Memo

Feb 05, 2025

Deutsch-französische Verteidigungskooperation: Jetzt oder nie

Europas Souveränität ist die deutsche Gretchenfrage
Panzer auf europäischem Boden
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Die zwei Jahre, die der Bundestagswahl folgen, könnten das letzte Zeitfenster sein, in dem die deutsch-französische Zusammenarbeit von den traditionellen Mitte-Parteien verhandelt wird. In Deutschland sehen Prognosen die AfD derzeit bei über 20 Prozent. In Frankreich stand das Rassemblement National (RN) in Umfragen zuletzt bei fast 40 Prozent. Dass Rechtspopulisten dies- und jenseits des Rheins Einfluss oder Regierungsmandate erhalten und die Beziehung infrage stellen, muss als realistisches Szenario betrachtet werden – mit bedeutenden Folgen für die verteidigungspolitische Zusammenarbeit beider Länder und Europas Sicherheit.

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Ziel

Emmanuel Macron hat sich seit 2017 viel vorgenommen: Einerseits wollte er den Franzosen glaubhaft vermitteln, dass ihre Souveränität auf europäischer Ebene besser zu verteidigen ist. Gleichzeitig musste er die europäischen Partner davon überzeugen, dass es Frankreich mit der Modernisierung seiner gaullistischen Doktrin ernst meint. Fest steht: Die Europäisieung des Souveränitätsbegriffes liegt im deutschen Interesse. Die nächste Bundesregierung sollte deshalb alles dafür tun, Macrons Reformbewegung zu erhalten. Gelingt ihr das nicht, droht der Souveränitätsbegriff in Frankreich bald Nationalisten das Wort zu reden und sich gegen die EU in ihrer deitigen Form zu richten – und insbesondere gegen Deutschland.

Ausgangslage: Europäische Souveränität stärken

2017 wurden zwei wegweisende deutsch-französische Rüstungsprojekte begonnen. Hintergrund war die Schwächung der europäischen Sicherheitspolitik durch den Brexit und den ersten Wahlsieg Donald Trumps. Mit dem Future Combat Air System (FCAS) und dem Main Ground Combat System (MGCS), Luft- und Bodenkampfsystemen der Zukunft, signalisierten Angela Merkel und Emmanuel Macron Entschlossenheit: Sie entschieden, durch Milliardeninvestitionen und in Form von jahrzehntelangen Laufzeiten, bilaterale Zusammenarbeit im Dienst europäischer Souveränität künftig zum Kern der Rüstungs- und Verteidigungspolitik zu machen. Die Unterzeichnung des Vertrags von Aachen, der auch verteidigungspolitisch hohe Ziele steckte, unterstrich diese Ambitionen 2019.

Trotz großer Schwierigkeiten und Verzögerungen blieb die aktuelle Bundesregierung den Projekten und entsprechenden politischen Zielen verpflichtet. Im Januar 2023 wurde in einer gemeinsamen Erklärung mit Frankreich der Wille zur „Stärkung der europäischen strategischen Kultur“ erneuert. Die Schlussfolgerung des letzten Ministerratstreffens, im Mai 2024, postuliert die „Entwicklung der europäischen Verteidigungsindustrie“ als Priorität. Gemeinsam wollten beide Länder die „Abhängigkeiten im technologischen und industriellen Bereich verringern“. Im Januar 2025 erneuerten die Verteidigungsminister ihre Überzeugung, dass die „jahrzehntelange herausragende Zusammenarbeit“ ausgebaut werden solle.

Die neue Bundesregierung wird sich in den Koalitionsverhandlungen schnell entscheiden müssen, wie sie es mit der europäischen Souveränität hält. Bleibt sie FCAS und MGCS treu, zeigt das, dass sie weiterhin auf deutsch-französische Zusammenarbeit setzt und den 2017 eingeschlagenen Weg zur Stärkung der europäischen Souveränität bestätigt. Der Rückzug aus den Projekten würde sie für den Fall eines Le Pen-Wahlsiegs absichern, die in der Vergangenheit selbst angekündigt hat, die Projekte beenden zu wollen. Mit frei gewordenen Mitteln könnten zudem US-Systeme gekauft und so versucht werden, US-Präsident Donald Trump milde zu stimmen. In diesem Szenario dürfte sich das Kapitel der europäischen Souveränität allerdings erneut schließen.

