Kosovo, Serbien und die Statusfrage

Ist die Aussicht auf EU-Mitgliedschaft Anreiz genug, die Differenzen zu überwinden? Brussels Briefing mit Stefan Lehne

Datum
25 September 2012
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Berlin, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Die Zeit sei reif für eine Verbesserung der Beziehungen, sagte Stefan Lehne. Die beiden Länder sind seit März 2011 im Rahmen des „Dialogs in technischen Fragen“ in einen Verhandlungsprozess eingebunden. Trotz Rückschlägen gebe es bereits konkrete Fortschritte. Darüber hinaus schafft die EU-Politik in der Region einen Anreiz für die beiden Parteien, ihre Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen. Serbien verfolgt das Ziel, so rasch wie möglich die Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, während Kosovo die Visaliberalisierung sowie die Unterzeichnung eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens mit der EU anstrebt.

Eine dauerhafte Konfliktlösung lasse sich nur am Verhandlungstisch erzielen, zeigte sich Lehne überzeugt, unilaterales Vorgehen dagegen habe sich als der falsche Weg erwiesen. Für den Norden Kosovos, der mehrheitlich von Serben bewohnt wird, sprach er sich für eine substanzielle Autonomie aus, die über den Ahtisaari-Plan hinausgeht und die Anliegen beider Seiten berücksichtigt. Über die bestehende lokale Selbstverwaltung hinaus solle man zudem darüber nachdenken, im Norden eine regionale Ebene einzuführen.

Um das bilaterale Verhältnis zwischen beiden Ländern zu verbessern, könne man den Vorschlag des ehemaligen EU-Chefunterhändlers Wolfgang Ischinger wieder aufgreifen, vertragliche Beziehungen in Analogie zum deutsch-deutschen Grundlagenvertrag von 1972 einzugehen. Dies eröffne die Möglichkeit, auch ohne völkerrechtliche Anerkennung – die Serbien momentan noch nicht leisten könne – zusammenzuarbeiten.

EU: Vermittler mit Handicap

Der technische Dialog, der im März 2011 unter Vermittlung der Europäischen Union begonnen wurde, sei notwendig, aber nicht ausreichend, sagte Theresia Töglhofer, Mitarbeiterin des Alfred von Oppenheim-Zentrums für europäische Zukunftsfragen und Leiterin des TRAIN-Projekts. Die Grenzen des Dialogs lägen darin begründet, dass er Probleme behandele, die sich als Folge des Status-Streits ergäben, während die grundlegenden Differenzen um den Status bestehen bleiben. Vor diesem Hintergrund sei es trotz zahlreicher Verhandlungsrunden schwierig, das Vertrauen zwischen beiden Seiten zu stärken.

Die EU, so Stefan Lehne, müsse klare und anspruchsvolle Bedingungen für eine Mitgliedschaft Serbiens und Kosovos formulieren. Gleichzeitig müsse die EU ihren Beitrittsanwärtern aber auch kommunizieren, dass eine EU-Mitgliedschaft ein erreichbares Ziel sei. Zwar gebe es für beide Länder keine echte strategische Alternative zu einer EU-Annäherung – eine nur sehr vage EU-Perspektive aber würde jenen nationalistischen Politikern in die Hände spielen, die nach Vorwänden suchten, sich nicht auf den Prozess einzulassen.

Als „schwerwiegendes Handicap“ für die Gestaltungsmöglichkeiten der EU sieht er die Tatsache, dass fünf EU-Länder Kosovo nicht als unabhängigen Staat anerkannt haben. Diese Einschätzung vertrat auch Theresia Töglhofer: „Die EU will Teil der Lösung sein, und eine Vermittlerrolle einnehmen. Was Kosovo betrifft, ist die EU aufgrund ihrer Spaltung in der Statusfrage aber auch Teil des Problems.“ Darin sieht Lehne auch die Führungsrolle begründet, in die sich Deutschland bei der Formulierung der Beitrittskonditionalität, zuletzt für die Vergabe des Kandidatenstatus an Serbien, begeben habe. Nachdem die Uneinigkeit auf EU-Ebene oft eine gemeinsame Position der Mitgliedstaaten nicht zulasse, habe Deutschland die Führung übernommen.

Stefan Lehne, Visiting Scholar bei Carnegie Europe in Brüssel, war von 2002 bis 2008 Direktor für den Westlichen Balkan, Osteuropa und Zentralasien im Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union. Er folgte einer Einladung des Alfred von Oppenheim Zentrums für europäische Zukunftsfragen der DGAP zu einer Veranstaltung der Reihe „Brussels Briefing“.

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