Memo

15. Dez. 2023

Zeit zu liefern

Was der Fonds für Schäden und Verluste den Verwundbarsten bieten muss
DGAP Memo Nr. 7, Dez. 2023
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Gleich am ersten Tag der Verhandlungen bei der 28. Weltklimakonferenz in Dubai wurde die Operationalisierung des Fonds für Schäden und Verluste beschlossen. Dies ist ein Durchbruch in den Bemühungen, die von Klimafolgen besonders betroffenen Entwicklungsländer zu unterstützen. Gemeinsam mit den Gastgebern, den Vereinigten Arabischen Emiraten, hat Deutschland den Fonds finanziell angeschoben und so eine ungewöhnliche Koalition gebildet, die China und andere nicht-traditionelle Geber dazu drängt, sich auch zu beteiligen. Um den Vulnerabelsten zu helfen, muss der Fonds klimabedingte Migration adressieren. 

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In der 30-jährigen Geschichte der Verhandlungen über klimabedingte Schäden und Verluste innerhalb der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) mussten die Länder, die am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, viele Rückschläge hinnehmen. Die Operationalisierung des Fonds für Schäden und Verluste – „Loss and Damage Fund“ – gleich am ersten Tag der COP28 kann daher als historischer Durchbruch betrachtet werden. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), diesjähriger Gastgeber, sagten 100 Millionen Dollar zu, um die Finanzierung des Fonds zu starten. Die Bundesregierung versprach umgehend dieselbe Summe. 

Indem sie zum ersten Mal einen Beitrag zur Klimafinanzierung im Rahmen des UNFCCC geleistet haben, überbrückten die VAE die seit langem bestehende Kluft zwischen Ländern, die vor Jahrzehnten als Entwicklungsländer eingestuft wurden, inzwischen aber industrialisiert sind, und traditionellen Industrieländern mit erheblichen Emissionen in der Vergangenheit (auch als Non-Annex-I- und Annex-I-Länder bezeichnet). Die Europäische Union, die bereits im Vorfeld der Verhandlungen „substanzielle“ Beiträge von sich und ihren Mitgliedstaaten angekündigt hatte, sagte 27,1 Millionen Dollar zu. Andere Länder folgten diesem Beispiel mit konkreten Zusagen (siehe Tabelle). 

 

Auswahl von Zusagen an den Fonds für Schäden und Verluste auf der COP28 (Stand 09.12.2023)
Länder Zusagen in Mio. Dollar
Dänemark 25,6
Deutschland 100
European Union 27,1
Finnland 3,3
Frankreich 108,9
Irland 27,1
Italien 108,9
Japan 10
Kanada 11,8
Niederlande 16,3
Norwegen 25,4
Slowenien 1,6
Spanien 21,8
USA 17,5
Vereinigte Arabische Emirate 100
Vereinigtes Königreich 50,6
Gesamt 655,9

Quelle: COP28 Climate Funds Pledge

Auf der Suche nach Vereinbarungen und Mitteln zur Finanzierung

Die schnelle Einigung wurde durch die Arbeit eines Übergangsausschusses, des sogenannten Transitional Committee, ermöglicht, der zwischen März und November 2023 Empfehlungen für den nun auf der COP vereinbarten Text ausgearbeitet hatte. Die Einigung und der anschließende Anstoß zur Auffüllung des Fonds für Schäden und Verluste kam zustande, nachdem in den Sitzungen des Ausschusses erhebliche Differenzen darüber deutlich wurden, wer auf welcher Grundlage in den Fonds einzahlen und wo der Fonds angesiedelt werden sollte. Schließlich wurde festgelegt, dass der Fonds für die nächsten vier Jahre vorläufig unter dem Dach der Weltbank untergebracht sein wird. In den Ausschusssitzungen zeigten sich zudem Unterschiede zwischen der EU und den USA in der Bereitschaft, für Schäden und Verluste zu zahlen. 

Angesichts der Schwierigkeiten, die mit der Einigung verbunden waren, ist die Operationalisierung des Fonds für Schäden und Verluste ein Erfolg für die diesjährige COP-Präsidentschaft. Das trifft auch auf die zu Beginn zugesagte Finanzierung von mehr als 650 Millionen Dollar zu, die durch Deutschlands Führungsrolle trotz Haushaltszwängen vorangetrieben wurde. Insgesamt muss dieser Durchbruch jedoch vor dem Hintergrund des Finanzbedarfs für Schäden und Verluste betrachtet werden, der angesichts immer schädlicherer Klimafolgen auf Hunderte von Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt wird. Er kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass einige Industriestaaten angesichts ihrer historischen Verantwortung für Treibhausgasemissionen beschämend niedrige Beträge zugesagt haben. 

