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07. Juli 2015

Wie geht es weiter mit Griechenland?

Fragen und Antworten zur Krise der europäischen Währungsunion

Besteht die entscheidende Frage darin, ob man Griechenland rettet oder wie man es rettet? Welche Nachricht würde ein Austritt Griechenlands aus dem Euro an den Rest der Welt senden? Ist die Angst vor einem Domino-Effekt begründet? Wie gestaltet sich der weitere Verhandlungsspielraum des Tandems Angela Merkel und François Hollande? Und wie sehen die USA dieses europäische Problem? Experten des DGAP-Forschungsinstituts im Gespräch.

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Griechenland retten, um die Eurozone zu retten – Griechenland nicht retten, um so die Eurozone zu retten: Steht diese Entscheidung weiterhin aus?

Julian Rappold: Das griechische Referendum war trotz unterschiedlicher Interpretationen keine Entscheidung gegen Europa, die Europäische Union oder den Euro. Vielmehr hat die griechische Regierung dafür geworben, dass die griechische Bevölkerung mit einem „Nein“ ein Zeichen für einen alternativen Ansatz zur bisherigen Sparpolitik setzen könne. Dies findet auch Resonanz in der Bevölkerung anderer europäischer Staaten.

Claire Demesmay: In Frankreich wie in anderen Südländern, zum Beispiel in Italien, geht es auch um eben diese Frage: Ist Sparpolitik, die sogenannte Austerität, wirklich der einzige Weg aus der Krise? Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 hatte sich der Sozialist François Hollande für einen anderen Europakurs stark gemacht. Insbesondere die Stärkung des Wachstums und ein langsamer Rhythmus beim Schuldenabbau waren ihm dabei wichtig. Es ist ihm nicht gelungen, diesen Kurs zu ändern und den Fiskalvertrag neu zu verhandeln, wie er es vorhatte. Doch im linken Lager sind die Kritik an der Austerität und die Forderung nach einer anderen Politik ganz und gar nicht vom Tisch.

Julian Rappold: Genau deshalb sollte man beobachten, ob die einheitliche Haltung der 18 anderen Euro-Mitglieder gegenüber Griechenland nun bröckelt. Die Regierungen in Frankreich, Spanien oder Italien haben in den vergangenen Monaten zwar den harten Verhandlungskurs und die Forderungen nach fiskalischer Konsolidierung, strukturellen Reformen und weiteren Sparmaßnahmen mitgetragen, weil ein Entgegenkommen die eigenen Reformanstrengungen und den Konsolidierungskurs diskreditiert hätte. In der Bevölkerung gibt es aber viel Sympathie für das griechische „Nein“. Dies könnte dazu führen, dass einige Mitgliedstaaten nun einen moderateren Ton anschlagen werden.

Eine wichtige Frage wird dabei sein, inwieweit die Euro-Partner bereit sind, die Regeln der Eurozone immer weiter zu verbiegen, um Griechenland im Euro zu halten oder ob das Land fallen gelassen werden muss, um die Glaubwürdigkeit der Eurozone wiederherzustellen. Griechenland hat das auf Regeln basierende Fundament der Eurozone in Frage gestellt.

In der deutschen Debatte wird ein „Grexit“-Szenario inzwischen auch als Chance gesehen, um die von der Bundesregierung schon lange angestrebte weitere Vertiefung der Eurozone anzustoßen, die diese endgültig krisensicher machen würde. Sollte Griechenland austreten, müsste die Eurozone den Finanzmärkten signalisieren, dass dies keinesfalls ein Präzedenzfall, sondern eine Ausnahme ist.

Was wären die Auswirkungen eines Austritts Griechenlands aus der Währungsunion, sowohl für das Land selbst als auch für die Eurozone? Könnte ein solcher Austritt tatsächlich einen Domino-Effekt haben?

Claudia Schmucker: Die Griechenland-Krise und auch ein „Grexit“ treffen vor allem die griechische Wirtschaft und Bevölkerung. Die Wiedereinführung der Drachme, die gegenüber dem Euro wesentlich schwächer wäre, würde die Schuldenlast Griechenlands deutlich erhöhen und auch die Importe, auf die das Land in hohem Maße angewiesen ist, deutlich verteuern. Steigende Arbeitslosigkeit und humanitäre Probleme wären die Folgen.

