Welche Interessen verfolgt Russland in Syrien?
Innenpolitisch steht Präsident Putin durch die Demonstrationen gegen seine Wiederwahl im März 2012 unter Druck. Deshalb versucht er sich durch eine Politik der harten Hand insbesondere gegenüber dem Westen zu profilieren. Zudem verliert die russische Rüstungsindustrie an Märkten und das Assad-Regime ist bisher ein wichtiger Abnehmer russischer Rüstungsgüter gewesen.
Außenpolitisch geht es Moskau vor allem ums Prestige. Der syrische Bürgerkrieg ist ähnlich wie die Auseinandersetzung um das iranische Nuklearprogramm einer der wenigen internationalen Konflikte, in denen Russland noch auf Augenhöhe mit den USA agieren kann und vom Westen als Kooperationspartner umworben wird. Dazu kommt: Moskau will seine letzte Militärbasis außerhalb des postsowjetischen Raumes in der syrischen Hafenstadt Tartus nicht verlieren und kein weiteres Libyen-Szenario zulassen.
Was kann russischer Einfluss in Damaskus bewirken?
Russlands Möglichkeiten in Syrien sind begrenzt. Im Herbst 2011 hätte Moskau noch die Chance gehabt, zwischen der syrischen Regierung und den Rebellen zu vermitteln. Damals verfügte es auf beiden Seiten über Kontakte und einen gewissen Einfluss. Es hätte Staatschef Assad und seiner Familie Asyl anbieten und so einen Übergang unter seiner Vermittlung ermöglichen können. Dieser Zeitpunkt ist allerdings ungenutzt verstrichen. Bei den syrischen Rebellen hat Russland durch die Unterstützung des Assad-Regimes jegliche Glaubwürdigkeit als Vermittler verloren. Zu viel Blut ist außerdem vergossen worden, um jetzt noch zu einer solchen Lösung kommen zu können.
Wie lässt sich Moskau doch noch für ein schärferes Vorgehen gegen Syrien gewinnen?
Von außen gesehen erscheint Russlands Position irrational, da es mit seiner Blockadehaltung in der Region künftig für kein Land Partner sein kann. Letztlich wird auch der Verbündete Assad nicht zu halten sein. Die Sturheit Russlands hat auch sehr viel damit zu tun, dass USA und NATO russische Interessen in der Vergangenheit ignoriert haben. Libyen ist für Moskau der Sündenfall: Die Enthaltung Russlands im UN-Sicherheitsrat ist aus russischer Sicht durch den anschließenden Militäreinsatz der NATO zu einem Regimewechsel genutzt worden. Dieser war nicht durch das UN-Mandat gedeckt und Moskau hat das Gefühl, vom Westen über den Tisch gezogen worden zu sein.
Man könnte Russland vielleicht einen Kompromiss anbieten, zum Beispiel durch ein Entgegenkommen beim Raketenschild. Aber ob das unter den gegebenen Umständen funktionieren wird, ist fraglich. Russland möchte unter keinen Umständen einen weiteren Regimewechsel durch westliches Militär erleben. Auf jeden Fall ist westlicher Druck auf Russland, wie ihn vor allem die amerikanische Außenministerin Clinton ausübt, eher kontraproduktiv und wird zu einer Trotzreaktion in Moskau führen.
Ist Syrien in den russischen Medien und für die russische Zivilgesellschaft ein Thema?
Nein, das ist auch das Problem, wenn Druck auf die russische Regierung ausgeübt werden soll. In Europa und den USA erhielt der syrische Bürgerkrieg durch die Berichterstattung beispielsweise über Gräueltaten überhaupt erst so viel Aufmerksamkeit. In den russischen Medien sind diese Ereignisse lediglich eine Randnotiz. Wenn überhaupt, dann wird berichtet, wie der russische Außenminister Lawrow im Sicherheitsrat abgestimmt hat. Für die russische Öffentlichkeit ist das ein Bürgerkrieg von vielen und die russische Zivilgesellschaft hat mit eigenen Problemen zu kämpfen. Lediglich eine kleine Minderheit beobachtet überhaupt, was in Syrien passiert.
Welche Auswirkungen hat der Dissens zwischen Russland und dem Westen in der Syrien-Frage auf den Umgang mit anderen internationalen Streitfragen?
Die Kluft ist Ausdruck der allgemein sich wieder verschlechternden Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Obamas Reset-Politik ist an ein Ende gelangt, Streitfragen wie der US-Raketenschild in Europa oder der Konflikt um die postsowjetischen Staaten stehen wieder stärker im Vordergrund. Auch aus russischer Sicht ist der Versuch gescheitert, mit dem Westen eine Kooperation zu wagen. Hier hat der Westen vielleicht auch zu wenig getan, um auf russische Ängste und Interessen einzugehen.
Auch im Iran ist Russland eher an Prestigegewinn als an Konfliktlösung interessiert. Gleichzeitig ist die westliche Sicht der Dinge nicht ganz fair: Warum wird in erster Linie Russland und nicht auch China für seine Blockade so scharf kritisiert? Es drängt sich der Verdacht auf, dass manche westlichen Regierungen letztlich froh sind, dass Russland im Moment blockiert, weil niemand das Interesse hat, die möglichen Konsequenzen aus einer russischen Kooperation zu ziehen und in Syrien militärisch einzugreifen.