SCHÄDEN UND VERLUSTE: EINE POLITISCH AUFGELADENE DEBATTE 
Unter dem Begriff „Loss and Damage“ – Schäden und Verluste – werden innerhalb der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) zerstörerische Auswirkungen des Klimawandels verstanden, die bereits eingetreten sind oder auch durch Maßnahmen zur Minderung von Treibhausgasen und/oder zur Anpassung an den Klimawandel nicht mehr vermieden werden können. „Verlust“ bezieht sich im Allgemeinen auf verschiedene Arten von irreversiblen Verlusten, zu denen ökonomische Verluste von Vermögenswerten wie zerstörtes Land oder nicht-ökonomische Verluste wie kulturelles Erbe, biologische Vielfalt oder menschliche Mobilität zählen können. Unter „Schäden“ werde Auswirkungen des Klimawandels verstanden, die potenziell repariert, wiederhergestellt oder kompensiert werden können, wie beispielsweise Ernteausfälle. Bislang gibt es jedoch keine offizielle Definition dafür, was genau als klimabedingte Schäden und Verluste gilt und was die Kompensation dieser Schäden beinhaltet. Bei der Identifizierung der Projekte, die Mittel aus dem Fonds für Schäden und Verluste erhalten sollen, müssen sowohl die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel, darunter Attributionsforschung, als auch die unterschiedlichen und kontextspezifischen Anfälligkeiten der betroffenen Gruppen berücksichtigt werden. 

Ein Land hat keinerlei Zusagen für den Fonds gemacht: China, der weltweit größte Verursacher von Treibhausgasemissionen. Die Zusage der VAE wird den Druck auf die Volksrepublik erhöhen, die als Non-Annex-I-Land zu den Entwicklungsländern gezählt wird und als solches trotz ihrer enormen Emissionen in den letzten Jahrzehnten bisher keinen Beitrag zum  Fonds geleistet hat. Auch könnten die Vorteile der ungewöhnlichen Koalition zwischen Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten als Vorreiter für den Fonds darüber hinausgehen, den finanziellen Druck auf China zu erhöhen. In einer Zeit, in der eine aggressive russische Führung den Westen gegen den Rest der Welt auszuspielen versucht, kann die Suche nach neuen Verbündeten beim Klimaschutz der Bundesregierung dabei helfen, auch in anderen Bereichen Vertrauen und Koalitionen aufzubauen. 

Eine sich anbahnende humanitäre Krise: Vertreibung und Klimawandel

Da immer mehr Menschen mit Klimafolgen konfrontiert sind, die ihre Lebensgrundlagen gefährden, muss dringend eine Finanzierung für Schäden und Verluste her. Dies zeigt auch ein Blick auf klimabedingte Migration. Die Bedürfnisse von Migrantinnen und Migranten, Vertriebenen und Flüchtlingen werden bei den UNFCCC-Verhandlungen oftmals übersehen. So bleiben diese Menschen ungeschützt und haben oft nur begrenzte Mittel, um auf Klimarisiken zu reagieren. Ein Fonds für Schäden und Verlusten, der die Verwundbarsten unterstützen soll, muss den Themen Migration und Vertreibung deshalb besondere Aufmerksamkeit schenken. Die derzeit migrationsfeindliche Rhetorik in vielen Ländern, auch in Deutschland, könnte dies noch wichtiger machen. 

Klimabedingte Vertreibungen führen bereits heute zu erheblichen Verlusten ökonomischer und nicht-ökonomischer Art. Im Jahr 2022 wurden fast 32 Millionen Menschen durch wetterbedingte Katastrophen wie Überschwemmungen oder Stürme vertrieben. In Pakistan überflutete ein noch nie dagewesener Monsunregen weite Teile des Landes und zwang über acht Millionen Menschen, ihr Zuhause zu verlassen. Die Schulbildung von Kindern wurde unterbrochen und soziale Bindungen wurden zerstört. Am Horn von Afrika führte eine schwere Dürre zur Vertreibung von rund zwei Millionen Menschen und zu einem steigenden Bedarf an humanitärer Hilfe. Aber auch langsam einsetzende Veränderungen wie der Anstieg des Meeresspiegels müssen berücksichtigt werden, da sie zunehmend zu Binnenmigration führen. Wenn sukzessive Umweltveränderungen wie Wüstenbildung kleinbäuerliche Landwirtschaft unrentabel machen, kann Migration zur Überlebensfrage werden. Sofern die Industrieländer ihre Emissionen nicht drastisch senken, könnte die Anzahl der Menschen, die infolge von Umweltveränderungen gezwungen sind, innerhalb ihres Landes zu migrieren, bis zum Jahr 2050 auf bis zu 216 Millionen ansteigen. 

