Moldaus Weg zu den Beitrittsverhandlungen
Vor dem Beginn der Beitrittsverhandlungen hatte Moldau ebenso wie die Ukraine und Georgien bereits umfassende Beziehungen mit der EU. Alle drei Länder waren seit 2009 Teil der Politik der Östlichen Partnerschaft der EU. Im Jahr 2014 wurde ein Assoziierungsabkommen und eine vertiefte und umfassende Freihandelszone (DCFTA) mit allen drei Ländern auf den Weg gebracht. Seit 2017 können Bürger der drei Staaten bis zu 90 Tage pro Halbjahr ohne Visum in die EU einreisen. Am 3. März 2022 stellte Moldau einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft. Am 17. Juni 2022 legte die Europäische Kommission ihre Stellungnahmen zu den Anträgen der Ukraine, Georgiens und Moldaus vor. Auf dieser Grundlage wurde Moldau am 23. Juni 2022 durch Beschluss des Europäischen Rates der Kandidatenstatus zuerkannt. In der Stellungnahme wurden neun Schritte genannt, die Moldau in Angriff nehmen muss, um auf dem Weg in die EU voranzukommen. Auf Grundlage, der in dem Bericht über das Erweiterungspaket vorgestellten Analyse am 08. November 2023 empfahl, die Kommission dem Rat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Moldau unter der Voraussetzung, dass die verbleibenden Schritte zur Justizreform, Korruptionsbekämpfung und Entoligarchisierung abgeschlossen werden.
Mit der Feststellung der Kommission, dass diese Schritte abgeschlossen worden sind, beschloss der Rat am 14. Dezember 2023, Beitrittsverhandlungen mit dem Land aufzunehmen.
Nächste Schritte beim Screening
Aktuell befinden sich Moldau ebenso wie die Ukraine in der Phase des Screenings, der in 35 Kapitel unterteilt ist, die in sechs Cluster zusammengefasst sind, was die Komplexität und enormen administrativen Herausforderungen, vor denen das Land steht, zeigt: Das Screening gliedert sich in zwei Phasen: eine Erläuterungsphase (EU-Rechtsvorschriften) und eine Spiegelphase (moldauische Rechtsvorschriften). Die erste Phase, die zwischen Februar und Mai 2024 stattfand, umfasste Erläuterungen der Europäischen Kommission zu den von Moldau zu übernehmenden Normen und Vorschriften. Dieser Prozess konnte erheblich beschleunigt und von fast einem Jahr auf einige Monate verkürzt werden. Darüber hinaus wurden die EU-Rechtsvorschriften mit Hilfe Rumäniens bereits übersetzt, sodass Chișinău hier keine Zeit verliert. Im nächsten Schritt wird Moldau seine Rechtsvorschriften im Detail bewerten und mit den EU-Anforderungen vergleichen. Dieser Schritt wird eine eingehende Analyse der Übereinstimmung der nationalen Gesetzgebung mit dem Besitzstand beinhalten. Danach werden die Diskussionen über die verschiedenen Beitrittscluster und -kapitel beginnen. Besondere Aufmerksamkeit bei Moldau sollte dabei der Justizreform und der Korruptionsbekämpfung sowie dem Schutz von Angehörigen von Minderheiten gewidmet werden.
Herausforderungen und EU-Unterstützung
Für die aktuell reformorientierte Regierung unter Präsidentin Maia Sandu hat der russische Angriffskrieg einerseits überhaupt erst den Beitrittsprozess eröffnet, aber andererseits das Land vor enorme wirtschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen gestellt. Als direkter Nachbar der Ukraine musste das Land mit einer großen Zahl an Flüchtlingen, Inflation, Bedrohungen der Energieversorgung, Verletzungen des Luftraums sowie einer Vielzahl hybrider Angriffe durch Russland wie Desinformation und Cyberattacken, zurechtkommen. Seit 2023 hat die EU ein Unterstützungspaket für Moldau mit fünf Prioritäten aufgenommen, was den Einfluss des russischen Aggressionskriegs sowie Moskaus Einflussnahme abschwächen und das Land näher an die EU bringen soll. Diese Prioritäten umfassen:
- Die wirtschaftliche Entwicklung Moldaus, gefördert durch Aktionspläne und Leitinitiativen.
