„Kosovo will Europa bereichern“

Atifete Jahjaga, Präsidentin der Republik Kosovo, über die Annäherung ihres Landes an die EU und den Dialog mit Serbien

Datum
24 Oktober 2013
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Rauchstr. 17, 10787 Berlin Berlin, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Auf die Frage einer griechischen Diskussionsteilnehmerin, welche Anziehungskraft die krisengeschüttelte EU für Kosovo überhaupt noch habe, erwiderte Jahjaga ohne Zögern: Sehen Sie eine Alternative? – Es gebe keine. Die Integration in die Europäische Union habe für ihr Land den höchsten Stellenwert. Sie sei die treibende Kraft für den Institutionen- und Staatsaufbau, aber vor allem: „Die EU-Agenda ist das einzige politische Vorhaben, das – über die Grenzen aller Bevölkerungsgruppen hinweg – landesweit auf Zustimmung stößt.“ Und: „Wir sind Europäer, unsere Identität ist europäisch“, sagte die Präsidentin. Die Kosovaren teilten die Werte der EU. „Unser Weg in die EU ist irreversibel.“

Um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden, sei man bereit, erhebliche Anstrengungen zu unternehmen und ein Staatswesen aufzubauen, das auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie basiere. Bei diesen umfassenden Reformen weise die EU als wichtigster Partner Kosovo den Weg; auf die Hilfe der Rechtsstaatsmission EULEX sei man auch weiterhin angewiesen. Im Gegenzug wolle ihr Land die Union künftig durch seine Mitgliedschaft bereichern, ein echter Mehrwert sein.

EU ist wichtigster Bezugspunkt für Kosovo

An der Entschlossenheit ihrer Landsleute, die Reformpolitik weiter mitzutragen, und an einem erfolgreichen Beitrittsprozess ließ Jahjaga keinen Zweifel. Zu mächtig seien noch die Schatten der jüngsten Vergangenheit, zu stark der Wille, die eigenen Lebensumstände durch die europäische Integration zu verbessern: „Eines Tages werden wir Teil der EU. Dann haben es unsere Bürger nicht mehr nötig, vor Gewalt und Armut in andere Länder zu fliehen.“ Mit der Aufnahme von Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union könnte schon bald der Grundstein für eine künftige EU-Mitgliedschaft des Kosovo gelegt werden. Von der EU forderte Jahjaga nachdrücklich eine Politik der offenen Tür und wünschte sich von Brüssel ganz konkret eine baldige Lockerung der Visaregeln.

Jahjaga unterließ es nicht, die Probleme anzusprechen, die die Entwicklung des 2008 gegründeten und damit jüngsten Staates in Europa noch hemmen. Dazu zählen weiterhin vor allem die verbreitete Korruption und organisierte Kriminalität. Auf Nachfrage ging Jahjaga auch auf die wirtschaftliche Entwicklung ein. Da verhalte es sich wie mit den politischen Reformen: Man sei noch nicht da, wo man hin wolle – aber Fortschritte könne man sehr wohl verzeichnen. So bestünden bereits gute rechtliche Rahmenbedingungen für Investoren. Diese würden sogar von der Verfassung garantiert. Ein Pfund, mit dem ihr Land wuchern könne, sei seine junge und gut ausgebildete Bevölkerung. 60 Prozent der Kosovaren gehörten zur Altersgruppe der unter 25jährigen – ein solches Humankapital könne die EU, in der der Altersdurchschnitt weit höher liege, doch gut gebrauchen.

Ohne die regionalen, zwischenstaatlichen Spannungen beizulegen, bleibe den Ländern des Balkans der Weg in die EU freilich versperrt, gab Jahjaga zu bedenken. „Der erste Schritt in die Gemeinschaft sind gutnachbarliche Beziehungen.“

Schwieriger Dialog mit Serbien

Größtes außenpolitisches Problem für Kosovo ist das Verhältnis zum Nachbarland Serbien. In den zwei Jahrzehnten nach dem Zerfall Jugoslawiens konnte der Streit mit Belgrad um den Status der ehemaligen serbischen Provinz nicht ausgeräumt werden. Angesichts des insgesamt schwierigen regionalen Umfelds sei der Dialog über eine Verbesserung der Beziehungen, den Belgrad und Pristina seit dem Frühjahr 2011 führen, als allergrößter Erfolg zu werten. Und er sei die einzige Möglichkeit, die Differenzen und das Misstrauen zwischen beiden Ländern zu überwinden. Die Gespräche haben zu dem von der EU vermittelten Abkommen vom 19. April 2013 geführt, in dem sich beide Seiten verpflichtet haben zu kooperieren.

Dialog und Abkommen müssten jetzt von Taten untermauert, die Vereinbarungen implementiert werden. Da erwarte sie von der serbischen Seite mehr. Ihr Ziel sei eine Partnerschaft, die auf gegenseitigem Respekt basiere, betonte Jahjaga. Am Ende müsse zudem ein „rechtlich verbindliches Abkommen“ stehen, in dem sich beide Staaten anerkennen.

Ethnische Koexistenz im Norden

Angesprochen auf den fragilen Frieden zwischen Kosovaren und Serben im Norden des Kosovo äußerte sich Jahjaga zuversichtlich und entschlossen: Durch die Kommunalwahlen, die am 3. November stattfinden, werde der Norden zur Normalität zurückkehren. Sie setze darauf, dass die Bürger die Chancen erkennen, die ihnen die Wahlen eröffnen; 2009 hatte die serbische Bevölkerung im Norden die Wahlen boykottiert und parallel dazu ihre eigenen Wahlen abgehalten. Die Beteiligung der Menschen an dem Urnengang sei ein wesentlicher Schritt, um Vertrauen in die staatlichen Institutionen Kosovos zu gewinnen.

Jahjaga wandte sich ausdrücklich gegen die bisherige serbische Politik gegenüber Nordkosovo, vor allem gegen die Praxis, dort parallele Strukturen zu unterhalten, und verbat sich jegliche Einmischung: „Serbien muss die Idee von einem ethnisch geteilten Kosovo aufgeben. Niemand hat das Recht über die Zukunft des Kosovo zu urteilen außer seine Bürger.“ Das schließe ausdrücklich die serbische Minderheit ein, die wie alle anderen Staatsbürger Teil des Kosovo seien, und denen dieselben Rechte wie den anderen Kosovaren zustünden. Ihr Land sei bereit für dieses kulturelle Nebeneinander, aber es bestehe zugleich auf seiner territorialen Integrität.

Atifete Jahjaga, Präsidentin der Republik Kosovo, folgte einer Einladung der DGAP zu Vortrag und Diskussion am 24. Oktober 2013. Paul Freiherr von Maltzahn, Generalsekretär der DGAP, moderierte die Veranstaltung.