimafreundlichen Energieträgern aus Südamerika beschleunigen.
Ein Abkommen dürfte es vor allem erleichtern, mit regionalen Partnern den Abbau kritischer Rohstoffe umzusetzen. Lateinamerika ist ein großer Kupferproduzent und verfügt über die größten bekannten Lithiumvorkommen der Welt. Eine Senkung oder Abschaffung von Exportsteuern, die etwa Argentinien immer wieder auf Kupfer und Lithium erhebt, förderte den Handel und die Diversifizierung zu China. Brasilien erwägt ähnliche Exportsteuern.
Auch Projekte zur Erzeugung von Energieträgern auf der Basis grünen Wasserstoffs dürften deutlich schneller vorankommen. Angesichts der in Deutschland rasch benötigten großen Mengen kritischer Rohstoffe und klimaneutraler Energie erscheint dies zwingend notwendig. Bei diesen neuen Bedarfen sollten wir die Importe jetzt, beim Hochlaufen der Märkte, diversifizieren. Hier kann die Vertiefung der Handelsbeziehungen mit dem Mercosur ein wertvolles Gegengewicht zu China (bei Rohstoffen) und der MENA-Region im Mittleren Osten (bei Energie) darstellen.
Bleibt die Frage, was das Abkommen für den Umweltschutz und den Regenwald bedeutet. Oft wird argumentiert, zusätzlicher Handel gehe zu Lasten der Umwelt. Europa sollte sich bei diesem Thema keinen Illusionen hingeben. Erstens ist die Möglichkeit begrenzt, von außen langfristig Umwelt- und Klimaziele in Drittländern umzusetzen. Im Gegenteil, kann zu forsches Auftreten auch politischen Widerstand verursachen. Zweitens ist ohne das Abkommen mit der EU zu erwarten, dass die Mercosurländer ihre Kooperation mit China intensivieren und Abkommen mit weitaus weniger ambitionierten Nachhaltigkeitszielen abschließen. Das wäre aus europäischer Sicht und mit Blick auf den Klimaschutz bedenklich.
Anders als die USA können die Europäer keineswegs bestehende Abhängigkeiten weitgehend durch eine Stärkung inländischer Kapazitäten senken. Die Potentiale zur Erzeugung klimafreundlicher Energie und die eigenen Rohstoffvorkommen reichen dafür nicht aus. Die Notwendigkeit der Diversifizierung von Handelsbeziehungen kann die EU jedoch zum Anlass nehmen, sich als verlässlicher Partner demokratischer Länder zu etablieren und ihre Wirtschaftskraft in Kooperation mit Verbündeten in aller Welt auszubauen. Ein Abbau von Handelshemmnissen, insbesondere mit den großen Entwicklungs- und Schwellenländern ist in diesem Kontext unumgänglich.
Insgesamt wäre die Ratifizierung des Abkommens ein wichtiges Signal gegen Protektionismus. Sie brächte wirtschaftliche Vorteile und erleichtert die Diversifizierung von China. In Ländern Lateinamerikas wird Europa – im Gegensatz zu China – oft als Rollenmodell aber schwieriger Partner bezeichnet. Es liegt an uns, jetzt ein Signal zu setzen, dass wir auch ein Partner sein können.