Auch wenn es kurzfristig sicherlich zu Verwerfungen auf den Finanzmärkten kommen würde, wären die Auswirkungen auf die anderen Länder der Eurozone grundsätzlich lange nicht so dramatisch wie 2012, als zum ersten Mal die Gefahr eines Grexits bestand. Daher blieben auch die Reaktionen an den Börsen nach dem griechischen Referendum überschaubar, der Euro sank lediglich um insgesamt rund 1,5 Prozent auf 1,10 Dollar.

Es wird nicht mehr damit gerechnet, dass ein Austritt Griechenlands einen Domino-Effekt hätte. Griechenland macht rund 2 Prozent der Wirtschaftskraft in der Eurozone aus. Die ehemaligen Sorgenkinder – Spanien, Irland und Portugal – sind durch die Reformprogramme gestärkt aus der Krise gegangen. Zusätzlich haben auch die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank die Ansteckungsgefahr auf weitere Peripherieländer verringert. Daneben ermöglichen neue Institutionen wie der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) zahlungsunfähigen Mitgliedstaaten der Eurozone finanzielle Hilfe.

Risiken bleiben bestehen: Mit dem Austritt eines Landes aus der Eurozone geht der Schein der Unversehrtheit des Euros verloren. So besteht die Gefahr, dass sich Investoren zunehmend vor dem Risiko schützen wollen, dass auch andere Staaten wie beispielsweise Portugal die Eurozone verlassen würden. Dies würde die Rolle des Euros international schwächen. Insgesamt ist Europa jedoch mittlerweile wirtschaftlich besser auf einen möglichen Grexit vorbereitet, so dass die Auswirkungen auf die anderen Mitglieder der Eurozone und die Weltwirtschaft vergleichsweise gering wären.

Unmittelbar nach dem griechischen Referendum trafen sich Angela Merkel und François Hollande in Paris, um sich abzustimmen – hat sich daraus Neues ergeben?

Claire Demesmay: Das Ergebnis des Gesprächs war nicht spektakulär: Die Verhandlungen sollen weitergehen, hierbei erwartet die EU ernsthafte Vorschläge aus Athen. Aber die Signalwirkung zählt: Merkel und Hollande sind offensichtlich bemüht, sich wieder einig zu zeigen. In der Woche vor dem Referendum hatte es Unstimmigkeiten gegeben, der französische Präsident hatte – im Gegensatz zur Bundeskanzlerin – Athen gegenüber Kompromissbereitschaft signalisiert.

Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens steht Hollande unter dem Druck des linken Lagers, das eine Lockerung der Austeritätspolitik fordert – auch und vor allem in Frankreich selbst. Frankreichs Linke prangert die Wirtschaftspolitik der Regierung als zu liberal an. Indem Hollande Griechenland ein Stück entgegenkommt, will er zeigen, dass er Seriosität und Solidarität vereinbaren kann. Zweitens versucht er, eine Vermittlerrolle zwischen Deutschland und Griechenland und somit zwischen Nord- und Südeuropa einzunehmen, um so wieder an Einfluss auf der Europabühne gewinnen. In Frankreich, wo die Machtverschiebung zugunsten Berlins für Frustration sorgt, ist dies eine gern gesehene Haltung. Hollandes Spielraum ist jedoch sehr begrenzt. Nicht nur, weil es ihm an Verbündeten fehlt, sondern gerade weil er selbst für Haushaltsdisziplin und Reformen plädiert. Allerdings könnte sich das im Falle eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone ändern. Dann würde sich Frankreich als privilegierter Ansprechpartner und Mediator anbieten.

Julian Rappold: Das griechische Referendum und das Auslaufen des zweiten Rettungspakets haben den Druck erhöht, eine finale Entscheidung darüber zu treffen, ob man Griechenland mit allen damit einhergehenden Konsequenzen – wie etwa einem Schuldenschnitt – weiterhin in der Eurozone halten möchte oder ob das Land diese verlassen muss.