Für die bilaterale Beziehung mit Paris werden FCAS und MGCS die Testfälle sein.

Wachsendes Misstrauen

Das Treffen zwischen Boris Pistorius und seinem Amtskollegen Sébastien Lecornu Ende Januar war ein Abschied. Pistoriusʼ Zukunft ist nach der Wahl ungewiss, sein Amtskollege Lecornu zeichnete den deutschen Minister noch mit der französischen Ehrenlegion aus. Kurz zuvor hatten die Unternehmen, die am MGCS beteiligt sind, ein Papier unterzeichnet, das den Weg zur Gründung einer Projektgesellschaft freimacht. Pistorius kommentierte: „Was Deutschland und Frankreich in den nächsten Jahren […] hinbekommen, wird vorbildgebend sein […] dafür, wie Europa sich […] aufstellen kann und muss“. 

Fast wirkte es, als würden hier noch Pflöcke eingeschlagen. Denn während die Minister in Paris Einigkeit demonstrierten, wurde in Berlin einmal mehr über das Ende von MGCS spekuliert. „In der deutschen Politik wachsen die Zweifel“, hieß es in manchen Medien, „ein Aus für beide Projekte wäre kein Drama, sondern das richtige Zeichen zur richtigen Zeit“. In Berlin wächst die Zahl derer, die MGCS und FCAS als politische Wunschprojekte sehen, die Ressourcen binden und in einer Zeit, in der Kriegstüchtigkeit Priorität hat, nur schleppend vorankommen. Sie fordern, Berlin müsse aussteigen, bevor große Summen investiert werden. Trumps Wiederwahl sehen sie nun erneut als Anlass.

Nächste Schritte: FCAS und MGCS erhalten, europäische Souveränität stärken

Kurzfristig sind diese Argumente stichhaltig. Multinationale Rüstungszusammenarbeit ist zäh, viele deutsch-französische Projekte sind in der Vergangenheit gescheitert. Die Kritik blendet aber langfristige politische Auswirkungen und Kosten aus:  Ein Austritt aus MGCS käme einem nationalen Alleingang gleich. Rheinmetall und KNDS Deutschland sind heute mit den konkurrenzfähigsten Systemen auf dem europäischen Markt vertreten. Bei FCAS wiederum fiele ein Argument, das für den Austritt ins Feld geführt wird – multinationale Projekte seien ineffizient –, weg. Schließlich würde wohl der Einstieg in ein anderes Projekt folgen: das britisch-italienisch-japanische Global Combat Air Programme (GCAS).

Für Emmanuel Macron und die amtierende französische Regierung wäre ein deutscher Rückzug aus MGCS und FCAS eine innenpolitische Katastrophe. Immerhin wirbt Macron seit 2017 mit Verweis auf die Großprojekte für Fortschritte seiner Vision der souveräneren EU. Scheitern sie, weil die deutsche Seite aussteigt, wären innenpolitische Reaktionen vorprogrammiert: Die Opposition, vor allem das Rassemblement National, das seit 2022 die stärkste Fraktion in der Nationalversammlung stellt, würde Macron vorwerfen, die französische Industrie naiv und umsonst deutschen Interessen geopfert zu haben.

Die Folgen wären eine deutliche Schwächung jener Stimmen in der französischen Politik, die die Stärkung nationaler Souveränität durch europäische Zusammenarbeit für möglich und erstrebenswert halten. Die nächste Bundesregierung darf diese schwer zu beziffernden Konsequenzen vor dem Hintergrund des derzeitigen Zustands der EU nicht ignorieren. In seiner Grundsatzrede zur Außenpolitik hat Friedrich Merz Ende Januar als „oberste Maxime einer unionsgeführten Bundesregierung“ ausgegeben: „Auf Deutschland ist wieder Verlass. Wir halten Wort“. Für die bilaterale Beziehung mit Paris werden FCAS und MGCS die Testfälle sein und Schlüssel für die Frage, wie sich die künftige Bundesregierung zur europäischen Souveränität positioniert.

Bibliographic data

Ross, Jacob, and Nicolas Téterchen. “Deutsch-französische Verteidigungskooperation: Jetzt oder nie.” German Council on Foreign Relations. February 2025.