Über politische Reformprozesse im Westlichen Balkan und Mittel und Wege, diese konkret mitzugestalten, diskutierten 30 Forscher aus der Region
Vom 27.-30. Juni trafen 30 Forscher erstmals zu einer Alumni-Konferenz in Berlin zusammen, im Rahmen derer sich die Teilnehmer aus verschiedenen Jahrgängen und Ländern vernetzen und gemeinsam die Inhalte ihrer Arbeit diskutieren konnten.
Besonderes Augenmerk wurde dabei auf das Thema „Policy Advocacy“ gelegt. Nicht nur braucht es originelle und qualitativ hochwertige Forschung – die daraus gewonnenen Erkenntnisse gilt es auch gezielt in die Politikgestaltung und öffentliche Debatten einzubringen. Die Zusammenarbeit und Kommunikation mit staatlichen Institutionen in ihren jeweiligen Ländern sowie mit EU-Akteuren, der Umgang mit Medien und sozialen Netzwerken wie auch die Bildung von Allianzen unter Think-Tanks und anderen Vertretern der Zivilgesellschaft waren zentrale Themen der Konferenz. Als ein Schlüsselbereich des EU-Integrationsprozesses, in dem viele der beteiligten Institute aktiv sind, standen auch Forschung und Advocacy-Aktivitäten zu Transparenz und guter Regierungsführung auf der Agenda.
Es gibt kein Patentrezept
In verschiedenen thematischen Panels präsentierten und diskutierten die Teilnehmer ihre Erfahrungen in der Umsetzung ihrer Forschung und der Kommunikation der sich daraus ableitenden Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, aber auch die Hindernisse, mit denen sie in ihrer täglichen Arbeit konfrontiert werden. Das Umfeld, in dem die Think-Tanks der Region tätig sind, ist ein schwieriges. Dies sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass in den Ländern des Westlichen Balkans die Fundamente einer wissensbasierten Gesellschaft schwach ausgeprägt seien, bemerkte Keynote Speaker Goran Buldioski, der den in Budapest ansässigen Think Tank Fund des Open Society Institute leitet. Forschung werde oft nur ein geringer Stellenwert eingeräumt. Und: Gefühle seien meist überzeugender als Fakten, so Buldioski. Dass Policy Research nur eine Stimme in einem lauten Raum ist, darauf verwies auch Eoin Young, Mitbegründer des International Center for Policy Advocacy (ICPA). Umso strategischer müssten Think-Tanks diese einsetzen, um auch tatsächlich Gehör zu finden.
Dennoch: Zielgerichtete und vor allem beharrliche Advocacy-Aktivitäten vermögen tatsächlich, den politischen Entscheidungsfindungsprozess faktenbasierter und transparenter zu gestalten, wie die Teilnehmer anhand verschiedener Beispiele aus der Arbeit ihrer Think-Tanks illustrierten. Veränderung ist insbesondere dort möglich, wo die Forderungen der zivilgesellschaftlichen Organisationen einen Nerv in der Bevölkerung treffen – und wo die Europäische Union auf der Umsetzung der Reformagenda besteht. Ein Patentrezept, darüber waren sich die Teilnehmer einig, gäbe es nicht. Vielmehr gälte es, maßgeschneiderte Strategien zu entwickeln, die der Situation in einem bestimmten Politikfeld Rechnung tragen und die Motivationen der jeweiligen Akteure berücksichtigen.
Weitere Anstöße und kritische Überlegungen zur Think-Tank-Arbeit im Westlichen Balkan gab Goran Buldioski in seinem Impulsreferat, und fragte: „Warum schreiben Think-Tanks nur?“. Immer wieder komme es vor, dass sich die Think-Tanks in der Region mit der Publikation ihrer Forschungsergebnisse zufrieden gäben. Für die zielgerichtete Kommunikation dieser Ergebnisse würden hingegen zu wenig Zeit und Ressourcen vorgesehen. Es sei nicht genug, sich der Bedeutung von Kommunikation bewusst zu sein – dieser müsse auch in der Praxis Rechnung getragen werden.
EU-Land Kroatien
Einen konstanten Bezugspunkt der Konferenz stellte der unmittelbar bevorstehende EU-Beitritt Kroatiens dar. Aus aktuellem Anlass debattierten die Teilnehmer mit Christoph Retzlaff, Leiter des Referats für EU-Erweiterung, EU-Nachbarschaftspolitik und Grundsatzfragen der EU-Außenbeziehungen des Auswärtigen Amtes, im Rahmen einer öffentlichen Podiumsdiskussion die Aufnahme des Landes in die Europäische Union und die damit verbundenen Konsequenzen für die zukünftige Ausgestaltung der EU-Erweiterungspolitik. Teilnehmer aus Kroatien, aber auch aus den Nachbarländern Bosnien-Herzegowina und Montenegro, eröffneten sehr unterschiedliche Perspektiven ihrer Länder auf die jüngste Erweiterung.
Die „Lessons learned“ aus Kroatiens EU-Beitritt bekommen die verbleibenden Beitrittsanwärter direkt zu spüren. So wird in den Beitrittsgesprächen mit Montenegro das Kapitel „Judikative und Grundrechte“ bereits als eines der ersten Verhandlungskapitel eröffnet werden. Nicht zuletzt aufgrund des strengen Beitrittsverfahrens liegt eine Aufnahme in die EU für die anderen Länder der Region weit entfernt. Der Beitritt des Nachbarlandes Kroatien, so ein Teilnehmer, wäre für die Bevölkerung in Montenegro dennoch ein wesentlich konkreteres Zeichen als vorangegangene Erweiterungen. In Bosnien-Herzegowina, so werde mit einem Augenzwinkern behauptet, träte auch die westliche Herzegowina am 1. Juli der EU bei, angesichts der Tatsache, dass die Mehrzahl der dort lebenden bosnischen Kroaten einen kroatischen Pass besitzt. Kroatiens Beitritt, so der Tenor der Gesprächsrunde, führe damit die Region im Gesamten näher an die Europäische Union heran.
Mehr als 50 Forscher aus über 20 Think-Tanks aus allen Ländern des Westlichen Balkans haben seit 2010 am TRAIN-Programm teilgenommen. Gefördert wird dieses durch den Stabilitätspakt für Südosteuropa des Auswärtigen Amtes.