Bedürfnissen von Migrantinnen und Migranten gerecht werden

Auf die Bedürfnisse von Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, wird bisher nicht ausreichend eingegangen. Aber auch die Situation jener, die nicht über die nötigen Mittel verfügen, um zu migrieren, beziehungsweise, die nicht gehen wollen, muss berücksichtigt werden. In Zukunft könnte Migration eine Option sein, um Schäden und Verluste zu verringern. Die Schaffung von Finanzierungsmechanismen, die das gesamte Spektrum menschlicher (Im-)Mobilität im Kontext des Klimawandels berücksichtigen, ist eine Herausforderung, bei der der Fonds für Schäden und Verluste einen wertvollen Beitrag leisten kann. In der Entscheidung zur Einrichtung des Fonds, die auf der COP27 in Ägypten im Jahr 2022 getroffen wurde, werden Vertreibung, Umsiedlung und Migration als Lücken in der institutionellen Finanzierungslandschaft für Schäden und Verluste genannt. In den nun vereinbarten Modalitäten für die Operationalisierung des Fonds wird ausdrücklich erwähnt, dass der Fonds die „Förderung einer gerechten, sicheren und würdigen menschlichen Mobilität in Fällen von vorübergehenden und dauerhaften Verlusten und Schäden unterstützen könnte.“ Außerdem werden „Klimamigranten“ als potenzielle Stakeholder in „Beratungsforen“ genannt. 

Eine zentrale Herausforderung für den von der Weltbank verwalteten Fonds wird es sein, dass mehr Mittel an gefährdete und marginalisierte Bevölkerungsgruppen und weniger in bürokratische Strukturen fließen. Wenn der Vorstand des Fonds mit der Ausarbeitung der operationellen Modalitäten beginnt, kann er auf Erkenntnisse der Task Force on Displacement aufbauen. Auch die Empfehlungen, die auf den Sitzungen des Übergangsausschusses gemacht wurden, können dem Fonds in dieser Phase helfen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) empfahl beispielsweise, verstärkt in Frühwarnmechanismen, humanitäre Hilfe und dauerhafte Lösungen für klimabedingte Vertreibungen zu investieren. Maßnahmen sollten proaktiv sein und „vermeidbare zukünftige Verluste“ reduzieren. Andere plädierten für eine unmittelbare Bereitstellung von Mitteln für subnationale Regierungsstellen, da diese enger mit den betroffenen Bevölkerungsgruppen zusammenarbeiten. 

In einem kürzlich erschienenen Bericht der Loss and Damage Collaboration wird betont, dass Finanzierungsmechanismen verlässlich sein sollten und auf Vertreibung vor, während und nach ihrer Entstehung eingehen sollten. Der Bericht betont auch die Notwendigkeit, die „gelebte Erfahrung, das Handlungsvermögen, das Wissen, die Fähigkeiten und die Expertise“ der Vertriebenen anzuerkennen und zu mobilisieren. Diese Forderung spiegelt wider, dass die Vergabekriterien rechtsbasiert sein sollten, einschließlich der Anforderung sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen – genau wie andere marginalisierte Gruppen – gleichen Zugang haben und gleichberechtigt vertreten sind. Konkret könnte dies bedeuten, Menschen mit Vertreibungsgeschichte für das Sekretariat des Fonds einzustellen und einen Beirat für den Loss and Damage Fund bei der Weltbank zu bilden, dem Vertreter der Zivilgesellschaft angehören, darunter Menschen mit Vertreibungsgeschichte und aus Graswurzelorganisationen wie Slum Dwellers International. 

Insgesamt sind pragmatische und flexible Vorgehensweisen erforderlich, um die Bedürfnisse der Migrantinnen und Migranten zu erfüllen und die am stärksten Verwundbaren zu erreichen. Neben der Einbeziehung subnationaler Akteure muss der Fonds in der Lage sein, Maßnahmen zu finden und zu finanzieren, die proaktiv sind und Schaden verhindern, wie etwa geplante Umsiedlungen. Um das gesamte Spektrum menschlicher (Im-)Mobilität im Kontext des Klimawandels zu berücksichtigen und den vielen damit verbundenen Facetten gerecht zu werden, müssen Bedarfs- und Risikobewertungen kontextspezifisch sein. 

