Als erstes Staatsoberhaupt war es König Abdullah, der im Juni 2014 den neuen ägyptischen Präsidenten General Abdel Fattah al-Sisi, zu dessen umstrittenem Wahlsieg beglückwünschte. Seine Gratulation war mehr als diplomatische Pflicht – sie war ein klares Bekenntnis, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um das krisengeschüttelte Ägypten zu stabilisieren.
Entsprechende Aufbauhilfe hatte Ägypten dringend nötig. Unter Präsident Mohamed Mursi hatte sich die wirtschaftliche Krise des Landes dramatisch ausgeweitet: Touristen blieben weg, die Industrie darbte, Generalstreiks lähmten das Wirtschaftsleben. Korruption, Vetternwirtschaft sowie die traditionelle Omnipräsenz der sogenannten „fetten Katzen“, der ägyptischen Wirtschaftsoligarchen, verhinderten dringend notwendige Wirtschaftsreformen. Gelder aus dem Westen blieben weitgehend aus. Ohne die Hilfe aus Saudi-Arabien, aber auch aus Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten wäre Ägypten wohl innerhalb weniger Monate zahlungsunfähig geworden.
12 Milliarden US-Dollar an saudischen Finanzspritzen
Zwischen 2013 und 2015 flossen insgesamt etwa 12 Milliarden US-Dollar an saudischen Finanzspritzen in Form von Zentralbankeinlagen, Energiesubventionen und Budgethilfe an die Militärregierung unter al-Sisi. Inoffizielle Schätzungen gehen davon aus, dass zusätzlich bis zu 30 Milliarden US-Dollar direkt in den Haushalt der Armee geflossen sind. Auch wirtschaftliche Ziele ließen saudische Milliarden in das Land fließen, das mit einer Bevölkerung von fast 100 Millionen ein attraktiver Markt und Handelsdrehkreuz zu Zentralafrika und Europa ist. Außerdem ist Saudi-Arabien in Megaprojekte wie den Ausbau des Suezkanals oder in al-Sisis Pläne zur Errichtung einer neuen Hauptstadt involviert.
Dass das Geld fast ausschließlich den Eliten und der Militärregierung zugutekam und die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung außer Acht gelassen wurden, war Teil der saudischen Regionalstrategie. Statt einen langfristigen Strukturwandel voranzutreiben, die Mittelschicht zu stärken, statt den Bildungs- und Gesundheitssektor auszubauen, Korruption und Bürokratie abzubauen, ging es König Abdullah vor allem darum, den Status Quo von vor 2011 mit den alten Patronagenetzwerken wieder herzustellen.
Arabischer Frühling wurde als Bedrohung angesehen
Der Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ ist für das Königreich ein Schock gewesen. Langjährige Partner wie Hosni Mubarak oder Zine el-Abidine Ben Ali in Tunesien wurden gestürzt, in Bahrain gingen Aktivisten auf die Straße und in Syrien und Libyen begannen Bürgerkriege. Die politische Führung Saudi-Arabiens sah in diesen Umstürzen keinen Prozess zu mehr Freiheit oder Demokratie, sondern den Sturz ins Chaos. Dies musste in Ägypten unbedingt vermieden werden, auch um eine Destabilisierung der eigenen Gesellschaft zu unterbinden. Immerhin äußerten sich auch in Saudi-Arabien frustrierte junge Männer und Frauen in sozialen Netzwerken kritisch zu wirtschaftlichen und politischen Missständen. 30 Prozent der jungen Bevölkerung sind arbeitslos. Viele forderten ähnliche Reformen wie die Demonstranten in Ägypten.
