Kommentar

02. Mai 2016

Donald Trump ist nicht das Problem

Trump ist der populistische Ausdruck grundlegender Defizite liberaler Demokratien. Diese Probleme hat auch Deutschland.

Wer die kometenhaften Aufstiege Donald Trumps in den USA und der AfD in Deutschland vergleicht, wird Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede erkennen. Gemeinsam ist die Unzufriedenheit mit der politischen Klasse. Die liberale Demokratie steht unter Druck. Der Staat schafft es nicht mehr, weder in Amerika noch in Europa, seinen Bürgern das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.

Auch das Gefühl materieller Sicherheit, dass möglichst viele etwas vom wirtschaftlichen Wohlstand abbekommen, ist verloren gegangen. Das wäre aber die Voraussetzung dafür, dass die Bürger den Staat und die etablierten Politiker unterstützen. Die Legitimationskrise zeigt sich daran, dass auf beiden Seiten des Atlantiks Populisten massive Unzufriedenheit ausnutzen können: die AfD in Deutschland und Trump in den USA.

Entsprechend der Systemunterschiede trifft das Wasser auf unterschiedliche politische Mühlen. Im deutschen parlamentarischen Regierungssystem wird Protest am effektivsten über eine Partei kanalisiert. In den USA sind Parteien sehr schwach, nur Wahlvereine. Und selbst diese Minimalfunktion haben sie – dank der Urteile des Supreme Court zur Wahlkampffinanzierung – an Interessengruppen und vermögende Einzelpersonen verloren.

So hat die „Partei“ der Republikaner nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera – zwischen dem von den Öl-Milliardären Charles und David Koch finanzierten Ted Cruz oder dem vermeintlichen Self-Made-Man Donald Trump. Der Immobilien-Milliardär wird nicht müde zu betonen, dass er selbst so viel Geld habe, dass er von keinem gekauft werden könne. Er wird deswegen nicht als jemand wahrgenommen, der von den Netzwerken vermögender Strippenzieher wie den Kochs abhängig ist, die bereits Millionen in Wahlkämpfe gesteckt haben, unter anderem auch für Jeb Bush und dessen politischen Ziehsohn Marco Rubio.

Donald Trump kann die tiefe Unzufriedenheit der Amerikaner gegenüber der etablierten Politik, dem sogenannten Establishment ausnutzen. Dass die Amerikaner genug vom Business as usual haben, zeigen auch die enormen Probleme, die der selbsterklärte Sozialist Bernie Sanders seiner Parteifreundin Hillary Clinton im Vorwahlkampf der Demokraten bereitet, weil sie finanziell von der Finanzelite, von der Wall Street abhängig ist. Bereits vor den Wahlen wurde in Umfragen deutlich, dass die Amerikaner nicht der Terrorismus, nicht die Wirtschaft oder andere naheliegende Themen umtreiben, sondern die Tatsache, dass einige wenige zu viel Einfluss auf die Politik haben und die Spielregeln beeinflussen, um noch mehr vom Kuchen zu erhalten.

Die Federal Reserve, die US-Notenbank, tut ein Übriges, um die von der Politik gebilligte Ungleichheit und das Ohnmachtsgefühl der Bürger noch weiter zu verstärken. Was im Mutterland des Kapitalismus vorexerziert und etwas später von Europas Staaten und der Europäischen Zentralbank (EZB) übernommen wurde, kann als Sozialismus auf hohem Niveau bezeichnet werden: Indem die Verluste der Finanzakteure sozialisiert wurden, hebelte der als Notenbank verkleidete Staat die Grundlage kapitalistischer Wirtschaftsordnungen aus, nämlich das Haftungsprinzip: dass jene, die Fehler begehen, dafür die Verantwortung tragen.

Wenn den Akteuren der Finanzmärkte aber die Verluste abgenommen werden, entstehen falsche Anreize, die auch ihr künftiges Verhalten beeinflussen. Im Wissen, dass der Staat weiterhin für als systemrelevant angesehene Finanzimperien in die Bresche springen wird, werden sie auch in Zukunft hohe Risiken eingehen, die sie nicht verstehen und tragen können.

Angesichts der Handlungsschwäche der Politik schien auch diesseits des Atlantiks die Notenbank die einzige Rettung zu sein: „Whatever it takes“ – wir werden alles tun, um den Euro zu retten, versicherte Mario Draghi, EZB-Chef und ehemaliger Vizepräsident von Goldman Sachs, im Juli 2012 und konnte so die „Märkte“ vorläufig beruhigen. Indem auch die Europäische Notenbank seit März 2015 bis auf Weiteres monatlich im Gegenwert von 60 Milliarden Euro den Banken ihre Ramschpapiere abnimmt und sie damit insgesamt wieder mit über eineinhalb Billionen Euro „Spielgeld“ versorgt, kann jedoch der „Kasino-Kapitalismus“ eine Runde weitergehen – so lange, bis die nächste Blase platzt und die Weltwirtschaft und die Politik erneut in die Krise stürzt. Damit auch große Unternehmen außerhalb des Bankensektors von dem Geldsegen profitieren können, hat die EZB seit April 2016 ihr monatliches Anleihenkaufvolumen von 60 auf 80 Milliarden Euro aufgestockt.