Zeit zu liefern: Eine Frage von Geopolitik und Gerechtigkeit 

Indem sich die Bundesregierung bei der COP28 den finanziellen Zusicherungen der VAE angeschlossen hat, hat sie sich als Verbündete der Entwicklungsländer positioniert. Dies könnte von Vorteil für das strategische Ziel sein, Deutschlands Partnerschaften in der aktuell schwierigen geopolitischen Lage zu diversifizieren. Zudem könnte das Engagement der westlichen Industriestaaten nach unterschiedlichen Unstimmigkeiten Vertrauen wiederherstellen. Dies betrifft etwa die verspätete Erfüllung der Zusage von 100 Milliarden Dollar für die Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern oder die Unzufriedenheit über die unzureichende gemeinsame Nutzung von Covid-Impfstoffen. Dieser Mangel an Vertrauen hat zum Beispiel gemeinsame Resolutionen gegen Russland untergraben. 

Zuallererst ist die Finanzierung klimabedingter Schäden und Verluste in den von der Klimakrise am stärksten betroffenen Ländern jedoch eine Frage der Gerechtigkeit. Diejenigen, die am wenigsten zu Treibhausgasemissionen beigetragen haben, sind gezwungen, die Hauptlast der Folgen zu tragen, einschließlich des Verlusts ihres Zuhauses. Der Klimawandel führt zum Verlust von Menschenleben und Lebensgrundlagen, hat negative Auswirkungen auf die physische und mentale Gesundheit von Menschen und zerstört wichtige Infrastruktur sowie Ökosysteme. Klimabedingte Migration ist vielleicht eine der deutlichsten Erinnerungen an die Ungerechtigkeit, wie und wo Klimafolgen zu spüren sind. 

Die Leitlinien des Auswärtigen Amtes zur feministischen Außenpolitik sehen vor, dass Klimadiplomatie eingesetzt werden soll, um Ungerechtigkeiten, die durch Klimafolgen noch verschärft werden, entgegenzuwirken. Die Bereitstellung finanzieller Mittel für den „Loss and Damage Fund“ könnte ein erster Schritt sein, um diesen Worten Taten folgen zu lassen. Der in Dubai vom „Women‘s Peace and Humanitarian Fund“ und dem Auswärtigen Amt verkündete Appell zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen ist die jüngste Entwicklung zur Förderung konkreter Maßnahmen in diesem Bereich. Der „Loss and Damage Fund“ ist nur ein Baustein bei der Bewältigung der Klimakrise. Größere Reformen, die auch mehr privates Kapital freisetzen, sind notwendig, um die Gefahren des Klimawandels zu begrenzen. Um eine „Zeitenwende“ im COP-Prozess herbeizuführen, muss zunächst ein Mentalitätswandel erfolgen. 

 

NACHTRAG 

In einem gemeinsamen Projekt arbeiten die DGAP und die Robert Bosch Stiftung daran, die Umsetzung pragmatischer und menschenrechtsbasierter Lösungsansätze zur klimabedingten Migration voranzutreiben. Obwohl in den letzten Jahren immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse über den Zusammenhang von Klimawandel, Umweltzerstörung und Migration vorgelegt wurden, hat es die internationale Gemeinschaft bisher versäumt, sich angemessen mit dem Thema zu befassen. Dadurch sind die Betroffenen rechtlich ungeschützt und haben in vielen Fällen nur begrenzte Möglichkeiten und Mittel, um auf sich verstärkende Klimarisiken zu reagieren. Um dies zu ändern, zielt das Projekt darauf ab, einen evidenzbasierten Austausch über das Thema in der außen- und entwicklungspolitischen Debatte zu fördern, Analysen und Handlungsempfehlungen bereitzustellen und Entscheidungsträgerinnen und -träger zu beraten. 

 

 

 

Bibliografische Angaben

Becker, Mechthild, and Kira Vinke. “Zeit zu liefern.” DGAP Memo 7 (2023). German Council on Foreign Relations. December 2023. https://doi.org/10.60823/DGAP-23-39653-de.

Dieses DGAP Memo wurde am 15.12.2023 publiziert.

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