Angela Merkel steht dabei vor einem großen Dilemma: Ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion würde einerseits bedeuten, dass das europäische Krisenmanagement, das Merkel in den vergangenen Jahren maßgeblich mitgestaltet hat, gescheitert ist; sie möchte nicht als diejenige in die Geschichte eingehen, die Griechenland aus dem Euro geschmissen hat. Außerdem ist sie sich der geopolitischen Signalwirkung und politischen Folgekosten eines griechischen Austritts bewusst.

Andererseits hat Berlin den Verhandlungsabbruch und die Durchführung eines Referendums als ultimativen Vertrauensbruch wahrgenommen, der weiteren Verhandlungen die Grundlage entzogen hat; ohne ein glaubwürdiges Bekenntnis zu fiskalischer Konsolidierung und Haushaltsdisziplin wird es aus Sicht der Bundesregierung keine Einigung geben. Die öffentliche Meinung in Deutschland hat sich in den vergangenen Wochen immer mehr gegen Griechenland gewendet, zudem gibt es in Merkels eigener Partei heftigen Widerstand gegen weitere Hilfen. Merkel müsste sich nun bereits ein Mandat des Bundestages einzig für die Aufnahme weiterer Verhandlungen mit Griechenland über Finanzhilfen im Rahmen des ESM geben lassen. Damit würden diese innerparteilichen Konflikte offen zur Schau gestellt und Merkel müsste viel Überzeugungskraft aufbringen, um die eigene Fraktion auf Linie zu bringen. Selbst wenn die Bundeskanzlerin Griechenland weiterhin in der Eurozone halten möchte, schränken diese beiden innenpolitischen Faktoren ihren eigenen Verhandlungsspielraum ein.

Welche Interessen haben die USA in der Griechenland-Frage?

Henning Riecke: Die USA wünschen sich eine starke EU und einen starken Euro. Washington geht es um Absatzmärkte für US-Produkte und um europäische Partner, die sich endlich mit etwas anderem als mit ihren eigenen Krisen beschäftigen können. Seit Jahren drängen die Amerikaner vor allem die Deutschen, bei den Sparauflagen gegenüber den Programmstaaten locker zu lassen und finanzielle Unterstützung zu leisten. Die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds sollen flexibler agieren. In Elmau und Dresden wiederholten die US-Unterhändler diese Forderungen im Kontext der G7.

Griechenland soll beim Euro bleiben, aber einen Zusammenbruch der Eurozone fürchten die USA nicht mehr. Ein Kompromiss muss auch für die USA harte Reformen in Griechenland enthalten, doch Washington sucht eine zügige und pragmatische Lösung.

Die USA verfolgen auch aufmerksam, ob sich das verschuldete Griechenland in die Arme Russlands begibt. Die beiden Länder haben enge kulturelle und wirtschaftliche Bindungen. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass Premierminister Tsipras bei seinen Besuchen in Moskau die griechische Zustimmung zu den EU-Sanktionen zum Verkauf angeboten hat, aber die USA haben Athen offenbar dringend vor solch einem Schritt gewarnt. Auch den Deal Griechenlands mit Russland, über einen Anschluss an die Türkei-Pipeline zu einem Durchgangsland für russisches Erdgas zu werden, versucht Washington mit Gegenangeboten auszuhebeln. Die USA haben verstanden: Griechenland ist auch in einem starken Europa ein schwaches Mitglied, bei dem Russland politischen Einfluss aufbauen kann.

Dr. Claire Demesmay ist Leiterin des Programms Frankreich/deutsch-französische Beziehungen der DGAP.

Julian Rappold ist Programmmitarbeiter und kommissarischer Leiter des Alfred von Oppenheim-Zentrums für Europäische Zukunftsfragen der DGAP.

Dr. Henning Riecke ist Leiter des Programms USA/Transatlantische Beziehungen der DGAP.

Dr. Claudia Schmucker ist Leiterin des Programms Globalisierung und Weltwirtschaft der DGAP.  

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