Neben diesem marktwirtschaftlichen Grundproblem falscher Anreize wird jene Legitimationssubstanz ausgehöhlt, die das Fundament jeder freiheitlich-demokratischen Grundordnung bilden sollte: das Vertrauen der Bevölkerung darauf, dass der Staat Unterstützenswertes leistet. Dem Gerechtigkeitssinn der Bürger ist schwer vermittelbar, dass jene, die die Krise verursacht haben, auch noch dafür belohnt werden – nicht zuletzt in Form üppiger Bonuszahlungen, die die Banken mit dem vom Staat für ihre Rettung überwiesenen Geld „verdient“ haben und für die die Steuerzahler, also sie selbst, aufkommen müssen.

Während einerseits vor der Wirtschaftskrise die enormen Gewinne privatisiert wurden und zu einer krassen Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen geführt haben, werden andererseits die in Krisenzeiten entstehenden Verluste sozialisiert und damit die Ungleichheiten weiter verstärkt. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander.

Der Bürger, egal ob in den USA oder in Europa, wird vom Wirtschaftssubjekt zum -objekt degradiert. Durch das Gelddrucken der Notenbanken und die niedrigen Zinsen, von denen überwiegend in Finanzfragen versierte Kapitalbesitzer an den Aktienbörsen profitieren, enteignet der Staat Sparer, die bei ihrer privaten Altersvorsorge vermeintlich auf Nummer sicher gehen wollten und Geld auf ein Sparbuch eingezahlt oder in Staatsanleihen investiert, sprich die Schulden des Staates finanziert, haben. Mögliche Inflation, die umso stärker auf Kosten der Sparer gehen würde, ist ein von vielen Politikern insgeheim favorisierter Weg, den durch die Bevölkerungsentwicklung noch größer werdenden Schuldenberg des Staates zu verringern. Die vom Staat Geprellten werden nicht gefragt und können mangels ernsthafter politischer Alternativen auch nicht durch ihre Stimmabgabe „dagegensteuern“. Deshalb sollten die etablierten Parteien auch in Deutschland nicht überrascht sein, wenn die AfD künftig noch mehr Zulauf erhalten wird.

In den USA wiederum schafft es Donald Trump, Menschen wieder in das politische Geschehen hineinzuziehen, die sich schon verabschiedet hatten. Er ist gut aufgestellt, um in der amerikanischen Mediendemokratie für weiteres Aufsehen zu sorgen. Er hat in diversen Reality-TV-Shows sein Handwerk gelernt und eine Kunstfigur, eine Medienfigur, erschaffen. Er hat die Marke eines erfolgreichen Chefs etabliert, der unfähige Arbeitnehmer feuert: „You’re fired“. Er selbst steht als Ikone für Erfolg, obwohl er im richtigen Leben viele Misserfolge hatte. Er pflegt das Medien-Image eines erfolgreichen und mächtigen Geschäftsmannes, der Amerika wieder auf die Erfolgsspur bringen kann. Er will Amerika wieder groß machen: „Make America great again“ lautet sein Wahlkampfslogan. Musikalisch begleitet von der Kampfansage „We’re not gonna take it“ – wir werden es nicht hinnehmen – der Glamrocker Twisted Sisters betritt Trump die Bühne. Er ist der starke Mann, der den Ohnmächtigen wieder Hoffnung und eine Perspektive gibt. Immer mehr weiße Amerikaner haben Abstiegsängste, sie haben das Gefühl, dass ihnen Afroamerikaner, Latinos und asiatische Einwanderer den Rang ablaufen. Auch Amerikas Position in der Welt scheint gefährdet.

Trump verstärkt diese Gefühle, gibt aber den starken Führer, der einfache Lösungen für komplizierte Probleme anbietet, um zunächst hispanische Einwanderer und globale Herausforderer wie China in die Schranken zu weisen. Obwohl die meisten Probleme Amerikas hausgemacht sind, gibt Trump anderen die Schuld: Einwanderern oder Wettbewerbern. Er schürt negativen Nationalismus, weil er Amerika gegen andere definiert. Mit kräftigen Pinselstrichen malt er die „gelbe Gefahr“ an die Wand. Um den Vorwahlkampf der Republikaner zu gewinnen, stigmatisiert er Einwanderer aus Lateinamerika pauschal als „Vergewaltiger und Verbrecher“ – was ihn jedoch den Wahlsieg im Hauptwahlkampf gegen Hillary Clinton kosten dürfte. Doch selbst wenn er am 8. November die Wahl gegen Hillary Clinton verlieren sollte, wird Amerika die Geister, die er rief, so schnell nicht mehr loswerden.

Dieser Text erschien am 30. April im Tagesspiegel-Debattenportal Causa

Bibliografische Angaben

Braml, Josef. “Donald Trump ist nicht das Problem.” May 2016.

DGAPstandpunkt 3, 2. Mai 2016, 3 S.

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