Die Rolle der Muslimbrüder
Die saudische Monarchie fühlte sich zudem durch ein von den Muslimbrüdern regiertes Ägypten in seiner Legitimität bedroht. Jahrzehnte zuvor, in den 50er und 60er Jahren, waren zehntausende ägyptische Muslimbrüder – auf Arabisch Ikhwan (die „Brüder“) – ins saudische Exil geflüchtet und hatten dort Teile der saudischen Bevölkerung mit ihren anti-monarchischen, islamistischen Ideen inspiriert. Durch die Machtübernahme Mursis in Ägypten 2012 wurde diese Ikhwanoia, die Angst vor der Bruderschaft, reaktiviert: Eine demokratisch legitimierte islamistische Regierung in Ägypten hätte zum regionalen Vorbild werden und damit die Herrschaftslegitimität der saudischen Monarchie gefährden können.
So stand die Unterstützung Saudi-Arabiens für al-Sisi unter dem Motto: Solange du die Muslimbrüder unterdrückst, helfen wir dir mit Geld – koste es, was es wolle. Was folgte, war die vollständige Exklusion der Muslimbrüder aus dem politischen Leben. Saudi-Arabien wollte eine Rückkehr zu den autoritär-repressiven Verhältnissen unter Mubarak – ohne Muslimbruderschaft, Demokratisierung oder politische Reformen.
Die Angst vor den Muslimbrüdern wurde durch die Angst vor dem Iran ersetzt
Mittlerweile haben sich die regionalen Herausforderungen für Saudi-Arabien verschärft: Während sich die saudische Ikhwanoia seit 2013 reduziert hat, stieg parallel dazu die Angst der saudischen Führung vor dem Einfluss Irans in der Region, Saudi-Arabien und Iran stehen seit der Islamischen Revolution 1979 in einem Wettstreit um die politische und militärische Vorherrschaft am Golf und die Bedeutungshoheit als islamische Führungsmächte. Dabei geriert sich Iran als republikanisch-schiitisches Vorbild, während das monarchisch-wahhabitische Saudi-Arabien als „Hüter der beiden Heiligen Stätten“ Mekka und Medina für sich in Anspruch nimmt, alle sunnitischen Muslime zu führen.
Ob im Irak, im Libanon, in Syrien, Bahrain oder dem Jemen – überall fürchtet das saudische Establishment den Einfluss Irans und damit die Schwächung der eigenen Herrschaft. Diese fast paranoide Angst wurde durch die erfolgreiche Lösung des iranischen Atomprogramms nochmals intensiviert. Diese Iranoia hat dazu geführt, dass sich König Salman, Nachfolger des im Januar verstorbenen Abdullahs, verstärkt akuten Krisen wie dem Jemen-Konflikt zuwendet. Weil die saudische Wirtschaft selbst unter einem sinkenden Ölpreis leidet, hat dies zu einem Umdenken bei der Alimentierung ausländischer Partner geführt. 2015 soll das Haushaltsdefizit um knapp 20% steigen, während zwischen September 2014 und März 2015 die Öleinnahmen um 48 Milliarden US-Dollar sanken.
Neue Allianzen sind möglich
König Salman betrachtet die brutale Repressionspolitik al-Sisis gegenüber den Muslimbrüdern skeptischer als sein Vorgänger. Er sieht in den Muslimbrüdern keine direkte Gefahr mehr. Im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien und im Irak benötigt Saudi-Arabien die Unterstützung der Türkei und Katars, die sich in der Vergangenheit wohlgesonnen gegenüber den Muslimbrüdern gezeigt haben. Dagegen könnte Ägypten die Nähe zu Russland – Unterstützer des syrischen Präsidenten Bashar al-Assads und damit Gegner Saudi-Arabiens – suchen, um eine politische Lösung in Syrien zu erreichen und verlorenen regionalen Einfluss zurückzugewinnen. Damit wird auch eine iranisch-ägyptische Annäherung möglich.
Dieser Text erschien am 10. November 2015 als Gastbeitrag bei Cicero und basiert auf der DGAPanalyse „The Engagement of Arab Gulf States in Egypt and Tunisia since 2011: Rationale and Impact“ (Sebastian Sons und Inken Wiese, DGAPanalyse Nr. 9, Oktober 2015).