- Die Unterstützung von Reformen durch Stärkung der Verwaltungskapazitäten.
- Die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit durch erhöhte Stromerzeugung, Teilnahme am EU-Gaseinkaufsmechanismus und Förderung erneuerbarer Energien.
- Die Verbesserung der Sicherheit durch verstärkte Zusammenarbeit und Stärkung des Verteidigungssektors.
- Die Bekämpfung von Desinformation.
Die EU ist der größte finanzielle Unterstützer Moldaus in den Bereichen sozioökonomische Entwicklung und Reformen mit finanzieller und technischer Hilfe im Rahmen des Nachbarschaftsinstruments für Entwicklung und Zusammenarbeit. Seit 2021 hat die EU Moldau mit 2,2 Mrd. EUR in Form von Krediten und Zuschüssen unterstützt. Die Unterstützung erfolgt über Finanzinstrumente wie direkte Budgethilfe, makrofinanzielle Hilfe und weitere EU-Programme. Für die aktuelle Regierung bestehen große Herausforderungen in den begrenzten administrativen und personellen Ressourcen bei der gleichzeitigen Bewältigung von Reformen, eines hochkomplexen EU-Beitrittsprozesses und anhaltender Vulnerabilitäten gegenüber Russland in den Bereichen Energie, Sicherheit und Information. Solange die Bevölkerung nicht spürt, dass sich ihre wirtschaftliche Situation verbessert, wird die Unterstützung für Reformen eher abnehmen und könnte von populistischen Kräften instrumentalisiert werden. Hier setzt auch die russische Desinformation an und versucht den EU-Beitrittsprozess zu diskreditieren.
Präsidentschaftswahl und EU-Referendum
Im Oktober stellt sich Präsidentin Maia Sandu zur Wiederwahl und verbindet diese mit einem Referendum darüber, ob das Ziel des EU-Beitritts in der Verfassung verankert werden soll. Nur bei einer Wahlbeteiligung von mehr als 33 Prozent und einer Mehrheit, wird die EU-Integration in einem Zusatz zur Verfassung zum „strategischen Ziel der Republik Moldau“ erklärt und ein eigener Abschnitt über den Prozess eingefügt. Diese Entscheidung wurde mit der Mehrheit der Regierungspartei PAS beschlossen und scharf von der Opposition kritisiert, die weiterhin gute Beziehungen zu Russland fordert. Für Maia Sandu ist der EU-Beitritt ein zentrales politisches Ziel und das Referendum soll auch dazu dienen, dass bei einem Regierungswechsel der Integrationsprozess nicht gestoppt werden kann. Während ihr gute Chancen eingeräumt werden, die Präsidentschaftswahl zu gewinnen, wird die Regierungspartei Schwierigkeiten haben, im kommenden Jahr die Parlamentswahlen erneut für sich zu entscheiden. Präsidentschaftswahl und Referendum sind wichtige Abstimmungen über die Reform- und EU-Integrationspolitik von Maia Sandu und der PAS-Regierung. Russland wird auch diesmal versuchen, massiv Einfluss auf beide Abstimmungen zu nehmen und unterstützt mehrere Oppositionsparteien. Sollte das Referendum scheitern, wird es nicht zu einem Stopp des Integrationsprozesses kommen, aber Maia Sandu und die Regierungspartei wären dann innenpolitisch geschwächt.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Der formelle Start der Beitrittsverhandlungen ist ein wichtiger Schritt für Moldau in Richtung EU-Integration. Gleichzeitig ist es ein Stresstest in Zeiten des Krieges gegen die Ukraine, mit Blick auf begrenzte administrative Ressourcen und die Möglichkeiten Russlands auf das Land Einfluss auszuüben. Es wird viel davon abhängen, inwieweit die EU-Mitgliedsstaaten den EU-Beitritt der Ukraine und Moldaus weiter priorisieren und inwiefern Länder wie Ungarn, das aktuell die Ratspräsidentschaft hält, nächste Schritte oder Finanzierungen blockieren. Das Reformtempo der Beitrittskandidaten wird auch über deren Unterstützung durch die Mitgliedsstaaten entscheiden. Somit ist es von Bedeutung, ob eine reformfreundliche Präsidentin und Regierung an der Macht bleiben oder es mit politischen Veränderungen zu einer Verlangsamung der Reformbemühungen kommen könnte.