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20. Jan. 2023

Blockade von Bergkarabach

Wie Moskaus Schwäche Ankara stärkt
Polizei vor dem blockierten Latschin-Korridor
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Aserbaidschan blockiert seit Dezember den Latschin-Korridor, über 120.000 Armenier sind von der Versorgung abgeschnitten. Eskaliert der Konflikt um Bergkarabach?

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Der russische Angriff auf die Ukraine sowie der Krieg um die Region Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2020 haben die Machtbalance im Südkaukasus verschoben. Russland ist durch seinen Militäreinsatz in der Ukraine geschwächt, die Türkei gewinnt zunehmend an Einfluss in „Moskaus Hinterhof“.

Mit Ankaras Waffenhilfe hat Aserbaidschan Teile der umstrittenen Region Bergkarabach sowie sieben umliegende Gebiete zurückerobert, die von Armenien Anfang der 90er Jahre besetzt worden waren.

Das von Moskau 2020 ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen sieht eigentlich vor, dass Russland mit einer knapp 2000 Mann starken, international nicht anerkannten „Friedenstruppe“ die umstrittene Region sowie den einzigen Verbindungsweg zwischen Armenien und Bergkarabach, den Latschin-Korridor, kontrolliert. Doch der Konflikt um die Enklave ist wieder eskaliert.

Umweltaktivisten oder aserbaidschanisches Militär?

Seit dem 12. Dezember haben vermutlich von Aserbaidschan gesteuerte Kräfte – sogenannte Umweltaktivisten – den Latschin-Korridor blockiert. Das autoritär geführte Aserbaidschan gehört allerdings nicht zu den Ländern, die normalerweise derartige Aktivisten unterstützt.

Vielmehr ist der Staat bekannt für sein repressives Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass es sich bei den sogenannten Umweltschützern um aserbaidschanische Militärs handelt.

Der Latschin-Korridor ist so etwas wie die Lebensader für die offiziell 120.000 in Bergkarabach lebenden Menschen. Das betrifft nicht nur Verwandtenbesuche und Krankenhausaufenthalte in Armenien, sondern auch die Versorgung mit Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten.

Zeitweise hatte Aserbaidschan im Dezember auch die Gasversorgung der Region unterbrochen. Sollte die Blockade aufrechterhalten bleiben, droht eine humanitäre Katastrophe. Denn die russischen „Friedenstruppen“ machen keine Anstalten, die Sperre zu beenden, Moskau ist offenbar nur daran interessiert, dass die Lage nicht noch weiter eskaliert.

Wie konnte es so weit kommen? Aserbaidschan hat durch seine enormen Einnahmen aus Rohstoffexporten jahrelang moderne Waffen gekauft und ist der eher schlecht ausgestatteten armenischen Armee deutlich überlegen. Russland – traditionell ein Verbündeter Armeniens und mit 3000 Soldaten im Land stationiert – ist offenbar nicht mehr bereit oder in der Lage, Armeniens Sicherheit zu garantieren.

Kein Grenzvertrag zwischen Armenien und Aserbaidschan

Moskau hat die professionellen Soldaten aus der „Friedenstruppe“ und seiner Garnison in Armenien durch Wehrpflichtige ersetzt, und diese in die Ukraine entsandt.

Zugleich ist aufgrund der westlichen Sanktionen eine Handelsroute über Aserbaidschan und den Iran für Moskau wichtiger geworden und die Türkei – ein enger Verbündeter Aserbaidschans – zu einem zentralen Geschäftspartner aufgestiegen.

Das hat die Verhandlungsposition Bakus verbessert. Gerade die militärische Überlegenheit soll dazu dienen, Armenien auch durch Waffen zu einem „Friedensabkommen“ sowie zu einem Korridor über armenisches Territorium zur aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan zu zwingen.

Dabei schreckt Aserbaidschan immer weniger davor zurück, sogar die territoriale Integrität Armeniens gewaltsam infrage zu stellen. Das hat ein Angriff im September 2022 mit 300 Todesopfern deutlich gemacht. Zwischen beiden Staaten gibt es als Erbe der Sowjetunion keinen Grenzvertrag.

Das Ziel der Regierung in Baku: Sie möchte die nach Vertreibung von Aserbaidschanern Anfang der 90er Jahre ausschließlich von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach vollständig unter Kontrolle bekommen, was auf eine Vertreibung der dort lebenden Armenier hinausläuft.

Kann Aserbaidschan davon abgebracht werden? Dafür wäre Druck auf die dortige Regierung notwendig. Doch der fehlt. Als die Lage im September vergangenen Jahres eskalierte, waren es noch maßgeblich die USA, die auf Baku entscheidend einwirkten.

Auch die EU schickte bis Dezember eine Beobachtermission an die Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan.

Aber inzwischen ist der Wunsch nach aserbaidschanischem Öl und Gas in der Europäischen Union gewachsen. Gleiches gilt für Rohstofflieferungen aus Zentralasien, für die Aserbaidschan ein wichtiges Transitland werden könnte.

Dabei könnten gerade die EU und die USA zu einer Deeskalation im Konflikt um Bergkarabach beitragen. Allerdings scheint dafür echtes Interesse der Mitgliedsstaaten zu fehlen. Eine weitere Eskalation ist jederzeit möglich.

Bibliografische Angaben

Meister, Stefan. “Blockade von Bergkarabach.” January 2023.

Dieser Artikel wurde zuerst beim Tagesspiegel am 20. Januar 2023 veröffentlicht.

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